ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2019; 54: 253–256
Nach § 1 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) ist deren Ziel, durch Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge arbeitsbedingte Erkrankungen, einschließlich Berufskrankheiten, frühzeitig zu erkennen und zu verhüten. Arbeitsmedizinische Vorsorge soll zugleich einen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes leisten.
Im Zusammenhang mit bösartigen Erkrankungen wird häufig der Begriff „Krebsvorsorgeuntersuchung“ verwendet. Dieser ist jedoch im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge missverständlich, da es sich dabei um keine Vorsorgeuntersuchung, sondern um eine Früherkennungsmaßnahme mit Anamnese, Beratung und Untersuchungsangebot handelt.
In den derzeit gültigen Verordnungen (OStrV, ArbMedVV) gibt es bei Exposition gegenüber künstlicher UV-Strahlung sowohl Grenzwerte als auch einen Vorsorgeanlass für arbeitsmedizinische Pflicht- und Angebotsvorsorge gemäß Anhang Teil 3 der ArbMedVV. Chronische Erkrankungen, verursacht durch künstliche UV-Strahlung, sind jedoch derzeit wissenschaftlich nicht belegt. Im Gegensatz dazu ist die durch natürliche UV-Strahlung verursachte Krebserkrankung der Haut (Plattenepitehlkarzinome und aktinische Keratosen) mit der BK-Nummer 5103 BKV inzwischen zur zweithäufigsten entschädigten Berufskrankheit in Deutschland geworden, ohne dass es dafür derzeit Grenzwerte oder einen Anlass zur arbeitsmedizinischen Vorsorge gibt. In der 22. Sitzung des Ausschusses für Arbeitsmedizin (AfAMed) am 30.05.2018 hat jedoch der AfAMed dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einstimmig empfohlen, einen entsprechenden Vorsorgeanlasse in die ArbMedVV aufzunehmen1. Die Umsetzung dieser Empfehlung wird derzeit im BMAS geprüft.
Aus wissenschaftlicher Sicht kann der Nutzen einer frühzeitig einsetzenden Vorsorge bei Beschäftigten im Freien gut begründet werden. Das Risiko für Plattenepithelkarzinome der Haut, die Gegenstand der Berufskrankheit BK-Nr. 5103 BKV sind, zeigt eine ausgeprägte exponentielle Dosis-Wirkungs-Beziehung. Das heißt, bei höherer kumulativer UV-Dosis steigt das Risiko nicht linear, sondern exponentiell an. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass beispielsweise eine Reduktion von 2000 SED für einen Beschäftigten im Freien mit einer hohen kumulativen UV-Dosis zu einer deutlich größeren Risikominimierung führt als die gleiche UV-Dosisreduktion bei einem sog. Indoor-Worker, der seine UV-Belastung vorwiegend in der Freizeit und beim Sport erhält (Schmitt et al. 2017). Vorsorgemaßnahmen, die zu einer Reduktion der Lebensdosis für UV-Strahlung für Beschäftigte im Freien führen, sind somit gut geeignet, Krebserkrankungen im späteren Leben zu verhüten.
Bei einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung sollen maligne Erkrankungen so frühzeitig erkannt werden, dass eine kurative Therapie möglich ist. Die arbeitsmedizinische Vorsorge inklusive der Vorsorgeuntersuchung hingegen setzt weit vor der Entstehung einer Krebserkrankung an. Die arbeitsmedizinische Vorsorge inklusive Untersuchungsangebot muss daher bereits zu Beginn der Tätigkeit einsetzen, während eine Krebsfrüherkennungsuntersuchung sicherlich erst nach Jahrzehnten chronischer UV-Belastung eine rationale Indikation hat.
