Leserbrief
Die Aussagen des Autors zur arbeitsmedizinischen Vorsorge teile ich voll und ganz und beziehe mich mit dieser Zuschrift besonders auf die Aussagen zu „Aufklärung und Beratung“. Bei Umfragen im Kreis von Kollegen, die nicht in einem Unternehmen fest als Betriebsarzt angestellt sind, wird offenbar, dass hier oftmals das gegenwärtige Prozedere ganz anders aussieht: Nach wie vor wird das Gros des Umsatzes mit technischen Untersuchungen und Laborparametern in Anlehnung an DGUV Grundsätze realisiert, die sich zweifelsfrei recht einfach nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) transparent auch für den Kunden abrechnen lassen. Damit wird in vielen Fällen in einer Stunde mehr Geld generiert als für eine Beratung bei einem marktüblichen Stundensatz für einen Arzt, zumal viele Untersuchungselemente an Assistenzpersonal delegiert und von diesem erbracht werden. Vielfach werden die Versicherten gleich nach der Anmeldung und vor dem Arztkontakt erst einmal technisch diagnostiziert. Zudem entspricht ein solcher Ansatz vielfach auch dem traditionellen Verständnis und der Erfahrung von Versicherten: Beim Arzt wird untersucht!
Ein optimaler Ablauf der Vorsorge wird durch drei Kernelemente festgelegt:
- Einladung (§ 3 Abs. 4 ArbmedVV)
- Rechtzeitige Einladung an die Versicherten zur Vorsorge,
- dabei werden die Vorsorgeanlässe und deren Verbindlichkeit gelistet,
- eine Rechtsbelehrung über Angebotsvorsorge liegt bei.
Die Einladung wird in der Regel durch den Arbeitgeber erfolgen, sie kann jedoch in dessen Auftrag auch durch den Vorsorgeleistenden erfolgen. Dieses Vorgehen hat den Vorteil einer besseren Berücksichtigung tagesaktueller Kapazitäten beim Betriebsarzt und macht Terminplanungen zuverlässiger.
- Vorsorge
- Voraussetzung für die Durchführung der Vorsorge ist das Vorhandensein einer aktuellen personenbezogenen Gefährdungsbeurteilung, bei bestimmten Vorsorgen, zum Beispiel Lärmvorsorge, muss der Allgemeinmediziner die erforderlichen Angaben zur Exposition zur Verfügung stellen (§ 3 Abs. 2 ArbmedVV).
- Erörterung der Gefährdungsbeurteilung mit den Versicherten, Zwischenanamnese, Vorschläge und Absprache zu evtl. diagnostischen Leistungen (§ 2 Abs. 3 ArbmedVV).
- In jedem Fall sollte der Arzt/die Ärztin klare Vorstellungen über die Tätigkeit und die Arbeitsbedingungen besitzen (§ 6 Abs. 1 ArbmedVV).
- Auswertung und Beratung
- Es erfolgt die abschließende Beratung bei Vorliegen von Befunden, wenn Diagnostik angezeigt war. Bei Laborwerten/Biomonitoring geschieht das im Rahmen eines zweiten Termins.
- Aushändigung von Kopien der zutreffenden Bescheinigungen nach ArbmedVV (§ 6 Abs. 3 ArbmedVV). Dieser zweite Termin kann auch unter Nutzung telemedizinischer Settings erfolgen
Der Werksärztliche Dienst unseres Unternehmens hat im Interesse einer optimalen Beratung und Prävention die Zweizeitigkeit eines Arztkontakts verpflichtend für solche Vorsorgen eingeführt, bei denen erst zeitlich nachgelagert Untersuchungsergebnisse verfügbar sind. Als dieses Vorgehen vor einigen Jahren umgesetzt wurde, bestand Skepsis darüber, ob die Auswertungs- und Beratungstermine von den Versicherten angenommen werden und wie die Arbeitgeber reagieren. Inzwischen ist dieses System als Best Practice etabliert und Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Es erfreut sich außerordentlicher Beliebtheit, weil im Rahmen dieser Gespräche auch die Ergebnisse detailliert erörtert und gesundheitsbezogene Hinweise gegeben werden. Für diese Vorsorgeorganisation erteilte der Betriebsrat seine volle Zustimmung.
