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Wissenschaftliche Grundlagen für eine Bewertung gesundheitlicher Risiken

Infraschall aus technischen Anlagen

W. Roos (Prof. Dr. em.)1

C. Vahl (Prof. Dr. em.) 2

(eingegangen am 04.12.2020, angenommen am 10.05.2021)

Infrasound from technical installations: Scientific basis for an assessment of health risks

Background: The pathogenic potential of infrasound from technical sources is significantly underestimated by the public and politicians. Wind turbines are the most common emitters and their rapid rollout means that an increasing number of residents are affected by far reaching pressure
pulses.

Methods: Research findings relating to causal mechanisms of infrasound are compiled and examined for indications of adverse effects on health.

Results: Infrasound is perceived as a stressor and is met with adaptive and defensive responses. Points of attack for toxic effects can be identified a) at cellular level, where membrane processes react with particular sensitivity. This leads to disruption of the microcirculation, muscle contraction and neuronal signal transmission. b) In the cardiovascular system, the effects mentioned in a) cause a reduction in the efficiency of the myocardial muscle coupled with centrally mediated bradycardia, hypertension and reduced cardiac output. c) The signal receptors for the balance system receive infrasound as interference and produce a clinical picture similar to motion sickness. d) In the brain, infrasound is unconsciously perceived in areas that are involved in the control of autonomic functions (incl. respiratory frequency and blood pressure) and in emotional control.

Conclusions: The findings available today substantiate a fundamental health risk for people exposed to infrasound. The steep pressure pulses of actual emissions have been disregarded by government-initiated studies of wind turbines to date. There is a need for adequate safety margins and further research in order to establish dose (energy)-response curves for the cardinal symptoms.

Keywords: infrasound – wind turbine – pressure pulse – adverse effects on health

U Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 56: 420–430

Infraschall aus technischen Anlagen – Wissenschaftliche Grundlagen für eine Bewertung gesundheitlicher Risiken

Hintergrund: Das pathogene Potenzial von Infraschall aus technischen Quellen wird in der Öffentlichkeit und Politik erheblich unterschätzt. Die häufigsten Emittenten sind Windenergieanlagen, deren rascher Ausbau eine zunehmende Zahl von Anwohnern mit Druckimpulsen großer Reichweite konfrontiert.

Methoden: Es werden Forschungsergebnisse mit Bezug zu kausalen Wirkmechanismen von Infraschall zusammengestellt und nach Hinweisen auf gesundheitliche Beeinträchtigung untersucht.

Ergebnisse: Infraschall wird als Stressor empfunden und mit Anpassungs- und Abwehrreaktionen beantwortet. Angriffspunkte für toxische Wirkungen sind erkennbar a) auf zellulärer Ebene, wobei Membranprozesse besonders empfindlich reagieren. Dies führt zu Störungen der Mikrozirkulation, der Muskelkontraktion und beim neuronalen Signaltransfer. b) Im Herz-Kreislauf-System bewirken die unter a) genannten Effekte eine verminderte Effizienz des Herzmuskels, gepaart mit zentral ausgelöster Bradykardie, Hypertonie und vermindertem Herz-Zeit-Volumen. c) Die Signalrezeptoren des Gleichgewichtssystems empfangen Infraschall als Störsignal und lösen ein Kinetose-ähnliches Krankheitsbild aus. d) Im Gehirn erfolgt die Perzeption von Infraschall unbewusst in Arealen, die an der Kontrolle autonomer Funktionen (u.a. Atemfrequenz und Blutdruck) und an der emotionalen Kontrolle beteiligt sind.

Schlussfolgerungen: Die heute verfügbaren Erkenntnisse begründen ein wesentliches Gesundheitsrisiko für Infraschall-exponierte Personen. Staatlich veranlasste Studien an Windenergieanlagen lassen die steilen Druckimpulse der realen Emissionen bisher außer Acht. Erforderlich sind ausreichende Sicherheitsabstände und weitere Forschung zur Etablierung von Dosis(Energie)-Wirkungs-Kurven für die Leitsymptome.

Schlüsselwörter: Infraschall – Windenergieanlage – Druckimpuls – gesundheitliche Beeinträchtigungen

Einleitung

In der Diskussion über die Akzeptanz von Windenergieanlagen finden medizinische Aspekte bisher nicht die gebührende Beachtung. Dies gilt insbesondere für akustische Fernwirkungen, die im Wesentlichen auf Infraschall, einer nicht hörbaren Emission dieser Anlagen, beruhen. Erhebliche Intensitäten des von Windanlagen ausgehenden Infraschalls wurden noch in mehreren Kilometern Entfernung gemessen (u. a. Palmer 2017; Pilger u. Ceranna; 2017). Seit Langem gibt es Hinweise darauf, dass Beschwerden von Anwohnern, die über schwere Schlafstörungen und deren Folgeschäden während des Betriebs von Windanlagen berichten, durch die Infraschallkomponente der Emission verursacht werden (z. B. Bahtarian u. Beaudry 2015; Stelling 2015; Kaula 2019). Andererseits fehlt es nicht an behördlichen Aussagen, die dem Infraschall aus Windanlagen bereits in einigen hundert Metern Abstand nur noch sehr geringe Intensitäten zuordnen und negative Wirkungen auf den Menschen als wissenschaftlich nicht belegt darstellen (z. B. LUBW 2016; UBA 2016; Maijala 2020).

Diese Situation widerspiegelt nicht nur ein Problem der Windenergie, sondern auch eine mangelnde Verfügbarkeit und Kenntnis von Daten mit wissenschaftlichem Anspruch zur Wirkung von In­fraschall auf biologische Systeme. Sie veranlasst die Autoren des vorliegenden Beitrags, Forschungsergebnisse über konkrete Wirkungen von technischem Infraschall auf Menschen und Säugetiere zusammenzutragen und nach belegbaren oder zumindest plausiblen Hinweisen auf gesundheitliche Beeinträchtigung zu untersuchen. Ziel ist eine kausale Analyse von Infraschallwirkungen. Können einem potenziellen Stressor mit definierten Eigenschaften (Frequenz, Schalldruck, Wirkdauer) messbare Veränderungen an einem definierten Objekt (Zelle, Gewebe, Organ) beziehungsweise an definierten Wirkorten im Organismus zugeordnet werden? Dabei wurden, wo immer möglich, Standards der experimentellen Medizin und Pharma­kologie zugrunde gelegt, insbesondere an­erkannte und dokumentierte Messverfahren, Blind- und Bezugswerte sowie eine nachvollziehbare statistische Transparenz. Verwertbare Daten existieren für Zellen und Gewebe, das Herz-Kreislauf-System und weitere Organe, die Signalsysteme des Hör- und Gleichgewichtsinns sowie selektiv aktivierbare Gehirnbereiche.

Diese Herangehensweise unterscheidet sich von epidemiologischen Studien zum Thema der Belästigung oder Akzeptanz von Anwohnern durch Infraschallquellen. Diese suchen zum Beispiel nach Korrelationen zwischen geäußerten oder dokumentierten Beschwerden und dem Abstand von Windanlagen oder gemessenen Schalldrucken. Die (vermutlich) beteiligten Infraschallkomponenten werden jedoch meist nicht von hörbarem, zum Beispiel tieffrequentem Schall getrennt. Da Infraschall auf grundsätzlich anderen Signalwegen perzipiert wird (s. u.) und sehr wahrscheinlich andere Primärreaktionen auslöst als Hörschall, sind auf diese Weise spezifische, kausale Aussagen über Infraschallwirkungen kaum möglich. Als Beispiel sei die umfangreiche Arbeit von Micheaud et al. (2016) genannt. Die dort gemessenen, für eine Korrelationsanalyse verwendeten Schall­drücke waren C-Filter-bewertet (dBC), das heißt, Frequenzen unter 8 Hz waren ausgeschlossen, obwohl in diesem Bereich die Infraschallpulse der hier untersuchten Windanlagen emittiert werden (➥ Abb. 1). Weitere Beispiele folgen im Text.

