Ausgangslage
Das Auto ist nach wie vor das wichtigste Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, fuhren im Jahr 2012 rund 66 % der Erwerbstätigen regelmäßig mit dem Auto zur Arbeit. 14 % der Erwerbstätigen nutzten für ihren Arbeitsweg öffentliche Verkehrsmittel.
Die Wahl des Verkehrsmittels für den Weg zur Arbeit hat sich in den letzten zwölf Jahren nur wenig verändert. Im Jahr 2000 lag bei den Berufspendlern der Anteil der Autofahrer bei 67 %, während 13 % öffentliche Verkehrsmittel nutzten.
Für den Weg zur Arbeit waren im Jahr 2012 im Durchschnitt etwas größere Entfernungen zu bewältigen als zwölf Jahre zuvor. Für nur noch 49 % (2000: 51 %) der Erwerbstätigen lag die Arbeitsstätte weniger als zehn Kilometer von der Wohnung entfernt.
Insbesondere die Krankenkassen fordern, dass betriebliche Gesundheitsprogramme verstärkt einer immer mobileren und flexibleren Arbeitswelt angepasst werden.
Arbeitswege werden ständig länger
Grundsätzlich steigt die Unfallgefahr, je stärker man exponiert ist. Längere Arbeitswege gehen daher mit erhöhter Unfallgefahr einher. Je länger man auf dem Weg zur Arbeit und von der Arbeit unterwegs ist, desto größer ist auch die „Chance“, „rein zufällig“ zu verunfallen.
Die Techniker Krankenkasse (TK) hatte erst kürzlich in einer Studie (Gesundheitsreport 2012, s. „Weitere Infos“) die negativen Folgen für die Gesundheit durch Pendeln festgestellt. Auch zeigt sich, dass Arbeitnehmer aufgrund größerer geforderter Flexibilität immer längere Wege zur Arbeit in Kauf nehmen. Die durchschnittliche Distanz von der Haustür bis zum Büro betrug zuletzt im Schnitt 17 Kilometer. Zehn Jahre zuvor waren es noch 14,6 Kilometer.
Die Zahlen des Bonner Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung stammen zwar aus dem Jahr 2009, doch die Forscher des Instituts gehen nach eigenen Angaben von einer weiter steigenden Tendenz aus. Überdurchschnittlich weit ist laut dem Institut der Arbeitsweg an den Rändern der großen Ballungszentren wie Hamburg, Frankfurt und Berlin.
Ob im Auto, auf dem Rad oder in der Bahn, Pendler sind einem größeren Psychostress ausgesetzt als Menschen mit geringer Distanz zum Arbeitsplatz.
Aus der Studie der TKK geht auch hervor, dass die Krankheitshäufigkeit bei Pendlern und Nichtpendlern zwar nahezu gleich ist, die Zahl der psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Pendlern mit durchschnittlich 22,5 Fehltagen aber deutlich höher ist.
Welches Verkehrsmittel: Auto – Bahn – Fahrrad?
Statistiken zeigen immer wieder sehr deutlich, dass auf Landstraßen mehr Unfälle geschehen als in der Stadt und dort wiederum mehr als auf Autobahnen. Ob es am gefährlicheren Umfeld liegt oder daran, dass das Verkehrsaufkommen auf diesen Straßen höher ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Mit Abstand die meisten tödlichen Unfälle geschehen auf Landstraßen. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass der Gegenverkehr, gleichgültig bei welchen Geschwindigkeiten, nicht durch bauliche Maßnahmen (z. B. Leitplanken) getrennt ist. Es gibt mehr Ablenkungen durch Gegenverkehr und schlechter einsehbare Einmündungen, die bei hoher Geschwindigkeit kaum Zeit zur Reaktion lassen. Das Thema Wildwechsel ist z. B. bei Überlandstrecken relevant, im Stadtverkehr meist nicht, dort sind es Fußgänger und Radfahrer, die teilweise unvorhergesehene Richtungswechsel vornehmen.
