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Wegeunfälle von Mitarbeitenden eines ­Großunternehmens der chemischen Industrie: Eine Unfalldatenanalyse von 1995 bis 2022

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

M. Claus

S. Webendörfer

doi:10.17147/asu-1-426484

(eingegangen am 15.11.2024, angenommen am 17.02.2025)

Commuting accidents of employees of a large chemical company: An accident data analysis from 1995 to 2022

Objective: The study aims to analyze accident data from a large German chemical company to identify the frequency, trends, and risk groups for commuting accidents.

Methods: Longitudinal data (1995–2022) from employees at the company’s site in Ludwigshafen were utilized. All commuting accidents where employees sought examination at one of the occupational medical clinics were included in the current analysis. Data on the time, circumstances, and severity of accidents were collected from which further information on the mode of transport and cause of the accident was extracted. Accident rates were calculated per 1,000 person-years (PY). Trends in the accident data were analyzed using Joinpoint regression models.

Results: The cohort consisted of 70,786 individuals with 940,354.5 PY observed, and 4,429 commuting accidents (4.5 per 1,000 PY). A u-shaped trend in commuting accidents was identified over the follow-up period, with a significant decline during the SARS-CoV-2 pandemic. Higher rates were noted among individuals under 30 and women. January and Mondays were identified as the most accident-prone times. Most commuting accidents occurred on the way to work for both day and shift workers. The most common modes of transport involved in commuting accidents were bicycles (48.2 %) and pedestrians (25.2 %). Collisions (20.0 %) and weather-related issues (18.2 %) were the leading causes of commuting accidents. In 28.2 % of the cases, further medical treatment was required, and 1.8 % resulted in hospitalization.

Conclusions: This analysis provides insights into trends, risk groups, and causes of commuting accidents. The findings can help target preventive measures and actions to reduce commuting accidents.

Keywords: commuting accidents – commuters – occupational health –
traffic safety – chemical industry

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2024; 60: 170–178

Wegeunfälle von Mitarbeitenden eines Großunternehmens der chemischen Industrie: Eine Unfalldatenanalyse von 1995 bis 2022

Zielstellung: Im Rahmen dieses Beitrags werden Wegeunfalldaten eines Großunternehmens der chemischen Industrie verwendet, um Häufigkeiten, Trends sowie Personengruppen mit erhöhtem Wegeunfallrisiko zu beschreiben.

Methoden: Es werden Längsschnittdaten (1995–2022) von Beschäftigten am Unternehmensstandort Ludwigshafen herangezogen. Berücksichtigt werden alle Wegeunfälle, nach denen sich Mitarbeitende zur Untersuchung in eine der arbeitsmedizinischen Ambulanzen begeben haben. Die erhobenen Daten umfassen unter anderem Angaben zu Unfallzeitpunkt, -hergang und -schwere, woraus nähere Informationen zu Verkehrsmittel und Unfallursache extrahiert wurden. Für alle Mitarbeitenden werden Personenjahre (PJ) unter Beobachtung aufsummiert, so dass Wegeunfallraten als Anzahl an Wegeunfällen pro 1.000 PJ angegeben werden können. Trends im Unfallgeschehen werden mithilfe von Joinpoint-Regressionsmodellen analysiert.

Ergebnisse: Im Beobachtungszeitraum waren 70.786 Personen Teil der Kohorte, mit 940.354,5 PJ unter Beobachtung und 4.429 Wegeunfällen (4,5 Wegeunfälle pro 1.000 PJ). Es ergab sich über das Follow-up ein u-förmiger Trend im Wegeunfallgeschehen mit einem deutlichen Rückgang während der SARS-CoV-2-Pandemie. Vergleichsweise höhere Wegeunfallraten zeigten sich für jüngere Personen unter 30 Jahren und Frauen. Januar ist der mit Abstand unfallträchtigste Monat, Montag der unfallträchtigste Wochentag. Die meisten Wegeunfälle, bei Tag- und Schichtarbeitenden, treten auf dem Hinweg zur Arbeit auf. Häufigste Fortbewegungsmittel bei einem Wege­unfall sind Fahrrad (48,2 %) sowie Fußgänger (25,2 %). Als häufigste Ursachen werden Kollisionen (20,0 %) und Witterung/Glätte (18,2 %) genannt. In 28,2 % war eine weiterführende ärztliche Behandlung notwendig, 1,8 % führten zu einer stationären Krankenhauseinweisung.

Diskussion: Die vorliegende Datenanalyse liefert Einblicke in Trends, Risiko­gruppen und Ursachen von Wegeunfällen. Die Ergebnisse können helfen, Fokusgruppen zu identifizieren und adäquate präventive Maßnahmen zu implementieren, um eine Voraussetzung für die Verringerung von Wege­unfällen zu schaffen.