Schall bezeichnet mechanische Wellen in einem elastischen Medium (Feststoff, Flüssigkeit oder Gas). Der nicht hörbare Frequenzbereich unterhalb von 20 Hz wird als Infraschall bezeichnet. Er ist gekennzeichnet durch große Wellenlängen (z. B. 343 m bei 1 Hz in Luft von 20 ºC), die kaum durch übliche Baumaterialien gedämmt werden können. In der Natur werden derartige Wellen emittiert, wenn Teile der Erdkruste in Schwingung geraten, beispielsweise bei Erdbeben und Vulkanausbrüchen, durch Meeresbrandung, Donner oder Wind in Wald- oder Wiesenlandschaften. Die technische Zivilisation hat zahlreiche neue Quellen von Infraschall geschaffen, darunter indu­strielle Großanlagen, Straßen- und Luftfahrzeuge etc. Während die heterogenen Quellen aus der Natur meist ein niederfrequentes Rauschen emittieren, das nicht als störend empfunden wird, gehen von technischen Anlagen oft gepulste Schwingungen aus, die im Verdacht stehen, bei längerer Einwirkung Schäden am menschlichen Körper zu verursachen (Stelling 2015; Palmer 2017). Dies gilt unter anderem für Windenergieanlagen, die am weitesten verbreiteten Emittenten von technischem Infraschall. Die Passage der Rotorflügel am Mast führt zu Kontraktionen der dazwischen befindlichen Luftsäule und damit zu Pulsen (Maxima und Minima) des Luftdrucks, deren Frequenz von der Drehzahl der Anlage bestimmt wird. Die Grundschwingung der Luftsäule und die damit verbundenen Oberschwingungen erzeugen ein typisches Frequenzmuster, das sich mit Schallgeschwindigkeit ausbreitet (vgl. Abb. 1).

Als ein Maß der von Schallwellen übertragenen Energie wird üblicherweise der Schalldruck in Pascal verwendet und in der logarithmischen Einheit Dezibel (dB) angegeben, mit 20 µPascal als Nullpunkt. Bei der Messung von Hörschall werden Schalldrucke meist gewichtet, um dem menschlichen Hörvermögen nahe zu kommen (A-Bewertung, dbA). Dabei wird der nicht hörbare Frequenzbreich unter 20 Hz ausgefiltert. Zur Beurteilung von Infraschall ist die Angabe der objektiv vorhandenen, biophysikalisch wirksamen Schalldrücke im Bereich unter 20 Hz erforderlich. Die im Folgenden zitierten Schalldrucke sind stets ungewichtet.

Wirkungen von Infraschall auf zellulärer Ebene

Störung von Membranprozessen

Die durch Schallwellen transportierte mechanische Energie äußert sich in Wechselbewegungen, Verdichtungen und Verdünnungen von Teilchen des schalltragenden Mediums. Es ist deshalb naheliegend, dass ein kritischer Schalldruck Veränderungen biologischer Strukturen auslösen kann, wobei Membranen aufgrund ihrer biophysikalischen Eigenschaften besonders empfindlich sind. Wegen der geringen Dämpfung und großen Eindringtiefe ist dies vor allem für Infraschall zu erwarten.

Tatsächlich wurde während der Applikation hoher Infraschalldrücke (8 Hz, 130 dB) bei Ratten das allmähliche Versagen der Blut-Retina-Schranke nachgewiesen. Dieser Prozess wurde über mehrere Tage mit dem Diffusionsmarker La3+ verfolgt und verstärkte sich mit der Einwirkdauer (Qui et al. 2002). Auch die Membranpermeabilität von Ratten-Erythrozyten war nach Infraschallexposition (13–30 Hz, 114 dB) erhöht (Sharipova 2013).

Biophysikalische Prozesse an Membranen bilden die zelluläre Grundlage für die Kontraktion des Herzmuskels und seine Kontrolle. Sie finden an der Zellmembran der Kardiomyozyten und intrazellulär am sarkoplasmatischen Retikulum und den Mitochondrien statt. Dabei spielen periodische Veränderungen der Kalziumkonzentration eine wesentliche Rolle: Während der Systole wird Kalzium aus dem sarkoplasmatischem Retikulum ausgeschüttet und aktiviert durch elektromechanische Kopplung den kontraktilen Apparat der Kardiomyozyten. In der Diastole wird das Kalzium aus dem intrazellulären Raum wieder in das sarkoplasmatische Retikulum zurückgepumpt. Eine Erhöhung des diastolischen intrazellulären Kalziumspiegels ist charakteristisch für Endstadien von bestimmten Herzerkrankungen (dilatative Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz).

Vor diesem Hintergrund haben die Ergebnisse von Chaban et al. (2020) erhebliches Gewicht: Am isolierten, schlagenden menschlichen Myokardgewebe wurde ein hochsignifikanter, negativ inotroper Effekt von Infraschall (ab 100 dB) nachgewiesen. Bei einer Zunahme der Schalldruckpegel um 10 dB kam es zu einer Reduktion der Kontraktionskraft um jeweils 9 %. Eine Stärke dieser Arbeit liegt in den exakt definierten experimentellen Bedingungen. Das Infraschall-exponierte Zellpräparat und die Kontrollzellen stammten vom gleichen Menschen, so dass individuelle Unterschiede als Störgröße ausgeschaltet waren. In den isoliert perfundierten Präparaten war die Reizleitung ausgeschlossen, die im intakten Myokard einer Kontraktion vorausgeht, endokrinologische Mediatoren waren abwesend. Deshalb muss die elektromechanische Kopplung am kontraktilen Apparat der Kardiomyozyten als Angriffspunkt des Infraschalls angenommen werden. Als unmittelbare Ursache für die Verminderung der Kontraktionskraft ist eine diastolische Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration wahrscheinlich. Dass die beobachtete Wirkung bereits während einstündiger Exposition eintrat, spricht für die hohe Empfindlichkeit des Kontraktionsprozesses gegenüber dem Stressor (➥ Abb. 2).

Für die Untersuchung des zellulären Stressmanagements bieten Zellkulturen des Menschen und der Säugetiere geeignete Untersuchungsobjekte. Infraschall findet dort verschiedene Angriffspunkte und interferiert zum Beispiel mit der Abwehr von oxidativem Stress (Pei et al. 2013). Ein Indikator für Eingriffe in die Stressabwehr sind häufig Änderungen der intrazellulären Ca2+-Konzentration.

Abb. 2:  Wirkung von Infraschall auf die Kontraktionskraft von Kardiomyozyten. Aus Gewebeproben des rechten Vorhofs (Abfallmaterial von Bypass-Operationen) wurden Muskelpräparate hergestellt (3×0,5×0,5 mm), unter dem Mikroskop durch Mikropinzetten fixiert und mit Krebs-Henseleit-Puffer perfundiert. Nach der Äqulibrierung der Präparate wurden durch aufeinanderfolgende elektrische Impulse (je 4 ms) Kontraktionen ausgelöst, deren Stärke elektronisch gemessen wurde. Von insgesamt 18 Patientinnen und Patienten wurden jeweils zwei Proben unter identischen Bedingungen untersucht, von denen eine über einen Lautsprecher für 1 h mit Infraschall von 16 Hz Sinus beschallt wurde, während die andere als Kontrolle diente. Die Patientinnen und Patienten waren zwischen 18 und 90 Jahre alt und frei von schweren Kardiomyopathien oder Fehlbildungen. Die Daten zeigen die gemessene Kontraktionskraft vor und nach der Infraschallbehandlung, die Unterschiede zwischen Infraschall- und Kontrollgruppe sind signifikant mit p = 0,0006. Details bei Chaban et al. (2020)Fig. 2: Effect of infrasound on the contractile force of cardiomyocytes. Tissue samples from the right atrium (waste material from bypass operations) were used to prepare muscle specimens (3×0.5×0.5 mm) that were fixed under the microscope with micro-tweezers and perfused with Krebs-Henseleit buffer. Following sample preparation and equilibration, contractions were triggered by consecutive electrical impulses (4 ms each) whose strength was measured electronically. Two samples each from a total of 18 patients were examined under identical conditions. One was exposed to 16 Hz infrasonic sinusoidal waves through a speaker for an hour, whilst the other served as a control sample. The patients were between 18 and 90 years old and free of severe cardiomyopathies or malformations. The data show the contractile force measured before and after infrasound treatment; the differences between the infrasound group and control group are significant with p = 0.0006. Details in Chaban et al. (2020)