Die Enge in und an den Verkehrsmitteln erhöht oft den Grad des Stresses, man fühlt sich bedrängt und eingeengt. Häufig hat man keinen festen Sitzplatz und kann die positiven Effekte des Bahn- und Busfahrens, wie z. B. Lesen, am Laptop arbeiten oder einfach vor sich hinträumen, nicht nutzen
Wer mit dem Rad zur Arbeit fährt, lebt einerseits gesünder aber auch gefährlicher. Radfahren hat nachgewiesenermaßen einen gesundheitsförderlichen Effekt, andererseits zeigen die aktuellen Statistiken auch, dass Radfahren sehr gefährlich ist. Die Hälfte der Radunfälle sind Alleinunfälle, also Stürze etc. Radfahren ist in den unterschiedlichen Verkehrssituationen auch unterschiedlich gefährlich. Die Benutzung von Radwegen ist in urbanen Gebieten oft gefährlicher als die Fahrt auf den allgemeinen Fahrspuren für Kraftfahrzeuge, da es gerade in den Kreuzungsbereichen mehr Konflikte gibt (LKW übersieht als Rechtsabbieger einen Radfahrer).
Unfallgefahr der genutzten Verkehrsmittel
Deutliche Unterschiede in der Unfallgefährdung ergeben sich aufgrund der genutzten Verkehrsmittel. Die Gefährdung in Öffentlichen Verkehrsmitteln ist deutlich geringer als bei der Nutzung z. B. von Motorrädern. Neben der Länge der Strecke ist auch die Dauer der Verkehrsbeteiligung wichtig ( Abb. 1).
Fußgänger sind besonders gefährdet, weil sie zu den schwächsten Teilnehmern am Straßenverkehr gehören. Während ein PKW über eine Knautschzone und Airbag verfügt, sind die Fußgänger im Falle eines Unfalls relativ ungeschützt. Was den Zeitfaktor anbetrifft, so ist ein Fußgänger gegenüber dem Autofahrer für die gleiche Wegstrecke immer im Nachteil, d.h. die Unfallgefährdung steigt mit dem Zeitfaktor.
Gefährdungsprofil erstellen
Eine umfassende Gefährdungsbeurteilung für die Mobilität im betrieblichen und organisatorischen Bereich ist bisher noch nicht verfügbar, obwohl auf diesem Gebiet besonders viele schwere Unfälle geschehen.
Irrtümlicherweise gehen viele Verantwortliche in den Unternehmen davon aus, dass sie jenseits des Werkstores keinen Einfluss mehr auf das Verhalten ihrer Mitarbeiter haben und daher bezüglich der Verkehrssicherheit ihrer Angestellten nichts tun können oder müssen.
Diese Aussage ist aber unzureichend. Es gibt ein Instrument, dass in Kooperation zwischen dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und der Friedrich-Schiller-Universität Jena entwickelt und umgesetzt wurde – GUROM. Der Begriff steht für Gefährdungsbeurteilung und Risikobewertung organisationaler Mobilität. Organisatorische Mobilität umfasst dabei verschiedene Teilbereiche, die in separaten Modulen in GUROM berücksichtigt werden. Dazu gehören die Überprüfung des arbeitsbedingten Stresses und ungünstiger Arbeitsbedingungen. Das sind ebenfalls Aspekte, die Mitarbeiter auch nach Feierabend mit nach Hause nehmen. Belastende Faktoren, wie Zeitdruck (man denkt z. B. schon auf dem morgendlichen Arbeitsweg über den Arbeitsauftrag nach, den man nach Ankunft erledigen muss oder organisiert telefonisch während der Fahrt noch Arbeitsangelegenheiten) oder auch Ärger mit dem Vorgesetzten oder Kollegen führen zu ablenkenden Gedanken, weniger Aufmerksamkeit und damit zu Fehlern, in extremen Fällen sogar zu sicherheitsgefährdenden Abreaktionen des Ärgers. Denn unter Zeitdruck missachtet man eher Verkehrsregeln und nach langer konzentrierter Arbeit fällt es einem schwerer, die nötige Aufmerksamkeit für die Verkehrsteilnahme aufzubringen. Diese Zusammenhänge zeigen, dass sich Unternehmen sehr wohl in der Verantwortung sehen sollten, auch die Verkehrssicherheit ihrer Mitarbeiter zu erhöhen, indem sie gegebene und potenzielle Gefährdungsfaktoren reduzieren.