Schlüsselwörter: Wegeunfälle – Pendler – Arbeitsmedizin – Verkehrssicherheit – chemische Industrie

Einleitung

Wegeunfälle sind definiert als Unfälle, die sich auf dem unmittelbaren Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte ereignen, wobei unter gewissen Umständen ohne Verlust des Versicherungsschutzes vom direkten Weg abgewichen werden darf (z. B. bei Fahrgemeinschaften, Umleitungen oder zur Kindesbetreuung). In Deutschland sind Wegeunfälle den Arbeitsunfällen rechtlich gleichgestellt, die Gesetzesgrundlage findet sich in § 8 Abs. 2 Nr. 1–4 SGB VII. Nach aktuellen Daten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) wurden im Jahr 2023 deutschlandweit 184.355 meldepflichtige Wegeunfälle erfasst (DGUV 2023), wobei eine Meldepflicht bei einer resultierenden Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Kalendertagen vorliegt. Insgesamt endeten im selben Jahr 218 Wegeunfälle tödlich, was etwas mehr als einem Drittel (36,4 %) aller tödlicher Arbeitsunfälle entspricht (DGUV 2023). Die Entwicklung der Wegeunfallhäufigkeit hat von Mitte der 1990er Jahre bis Mitte der 2000er Jahre einen rückläufigen Trend gezeigt, blieb danach nahezu konstant und nahm während der SARS-CoV-2-Pandemie deutlich ab (DGUV 2023).

Die Auswirkungen von Wegeunfällen sind vielfältig und beinhalten, je nach Schweregrad des Unfalls, neben den unmittelbaren physischen und psychischen Auswirkungen für die Verunfallten, eine emotionale Belastung für die Angehörigen. Arbeitgeber sind zudem mit der Herausforderung konfrontiert, den Arbeitsausfall und den damit verbundenen Produktivitätsverlust zu kompensieren. Aus genannten Gründen ist es geboten, Wegeunfälle so gut wie möglich durch zielgerichtete präventive Maßnahmen zu vermeiden. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist es, Hintergründe, Ursachen und Risikofaktoren von Wegeunfällen zu untersuchen, um damit Ansatzpunkte zur Prävention zu schaffen und die Sicherheit auf dem Arbeitsweg zu erhöhen.

Neben den regelmäßigen Publikationen der DGUV (DGUV 2023, 2024), existieren zahlreiche nationale (Geiler u. Musahl 2003; Geiler u. Pfeiffer 2007; Löffler et al. 2007; Dietz et al. 2020; Hoffeld et al. 2022; van der Staay et al. 2023) und internationale (Charbotel et al. 2001; Boufous u. Williamson 2006; Chiron et al. 2008; Charbotel et al. 2010; Camino Lopez et al. 2017; Cunha et al. 2019; Ponsin et al. 2023) Studien, die sich mit soziodemografischen, situativen und arbeitsorganisatorischen Risikofaktoren von Wegeunfällen befassen. Diese Studien weisen jedoch erhebliche Unterschiede in der Definition eines Wegeunfalls auf, zum Beispiel in Bezug auf tödliche Wegeunfälle, meldepflichtige Wegeunfälle oder solche mit Verletzungen und Arbeitsunfähigkeit, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erschwert. Generell scheinen Lebensalter, Geschlecht, Verkehrsmittel sowie Jahres- und Tageszeit beziehungsweise Witterungsbedingungen eine bedeutende Rolle im Wegeunfallgeschehen zu spielen.

Eine frühere Studie zu Wegeunfällen unter Verwendung unternehmensinterner Daten aus dem Jahre 2010 von Zepf und Kollegen (Zepf et al. 2010) stellte eine vergleichsweise höhere Unfallquote bei jüngeren Personen und Frauen fest. Darüber hinaus war der Anteil an Verunfallten als Fußgänger, Motorrad- oder Fahrradfahrer deutlich höher als der jeweilige Anteil dieser Verkehrsmittel bei den Pendlerinnen und Pendlern. Die Studie basierte dabei auf etwa 5.000 Wege­unfällen, die im Zeitraum 1990 bis 2003 erfasst wurden (Zepf et al. 2010).

Fragestellung/Zielstellung

Im Rahmen der vorliegenden Studie wird eine umfassende und aktualisierte Analyse von Wegeunfällen innerhalb des Unternehmens durchgeführt. Im Gegensatz zur vorherigen Studie berücksichtigt die aktualisierte Analyse dabei einerseits einen ausgedehnten Zeitraum von 1995 bis 2022, andererseits werden Daten des Corporate Health Managements verwendet, das alle Wegeunfälle mit Behandlung in einer der werksinternen Ambulanzen erfasst. Die Studie dient einerseits dem Ziel, mögliche langfristige Trends im Wegeunfallgeschehen zu untersuchen, andererseits soll die Auswertung dazu beitragen, Unfallschwerpunkte zu beschreiben und Risikogruppen zu identifizieren.

Methoden

Studiendesign

Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden Längsschnittdaten von Mitarbeitenden eines Großunternehmens der chemischen Industrie herangezogen. Die Kohorte besteht dabei aus allen unbefristet beschäftigten Mitarbeitenden (Stammpersonal) am Haupt­standort des Unternehmens in Ludwigshafen am Rhein, die zwischen dem 01.01.1995 und 31.12.2022 zumindest zeitweise im Unternehmen beschäftigt waren. Nicht berücksichtigt werden Auszubildende, Mitarbeitende von Tochtergesellschaften oder auch Leasingkräfte/Fremdfirmenmitarbeitende. Im Falle eines Austritts aus dem Unternehmen während der Beobachtungszeit oder eines Wechsels eines Mitarbeitenden vom Stammpersonal in eine Tochtergesellschaft endet die Berücksichtigung derjenigen Person und damit deren Beitrag zu den Personenjahren zum Zeitpunkt des Wechsels beziehungsweise Austritts. Es handelt sich somit um eine dynamische Kohorte, mit möglichen Ein-, Aus- und Wiedereintritten während des Beobachtungszeitraums.