Abb. 2: Wirkung von Infraschall auf die Kontraktionskraft von Kardiomyozyten. Aus Gewebeproben des rechten Vorhofs (Abfallmaterial von Bypass-Operationen) wurden Muskelpräparate hergestellt (3×0,5×0,5 mm), unter dem Mikroskop durch Mikropinzetten fixiert und mit Krebs-Henseleit-Puffer perfundiert. Nach der Äqulibrierung der Präparate wurden durch aufeinanderfolgende elektrische Impulse (je 4 ms) Kontraktionen ausgelöst, deren Stärke elektronisch gemessen wurde. Von insgesamt 18 Patientinnen und Patienten wurden jeweils zwei Proben unter identischen Bedingungen untersucht, von denen eine über einen Lautsprecher für 1 h mit Infraschall von 16 Hz Sinus beschallt wurde, während die andere als Kontrolle diente. Die Patientinnen und Patienten waren zwischen 18 und 90 Jahre alt und frei von schweren Kardiomyopathien oder Fehlbildungen. Die Daten zeigen die gemessene Kontraktionskraft vor und nach der Infraschallbehandlung, die Unterschiede zwischen Infraschall- und Kontrollgruppe sind signifikant mit p = 0,0006. Details bei Chaban et al. (2020)
Fig. 2: Effect of infrasound on the contractile force of cardiomyocytes. Tissue samples from the right atrium (waste material from bypass operations) were used to prepare muscle specimens (3×0.5×0.5 mm) that were fixed under the microscope with micro-tweezers and perfused with Krebs-Henseleit buffer. Following sample preparation and equilibration, contractions were triggered by consecutive electrical impulses (4 ms each) whose strength was measured electronically. Two samples each from a total of 18 patients were examined under identical conditions. One was exposed to 16 Hz infrasonic sinusoidal waves through a speaker for an hour, whilst the other served as a control sample. The patients were between 18 and 90 years old and free of severe cardiomyopathies or malformations. The data show the contractile force measured before and after infrasound treatment; the differences between the infrasound group and control group are significant with p = 0.0006. Details in Chaban et al. (2020)

Apotose (programmierter Zelltod)

Anstiege des zytoplasmatischen Ca2+ sind ein frühes Signal in der Auslösung des Apotoseprozesses (Orrenius et al. 2003), durch den irreversibel geschädigte Zellen oder solche, die ihre Funktion im Organismus verloren haben, kontrolliert abgebaut werden. Die nicht mehr umkehrbare Phase dieses Prozesses beginnt mit der Expression zytotoxischer Proteasen vom Caspase-Typ. Eine steigende Expression dieser Enzyme (Caspasen 3, 8 und 9) und der erforderlichen Transkriptionsfaktoren Bax und Fas wurde in neonatalen Kardiomyozyten der Ratte während einer mehrtägigen Infraschallexposition (5 Hz, 130 dB) beobachtet (Pei et al. 2011). Zugleich wurden Proteine abreguliert, die gegen Apoptose schützen.

Auch in neuronalen Zellen des Gehirns führt Infraschall zu einer gesteigerten Apoptose, wie am Hippokampus von Ratten gezeigt wurde (8 Hz, 110 dB; Zhang et al. 2016; Cai et al. 2014). Aus heutiger Sicht erscheint die Vermutung von Liu et al. (2010, 2012) gerechtfertigt, dass der durch Infraschall verursachte, zusätzliche Ausstrom von Kalzium aus Mitochondrien und endoplasmatischem Retikulum in das Cytosol den Ca2+-abhängigen Apoptoseweg startet und damit längerfristig zytotoxische Wirkungen auslöst.

Die Hinweise auf eine zytotoxische Wirkung von Infraschall haben dazu geführt, dass heute über die medizinische Applikation von Infraschall zur Tumortherapie geforscht wird. Ein Ausgangspunkt war die beobachtete Hemmung von kolorektalen Tumoren bei Mäusen nach einmaliger Einwirkung von Infraschall (Zhang et al. 2013).

Interaktionen von Infraschall mit dem Herz-Kreislauf-System

Negative Wirkungen einer Infraschallexposition wurden für verschiedene Organe einschließlich Leber und Lunge beschrieben (Nekhoroshev et al. 1991; Svigovyi u. Glinchikov 1987), die weitaus meisten Daten liegen jedoch für das kardiovaskuläre System vor. Schädigende sind1982; Babisch 2011; Cai et al 2017, Millar u. Steeels 1990; Sørensen et al. 2011). Im Grenzbereich zum Infraschall wirkt sich die regulierende Funktion der äußeren Haarzellen im Innenohr aus: Mittels ihrer Kontraktion (s.u.) können diese Zellen aus einem unhörbaren Infraschallsignal durch Absenkung der Hörschwelle ein hörbares Signal machen, mit der Folge, dass die für hörbare Lärmquellen geltenden kardiovaskulären Risiken auch in Bezug auf Infraschall bedacht werden müssen (Babisch et al. 2011; Cai et al. 2017).

Befunde an Testpersonen

In einer wichtigen Pionierarbeit fand die Arbeitsgruppe von Karpova et al. (1979) nach Infraschallexposition (1–12 Hz, 110–132 dB) bei gesunden 19- bis 29-jährigen Testpersonen eine verminderte Herzfrequenz und Rhythmusstörungen. Unter Verwendung einer älteren Technik („seismic cardiograph“) beobachteten sie eine Kraftreduktion des Herzmuskels, am stärksten bei Frequenzen um 10 Hz. Die Reduktion der Herzfrequenz wurde 1980 von Wysocki et al. bestätigt (z. B. bei 8 Hz, 75 dB und Einwirkzeiten bis zu 2 h). Zusätzlich zeigte die Autorengruppe eine Verminderung der Leitfähigkeit peripherer Gefäße, der Hauttemperatur und der Leistungsfähigkeit bei Wahlreaktionsaufgaben. Sie vermuteten, dass die Druckschwankungen über Mechanorezeptoren der Haut detektiert werden und zu zere­bral ausgelösten vegetativen Reaktionen am Herzen führen. In einer neueren Publikation wurde der zentrale Befund auch für niederfrequenten Hörschall erhoben: Walker et al. (2016) fanden bei gesunden Testpersonen eine Verminderung der „heart-rate variability“ um 32 %.

Befunde an Versuchstieren

Wirkungen am intakten Myokard

Campbell et al. (1998) haben einen kleinen Ballon in der linken Herzkammer von Kaninchen platziert und diesen mit niederfrequentem Schall oder Infraschall inflatiert und deflatiert. Das Vibrieren des Ballons im Herzen führte zu einer Kraftreduktion von etwa 10–20 %. Die Autorengruppe sieht den Angriffspunkt nicht im Kontraktionsprozess des Herzmuskels, sondern in einer Störung der vorausgehenden Reizleitung, die an funktionsfähige Membranstrukturen gebunden ist.