Am Beispiel der arbeitsmedizinischen Vorsorge bei Tätigkeiten mit Exposition durch natürliche UV-Strahlung wird deutlich, dass die betriebsärztliche Tätigkeit weit mehr umfasst als die Durchführung einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung. Im Rahmen der Primärprävention ist der Arbeitgeber auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung zu beraten, wie mit technischen Maßnahmen und der Arbeitsorganisation eine Reduktion der UV-Belastung der Beschäftigten zu erreichen ist und damit ggf. die Pflicht zu einer arbeitsmedizinischen Vorsorge gemäß ArbMedVV (Pflichtvorsorge oder Angebotsvorsorge) bei den Beschäftigten vermieden werden kann. Technische Möglichkeiten umfassen u.a. das Aufstellen von Sonnensegeln oder das Tragen entsprechender Sonnenschutzkleidung. Bei organisatorischen Maßnahmen sollte darauf geachtet werden, dass ein Großteil der UV-Belastung zwei Stunden vor und nach Sonnenhöchststand die Erde erreicht. Wenn in dieser Zeit keine Tätigkeiten im Freien stattfinden, kann der größte Teil der UV-Belastung vermieden werden. Organisatorische Maßnahmen wären beispielsweise die Verlagerung von Arbeiten um die Mittagszeit in den Innenbereich, das Vermeiden von Pausen im Freien während der Mittagszeit oder Schichtpläne, die die Zeit zwei Stunden vor und nach Sonnenhöchststand aussparen.
Greifen diese Maßnahmen nicht und besteht eine relevante Exposition gegenüber natürlicher UV-Strahlung, sollte dies Anlass sein für die Durchführung von arbeitsmedizinischer Pflichtvorsorge bzw. bei geringerer UV-Exposition von arbeitsmedizinischer Angebotsvorsorge. Die Fristen sollten sich bei Aufnahme dieses Vorsorgeanlasses in die ArbMedVV an der AMR 2.1 mit einer ersten Vorsorge vor Aufnahme der Tätigkeit orientieren. Abweichend von der AMR 2.1 sollte aus wissenschaftlicher Sicht die zweite Vorsorge nicht nach einem festen Zeitintervall erfolgen, sondern innerhalb der ersten Sommermonate nach Tätigkeitsaufnahme, weil dann anhand der Bräunung (oder Rötung) das Verhalten bei der Tätigkeit mit UV-Belastung objektiviert werden kann und die Basis für die individuelle Beratung gibt. Das Intervall für alle weiteren Vorsorgen kann unter Beachtung der AMF 2.1 variabel gestalten werden und sollte sich an den anderen Anlässen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (z.B. Lärm, Epoxidharze, Isocyanate) orientieren und möglichst mit diesen oder anderen arbeitsmedizinischen Maßnahmen synchronisiert werden, um die Zahl der Termine gering zu halten. Bei Einführung eines Vorsorgeanlasses bei beruflicher Exposition gegenüber natürlichem UV-Licht sind die Fristen der arbeitsmedizinischen Vorsorge im AfAMed zu diskutiert und festzulegen.
Arbeitsmedizinische Vorsorge
Wie immer umfasst die arbeitsmedizinische Vorsorge u.a. die Anamnese, das Untersuchungsangebot, ggf. die Durchführung der Untersuchung und die individuelle arbeitsmedizinische Beratung ( Abb. 1).
Anamnese
Die Anamnese umfasst zunächst die Frage, wie sich die Haut bei der ersten Bestrahlung im Sommer verhält. Danach hat Fitzpatrick die Lichttypen eingeteilt, die häufig gleichgesetzt werden mit dem phänologischen Erscheinungsbild (Augen-, Haar- und Hauttönung). Dies kann aber zur Fehleinschätzung führen, da auch ein Mensch mit dunklen Haaren und dunkler Hautfarbe in der Sonne sehr empfindlich reagieren kann und umgekehrt blonde, blauäugige Menschen weniger schnell Sonnenbrand bekommen können. Die spezielle Anamnese soll lichtprovozierbare Dermatosen (z.B. Lupus erythematodes, Erythema exsudativum multiformae, Herpes simplex usw.) erfassen. Bei der Erhebung der Medikamentenanamnese ist darauf zu achten, ob phototoxische Medikamente (z.B. Tetracycline, bestimmte nichtsteroidale Antiphlogistika, Furosemid und Fibrate) eingenommen werden. Im Zweifelsfall wird man den Beipackzettel des verordneten Medikaments sichten.