Datenerfassung und Variablenkonstruktion

Alle Wegeunfälle werden in der elektronischen Patientenakte erfasst, bei denen sich Mitarbeitende zur Untersuchung in eine der arbeitsmedizinischen Ambulanzen begeben haben. Während des Aufenthaltes werden unter anderem Informationen zu Datum und Uhrzeit, Schweregrad sowie verletzten Körperteilen erfasst. Die Unfallschwere wird verschlüsselt als nicht mehr als Erste Hilfe erforderlich, Überweisung zum Durchgangsarzt sowie stationäre Krankenhausbehandlung oder Tod. Darüber hinaus finden sich in der Unfallbeschreibung (Freitext) weiterführende Informationen zur Unfallursache sowie zum Verkehrsmittel zum Zeitpunkt des Wegeunfalls. Die Kategorien zur Klassifikation der Unfallbeschreibung in Verkehrsmittel („Fußgänger“, „Fahrrad“, „PKW (Straßenverkehr)“, „Motorisiertes Zweirad“, „PKW (kein Straßenverkehr)“ [z. B. Einklemmen in Tür, Anschlagen an Kofferraumdeckel], „ÖPNV“, „Sonstiges/k.A.“) sowie Unfallursache („Kollision“, „Witterung/Glätte“, „keine äußere Ursache erkennbar“, „Unebenheiten/Hindernisse auf Wegen“, „Auf-/Ab-/Ein-/Aussteigen oder Beladen“, „Ausweichen oder von anderen Verkehrsteilnehmenden geschnitten oder bedrängt werden“, „Fremdkörper im Auge“, „Treppensturz“, „Zusammenstoß mit Tieren“, „technisches Versagen“, „Autotür plötzlich geöffnet“, „gesundheitliche Probleme“, „tätlicher Angriff“) wurden dabei vom Erstautor nach Sichtung der Freitextantworten festgelegt.

Die Klassifikation der Freitextantworten nach Verkehrsmittel und Unfallursache wurde dabei zunächst durch den Erstautor vorgenommen, anschließend erfolgte eine weitere Klassifikation mit Hilfe des Large Language Models (LLM) ChatGPT (OpenAI 2024). Es wurden ausschließlich vollständig anonymisierte Unfallbeschreibungen durch das LLM klassifiziert, wodurch zu keinem Zeitpunkt ein Rückschluss auf individuelle Personen möglich war. Die prozentuale Übereinstimmung zwischen der Klassifikation des Erstautors und des LLM war jeweils 93,1 % (Cohen’s Kappa: 0,90) bezüglich des Verkehrsmittels und 76,5 % bezüglich der Unfallursache (Cohen’s Kappa: 0,71). Im Falle einer möglichen Abweichung in der Klassifikation zwischen dem Erstautor und dem LLM, erfolgte eine nochmalige Revision und gegebenenfalls Korrektur durch den Erstautor.

Verletzte Körperteile wurden korrespondierend zur Vorgehensweise der DGUV in „Kopf“ (inklusive Gesicht und Zähne), „Hals, Wirbelsäule“, „Brustkorb, -organe, Becken“, „Schulter, Oberarm, Ellenbogen“, „Unterarm, Handgelenk, -wurzel“, „Hand“, „Hüftgelenk, Oberschenkel, Kniescheibe“, „Kniegelenk, Unterschenkel“, „Knöchel, Fuß“ sowie „Gesamter Mensch“ klassifiziert (DGUV 2024).

Grundlegende soziodemografische Informationen zur Kohorte entstammen den HR-Daten und umfassen Alter (berechnet über das Geburtsdatum), Geschlecht, Mitarbeiterkreis und Arbeitszeitsystem. Der Mitarbeiterkreis repräsentiert vereinfacht ausgedrückt die berufliche Position der Mitarbeitenden und untergliedert sich dabei in die Kategorien, gewerbliche Angestellte (GA), tarifliche Angestellte (TA) und außertarifliche Angestellte/obere Führungskräfte (AT/OF). Während GA üblicherweise Tätigkeiten in der Produktion ausüben, handelt es sich bei TA um Mitarbeitende im Büro oder mit Weisungsfunktionen (z. B. Vorarbeiter/-in, Meister/-in) und bei AT beziehungsweise OF um Mitarbeitende in Führungspositionen. Die Variable Arbeitszeitsystem untergliedert sich in Tagarbeit, Wechselschichtarbeit (3 x 12 h- sowie 4 x 12 h-Wechselschichtsystem) sowie 2er-Schichtsysteme. Die 4 x 12 h-Wechselschicht (das mit Abstand häufigste Schichtmodell) beginnt beispielsweise morgens um 6:00 Uhr und endet abends um 18:00 Uhr, mit einer anschließenden arbeitsfreien Zeit von 24 Stunden. Die nächste Schicht beginnt somit am Abend des Folgetags um 18:00 Uhr und endet um 6:00 Uhr morgens, mit einer anschließenden Freizeit von 48 Stunden. Bei den Variablen Mitarbeiterkreis und Arbeitszeitsystem handelt es sich um zeitveränderliche Variablen, das heißt, dass beispielsweise ein Wechsel eines tariflichen Angestellten in den außertariflichen Bereich in den Daten Berücksichtigung findet.