Im Folgenden sind die arbeitsbezogenen Faktoren dargelegt, die erwiesenermaßen einen Einfluss auf das Verhalten und damit die Verkehrssicherheit haben können.
Aus der Unfallforschung ist bekannt, dass die Konzentrationsfähigkeit spätestens nach 8 Stunden gefährlich stark abnimmt. Demzufolge steigt auch die Unfallrate ab einem Arbeitspensum von mehr als 8 Stunden stark an. Bereits nach 4 Stunden zeigen sich deutliche Einschränkungen bei vielen Menschen, daher gibt es regelmäßige Arbeitspausen, z. B. zur Mittagszeit oder zur Schichtmitte. Selbstverständlich gibt es dabei deutliche Unterschiede zwischen Personen und auch zwischen verschiedenen ausgeübten Tätigkeiten. Fasst man die Bewältigung beruflicher Wege jedoch auch als Tätigkeit auf, die Aufmerksamkeit erfordert, dann sollten an langen Arbeitstagen Maßnahmen ergriffen werden, die das sichere Ankommen gewährleisten. Vor allem ausreichende Erholungspausen während des Arbeitstages helfen und sollten daher nicht zu Pausen werden, die mit anderer Arbeit gefüllt sind. Auch bei der Fahrt selbst gilt z. B. für LKW- oder Busfahrer alle 4 Stunden ein gesetzlicher Pausenzwang (§ 4 ArbZG).
Schichtarbeit
Schichtarbeit belastet den Körper und die Psyche stark. Die Katastrophe von Tschernobyl, die Ölpest durch die Exxon Valdez oder die Havarie der Costa Concordia ereigneten sich in der Spät- und Nachtschicht. Das sind keine Zufälle, denn auch eine kanadische Studie aus dem Jahr 2011 beweist ein erhöhtes Risiko bei schichtarbeitenden Arbeitnehmern (Wong et al. 2011). Aufgrund wechselnder Zeiten, zu denen man bei Schichtarbeit konzentriert und aktiv bei der Arbeit ist, kommt der biologische Rhythmus aus seinem natürlichen Gefüge. Die meisten Menschen, die im Schichtdienst arbeiten, berichten früher oder später über Schlafstörungen, psychische Unausgeglichenheit, Verdauungsprobleme und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Durch diese Probleme ist indirekt auch die Verkehrssicherheit gefährdet. Wenn Schichtarbeit notwendig ist, sollte sie so gestaltet werden, dass sie den natürlichen Rhythmus so wenig wie möglich beeinträchtigt.
Wochenendarbeit stellt vielfach eine zusätzliche – insbesondere soziale – Belastung dar und schränkt eine längere zusammenhängende Erholungszeit ein. Oft wirkt sich die Arbeit am Wochenende auch negativ auf Freizeitaktivitäten aus. So fehlt eine wichtige Quelle für Ausgeglichenheit zum Stressabbau. Dies gefährdet indirekt die Verkehrssicherheit.
Auch Anwesenheitsbereitschaft bis hin zur Rufbereitschaft, bedeutet, nicht (völlig) selbst über seine Zeit und seinen Aufenthaltsort bestimmen zu können und somit eine Einschränkung bei familiären und privaten Unternehmungen. Dadurch kann indirekt eine höhere Gefährdung entstehen, z.B. durch Konflikte, die man auch mit auf den Weg nimmt oder weil einfach die Integrität in die Familie oder den Freundeskreis leidet. Viele Arbeitseinsätze während des Bereitschaftsdienstes, insbesondere nachts, unterbrechen häufig den Schlaf oder die Erholungsphase und bedeuten eine direkte Unfallgefährdundg. Müdigkeit und Erschöpfung wirken sich nicht nur negativ auf die Qualität der Arbeit und die Leistungsfähigkeit aus, sondern schränken auch die sichere Verkehrsteilnahme ein. Erfordert der Bereitschaftsdienst zusätzliche Fahrtätigkeit, so ist allein durch die erhöhte Exposition die Unfallgefahr größer.