Die Exposition von Ratten mit Infraschall (5 Hz, 130 dB) führte zu einem Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks, während das Herz-Zeit-Volumen abnahm (Pei et al. 2007). Normalerweise steigt die Kontraktionskraft mit der Herzfrequenz als Anpassung an einen erhöhten Sauerstoffbedarf (positive Kraft-Frequenz-Beziehung). Die Reduktion des Schlagvolumens spricht für eine Schädigung dieses wichtigen regulatorischen Mechanismus, vermutlich eine diastolische Dysfunktion (Pei et al. 2009). Auf morphologischer Ebene (post mortem untersucht) beobachtete das Autorenteam Veränderungen in der myokardialen Ultrastruktur inklusive des sarkoplasmatischen Retikulums, bei hämodynamischen Indizes und den intrazellulären Kalziumkonzentrationen. Nachgewiesen ist auch eine Veränderung der Ca2+-Kanäle vom L-Typ mit negativen Auswirkungen auf die elek­tromechanische Kopplung. Hinzu kam eine Plättchenaggregation im interzellulären Raum. Die Ergebnisse bestätigen ältere Befunde von Gordeladze et al. (1986): nach 3 Stunden Einwirkung von Infraschall (8 Hz, 120 dB) kam es zum Anschwellen der Wände beider Ventrikel und punktförmigen Einblutungen in das Perikard. In den Kardiomyozyten wurden zunehmende Schädigungen der Membranen des sarkoplasmatischen Retikulums und der Mitochondrien beobachtet sowie eine Fragmentierung der Myofibrillen. Hinzu kamen Veränderungen des Chromatins und anderer Strukturen des Zellkerns. Nach Absetzen der Infraschallexposition kam es zu einer weitgehenden Erholung.

Störungen der Mikrozirkulation

Die durch Infraschall ausgelösten Veränderungen ähneln den Stresswirkungen einer längeren (mehrtägigen) Exposition gegenüber hörbarem Lärm: Letztere führt zum Anstieg des Blutdrucks und der zellulären Ca2+-Konzentration in der Gefäßmuskulatur, zusammen mit einer erhöhten Aktivierung von neutrophilen Zellen (Tiefenbacher et al. 2000; Millar et al. 1990; Altura et al. 1992). Es ist daher nicht abwegig, diese Aktivierung auch für Infraschall zu erwarten. Eine hohe Aktivität neutrophiler Zellen führt zur Verminderung der Mikrozirkulation im umgebenden Gewebe und damit zur reduzierten Sauerstoff- und Substratversorgung. Dies hat häufig ein unkontrolliertes Absterben (Nekrose) von unterversorgten Zellen zur Folge. Freigesetzte Zellbestandteile lösen unspezifische Entzündungsreaktionen aus, längerfristig werden zerstörte Zellen durch Bindegewebe ersetzt (Sklerose bzw. Fibrose). Derartige Veränderungen wurden mehrfach in Infraschall-exponierten Ratten beobachtet. Bereits Gordelaze et al. (1986) sahen schwere Störungen der Mikrozirkulation, Sharipova (2013) berichtete über unspezifische Entzündungsprozesse, die durch Infraschall (13–30 Hz bei 114 dB) ausgelöst wurden, gefolgt von einer perivaskulären Koronarsklerose. Die Ergebnisse wurden durch neuere Untersuchungen auch bei niedrigeren Schalldrucken bestätigt (ab 90 dB; Lousinha et al. 2018).

Zur Generalisierbarkeit von Daten aus Tierexperimenten

Die bisher vorgestellten Daten und Belege für die Wirkung von In­fraschall auf Zellen, Gewebe und Organe stammen zum erheblichen Teil aus Experimenten an Säugetieren. Nicht selten liegen die dabei eingesetzten Schalldrücke (z. B. von Pei et al. 2009 und Gordeladze et al. 1986) über den unter realen Lebensumständen zu erwartenden Pegeln, etwa in der Umgebung heutiger Windanlagen. In einigen Tests übersteigen sie die formelle Schmerzgrenze des Menschen von 120 dB bei 20 Hz. Solche Untersuchungen wurden meist zur Wirkung von Infraschall aus stark emittierenden Industrieanlagen wie Triebwerken, Motoren etc. durchgeführt. Aufgrund unterschiedlicher analytischer Verfahren ist ein Vergleich der Schalldrücke nur bedingt möglich. Wie später gezeigt wird, ist nicht die absolute Höhe des Schalldrucks ausschlaggebend für eine biologische Wirkung, sondern das Ausmaß kurzzeitiger Änderungen.

Hinzu kommen Unterschiede in der Empfindlichkeit und Anpassungsfähigkeit zwischen Versuchstieren und dem Menschen. Wie vorstehend beschrieben, reagierten beispielsweise Versuchspersonen auf Infraschall mit einer Verminderung der Herzfrequenz, Ratten dagegen mit einer Beschleunigung. Dies weist drauf hin, dass die Balance zwischen parasympathischer und sympathischer Modulation der Herzfrequenz bei Mensch und Nagetier unterschiedlich reguliert ist. Wesentlich ist jedoch, dass in allen zitierten Tierversuchen eindeutige Reaktionen auf die Infraschallexposition messbar waren.

Dennoch liefern die beobachteten Schädigungen an tierischen Objekten auch bei hohen Infraschalldrücken wertvolle Hinweise zur Störanfälligkeit der zugrunde liegenden Zellstrukturen und Organe. Dies erleichtert das vergleichende Auffinden von Angriffspunkten bei elementaren Bausteinen und Signalmechanismen, da sie in der Evolution der Säugetiere aus gemeinsamen Vorläufern entstanden sind.

Resonanzphänomene

Für das kardiovaskuläre System einschließlich der Lunge können Resonanzphänomene unterstellt werden, das heißt eine Vibration von Zell- und Gewebeverbänden durch Einwirkung von luftgetragenem Infraschall oder entsprechendem Körperschall. Auf diesem Wege können andere Wirkungen von Infraschall verstärkt werden (Vinokur 2004). Seit Langem ist bekannt, dass der obere menschliche Torso bei Frequenzen zwischen 5 und 250 Hz Resonanzen entwickeln kann (Smith 2002; Randall et al. 1997). Inzwischen können den meisten Körperorganen individuelle Resonanzfrequenzen zugeordnet werden, die oft im Bereich des Infraschalls liegen (RKI 2007). Dies spielte zum Beispiel beim Design mechanischer Herzklappen eine wichtige Rolle, da vermieden werden soll, dass Organe des menschlichen Körpers durch den Rhythmus der Klappe in Resonanzschwingungen versetzt werden.

Wenig untersucht sind Interferenzen zwischen der durch den Herzschlag vorgegebenen Grundschwingung und von außen einwirkenden Infraschallpulsen. Die Konsequenzen solcher Wechselwirkungen – Abschwächung und Verstärkung – sind bedenkenswert, weil beispielsweise die von Windanlagen emittierten Pulse (eine dreiflügelige Anlage erzeugt bei 20 rpm eine Grundschwingung von 1 Hz) im gleichen Frequenzbereich liegen wie der Puls des Menschen (Ruhepuls von 60 = 1 Hz).

Die Wirkung von Infraschall auf das Hör- und Gleichgewichtssystem

Wahrnehmung in der Cochlea

Im Innenohr werden hörbare Schallereignisse im Corti-Organ der Cochlea wahrgenommen, indem die mit inneren Haarzellen bestückte Basilarmembran lokal in Resonanzschwingungen versetzt wird. Dies ist für die meisten Menschen bei Frequenzen oberhalb von etwa 50 Hz der Fall. Langsamere, das heißt niederfrequente Schwingungen, einschließlich des Infraschalls, können keinen tonalen Höreindruck erzeugen, weil die inneren Haarzellen von einer Flüssigkeit (Endolymphe) umgeben sind, die eine Dämpfung ihrer Bewegungen bewirkt. Niederfrequenter Hörschall und Infraschall sind jedoch in der Lage, die äußeren Haarzellen zu erregen, die aus der Lymphflüssigkeit herausragen und daher empfindlicher reagieren (Salt u. Hullar 2010; Salt u. Kaltenbach 2011).