Die statistische Analyse erfolgte ausschließlich unter Verwendung zuvor vollständig anonymisierter Daten.

Statistische Methoden

Für eine deskriptive Beschreibung von Kohorte und Wegeunfällen werden absolute und relative Häufigkeiten verwendet. Aufgrund der Nicht-Normalverteilung der kontinuierlichen Variablen Alter und Personenjahre (überprüft mit Shapiro-Wilk-Tests sowie grafisch mit Boxplots und Histogrammen) werden diese mit dem Median und dem Interquartilsabstand (IQR) beschrieben. Wegeunfallraten werden als Anzahl an Wegeunfällen pro 1.000 Personenjahre ausgedrückt. Zur Darstellung von altersstandardisierten Raten wurde eine direkte Altersstandardisierung mit interner Standardpopulation verwendet, wobei als interne Standardpopulation die durchschnittliche Anzahl an Personenjahren pro 10-Jahres-Alterskategorie (< 30, 30–39, 40–49, 50+) des Studienkollektivs über den gesamten Beobachtungszeitraum von 1995 bis 2022 herangezogen wurde.

Es werden Joinpoint-Regressionsmodelle zur Identifikation von Veränderungen in Trends über die Zeit hinweg verwendet. Mit dieser Methode werden Punkte ermittelt (sogenannte „Joinpoints“), an denen sich die Richtung von Trends signifikant ändert. Dabei wird der Annual Percent Change (APC) berechnet, der die durchschnittliche jährliche prozentuale Änderung in einem Trend über einen bestimmten Zeitraum (zwischen zwei Joinpoints) beschreibt, wobei ein positiver APC einen Anstieg und ein negativer APC einen Rückgang im Trend beschreibt. Darüber hinaus wird der Average Annual Percent Change (AAPC) ausgewiesen, der ein zusammenfassendes Maß für Trendänderungen über den gesamten Beobachtungszeitraum darstellt und sich über die gewichteten durchschnittlichen APC über alle Segmente des Joinpoint-Modells hinweg berechnet (Kim et al. 2000).

P-Werte < 0,05 werden als statistisch signifikant erachtet. Die statistischen Analysen wurden mit Stata/MP 18.0 (StataCorp LLC, College Station, TX, USA) sowie dem Joinpoint Regression Program, Version 5.0.2 – May 2023 (Statistical Methodology and Applications Branch, Surveillance Research Program, National Cancer Institute, USA) durchgeführt.

Ergebnisse

Im Beobachtungszeitraum vom 01.01.1995 bis zum 31.12.2022 waren 70.786 Personen Teil der Kohorte, mit insgesamt 940.354,5 Personenjahren unter Beobachtung (Median: 10,8 Jahre/IQR: 4,8–22,7 Jahre).

Beim Eintritt in die Kohorte (ab 1995) lag der Altersmedian bei 33,0 Jahren (IQR: 26,3–43,0 Jahre), wobei 80,3 % der Kohorte männlichen Geschlechts waren. Zu Beginn der Beobachtungszeit, im Jahr 1995, waren bereits 58,5 % der Teilnehmenden im Unternehmen tätig.

Etwa ein Viertel arbeitetet zum Kohorteneinschluss in Wechselschicht (24,9 %), vergleichsweise wenig in einem 2er-Schichtsystem (0,9 %). Mehr als jede/r Fünfte war als Führungskraft (AT/OF) tätig (22,6 %), 35,0 % als tarifliche (TA) und 42,4 % als gewerbliche Angestellte (GA).

Während des genannten Zeitraums erfasste das Corporate Health Management 4.429 Wegeunfälle, was einer Rate von 4,5 Wegeunfällen pro 1.000 Personenjahren unter Beobachtung entspricht. Die maximale Anzahl an Wegeunfällen einer einzigen Person über das gesamte Follow-Uup lag bei 6, wobei insgesamt 5,3 % aller Personen (n = 3,776) mindestens einen Wegeunfall erlitten.

Die Wegeunfallrate von Frauen ist etwa 30 % höher als diejenige der Männer (➥ Tabelle 1). Bei Männern ist die Wegeunfallrate mit zunehmendem Alter (bis 45–49 Jahre) zunächst deutlich rückläufig und bleibt danach annähernd konstant, während sich bei Frauen ein u-förmiger Verlauf der Unfallrate nach Altersklasse zeigt, mit den höchsten Unfallraten bei den unter 30-Jährigen und den über 55-Jährigen. Im Hinblick auf die berufliche Position zeigt sich bei Frauen eine höhere Wegeunfallrate für gewerbliche Angestellte. Bei den Männern ist eine niedrigere Wegeunfallrate bei Mitarbeitern in Wechselschicht im Vergleich zu Tagarbeitern oder solchen in einem 2er-Schichtsystem erkennbar.