Arbeitspausen
Je nach Gestaltung können Pausen besser oder schlechter zur Erholung beitragen Dadurch wird indirekt auch die Verkehrssicherheit beeinflusst. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Unfallwahrscheinlichkeit deutlich mit der Einhaltung von Pausen, aber auch mit den Erholungsmöglichkeiten während der Pausen zusammenhängt (Rutenfranz et al. 1992). Wird die Pause beispielsweise genutzt, um nach Hause zu fahren und Angehörige zu versorgen, dient das sicher nicht der Erholung und schlägt sich in der Unfallwahrscheinlichkeit nieder.
Arbeitsbedingungen
Ungünstige Verhältnisse bei der Arbeit können zu körperlicher oder mentaler Erschöpfung führen, darunter kann die Konzentration im Straßenverkehr leiden. Für die einzelnen Tätigkeiten gibt GUROM separate Gefährdungsbeurteilungen, die nicht durch das vorliegende Profil ersetzt, sondern ergänzt werden können. Die Angaben geben jedoch Hinweise, worauf verstärkt zu achten ist. Es werden folgende Bereiche unterschieden:
- Bedingungen am Arbeitsplatz im Unternehmen
- Bedingungen an Zielorten (bei Kunden, Geschäftspartnern, etc.)
- Bedingungen während der Fahrten zu Zielorten
- ungünstige Arbeits- oder Betriebsmittel (Software, Geräte, Materialien) bzw. Fahrzeugausstattung
- Lärmbelastung
- Ungünstige klimatische Bedingungen (Hitze, Kälte, Zugluft, etc.)
- schwere körperliche Arbeit (z. B. beim Laden) oder Zwangshaltungen, Absturzgefahr, Vibrationen
- ungünstige Licht- bzw. Sichtbedingungen
- Gewalt oder Bedrohung durch Menschen oder Tiere
- Kontakt mit gesundheitsgefährdenden Substanzen (z. B. Einatmen von gefährdenden Stoffen, Hautkontakt, Transport gesundheitsgefährdender Stoffe)
Zufriedenheit bei der Arbeit
Dauerhafte Unzufriedenheit mit der Arbeitsfähigkeit führt dazu, dass die Verkehrssicherheit gefährdeter ist, da dadurch das Ablenkungspotenzial und die negativen Emotionen und Aggressionen steigen, so die Unfallforschung der Versicherer. So stellten Graf et al. (1957) bei ihren Unfalluntersuchungen fest, dass körperliche Mängel und Schwächen eine relativ geringe Rolle spielen und noch hinter technischen Mängeln liegen. „Psychologische und soziale Faktoren sind die fast ausschließlich wirksame Quelle bei der Entstehung von Unfällen, die nicht durch technische Faktoren bedingt sind“.
Vorgesetztenverhalten und Führungsstile
Missverständnisse oder unklare Anweisungen führen häufig zu Mehrarbeit, mangelhaften Arbeitsergebnissen und letztlich zu Frust, den man „mit auf den Weg nimmt“ und somit die Verkehrssicherheit indirekt mit beeinflussen. Das Verhalten von Führungskräften kann hierbei eine Möglichkeit zum Abbau oder zur Vorbeugung zum Stress darstellen (Rowold u. Heinitz 2008).