Die Herausforderung besteht darin, dass die Beratung im Kontext des Arbeitsplatzes und der Berufstätigkeit zum Zentrum der Arbeitsmedizin wird. Die eingangs geschilderte, noch weit verbreitete Praxis mit Betonung von Untersuchungen, wird diesem Anliegen nicht gerecht. Um vor diesem Hintergrund die Arbeitsmedizin für selbstständige Arbeitsmediziner und überbetriebliche Dienste profitabel zu gestalten, sind einerseits berufspolitische Lösungen erforderlich, die Auswertungs- und Beratungsgespräche ausreichend honorieren, und andererseits wäre durch den Ausschuss für Arbeitsmedizin zu prüfen, ob im Interesse einer höheren Verbindlichkeit die Regelungen des §6 Abs. 3 ArbmedVV in einer solchen Richtung konkretisiert werden sollte (zum Beispiel durch eine Arbeitsmedizinische Regel). Damit könnte dem Arbeitgeber die Sinnfälligkeit und der Nutzen eines solchen zeitgemäßen Vorsorgeregimes vermittelt und eine größere Verbindlichkeit erreicht werden.
VERFASSER
Dr. F. Sladeczek
Dow Olefinverbund GmbH
06258 Schkopa
Replik des Autors
Dem Kollegen Sladeczek darf ich ganz herzlich für seinen Leserbrief und die dargestellte Problematik unterschiedlicher sozioökonomischer Gesichtspunkte bei der Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorge gemäß ArbMedVV danken.
Wie ich in meinem Beitrag dargestellt habe, hat die Novellierung der ArbMedVV zu einem wesentlichen Wandel der arbeitsmedizinischen Vorsorge und einem generellen Überdenken arbeitsmedizinischer Betreuungsmodelle in Deutschland geführt. Dass dieser Wandel auch gestaltet werden muss und zum Teil weiterreichende Implikationen mit sich bringt, ist bis jetzt nicht von allen arbeitsmedizinischen Anbietern aufgenommen worden; allerdings kann eine zunehmende Entwicklung in die richtige Richtung, jedoch in unterschiedlicher Intensität, beobachtet werden.
Generell ist es sicherlich – sowohl aus arbeitsmedizinischen als auch aus betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten – nicht immer ganz einfach, lange praktizierte Verfahrensabläufe grundlegend zu verändern und diese dann sowohl dem „Kunden“ verständlich zu machen als auch in entsprechenden Verträgen abzubilden. Hier bedarf es einerseits dem hierfür notwendigen Willen der Anbieter von arbeitsmedizinischen Leistungen und andererseits der umfangreichen Aufklärung und Beratung des Auftraggebers, also der Arbeitgeber, die sowohl die Verantwortung als auch die Kosten der arbeitsmedizinischen Vorsorge zur tragen haben. Darüber hinaus sind auch die arbeitsmedizinische Fachgesellschaft (DGAUM) und die Berufsverbände (VDBW, BsafB) sowie die Akademien für Arbeitsmedizin weiter gefordert, diese Gesichtspunkte in der Fort- und Weiterbildung zu thematisieren.
Prinzipiell sind die Handlungsabläufe in der ArbMedVV ausreichend formuliert und vorgegeben, möglicherweise könnte jedoch eine weitere Präzisierung bzw. ein klares Ablaufschema, ein die Vorgaben des ArbmedVV interpretierender Praxisalgorithmus, hilfreich sein. Einen ersten Versuch hierzu stellen jene Überlegungen dar, die ich zusammen mit den Kollegen Drexler und Diepgen im wissenschaftlichen Teil dieser Ausgabe von ASU für eine arbeitsmedizinische Vorsorge bei einer Exposition gegenüber natürlichem UV-Licht erarbeitet habe. Es wäre wünschenswert, wenn der Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) in seiner neuen Berufungsperiode ab Mai 2019 die Thematik aufnehmen und gegebenenfalls eine Präzisierung diskutieren würde.
Zudem wäre es sicherlich ebenfalls wichtig, wenn zum einen bei der Überarbeitung der sog. DGUV Grundsätze für arbeitsmedizinische Untersuchungen der bei der Novellierung der ArbMedVV eingeschlagene Weg einen entscheidenden Umsetzungsimpuls erhalten könnte. Zum anderen sollte die Einhaltung der Abläufe bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge nachhaltiger durch die gesetzliche Unfallversicherung und die Gewerbeaufsicht kontrolliert werden.
Prof. Dr. med. Stephan Letzel, Mainz