Zeitpunkt der Wegeunfälle

Nach einem anfänglichen kurzen Anstieg in den Wegeunfallraten (dicke schwarze Linie in ➥ Abb. 1) zwischen 1995 und 1997 zeigt sich ein deutlicher Rückgang in den Jahren 1997 bis 2005 und danach wiederum ein Anstieg (u-förmiger Verlauf). Ohne Berücksichtigung der SARS-CoV-2-Pandemie (2020–2022) war die altersstandardisierte Wegeunfallrate in den Jahren 2005 und 2007 mit jeweils 2,9 beziehungsweise 3,0 Wegeunfällen pro 1.000 Personenjahren am niedrigsten und im Jahr 1997 mit 6,5 am höchsten. In den Jahren der Pandemie (rechts der vertikalen gestrichelten Linie) lagen die beobachteten Wegeunfallraten bei beiden Geschlechtern recht deutlich unter den erwarteten Fällen, wenn der steigende Trend von 2005 bis 2019 auf die Pandemiejahre extrapoliert wird (gestrichelte Trendlinien). Die durchschnittliche jährliche prozentuale Veränderung (AAPC) über den Zeitraum 1995–2019 fiel mit +1,1 % (altersstandardisiert) gering aus und war statistisch nicht signifikant. Mit Ausnahme des Zeitraums der SARS-CoV-2-Pandemie, liegen die Wegeunfallraten der Frauen fast durchgängig über derjenigen der Männer.

Abb. 1: Langfristige Trends in der altersstandardisierten Wegeunfallrate insgesamt und stratifiziert nach Geschlecht bei Mitarbeitenden eines Großunternehmens der chemischen Industrie von 1995 bis 2022
Fig. 1: Long-term trends in the age-standardized commuting accident rate overall and stratified by gender among employees of a large chemical company from 1995 to 2022

Im Median werden pro Monat 11 Wegeunfälle erfasst (IQR: 9–15; horizontale Linien in ➥ Abb. 2 oben links), wobei Januar der mit Abstand unfallträchtigste Monat darstellt (Median: 18, IQR: 11–25,5). Die wenigsten Wegeunfälle werden in den Monaten März (Median: 9), April (Median: 9,5) sowie Mai und Dezember (Median: 10) gemeldet. Mit etwas weniger als 30 % entfallen die meisten Wegeunfälle auf die Wintermonate Dezember bis Februar (29,7 %), gefolgt von Sommer (25,9 %), Herbst (24,2 %) und Frühling (20,2 %). Die mit Abstand meisten Wegeunfälle in einem einzelnen Monat wurden im Januar 1997 (n = 66) und Januar 1996 (n = 61) erfasst, die wenigsten im Dezember 2008 und April 2009 (jeweils n = 2).

Im Hinblick auf den Wochentag, sind die Wegeunfälle zwischen Montag und Donnerstag relativ gleichverteilt, mit einem deutlichen Rückgang am Freitag (13,7 %) und am Wochenende (6,7 %). Bei Tagarbeitenden zeigt sich bezüglich der Unfalluhrzeit (s. Abb. 2, links unten) eine bimodale Verteilung, mit Peaks zwischen 6:00 und 7:59 Uhr (Hinfahrt) sowie, in deutlich geringerem Ausmaß, von 16:00–17:59 Uhr (Rückfahrt). Bei den Beschäftigten in Wechselschicht wiederum treten die meisten Wegeunfälle auf der Hinfahrt zur Tagschicht zwischen 4:00 und 5:59 Uhr auf, sowie auf der Hinfahrt zur Nachtschicht (zwischen 16:00 und 17:59 Uhr). Auffällig ist, dass die relative Häufigkeit von Wegeunfällen bei beiden Berufsgruppen auf der Hinfahrt zur Arbeitsstätte deutlich höher ist als auf der Rückfahrt.

Abb. 2: Wegeunfälle von Mitarbeitenden eines Großunternehmens der chemischen Industrie von 1995 bis 2022 nach Monat, Wochentag und Uhrzeit (für Tag- und Wechselschichtmitarbeitende separat)
Fig. 2: Commuting accidents of employees of a large chemical company from 1995 to 2022 by month, day of the week, and time of day (separate for day and shift workers)

Fortbewegungsmittel und Unfallursache

Etwa die Hälfte aller Wegeunfälle passierte mit dem Fahrrad (48,2 %; 2,2 pro 1.000 PJ), gefolgt von Unfällen als Fußgängerin/Fußgänger (25,2 %; 1,1 pro 1.000 PJ) oder mit dem PKW im Straßenverkehr (11,0 %; 0,5 pro 1.000 PJ; ➥ Abb. 3). Männer haben im Vergleich zu Frauen eine höhere Wegeunfallrate bezüglich Fahrrad (2,35 vs. 1,31 pro 1.000 PJ) und motorisiertem Zweirad (0,30 vs. 0,05 pro 1.000 PJ) und Frauen eine vergleichsweise höhere Unfallrate hinsichtlich Wegeunfällen als Fußgänger (2,58 vs. 0,83 pro 1.000 PJ) sowie mit dem PKW im Straßenverkehr (1,11 vs. 0,36 pro 1.000 PJ).

Der Anteil von Wegeunfällen mit dem Fahrrad hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, von durchweg etwas mehr als 40 % in den Jahren vor 2015 auf 56,0 % von 2015–2019 und 63,0 % in den Jahren der SARS-CoV-2-Pandemie (2020–2022). Korrespondierend dazu hat der Anteil von Unfällen mit dem PKW im Straßenverkehr sowie solche als Fußgängerin/Fußgänger in den letzten Jahren tendenziell abgenommen.