Seit Langem ist bekannt, dass die Stimulation der äußeren Haarzellen zu Änderungen ihrer Länge führt. Dieser Vorgang kann an isolierten Haarzellen des Menschen und verschiedener Nagetiere experimentell ausgelöst und beobachtet werden (Brownell et al. 1985; Ashmore 2008). Da die äußeren Haarzellen nicht nur mit der Basilarmembran, sondern auch mit der darüber liegenden Tektorialmembran verwachsen sind, wird der Spalt zwischen beiden Membranen bei Kontraktion dieser Zellen verkleinert und bei ihrer Ausdehnung vergrößert. Dies führt zur Erhöhung beziehungsweise Abschwächung des in der Cochlea anliegenden Schalldrucks. Von außen einwirkender Schall geringer Intensität wird deshalb mit erhöhter Empfindlichkeit wahrgenommen. Die Längenänderung der äußeren Haarzellen erzeugt Schwingungen im Innenohr, die zu diagnostischen Zwecken gemessen werden können. Diese „otoakustische Emission“ kann sowohl durch niederfrequenten Hörschall als auch durch Infraschall ausgelöst werden (Hensel et al. 2007). Damit sind die äußeren Haarzellen ein Angriffspunkt für die Perzeption von Infraschall mit modulierender Wirkung auf die Hörschwelle. Ihre Erregung kann erklären, dass empfindliche Personen bei Einwirkung von Infraschall eine verstärkte Wahrnehmung von leisem Hörschall empfinden (Kaltenbach u. Godfrey 2008).

Wahrnehmung im Vestibularsystem

Das Gleichgewichtssystem des Menschen reagiert auf Vibrationen und langwellige Druckschwingungen, deren Frequenzen unterhalb des Bereichs der tonalen Wahrnehmung in der Cochlea liegen. Dies geschieht im Innenohr in den Organen Sakkulus und Utrikulus, die lineare Beschleunigungen einschließlich der Wirkungen der Schwerkraft erkennen, und in den Bogengängen, wo Drehbeschleunigungen in allen Richtungen des Raumes registriert werden. Die Signalwandlung erfolgt in diesen Organen ebenfalls an Haarzellen, jedoch mit Hilfe der Trägheit von CaCO3-Kristallen, den Otolithen. Diese Sensoren werden auch durch Infraschall oder niederfrequenten Hörschall aktiviert, wie an Testpersonen und bei Säugetieren wie der Maus (Jones et al. 2010) gezeigt wurde. Sie reagieren mit hoher Empfindlichkeit: Das menschliche Gleichgewichtssystem erfasst Beschleunigungen noch unterhalb von 1 Tausendstel g (Todd et al. 2008).

Elemente des Gleichgewichtssystems entwickelten sich während der Evolution der Vertebraten (Fay u. Popper 2000), wobei das Prinzip der otolithischen Sensoren konserviert wurde. Otolithenorgane, die niederfrequente Druckwellen erkennen können, sind bereits bei Fischen angelegt, entstanden also noch vor der Ausbildung des Hörorgans Cochlea (Popper u. Lu 2000). Damit hat In­fraschall Zugang zu einem basalen Signalsystem aller Wirbeltiere.

Bei der Wahrnehmung von Bewegungen und der Gleichgewichtskontrolle werden die aus dem Vestibularapparat kommenden Informationen im Großhirn mit Positionsmeldungen der Augen und von Dehnungsrezeptoren im Körper verglichen. Damit entsteht im Gehirn eine präzise Wahrnehmung auch von komplexen Bewegungen (Cullen 2019; Gu 2018). Bei der Aktivierung des Vestibularapparats durch Infraschall fehlen die Begleitinformationen aus den Körperorganen, was zu einem Wahrnehmungskonflikt führt. Dieser Konflikt ähnelt einer Kinetose, zum Beispiel der Seekrankheit (Dooley u. Morris 2014; Macefield u. Walton 2015; Schomer u. Erdreich 2015). Anwohner von Windenergieanlagen haben über derartige Schwindelattacken wiederholt berichtet, bei chronischem Bestehen eines derartigen Wahrnehmungskonflikts erscheinen auch weitere Symptome wie hochgradiger Schlafmangel, Tinnitus und Angstreaktionen plausibel.

Die Aktivierung distinkter Gehirnregionen durch Infraschall

Aus der Zusammenstellung potenzieller Wirkorte von Infraschall ergibt sich die Frage nach der Widerspiegelung und Verarbeitung der resultierenden Signale im Gehirn. Moderne bildgebende Verfahren wie die funktionale Magnetresonanztomografie („functional magnetic resonance imaging“, fMRI) ermöglichen die Visualisierung neuronaler Aktivität und Konnektivität im Gehirn und damit auch neue Einsichten in die Perzeption von Hör- und Infraschall. Durch das analytische Verfahren der „regionalen Homogenität“ kann eine verbesserte Kommunikation von Neuronen innerhalb einer umgrenzten Region sichtbar gemacht werden. In einer wegweisenden fMRI-Untersuchung wurden im Gehirn von Testpersonen drei Regionen identifiziert, die nach Einwirkung von Infraschall (12 Hz) bei Intensitäten unterhalb der Hörschwelle eine erhöhte neuronale Aktivität zeigten (Weichenberger et al. 2017; ➥ Abb. 3). Es handelt sich dabei um

  • eine Region nahe des auditiven Kortex (rSTG),
  • das anteriore Cingulum (ACC),
  • die rechte Amygdala (rAmyg).
  • Die Aktivierung dieser Bereiche trat nicht ein, wenn der Infraschall mit einer Intensität oberhalb der individuellen Hörschwelle angewandt wurde. Offenbar verändert Infraschall im Unterbewusstsein, also beim Fehlen einer bewussten Wahrnehmung, die Aktivitätsmuster in definierten Gehirnregionen. Bei Wahrnehmung hörbarer Schalldrücke wird dieser Signaltransfer vermutlich unterdrückt.

    Die durch Infraschall aktivierten Regionen sind hinsichtlich ihrer Funktionen für den Organismus gut untersucht. Während die rSTG-Region indirekt an der Verarbeitung von Schallereignissen beteiligt ist, liegen im ACC mehrere Zentren der autonomen Kontrolle, unter anderem von Atmungsfrequenz und Blutdruck (Critchley et al. 2003). Deren Aktivierung wurde zum Beispiel in bestimmten Kontexten nachgewiesen, etwa bei der Auseinandersetzung mit einer kognitiv fordernden Aufgabe (Thomason et al. 2011). Neuere Untersuchungen sprechen dafür, dass im ACC eine Verbindung zwischen unbewusster Wahrnehmung und bewusstem Erkennen erfolgt (Meneguzzo et al. 2014). Die Amaygdala ist für ihre Beteiligung an der Kontrolle emotionaler Reaktionen bekannt. fMRI-Untersuchungen sprechen ihr die Rolle eines Detektors für die Intensität von Erregungen zu (Bonnet et al. 2015).

    Die Arbeit von Weichenberger et al. (2017) lieferte erstmals konkrete Hinweise auf eine Beteiligung definierter Gehirnareale an der Perzeption von Infraschall. Sie spricht für eine unbewusst ablaufende Verarbeitung Infraschall-ausgelöster Signale in regulatorisch aktiven Zentren des Gehirns. Derartige Signalwege könnten unter anderem von den äußeren Haarzellen ausgehen (s.o.). Es ist bekannt, dass diese – im Unterschied zu den inneren Haarzellen – auch mit Nervenbahnen verbunden sind, die in nichtauditiven Zentren des Gehirns enden (Weisz 2009). Weitere Kandidaten sind die Otolithen des Vestibularsystems und die Druckrezeptoren der Haut, wie das Vater-Pacini-Körperchen (empfindlich im Bereich 10–300 Hz), die Merkel-Zelle (0,3–3 Hz) und der Krause-Endkolben (3–40 Hz).