Arbeitsstress
Gut ausgelastet zu arbeiten ist eine notwendige Voraussetzung für Arbeitszufriedenheit! Wenn die Aufgaben jedoch nicht mehr bewältigt werden können, weil Ressourcen oder entsprechende Kompetenzen fehlen, entsteht psychomentale Fehlbeanspruchung, kurz Stress. Unfalluntersuchungen im Straßenverkehr haben gezeigt, dass die Fehlerzahl unter Stress bei erfahrenen Mitarbeitern auf das 5fache und bei unerfahrenen Mitarbeitern auf das 10fache ansteigen kann. Dies gilt umso mehr, wenn die Ressourcen der Mitarbeiter durch lang anhaltende Über- oder Fehlbeanspruchung erschöpft sind. Sowohl Arbeitsfehler, Störfälle, Unfälle als auch Krankheiten steigen dann massiv an (Badura et al. 2012).
Alter
Statistisch wird das Verkehrsunfallrisiko im Laufe des Erwerbslebens mit zunehmendem Alter geringer. Menschen unter 25 Jahren sind u. a. aufgrund geringerer Erfahrung und ungenauerer Gefahrenwahrnehmung deutlich gefährdeter. Allerdings gibt es natürlich eine sehr große Variation innerhalb der Altersstufen, je nachdem, welche weiteren Gefährdungen hinzukommen. Dennoch ist den sich über die Lebensspanne ändernden Bedingungen in der Verkehrssicherheitsarbeit Rechnung zu tragen. Dies betrifft einerseits die Themen (z. B. Anpassung der Risikobereitschaft bei Jüngeren, Optimierung der Routenplanung bei Älteren, Ausgleich eingeschränkter Sehfähigkeit bei Älteren) als auch die Art der Maßnahme und Ansprache (z. B. Nutzung konfrontierender Medien, „Schockvideos“, Gruppendiskussionen, familienoffene Veranstaltungen).
Geschlecht
Zwischen den Geschlechtern gibt es statistisch einen deutlichen Unterschied in der Mobilität: Während Männer häufiger größere Pkw fahren (bei denen Unfallfolgen meistens weniger schwer ausfallen) und längere Strecken auf Autobahnen fahren, sind Frauen eher im (unfallgefährdeterem) Stadtverkehr unterwegs, nutzen seltener Pkw, und wenn, eher kleinere. Häufig übernehmen sie die Verantwortung für Haushalt und Kinder. Daher sind statistisch gesehen Frauen auf Arbeitswegen gefährdeter, einen Unfall mit Verletzungsfolgen zu erleiden als Männer.
Gesundheit
Gesundheitliche Einschränkungen können die Verkehrssicherheit entscheidend vermindern. Beispielsweise kann Rückenschmerz zu einem Verzicht auf einen ordnungsgemäßen Schulterblick führen, die Müdigkeit ist bei Infekten meist sehr groß, die Reaktionsfähigkeit dann verlangsamt. Neben diesen eher alltäglichen „Wehwehchen“ wird die Wirkung von Medikamenten, insbesondere die Wechselwirkung verschiedener Medikamente auf die Verkehrstüchtigkeit unterschätzt.
Parallelhandlungen
Intensive Gespräche mit Mitfahrenden, Ereignisse außerhalb des Fahrzeugs und andere Dinge lenken von einer konzentrierten Verkehrsteilnahme ab. Das Telefonieren stellt eine besondere Herausforderung dar. Alle Untersuchungen zeigen, dass Ablenkung unabhängig von der Nutzung einer Freisprechanlage entsteht. Anders als beim Radio- oder Musikhören, das wir mental ausblenden können oder bei Gesprächen mit Mitfahrern, die bei Gefahr schweigen, redet der Gesprächspartner am Telefon unbeeindruckt weiter. Gerade bei emotional belastenden Gesprächen oder solchen, die viel kognitive Aufmerksamkeit benötigen, ist daher die Aufmerksamkeit nicht auf die oftmals automatisierte Verkehrsteilnahme gerichtet sondern auf das Gespräch.
Im Übrigen ist es bei einer Gerätebedienung oder gar beim SMS-Schreiben viel wahrscheinlicher, dass es zum Unfall kommt, da auch die visuelle Aufmerksamkeit weg von der Straße hin zum meistens zu kleinen Display gerichtet wird.