Häufigste Ursachen eines Wegeunfalls waren Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern (20,0 %; 0,9 pro 1.000 PJ), Witterung/Glätte (18,2 %; 0,8 pro 1.000 PJ), keine äußere Ursache erkennbar (18,0 %; 0,8 pro 1.000 PJ), Unebenheiten/Hindernisse auf Wegen (16,3 %; 0,7 pro 1.000 PJ), Auf-/Ab-/Ein-/Aussteigen oder Beladen (7,9 %; 0,4 pro 1.000 PJ), Ausweichen oder von anderen Verkehrsteilnehmenden geschnitten oder bedrängt werden (6,2 %; 0,3 pro 1.000 PJ), Fremdkörper im Auge (4,8 %; 0,2 pro 1.000 PJ), Treppenstürze (2,8 %; 0,1 pro 1.000 PJ), Zusammenstoß mit Tieren (1,8 %; 0,1 pro 1.000 PJ), technisches Versagen (1,7 %; 0,1 pro 1.000 PJ), gesundheitliche Probleme (1,0%; 0,04 pro 1.000 PJ) oder Autotür plötzlich geöffnet (0,6 %; 0,03 pro 1.000 PJ). In zehn Fällen führte ein absichtlicher, tätlicher Angriff einer anderen Person zum Wegeunfall.

Unfallursachen nach Fortbewegungsmittel visualisieren die farblich nach Unfallursache getrennten inneren Rechtecke in Abb. 3. So lässt sich beispielsweise jeder fünfte Fahrradunfall und jeder vierte Unfall als Fußgänger auf Witterung/Glätte zurück­führen.

Abb. 3: Unfallursache nach Fortbewegungsmittel zum Zeitpunkt des Wegeunfalls bei Wegeunfällen von Mitarbeitenden eines Großunternehmens
der chemischen Industrie im Zeitraum 1995 bis 2022
Fig. 3: Cause of the accident by mode of transportation at the time of the accident in commuting accidents of employees of a large chemical company from 1995
to 2022

Folgen der Wegeunfälle

Von den Wegeunfällen wurden 69,9 % (3,1 pro 1.000 PJ) als Unfälle mit nicht mehr als Erste Hilfe benötigt klassifiziert, bei 28,2 % war eine Überweisung zum Durchgangsarzt notwendig (1,3 pro 1.000 PJ), in 1,8 % der Fälle eine stationäre Krankenhauseinweisung (0,1 pro 1.000 PJ) und es wurde ein Todesfall registriert. Die Farbgebung der Rechtecke in Abb. 3 orientiert sich an der relativen Häufigkeit schwerer Unfälle mit stationärem Krankenhausaufenthalt, der mit 4,5 % bei Motorradwegeunfällen mit Abstand am höchsten war, gefolgt von Unfällen mit dem Fahrrad (2,0 %), sowie jeweils 1,7 % bei Wegeunfällen als Fußgänger oder mit dem PKW im Straßenverkehr.

Bei den 4.229 Wegeunfällen wurden insgesamt 7.257 verletzte Körperteile erfasst und verschlüsselt, davon am häufigsten das Kniegelenk/Unterschenkel (22,7 %), Schulter/Oberarm/Ellenbogen (14,2 %), Hand (13,0 %), Knöchel/Fuß (10,5 %) sowie Kopf (10,1 %). Eine Stratifikation der verletzten Körperteile nach Verkehrsmittel zum Zeitpunkt des Wegeunfalls (➥ Abb. 4) zeigt eine vergleichbare Verteilung bei Unfällen mit dem Fahrrad und solchen mit einem motorisierten Zweirad (jeweils Kniegelenk und Unterschenkel als häufigste verletzte Körperteile, gefolgt von Schulter, Oberarm und Ellenbogen). Bei Unfällen als Fußgängerin/Fußgänger waren Knöchel, Fuß sowie Kniegelenk und Unterschenkel am häufigsten betroffen, bei Unfällen mit dem PKW im Straßenverkehr wiederum Hals und Wirbelsäule (ca. 50 %) gefolgt von Kopf und gesamtem Mensch (jeweils etwa 16 %).

Abb. 4: Relative Häufigkeit verletzter Körperteile nach verwendetem Verkehrsmittel zum Zeitpunkt des Wegeunfalls bei Mitarbeitenden eines Großunternehmens der chemischen Industrie von 1995 bis 2022 (n = 7.257; mehrere verletzte Körperteile pro Wegeunfall möglich)
Fig. 4: Relative frequency of injured body parts by mode of transportation used at the time of the commuting accident among employees of a large chemical company from 1995 to 2022 (n = 7,257; multiple injured body parts per commuting accident possible)

Diskussion

Der vorliegende Artikel zielte darauf ab, Trends im Wegeunfallgeschehen in einem Großunternehmen der chemischen Industrie über 28 Jahre darzustellen sowie Unfallschwerpunkte zu beschreiben und Risikogruppen zu identifizieren.

Insgesamt zeigte sich ein u-förmiger Verlauf der Wegeunfallraten von 1995 bis 2019, mit einem anschließenden deutlichen Rückgang während der SARS-CoV-2-Pandemie. Bei Frauen waren die Wege­unfallraten während der Pandemie die niedrigsten im gesamten Beobachtungszeitraum. Eine gesunkene Anzahl an Wegeunfällen während der Pandemie zeigen auch Daten der DGUV, die von jährlich mehr als 185.000 (2016–2019) auf 152.823 im Jahr 2020 gefallen sind (DGUV 2023). Als Grund für diese Entwicklung lässt sich anführen, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer während der Pandemie von zuhause gearbeitet haben, was vor allem während der Stoßzeiten zu einem deutlich verringerten Verkehrsaufkommen und damit auch zu einer geringeren Anzahl an Wegeunfällen beigetragen haben dürfte.