    Die vorgestellten Daten erlauben die Vermutung, dass die an Patientinnen und Patienten nach Einwirkung von Infraschall (etwa aus der Umgebung von Windanlagen) erhobenen Befunde bei Atemfrequenz und Blutdruck über die Erregung der ACC-Region zustande kommen. Die ebenfalls berichteten Angstzustände von Anwohnern weisen auf eine mögliche Einbeziehung der Amygdala hin. Da sich jedoch der experimentell verwendete Infraschall von den charakteristischen Infraschallpulsen aus Windanlagen unterschied, kann kein direkter Bezug zwischen den bei diesen Versuchspersonen gefundenen Änderungen der neuronalen Aktivität und den Befunden bei Anwohnern beziehungsweise Erkrankten hergestellt werden. Wenn man allerdings unterstellt, dass Infraschallpulse aus Windanlagen (im Bereich von 1 bis ca. 8 Hz) in den gleichen oder nahe benachbarten Gehirnarealen empfangen werden wie die im Test verwendeten Signale (12 Hz), ergibt sich ein Verdacht auf gesundheitliche Risiken aus der Perzeption von Infraschall im Unterbewusstsein – und ein Ansatzpunkt für die weitere Forschung.

    Im Wachzustand hat Infraschall offenbar weitere, bisher unbekannte Wirkungen: Bei der Einwirkung kurzer Episoden von jeweils einigen Sekunden führte Infraschall (12 Hz, Sinus, mittlere subjektiv wahrnehmbare Lautstärke) zur erwarteten Aktivierung des primären auditorischen Kortex und tendenziell zu Verbesserungen des Arbeitsgedächtnisses (Weichenberger et al. 2015).

    Abb. 3:  fMRI-Karten des Gehirns von Testpersonen mit Arealen erhöhter regionaler Homogenität (Konnektivität) während der Einwirkung von Infraschall unterhalb der Hörschwelle. Die virtuellen Schnittebenen liegen sagittal (links, nur bei A) frontal (Mitte) und transversal (rechts). Regionen mit Unterschieden zur Kontrollgruppe (ohne Schalleinwirkung) sind farbig markiert. 14 Versuchspersonen wurden im Ruhezustand für 200 s mit Infraschall von 12 Hz Sinus behandelt. Die Intensität wurde 2 dB unterhalb der (vorher ermittelten) individuellen Hörschwelle eingestellt. Während dieser Zeit wurden fMRI-Messungen durchgeführt und anschließend mittels der regionalen Homogenitätsanalyse (s.o.) auf Bereiche höherer neuronaler Aktivität untersucht, im Vergleich zu fehlender Beschallung. Die dabei gefundenen Regionen sind farbig markiert. Die markierten Veränderungen traten nicht auf, wenn die Schalleinwirkung bei gleicher Frequenz, jedoch mit einer für die Testperson hörbaren Intensität, erfolgte. Diese Intensität wurde nicht als schmerzhaft empfunden (individuell ermittelt in einem Vorversuch). Quelle: Weichenberger et al. 2017Fig. 3: fMRI maps of the brain of test subjects with areas of higher regional homogeneity (connectivity) during exposure to infrasound below the hearing threshold level. The virtual planes are sagittal (left, A only), frontal (centre) and transverse (right). Regions with differences to the control group (without sound exposure) are marked in colour. 14 test subjects were treated in a state of rest with 12 Hz infrasonic waves for 200 s. The intensity was set 2 dB below their individual hearing threshold (as determined previously). fMRI measurements were taken during this time and the regional homogeneity analysis (see above) was then used to examine them for areas of higher neuronal activity in comparison with the absence of exposure to sound. The regions found during this process are marked in colour. The marked changes did not occur during exposure to sound at the same frequency but at an intensity that was audible to the test subject. This intensity was not perceived as painful (individually ascertained in a preliminary trial). Source: Weichenberger et al. 2017

    Abb. 3: fMRI-Karten des Gehirns von Testpersonen mit Arealen erhöhter regionaler Homogenität (Konnektivität) während der Einwirkung von Infraschall unterhalb der Hörschwelle. Die virtuellen Schnittebenen liegen sagittal (links, nur bei A) frontal (Mitte) und transversal (rechts). Regionen mit Unterschieden zur Kontrollgruppe (ohne Schalleinwirkung) sind farbig markiert. 14 Versuchspersonen wurden im Ruhezustand für 200 s mit Infraschall von 12 Hz Sinus behandelt. Die Intensität wurde 2 dB unterhalb der (vorher ermittelten) individuellen Hörschwelle eingestellt. Während dieser Zeit wurden fMRI-Messungen durchgeführt und anschließend mittels der regionalen Homogenitätsanalyse (s.o.) auf Bereiche höherer neuronaler Aktivität untersucht, im Vergleich zu fehlender Beschallung. Die dabei gefundenen Regionen sind farbig markiert. Die markierten Veränderungen traten nicht auf, wenn die Schalleinwirkung bei gleicher Frequenz, jedoch mit einer für die Testperson hörbaren Intensität, erfolgte. Diese Intensität wurde nicht als schmerzhaft empfunden (individuell ermittelt in einem Vorversuch). Quelle: Weichenberger et al. 2017
    Fig. 3: fMRI maps of the brain of test subjects with areas of higher regional homogeneity (connectivity) during exposure to infrasound below the hearing threshold level. The virtual planes are sagittal (left, A only), frontal (centre) and transverse (right). Regions with differences to the control group (without sound exposure) are marked in colour. 14 test subjects were treated in a state of rest with 12 Hz infrasonic waves for 200 s. The intensity was set 2 dB below their individual hearing threshold (as determined previously). fMRI measurements were taken during this time and the regional homogeneity analysis (see above) was then used to examine them for areas of higher neuronal activity in comparison with the absence of exposure to sound. The regions found during this process are marked in colour. The marked changes did not occur during exposure to sound at the same frequency but at an intensity that was audible to the test subject. This intensity was not perceived as painful (individually ascertained in a preliminary trial). Source: Weichenberger et al. 2017

    Fazit und Schlussfolgerungen

    Angriffspunkte für Infraschall

    Die verfügbaren wissenschaftlichen Daten weisen darauf hin, dass Infraschall im Menschen wie im Säugetier (Versuchstier) als Stressor bewertet wird. Der Organismus antwortet mit Anpassungs- und Abwehrreaktionen, deren Grundelemente auch für andere Stressoren bekannt sind. Die heute bekannten Wirkungen beinhalten:

  • direkte Schädigungen von Zellen und Organen und
  • Störungen von Signalketten, deren Information im Gehirn bewertet wird.
  • Angriffspunkte für schädigende Wirkungen von Infraschall wurden auf allen Ebenen des Säugetierorganismus gefunden.

  • Auf zellulärer Ebene wurde die Störung von Membranprozessen nachgewiesen. Es wird damit nicht allein die Funktion einzelner Zellen beeinträchtigt, sondern auch ihr Zusammenwirken im Gewebe, wie bei der Mikrozirkulation, der Muskelkontraktion oder dem neuronalen Transfer von Signalen. Entsprechende Belege stammen fast ausschließlich aus Tierversuchen. Das hohe Maß an Ähnlichkeit zwischen den subzellulären Mechanismen, die in der Evolution der Säugetiere konserviert wurden, macht ähnliche Schäden auch an menschlichen Zellen wahrscheinlich.
  • Das Herz-Kreislauf-System reagiert auf Infraschall auf zwei Ebenen: Es kommt zu Störungen der für die Kontraktion erforderlichen Membranprozesse und der Mikrozirkulation im Myokardgewebe, mit dem Ergebnis einer verminderten Durchblutung und Effizienz des Herzmuskels. Hinzu kommt die zentral koordinierte Stressabwehr (s.o.), die einen Abfall der Herzfrequenz bei steigendem Blutdruck und vermindertem Herzzeitvolumen bewirkt. Im Ergebnis entsteht das Bild einer beginnenden Herzinsuffizienz.
  • Auf die Signalsysteme im Innenohr, vor allem das Gleichgewichtssystem und die äußeren Haarzellen wirkt Infraschall als Störsignal, das nicht mit den Kontroll- und Ausgleichsmechanismen koordiniert ist, die üblicherweise körperliche Bewegungen begleiten (wie die visuelle Wahrnehmung und die Druckrezeptoren von Muskeln und anderen Organen). Dadurch entsteht ein Krankheitsbild ähnlich einer Kinetose.
  • Im Gehirn erfolgt die Perzeption von Infraschall in definierten Bereichen, die an der Kontrolle autonomer Funktionen (u. a. Atemfrequenz und Blutdruck) und an der emotionalen Kon­trolle beteiligt sind. Die Aktivierung dieser Areale geschieht ohne bewusste Wahrnehmung. Dies kann erklären, warum die Einwirkung von Infraschall im Schlaf zu einer Vielzahl von stress­ähnlichen Symptomen führt. Es ist noch unklar, welche konkreten peripheren Rezeptoren und Signalwege die Information zur Aktivierung dieser Gehirnareale liefern.
  • Windenergieanlagen: reale Gefahren und Studienobjekte