Für Fahrradfahrer kommt zusätzlich durch das einhändige Fahren noch die Einschränkung der Balance hinzu. Auch die Nutzung von Headsets erhöht nicht die Sicherheit, da es oft lebenswichtig ist, sich durch das Gehör zu orientieren. Letzteres gilt gleichermaßen für Fußgänger.
Welche Gesundheitsrisiken entstehen durch das Pendeln?
Als Pendeln wird das regelmäßige Zurücklegen einer Strecke zum Zweck der Arbeitserfüllung bezeichnet. Pendler fehlen auf der Arbeit aber auch häufiger wegen Krankheit. Folgende Symptome werden dabei häufig beobachtet:
- Schlafstörungen
- Kopfschmerzen
- Übergewicht
- Psychische Krankheiten
- Magen-Darm-Beschwerden
- Rückenschmerzen
Die Auflistung könnte noch beliebig weitergeführt werden. Es handelt sich hier nur um die meistgenannten Beschwerden. Das Übergewicht rührt häufig von der ungesunden Ernährung her, die meist durch das Pendeln in Anspruch genommen wird. Wenn schon so viel Zeit für die Fahrt zur Arbeit „verschwendet“ wird, soll das Kochen nicht auch noch lange dauern.
Verkümmern des Soziallebens
Wer täglich viel pendeln muss und für den Job auch nach dem Feierabend erreichbar ist, leidet eher an psychischen Beschwerden. Das stellt der Fehlzeiten-Report 2012 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) fest (Badura et al. 2012). Der Untersuchung zufolge klagen Menschen, die Beruf und Freizeit nicht miteinander vereinbaren können, doppelt so oft über Erschöpfung, Niedergeschlagenheit oder Kopfschmerzen wie Menschen, denen eine gute Balance gelingt. Die Unzufriedenheit und Beschwerden steigen, je häufiger Arbeitnehmer private Aktivitäten wegen des Jobs verschieben, sonntags arbeiten oder (unbezahlte) Überstunden machen müssen.
Mehr als jeder dritte Erwerbstätige erhält der Studie zufolge binnen vier Wochen häufig Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeit oder leistet Überstunden. Mehr als jeder zehnte nimmt Arbeit mit nach Hause. Fast jeder achte Beschäftigte gibt an, dass er Probleme mit der Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit hat.
Hinzu kommt eine Belastung durch lange Wege zur Arbeit. Insgesamt sind laut WIdO rund 40% der Berufstätigen entweder Wochenendpendler und fahren täglich mindestens eine Stunde zur Arbeit oder haben ihren Wohnort aufgrund beruflicher Anforderungen gewechselt. Zwar vermeiden sie dadurch oft Arbeitslosigkeit oder sichern sich Aufstiegschancen, doch fühlen sich viele Beschäftigte durch das Pendeln stark belastet. Der Stress steigt, Ruhezeiten werden verringert und die Folgen sind Erschöpfung und Niedergeschlagenheit.
Fazit
Burnout bedeutet soviel wie „ausgebrannt sein“. Ein Burnout-Syndrom bekommen meist Menschen, die über lange Zeit an ihrer Leistungsgrenze arbeiten, sich in ihrem Beruf überengagieren und extrem hohe Erwartungen an sich selbst stellen.
Gerade weil Burnout vor allem ehrgeizige Mitarbeiter trifft, ist deren schleichendes Abgleiten in den Burnout oft nicht erkennbar. Ausgangspunkt ist oft Überengagement im Beruf, der zum Lebensinhalt wird. Der Betroffene verleugnet seine Bedürfnisse. Anzeichen sind häufige Flüchtigkeitsfehler, völlige Erschöpfung, chronische Müdigkeit, Energiemangel und Konzentrationsstörungen. Oft folgt ein reduziertes Engagement, einige Betroffene machen Schuldzuweisungen und werden aggressiv. Es kann aber auch zu Depressionen und Angststörungen kommen. Die Suchtgefahr steigt.