Bei der Interpretation der nachfolgenden Befunde muss berücksichtigt werden, dass uns für die Analysen keine Informationen bezüglich Länge und Dauer der Arbeitsstrecke pro Mitarbeiterin und Mitarbeiter sowie zum üblicherweise genutzten Verkehrsmittel zur Verfügung standen. Frauen haben in der vorliegenden Studie allgemein ein höheres Wegeunfallrisiko als Männer, ein Ergebnis was mit der früheren Studie von Zepf et al. (2010) und weiteren Studien (Geiler u. Pfeiffer 2007; Chiron et al. 2008) übereinstimmt. Das
Wegeunfallrisiko ist für Frauen besonders zu Fuß oder mit dem PKW vergleichsweise hoch. Neben der vermehrten Nutzung dieser Verkehrsmittel durch Frauen lassen sich hinsichtlich PKW auch komplexere Fahrtwege aufgrund von Betreuungsaufgaben in der Familie (Fahrten zur Kindertagesstätte) diskutieren und einen dadurch möglicherweise in Zusammenhang stehenden höheren Zeitdruck (McGuckin u. Murakami 1999).

Hinsichtlich des Alters war das Wegeunfallrisiko bei beiden Geschlechtern in der jüngsten Altersgruppe (< 30 Jahre) mit Abstand am höchsten, wobei ein höheres Wegeunfallrisiko von jüngeren Menschen auch in vielen anderen Studien gezeigt wurde (Geiler u. Musahl 2003; Boufous u. Williamson 2006; Charbotel et al. 2010; Zepf et al. 2010). Als Gründe lassen sich eine mögliche Nutzung vergleichsweise risikoreicher Verkehrsmittel (etwa motorisiertes Zweirad oder Fahrrad) anführen, die geringere Fahrerfahrung von jüngeren Menschen sowie eine generell höhere Risikobereitschaft in jüngerem Alter und ein mögliches vermehrtes Multitasking (z. B. Handynutzung während der Fahrt).

Bezüglich des Arbeitszeitsystems zeigte sich eine geringere Unfallrate bei Männern in Wechselschichtarbeit. Auch in der Studie von Zepf et al. (2010) war die Unfallrate von Wechselschichtmitarbeitenden etwas geringer als bei solchen in Tagarbeit. Als Gründe lassen sich das geringere Verkehrsaufkommen in der Nacht beziehungsweise am früheren Morgen anführen, wenn Schichtmitarbeitende zur Arbeit oder nach Hause fahren sowie ein damit assoziierter geringerer Zeitdruck und Stress aufgrund weniger befahrener Straßen.

Hinsichtlich des Unfallmonats war Januar am unfallträchtigsten, was mit Daten der DGUV übereinstimmt, nach denen 2023 im Januar mit 12,5 % mit Abstand die meisten Wegeunfälle auftraten (DGUV 2024). Schlechte Witterungsbedingungen und Glätte sowie vergleichsweise weniger Stunden mit Tageslicht können als Erklärung angeführt werden. Daneben sei auch darauf verwiesen, dass im Januar wieder vermehrt Menschen nach den Feiertagen zur Arbeit pendeln, was ein erhöhtes Verkehrsaufkommen und damit auch ein höheres Unfallrisiko nach sich ziehen kann. Im Hinblick auf den Wochentag der Unfälle zeigt sich ein Rückgang von Montag bis Donnerstag und dann ein deutlicher Abfall am Freitag und zum Wochenende. Auch in den Daten der DGUV sind Wege­unfälle montags mit 21 % am häufigsten, bleiben danach annähernd konstant bei etwa 19 % und sinken am Freitag deutlich auf 15 % (DGUV 2024). Auch in der Studie von Zepf et al. (2010) waren Wegeunfälle montags am häufigsten. Möglicherweise spielt bei der höheren Unfallzahl an Montagen die Rückkehr nach dem Wochenende mit einer noch mangelnden Adaptation an den Arbeitsrhythmus sowie ein erhöhtes Verkehrsaufkommen eine Rolle. Die deutlich niedrigere Unfallhäufigkeit am Freitag (und vor allem am Wochenende) dürfte sich vor allem mit geringeren Beschäftigungszeiten (Arbeitszeiten enden früher, vermehrtes Homeoffice) erklären lassen.

Bezüglich der Unfalluhrzeit zeigen sich sowohl bei Tag- als auch Schichtarbeitenden deutlich mehr Wegeunfälle auf der Hin- als auf der Rückfahrt von der Arbeit. Daten der DGUV zufolge, ereigneten sich im Jahr 2023 ebenfalls die meisten Wegeunfälle in den Morgenstunden zwischen 6:00 und 8:00 Uhr (DGUV 2024). Auch in der Studie von Zepf et al. (2010) war die relative Häufigkeit von Wegeunfällen auf der Hinfahrt mit 60,8 % deutlich höher als auf der Rückfahrt. In der aktuellen Studie dürften primär methodische Gründe für diese Diskrepanz in der Wegeunfallhäufigkeit auf dem Hin- und Rückweg eine Rolle spielen, da eine Behandlung von Mitarbeitenden bei Wegeunfällen auf dem Rückweg in einer der Werksambulanzen weniger wahrscheinlich ist, als wenn dies auf dem Weg zur Arbeit geschieht. Darüber hinaus lässt sich spekulieren, ob Zeit- und Termindruck, ablenkende Gedanken und Stress sowie noch vorhandene Müdigkeit, die als Ursachen für Wegeunfälle diskutiert werden (siehe z. B. Caponecchia u. Williamson 2018; Elfering et al. 2013; Vargas-Garrido et al. 2021), eher auf dem Weg zur Arbeit als auf dem Weg nach Hause auftreten.