    Zwischen den hier dargestellten Ergebnissen an Testpersonen beziehungsweise Versuchstieren und den vielfach berichteten realen Erkrankungen, die im Umfeld von Infraschallgeneratoren auftreten, gibt es naheliegende Bezüge, oft aber keine geschlossene Kausalkette. Dies gilt besonders für Windenergieanlagen, deren Zahl in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen hat. Praxisärztinnen und -ärzte schätzen aufgrund eigener Diagnosen eine Mindestanzahl von ca. 180 000 Erkrankten in der Umgebung dieser Anlagen (Kaula 2019). Zugleich wurden in den letzten Jahren mehrere epidemiologische Studien veröffentlicht, die im Wesentlichen keine negativen Wirkungen des von Windanlagen emittierten Infraschalls auf Anwohner finden. Für diese Diskrepanzen gibt es anschauliche Gründe.

    Studien mit Testpersonen fehlt oft Relevanz für gesundheitliche Risikofaktoren

    Aktuelle Studien, die im Auftrag von Regierungen und Planungsbehörden unternommen wurden, zeigen erhebliche Beschränkungen des experimentellen oder statistischen Vorgehens im kritischen Frequenzbereich. Zum Beispiel werden bekannte, potenziell gesundheitsgefährdende Parameter des von Windanlagen emittierten In­fraschalls von der Anwendung oder der Auswertung ausgeschlossen:

  • Epidemiologische Studien aus Dänemark (Poulsen et al., mehrere Publikationen 2018 und 2019) fanden keine statistischen Zusammenhänge zwischen der Schallemission aus Windanlagen und bestimmten Erkrankungen (Schäden des Herz-Kreislauf-Systems, Diabetes, Bluthochdruck und Fehlgeburten) bei Anwohnern. Dabei wurden die erhobenen Gesundheitsdaten mit den am jeweiligen Wohnort gemessenen Schalldruckpegeln verglichen. Diese Bezugspunkte wurden nach der so genannten A-Bewertung gemessen, das heißt im Bereich oberhalb von 20 Hz. Der Infraschall aus den Windanlagen (und damit auch die Peaks zwischen 1 und 8 Hz, vgl. Abb. 1) wurde also generell nicht erfasst und das durch ihn möglicherweise verursachte Gesundheitsrisiko war damit nicht Gegenstand der Analyse.
  • Ein von der finnischen Regierung beauftragtes wissenschaft­liches Konsortium kommt zu dem Ergebnis, der aus Windanlagen emittierte Infraschall sei nicht die Ursache für die Gesundheitsprobleme, die von den Anwohnern mehrerer Windparks im Umkreis von ca. 2,5 km berichtet wurden (Maijala et al. 2020). In dieser Studie wurden Infraschallfrequenzen auch unter 8 Hz erfasst, jedoch in Form von Terzspektren. Letztere bestehen aus Mittelwerten des Schalldrucks über festgelegte Frequenzbereiche jeweils vom Umfang einer Terz. Durch die Mittelwertbildung haben die von Windanlagen ausgehenden, steilen Peaks des Schalldrucks, die bei charakteristischen, von der Drehzahl abhängigen Frequenzen auftreten (s. Abb. 1), nur einen geringen Einfluss auf das Messergebnis. Damit wurde die für gesundheitliche Beeinträchtigungen höchstwahrscheinlich entscheidende Signatur „geglättet“. Erwartungsgemäß zeigten die Anwohner keine wesentlichen Beschwerden, auch wenn der aufgezeichnete Schall im Blindversuch für einige Minuten auf sie einwirkte.
  • Im Auftrag des Bundesumweltamts fand in Deutschland eine experimentelle Studie statt (UBA 2020), bei der Testpersonen mit Infraschall (3–18 Hz) in Form von Sinuswellen beschallt wurden. Dieser „artreine“, das heißt künstlich hergestellte und vereinfachte Infraschall kommt nach eigener Aussage in der Praxis kaum vor, so dass zur Wirkung von Infraschall aus realen Quellen, etwa den pulsierenden Emissionen von Windanlagen, keine Aussagen möglich sind. Gleichwohl empfanden alle Testpersonen den nur 30 min einwirkenden, sinusförmigen Infraschall im Blindversuch als belästigend, ohne dass dies in physiologischen Daten (Blutdruck, Puls, EEG) zum Ausdruck kam.
  • Der letzte Fall bietet zugleich ein Beispiel für die geringe Aussagekraft von Studien, die eng begrenzte Einwirkzeiten benutzen. Dadurch bleiben Wirkungen unerkannt, die in der Realität bei längerer oder chronischer Einwirkung auftreten. Ein schädigendes Agens entwickelt bei chronischer Belastung eine vielfach höhere pathophysiologische Wirkung als bei kurzzeitiger Exposition. Anpassungsreaktionen sind meist nur dann erfolgreich, wenn ausreichende Erholungsphasen gegeben sind. Deshalb ist die chronische Einwirkung von Infraschall im Schlaf als besonders problematisch zu bewerten.

    Das besondere Gesundheitsrisiko des von Windanlagen ausgehenden Infraschalls

    Da für Windanlagen die weitaus meisten Daten von Infraschallexponierten Personen vorliegen, sind sie zu einem geeigneten Stu­dienobjekt zur Untersuchung der Infraschallwirkungen aus modernen Quellen geworden (Übersicht bei Roos 2019).

    Ausgangspunkt sind bekannte und in den letzten Jahren zunehmend geäußerte Beschwerden von Anwohnern. Ausgehend vom Leitsymptom einer hochgradigen Schlafstörung entwickeln sich Schwindelanfälle, Angstgefühle, verminderte Atemfrequenz, Depressionen und Hypertonie (Kaula 2019; Stelling 2015). Eine Folge des Schlafmangels ist der Anstieg des Stresshormons Cortisol (Minkel et al 2014). Wegen der geringen Spezifität der Einzelsymptome und individuell unterschiedlicher Sensibilität ist Infraschall aus den Windanlagen oft nicht ohne weiteres als Ursache erkennbar (z. B. Kamp u. Berg 2018), so dass eine Abschätzung der Prävalenz (s. o.) vermutlich zu geringe Werte liefert.

    Vergleichende Untersuchungen, etwa zwischen rotierender und abgeschalteter Anlage oder zwischen exponiertem und nichtexponiertem Wohnort, führten zu der Erkenntnis, dass rasche Änderungen des Schalldrucks das eigentliche Gefahrenpotenzial darstellen und weniger dessen Absolutwerte. Während pulsfreies Infraschallrauschen (aus natürlichen Quellen oder dem Hintergrund nach dem Abschalten emittierender Anlagen) nicht belästigend wirkt, lösen fluktuierende, abrupte Druckänderungen sehr wahrscheinlich die genannten Beschwerden von Anwohnern aus (Stelling 2015; Dooley u. Metelka 2014; Palmer 2017). Deshalb muss bei der Beurteilung einer Gesundheitsgefahr der oft erhebliche, durch den Wind selbst verursachte Schalldruck (der bei ruhender Anlage messbar ist), von der pulshaltigen Emission der rotierenden Anlage unterschieden werden (s. Bildunterschrift Abb. 1).