Wer einem „Burnout-Syndrom“ vorbeugen will, sollte sein Privatleben stärker pflegen, Konfliktstrategien erlernen, häufiger Kompromisse durchsetzen und sich gegen Überforderungen im Beruf wehren. Kanadische Forscher („Highway to health“ in World Leisure Journal 2014) haben festgestellt, dass Pendler mit langen Fahrstrecken unter einem stark eingeschränktem Wohlbefinden, Lebensunzufriedenheit und psychischem Druck leiden.
Insgesamt ist seit 1994 die Zahl der psychisch Erkrankten um 120 % gestiegen. Von dieser Entwicklung sind vor allem Beschäftigte in sozialen Berufen und Frauen betroffen. Vier von zehn Arbeitnehmern in Deutschland sind Wochenendpendler, fahren täglich mindestens eine Stunde zur Arbeit oder haben ihren Wohnort wegen beruflicher Anforderungen gewechselt. Die Strecke von der Haustür bis zum Arbeitsplatz betrug zuletzt im Schnitt 17 Kilometer. Vor zehn Jahren waren es noch 14,6 Kilometer. Nach Zahlen des Bonner Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung ist der Arbeitsweg an den Rändern der Ballungszentren wie Hamburg, Frankfurt und Berlin besonders lang.
Die AOK-Studie (Badura et al. 2012) sieht auch die Vorteile der Flexibilität: So werde Arbeitslosigkeit vermieden oder eine Karrierechance genutzt. Die 7,5 Millionen bei der AOK versicherten Beschäftigten, die bis zu 30 Kilometer zur Arbeit fahren, haben wegen psychischer Erkrankungen allerdings knapp zwölf Millionen Fehltage. Dies seien 9,1 % der Fälle pro 100 Versicherte. Alarmierend für Pendler: Dieser Wert steigt kontinuierlich mit der Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort. „Flexibilität braucht ihre Grenzen“, sagte der Studien-Herausgeber Helmut Schröder. Es sei zwar gut für die Gesundheit, wenn Beschäftigte ihre Arbeit räumlich und zeitlich an die eigenen Bedürfnisse anpassen können. Aber das gelinge oft nicht. Mehr als jeder dritte Erwerbstätige erhalte häufig Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeit oder leistete Überstunden. Mehr als jeder Zehnte nehme Arbeit nach Hause.
Für eine Strategie zur besseren Gesundheitsvorsorge will die Bundesregierung in diesem Herbst einen Plan vorlegen. Die Unionsfraktion im Bundestag hatte angekündigt, sich verstärkt um die Beschäftigten mit Burnout-Syndrom kümmern zu wollen. Es bleibt abzuwarten, was davon umgesetzt wird. Wir Betriebsärzte können aber schon jetzt präventiv tätig werden.
Literatur
Badura B, Ducki A, Schröder H, Klose J, Meyer M (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2012, Schwerpunktthema: Gesundheit in der flexiblen Arbeitswelt: Chancen nutzen, Risiken minimieren. Berlin, 2012.
Graf O, Neuloh O, Rüssel A: Der Arbeitsunfall und seine Ursachen. Stuttgart, Düsseldorf, 1957.
Rowold J, Heinitz K: Führungsstile als Stressbarrieren. Zeitschrift für Personalpsychologie 2008; 7: 129–140.
Rutenfranz J, Krauth P, Nachreiner F: Arbeitszeitgestaltung. Ergonomie 1993; 574–599.
Wong IS, Mc Leod CB, Demers PA: Shift work trends and risk of work injury among Canadian workers. Scand J Work Environ Health 2011; 37: 54–61.
Weitere Infos
Gesundheitsreport 2012 – Veröffentlichung zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement der TK, Band 27
https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/457490/Datei
Für die Autoren
Dr. med. Jens-H. Grotewohl
Betriebsarztpraxis Frankfurt
Niddastraße 91
60329 Frankfurt