Bei der Anamnese sind auch Krebserkrankungen in der Familie zu erfragen. Bei der differenzierten Beratung ist jedoch darauf zu achten, dass sich die Risikofaktoren für die malignen Melanome, die Basalzellkarzinome und das Plattenepithelkarzinom erheblich voneinander unterscheiden.
Die spezielle tätigkeitsbezogene Anamnese umfasst eine exakte Tätigkeitsbeschreibung, die Nutzung bzw. Einhaltung geeigneter UV-Schutzmaßnahmen, die angeboten und durchgeführt werden, sowie Beschwerden und Symptome während und nach der UV-Exposition. Tätigkeitsassoziierte Beschwerden wie Brennen, Jucken und Schmerzen können auf eine sog. polymorphe Lichtdermatose hinweisen. Brennen, Schmerzen und Rötung Stunden nach Exposition sind Zeichen eines Sonnenbrandes, der unbedingt vermieden werden muss.
Kernpunkt der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist die Beratung. Hier ist der/die einzelne Beschäftigte individuell zu beraten, da insbesondere der Hauttyp und die oben aufgeführten Faktoren, die individuell anamnestisch erhoben werden, von besonderer Relevanz sind. Vielen Beschäftigen ist nicht bewusst, dass eine Überdosierung mit UV-Strahlung sensorisch nicht wahrnehmbar ist. Das Hitzegefühl auf der Haut hängt im Wesentlichen von der Temperatur, nicht jedoch von der Intensität der UV-Belastung ab. Eine Überdosierung zeigt sich erst Stunden nach der Exposition in Form eines Sonnenbrandes. Die Beratung umfasst auch den Einsatz von persönlichen Schutzmaßnahmen. Hier ist in erster Linie auf textilen Lichtschutz zu achten, wie einen breitrandigen Hut, langärmelige Bekleidung, ggf. Handschuhe. Dort, wo mit technischen Maßnahmen der Lichtschutz nicht erreichbar ist (Gesicht), sollten chemische Lichtschutzmittel (z.B. Sonnenschutzcremes) angewendet werden. Die Anwendung von Sonnenschutzmittel führt nachweisbar zu einer Reduktion der Inzidenz von Plattenepithelkarzinomen und deren Vorstufen, schützt aber nicht vor allen UV-bedingten Schädigungen der Haut. Es entfällt durch die Anwendung von Lichtschutzmitteln auch die Warnwirkung eines Sonnenbrands, da die UVA-Strahlung, die sensorisch nicht erfasst werden kann, wesentlich weniger gut gefiltert werden kann. Eine höhere kumulative UV-Exposition bei Anwendung von chemischem Lichtschutz ist stets zu befürchten, wenn die Empfehlung zur Anwendung von Sonnenschutz nicht mit entsprechenden Warnhinweisen (keine Erhöhung der kumulativen Sonnenexposition) verbunden ist. Nach der S3-Leitlinie „Prävention von Hautkrebs“ (AWMF 2014) darf die Anwendung von Sonnenschutzmitteln nicht dazu führen, dass der Aufenthalt in der Sonne verlängert wird.
Untersuchung im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge
Im Anschluss von Anamnese und Beratung sollte ein Untersuchungsangebot erfolgen. Bei Beschäftigten in jüngeren Lebensjahren hat diese Untersuchung insbesondere zum Ziel, akute (Sonnenbrand) und subakute Lichtschäden (Bräunung, Erythrosis interfollicularis colli, Pigmentflecken) zu erfassen. Anhand des Verteilungsmusters ist leicht erkennbar, mit welcher Kleidung der Beschäftigte im Freien tätig ist. Dies sollte entsprechend ärztliche Warnhinweise zur Folge haben, wenn beispielsweise ersichtlich ist, dass der Beschäftigte im ärmellosen T-Shirt oder mit freiem Körper arbeitet. Finden sich auffällige Hautläsionen (z.B. Muttermale), so sollte eine frühzeitige Fotodokumentation und/oder die Überweisung zum Dermatologen erfolgen. Die Möglichkeiten eines teledermatologischen Konsils sollten dabei in Erwägung gezogen werden.