    Die von Anwohnern von Windanlagen beklagten Erkrankungen weisen auf körperliche Schäden und Reaktionen hin, die sich in gefährlicher Nähe zu den genannten, experimentell ermittelten Wirkungen von Infraschall abspielen:

  • Schwindelanfälle und der Eindruck einer Kinetose (See- oder Reisekrankheit) sind aufgrund der Reizung der otolithischen Zellen des Gleichgewichtssystems erklärbar.
  • Hochgradiger Schlafmangel und die Stresseffekte bei autonomen Funktionen (Blutdruckanstieg, Atemdepression) und bei der emotionalen Kontrolle (Angst, Depression, Gereiztheit) sind kompatibel mit der Aktivierung distinkter Gehirnbereiche im Unterbewusstsein.
  • Die vielfach berichteten Herz-Kreislauf-Probleme sind sehr wahrscheinlich durch die genannten Stressreaktionen verursacht. Die experimentell gefundene Verminderung der Kontraktionskraft des Herzmuskels sollte als weiterer Risikofaktor beachtet werden, auch wenn der Nachweis an Erkrankten noch aussteht.
  • Forschungs- und Regelungsbedarf

    Die vorgenannten Angriffspunkte und Wirkungen auf verschiedene biologische Systeme begründen aus ärztlicher Sicht ein substanzielles Gesundheitsrisiko für Infraschall-exponierte Personen. Gleichwohl sind naheliegende, kausale Zusammenhänge teilweise lückenhaft und nur durch weitere Forschung zu schließen. Es wäre jedoch fahrlässig, den noch bestehenden Mangel an geeigneter Forschung als Hinweis auf ein geringes oder fehlendes Gefahrenpotenzial von Infraschall aus Windanlagen zu werten, wie es leider vielfach geschieht ( LUBW 2016; UBA 2016, 2020). Die Gesamtschau der heute gesicherten Erkenntnisse – einschließlich der noch unvollständigen Daten – begründet die Sorge vor ernsthaften Gesundheitsrisiken. Es gehört zu den Grundsätzen präventiver Medizin, gesundheitliche Bedrohungen im Entstehen zu erkennen und abzustellen, bevor negative Wirkungen eskalieren.

    Dringliche Forschungsziele sind unter anderem:

  • die Wirkung realer Emissionen von Infraschallquellen auf Testpersonen und Versuchstiere, einschließlich des Gefahrenpotenzials der steilen Druckimpulse aus Windanlagen,
  • die Erstellung quantifizierbarer Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, das heißt Schall-Druck-Wirkungskurven für Leitkriterien wie Schlafqualität, Blutdruck, Aktivierung bestimmter Gehirnbereiche etc.
  • Neben dem noch in mehreren Kilometern Entfernung messbaren Infraschall gehen von Windanlagen auch Emissionen im Nahbereich (wenige hundert Meter) aus, vor allem hörbarer Schall und der Schattenwurf der Rotorblätter. Es ist bekannt, dass diese Stressfaktoren ebenfalls zu psychischen und körperlichen Reaktionen von Anwohnern führen. Ungeklärt ist die Frage, inwieweit dadurch die Infraschall-verursachten Reaktionen verstärkt oder modifiziert werden.

    So lange potenziell negative Wirkungen von WEA auf den Menschen nicht quantifiziert werden können, ist der in Bayern gültige Sicherheitsabstand zu Wohnsiedlungen in 10facher Anlagenhöhe eine sinnvolle Untergrenze für die Planung. Das Abklingen des Leitsymptoms „hochgradige Schlafstörung“ mit der Entfernung von WEA ist seit Jahren dokumentiert (Paller 2016). Gelegentliche Aussagen, der Schall einer Windanlage und die Belästigung von Anwohnern hänge nicht maßgeblich vom Abstand ab (z. B. Baumgart 2020), sind nicht belegt.

    Voraussetzung für die sachgerechte Bewertung des Gesundheitsrisikos ist die Gewinnung ausreichender Daten. Bisher behindern dies die Messvorschriften der TA Lärm, die den besonders kritischen Bereich zwischen 1 und 8 Hz ausklammern. Bei der jetzt anstehenden Neufassung sollten Messungen in diesem Frequenzbereich als verbindlich festgelegt werden.

    Die Bewertung von Infraschallwirkungen muss unabhängig von der Hör- beziehungsweise Wahrnehmungsschwelle des Menschen erfolgen. Letztere sind als Schallpegel definiert, die 50 % beziehungsweise 90 % der Menschen nicht mehr hören, und spiegeln die Empfindlichkeit der Wahrnehmung in der Cochlea wider. Wie hier gezeigt, erfolgen Infraschall-bedingte Schädigungen und Stressantworten über grundsätzlich andere Strukturen und Mechanismen. Die Tat­sache, dass die Infraschallemissionen von Windanlagen meist deutlich unter der Wahrnehmungsschwelle des Menschen liegen, macht sie nicht weniger problematisch, unter anderem wegen der hohen Empfindlichkeit des Gleichgewichtssystems (s.o.).

    In der Diskussion um die Akzeptanz von Windanlagen wird gelegentlich behauptet, die Stressreaktionen mancher Anwohner beruhten auf einem Nocebo-Effekt, das heißt einer negativen Erwartungshaltung (Voreingenommenheit) gegenüber Windanlagen und weniger auf den körperlichen Wirkungen der Schallexposition (Farboud et al. 2013; Crichton et al. 2014, 2015). Diese Aussagen gründen sich auf Nachweise an Testpersonen, die bei negativer Erwartungshaltung (erfragt oder experimentell provoziert) stärkere Belästigungen durch Windanlagen empfinden als bei positiver Einstellung. Psychogene Veränderungen mögen eine Rolle bei der Konfrontation von Anwohnern mit den auch optisch bedrängenden Windanlagen spielen und somatisch bedingte Schädigungen modifizieren. Sie erklären nicht die Erkrankungen beziehungsweise Risiken, die von objektiv festgestellten Angriffspunkten in Gleichgewichtssystem, Gehirn und Herz von Testpersonen und Versuchstieren ausgehen. Auch Stress-und Vermeidungsreaktionen von Wildtieren gegenüber Windanlagen (Agnew et al. 2016; Lopucki et al. 2018) sprechen gegen diese Annahme. Solange für experimentell dokumentierte Wirkungen und die von Anwohnern berichteten Erkrankungen keine Dosis(Energie)-Wirkungs-Kurven vorhanden sind, ist es zu früh, das Ausmaß der Beteiligung eines Nocebo-Effekts festzustellen.

    Abschließend sei daran erinnert, dass ein kurzzeitig beherrschbarer Stressor durch wiederholte Anwendung ein hohes Gefahrenpotenzial gewinnen kann: Ein Wassertropfen, der auf die Stirn eines Menschen fällt, ist für sich genommen eine Bagatelle. Tropft aber alle 30 Sekunden ein Wassertropfen auf die Stirn eines Menschen, so kann es sich um eine Methode der Folter handeln.

    Danksagung: Die Autoren danken Frau Dr. L. Ascone und Frau Prof. Dr. S. Kühn, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, für die kritische Durchsicht des Manuskripts.

    Interessenkonflikt: Beide Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

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    persönliche Mitteilung des Autors (Vorveröffentlichung, https://www.dsgs.info/INFO/Aktuelles/ und https://windveto.org/NEWS/Studie/).

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    Kontakt

    Prof. Dr. Werner Roos (em.)
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