Im Hinblick auf das Fortbewegungsmittel zeigte sich, dass etwa die Hälfte der Wegeunfälle mit dem Fahrrad und etwa ein Viertel als Fußgängerin/Fußgänger geschahen. Den Ergebnissen der letzten unternehmensinternen Mobilitätsumfrage am Standort Ludwigshafen im Jahr 2017 zufolge, pendelten 74 % der Befragten mit dem PKW zur Arbeit (inklusive Fahrgemeinschaft), jeweils 12 % mit dem ÖPNV oder Fahrrad und jeweils 1 % zu Fuß oder mit einem motorisierten Zweirad (BASF 2018). Demzufolge sind Wegeunfälle mit dem Fahrrad, dem motorisierten Zweirad und zu Fuß deutlich überrepräsentiert. Es sollte dabei jedoch beachtet werden, dass die Nutzung der meisten Verkehrsmittel auch mit einem kurzen Fußweg verbunden ist. Im Vergleich zur vergangenen Studie von Zepf et al. (2010) ist der Anteil von Wegeunfällen mit dem Fahrrad in der aktuellen Studie deutlich höher (48,2 % vs. 30,5 %) und mit dem eigenen PKW (11,0 % vs. 33,1 %) sowie einem motorisierten Zweirad (5,8 % vs. 12,9 %) deutlich niedriger. Dies könnte einerseits damit zusammenhängen, dass sich Mobilitätsmuster der Belegschaft im Laufe der Zeit gewandelt haben. Dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass sich die Ergebnisse der unternehmensinternen Mobilitätsbefragung zwischen 2009 und 2017 nur marginal geändert haben (BASF 2018). Zum anderen könnten die großen Unterschiede auch in der unterschiedlichen Datenerfassung begründet liegen. Während die Datengrundlage der aktuellen Studie Behandlungen in einer der werksinternen Ambulanzen bilden, war die Erfassung in der Studie von Zepf et al. (2010) davon unabhängig. Es ist daher wahrscheinlich, dass vor allem Unfälle mit dem PKW in der vorliegenden Untersuchung aufgrund der Nicht-Berücksichtigung von reinen Materialschäden deutlich geringer sind.

Als Limitation der vorliegenden Untersuchung lässt sich die ausschließliche Einbeziehung von Wegeunfällen mit medizinischer Behandlung in einer der werksärztlichen Ambulanzen anführen. Dies bedeutet, dass Wegeunfälle mit reinen Materialschäden (v. a. PKW-Unfälle) oder solche mit einer ausschließlich externen Behandlung nicht enthalten sind. Aus diesem Grund dürfte die tatsächliche Anzahl an Wegeunfällen noch deutlich höher liegen als in der vorliegenden Analyse dargestellt. Eine weitere Limitation besteht darin, dass schwere Unfälle mit stationärem Krankenhausaufenthalt oder auch tödlichem Ausgang in der vorliegenden Untersuchung möglicherweise unterschätzt wurden. Dies liegt darin begründet, dass eine nachträgliche Änderung des Schweregrads in der elektronischen Patientenakte oftmals nicht erfolgt, wenn im weiteren Behandlungsverlauf eine stationäre Krankenhausaufnahme notwendig wird oder als Resultat des Unfalls nach längerer Behandlungsdauer der Tod eintritt.

Schlussfolgerungen

Die vorliegende Datenanalyse liefert Einblicke in Trends, Risikogruppen und Ursachen von Wegeunfällen bei Beschäftigten eines Großunternehmens der chemischen Industrie über einen Zeitraum von 28 Jahren. Nach einem zunächst u-förmigen Verlauf sind die Unfallraten während der SARS-CoV-2-Pandemie deutlich zurückgegangen. Ein weiterführendes Monitoring der Daten ist sinnvoll, um festzustellen, ob sich die Daten nach Ende der Pandemie wieder dem vorpandemischen Niveau annähern oder ein fortwährender Effekt durch einen möglichen längerfristigen Verbleib von Mitarbeitenden im Homeoffice bestehen bleibt. Identifizierte Risikogruppen wie zum Beispiel jüngere Personen unter 30 oder Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer können dazu dienen, zielgerichtete präventive Maßnahmen zu implementieren, um eine Voraussetzung für eine zukünftige Verringerung von Wegeunfällen zu schaffen.

Angaben zu Autorenschaften: Autor MC ist primär verantwortlich für das Konzept der Publikation, den ersten Entwurf, die statistische Analyse und Interpretation der Daten. Autor SW war beteiligt an der Interpretation der Daten und der Revision des Manuskripts. Beide Autoren haben die einzureichende Version kritisch geprüft und einer Publikation der finalen Version zugestimmt.

Interessenskonflikt: Beide Autoren sind Mitarbeiter der BASF SE.

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Kontakt

Dr. rer. physiol. Matthias Claus, M.A. MSc.
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Z130
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