Die arbeitsmedizinische Vorsorge sollte sich auf Hautareale beschränken, die beruflich lichtexponiert sind.
Bei unklaren Hautbefunden sollte unter Beachtung der ArbMedVV der Rat eines Dermatologen eingeholt werden. Hier empfiehlt sich eine gute Kooperation mit einem Berufsdermatologen, um zeitnah einen Untersuchungstermin in einer Hautarztpraxis realisieren zu können. In Zukunft werden technische Maßnahmen vorhanden sein, die es dem Arbeitsmediziner leicht machen, suspekte Hautveränderungen hinsichtlich der Dignität besser einzuschätzen (Auflichtmikroskopie mit Software zur Beurteilung der Dignität).
Nach Abschluss der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist eine Vorsorgebescheinigung auszustellen und anzugeben, wann aus ärztlicher Sicht eine weitere arbeitsmedizinische Vorsorge angezeigt ist. Die entsprechenden Befunde der arbeitsmedizinischen Vorsorge sind zu dokumentieren und auszuwerten. Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahmen des Arbeitsschutzes für den Beschäftigten oder die Beschäftigteoder andere Beschäftigte nicht ausreichen, so hat der Arzt oder die Ärztin nach § 6 Abs. 4 ArbMedVV dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und Maßnahmen des Arbeitsschutzes vorzuschlagen. Hält der Arzt oder die Ärztin aus medizinischen Gründen, die ausschließlich in der Person des oder der Beschäftigten liegen, einen Tätigkeitswechsel für erforderlich, so bedarf diese Mitteilung an den Arbeitgeber der Einwilligung des oder der Beschäftigten.
Würde die arbeitsmedizinische Vorsorge bei Exposition gegenüber natürlicher UV-Strahlung ersetzt werden durch eine Krebsfrüherkennung (Hautkrebsscreening), wäre dies mit einem modernen Arbeitsschutz nicht vereinbar, da man akzeptieren würde, dass jemand über Jahrzehnte krebserzeugenden Einwirkungen ausgesetzt ist und dass man dann mit Untersuchungsmaßnahmen die Krebserkrankten frühzeitig erkennt. Ein moderner Arbeitsschutz und die arbeitsmedizinische Vorsorge haben demgegenüber zum Ziel, bösartige Erkrankungen bereits vor Entstehung zu verhüten.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
AWMF: S3-Leitlinie Prävention von Hautkrebs, Registriernummer: 032/0520L, April 2014.
Knobloch C, Hiller J, Drexler H: Kenntnisstand, Einstellung und Umgang mit Sonnenschutz – Deutschland und Neuseeland im Vergleich. 59. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGAUM, 20.–22. März 2019 in Erfurt.
Schmitt J, Haufe E, Trautmann F, Schulze HJ, Elsner P, Drexler H, Bauer A, Letzel S, John SM, Fartasch M, Brüning T, Seidler A, Dugas-Breit S, Gina M, Weistenhöfer W, Bachmann K, Bruhn I, Lang BM, Bonness S, Allam JP, Grobe W, Stange T, Westerhausen S, Knuschke P, Wittlich M, Diepgen TL; FB-181 Study Group: Is ultraviolet exposure acquired at work the most important risk factor for cutaneous squamous cell carcinoma? Results of the population-based case-control study FB-181. Br J Dermatol 2018; 178: 462–472.
Für die Verfasser
Prof. Dr. med. Hans Drexler
Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
FAU Erlangen-Nürnberg
Henkestraße 9-11
91054 Erlangen
Fußnoten
1Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Hans Drexler), FAU Erlangen-Nürnberg
2Abteilung Klinische Sozialmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas L. Diepgen), Universitätsklinikum Heidelberg
3Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel), Universitätsmedizin Mainz