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Die DGAUM informiert

Arbeiten 4.0: Herausforderung für die arbeitsmedizinische Versorgung in der Zukunft

Stellungnahme der DGAUM zum Dialogprozess „Arbeiten 4.0. – Arbeit weiter denken“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) hat das Thema „Arbeiten 4.0: Die Digitalisierung der Arbeitswelt als Herausforderung für die arbeitsmedizinische Versorgung in der Zukunft“ diskutiert und folgende Stellungnahme auf der Basis einer bereits von der DGAUM veröffentlichten Publikation verabschiedet [1]:

Arbeiten 4.0: Herausforderung für die arbeitsmedizinische Versorgung

Wie im Grünbuch des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) beschrieben [2], wird in einer zukünftigen Arbeitswelt Arbeiten 4.0 immer mehr Einzug halten. Man erwartet, dass damit eine höhere technische Sicherheit verbunden ist, die entsprechend positive Folgen für die Gesundheit am Arbeitsplatz haben wird. Der dynamische technologische Fortschritt bedingt aber auch, dass neue Risiken und so auch mögliche negative Folgen für die Gesundheit der Beschäftigten auftreten können [3].

Auch in einer Arbeitswelt 4.0 wird es Gefahren geben, die sowohl von psychischen (z. B. Monotonie, Überforderung, Abgrenzung) als auch physischen Faktoren (z. B. Lärm, chemische und biologische Gefahrstoffe, körperliche Belastungen genauso wie Bewegungsarmut) bestimmt sind. Die arbeitsmedizinische Forschung muss dazu weiter eine wichtige Rolle spielen. Dies nicht zuletzt deshalb, um Wirkmechanismen besser zu erkennen sowie die Entwicklung von Biomarkern zur Früherkennung weiter voranzutreiben.

In Verbindung mit zunehmend älteren Beschäftigten und neuen Arbeitsformen führen diese Risiken zu großen Herausforderungen für die Prävention und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Arbeitsmediziner und Betriebsmediziner verfügen über die fachliche Kompetenz gesundheitliche Risiken an Arbeitsplätzen zu erkennen und entsprechend präventiv tätig zu werden [4]. Aufgrund ihres engen Praxisbezugs sind Arbeitsmediziner und Betriebsärzte in der Lage, neu aufkommende Risiken auch im Rahmen von Arbeiten 4.0 frühzeitig zu erkennen.

Damit dies auch zukünftig gewährleistet ist, muss die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte in den Betrieben durch fundierte arbeitsmedizinische Forschung begleitet werden, die ihnen das entsprechende Instrumentarium an die Hand gibt. Im Kontext von „Arbeiten 4.0“ ergeben sich weitreichende Handlungsfelder und Leitfragen zum Thema Gesundheit bei der Arbeit, die im Grünbuch bislang nicht bzw. nur verkürzt dargestellt werden. Aus Sicht der wissenschaftlichen Arbeitsmedizin sind folgende Anhaltspunkte im Dialog Arbeitsmedizin und Arbeiten 4.0 besonders zu berücksichtigen:

  1. Damit Prävention und Förderung von Gesundheit am Arbeitsplatz mit den zukünftigen Entwicklungen Schritt halten können, müssen Arbeitsmediziner und Betriebsärzte bereits frühzeitig gesundheitliche Risiken erkennen, die durch neue Produktionsformen und Technologien, neuartige Arbeitsstoffe sowie das Zusammenwirken und die Auswirkungen sozialer und technologischer Veränderungen entstehen können. Sie nehmen dabei eine wichtige Lotsenfunktion sowohl in der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung als auch an der Schnittstelle zur kurativen und rehabilitativen Medizin ein.
  2. Ärztliches Denken und Handeln für den Beschäftigten an allen Arbeitsplätzen anhand von qualifizierten Gefährdungsbeurteilungen gehört für Arbeitsmediziner und Betriebsärzte zum alltäglichen Handwerk und ist gerade auch zur Erkennung von gesundheitlichen Risiken in der zukünftigen Arbeitswelt notwendig [5].
  3. Bei zunehmender Veränderlichkeit der Arbeit (z. B. Crowd-/Cloudworking, Disruption von Beschäftigungen) mit sich dynamisch ändernden Risiken und Chancen sind Empfehlungen und Richtlinien zur Arbeits- und Arbeitsplatzgestaltung durch Arbeitsmediziner und Betriebsärzte notwendig. Es muss zudem sichergestellt werden, dass alle Beschäftigten jederzeit Zugang zu moderner effektiver arbeitsmedizinischer und sicherheitstechnischer Prävention haben. Dies muss auch für Personen gelten, die in neuen Arbeitsformen „selbständig“ Arbeits- und Dienstleistungen erbringen. In der zukünftigen Arbeitswelt wird arbeitsmedizinische Kompetenz die zunehmende Eigenverantwortlichkeit der Beschäftigten unterstützen.
  4. Neben vielen Chancen einer dynamischen Arbeitsmarktentwicklung birgt die Digitalisierung auch potenzielle Risiken für die Beschäftigten. Dies nicht nur in Bezug auf Beschäftigungsunsicherheit durch Disruption von Arbeitsfeldern, sondern auch durch die Möglichkeit einer Dequalifizierung von Tätigkeiten und insbesondere einer verstärkten Ausprägung des Niedriglohnsektors mit kumulierten körperlichen und psychischen Gesundheitsrisiken für die in diesem Kontext Tätigen. Die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Entwicklungen müssen wissenschaftlich erforscht, den Beschäftigten muss eine arbeitsmedizinische Beratung ermöglicht werden.
  5. Arbeiten 4.0 wird durch digitale Vernetzung zu einer fortschreitenden Globalisierung der Arbeitswelt beitragen, die Autonomie fördern können, aber auch gesundheitliche Risiken bergen. Hierfür bedarf es adaptierter Konzepte für die arbeitsmedizinische Vorsorge.
  6. Neue Produkte und technische Innovationen bringen bislang unbekannte Gefährdungen und mögliche Risiken mit sich. Gleichzeitig werden z. B. Produktionszyklen und Zeitfenster in der Dienstleistung immer kürzer und entwickeln damit eine Eigendynamik mit schwer kalkulierbaren Risiken. Diesem daraus entstehenden Forschungsbedarf werden arbeitsmedizinische Forschungsinstitute und Lehrstühle gerecht. Mit der dort vorhandenen Expertise müssen aktuelle arbeitsmedizinische Forschungsthemen identifiziert, aufgegriffen und bearbeitet werden. Gleichzeitig muss die Zusammenarbeit zwischen arbeitsmedizinischer Forschung, Industrie, Gremien und Behörden intensiviert werden. Forschung darf dabei nicht nur nationale Belange berücksichtigen, sondern muss auch Eingang in internationale Entwicklungen finden.
  7. Bei der Entwicklung von neuen Technologien und Werkstoffen stehen oft technische und wirtschaftliche Gesichtspunkte im Fokus. Um von Anfang an auch gesundheitsrelevante Aspekte in die Entwicklungsprozesse einzubringen und um Produzenten und Anwender vor Gesundheitsgefahren zu schützen, ist die frühzeitige Einbindung von arbeitsmedizinischer Expertise unumgänglich.
  8. Auch unter Bedingungen von Arbeiten 4.0 benötigen sowohl gesunde als auch chronisch kranke und leistungsgewandelte Beschäftigte zum Risikomanagement am Arbeitsplatz zuallererst eine zielgruppenorientierte, präventive und individuelle Beratung durch Arbeitsmediziner und Betriebsärzte, die zudem Resilienz und eine gesunde Lebensführung unterstützen.
  9. Die Veränderungen in der Arbeitswelt werden einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung haben und das Gesundheitssystem sowie die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland vor große Herausforderungen stellen. Unter anderem werden wir in Zukunft länger arbeiten. Eine der Voraussetzungen dafür ist, dass die Beschäftigten gesundheitlich dazu in der Lage sind und entsprechend ihrem Leistungsvermögen adäquat eingesetzt werden. Eine qualifizierte arbeitsmedizinische, bzw. betriebsärztliche Begleitung der Beschäftigten ist hier unerlässlich. Dies hat der Gesetzgeber erkannt und in einem ersten Schritt über das Präventionsgesetz die Bedeutung von Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten im Feld der betrieblich veranlassten Gesundheitsförderung nachhaltig gestärkt [6]. Die DGAUM ist daher bereits mit einer der gesetzlichen Krankenkassen eine strategische Kooperation eingegangen, um das Präventionsgesetz in die Praxis umzusetzen und neue Präventionspfade bzw. Versorgungswege zur Förderung der Gesundheit am Arbeitsplatz zu entwickeln.
  10. Arbeitende Menschen im Kontext von Arbeiten 4.0 benötigen eine flexible arbeitsmedizinische Betreuung und Vorsorge, die insbesondere auch einen niedrigschwelligen Zugang zu Beratung und Präventionsangeboten beinhaltet [7]. Hier wird u. a. der Telemedizin als ergänzender Maßnahme zu „klassischen“ arbeitsmedizinischen Prozessen eine besondere Bedeutung zukommen. Ebenso wird das Unternehmermodell mit Zugang zu qualifizierter betriebsärztlicher Betreuung im Rahmen der Umsetzung des Gesundheitsschutzes in den Betrieben zunehmende Bedeutung erfahren. Die zukünftige Entwicklung, Implementierung und nachhaltige Umsetzung solcher Verfahren benötigt eine wissenschaftliche Begleitung und entsprechende Qualitätsstandards.
  11. Die sozialen Lebensverhältnisse bleiben eine der wichtigsten gesundheitlichen Einflussgrößen. Sozialer Status beeinflusst Gesundheit und Gesundheit beeinflusst den sozialen Status. Arbeit ist und bleibt hierbei von zentraler Bedeutung – für das Individuum und die Gesamtgesellschaft. Auch im Rahmen von Arbeiten 4.0 behalten die ureigenen menschlichen Grundbedürfnisse, ebenso wie die Grundsätze der gesundheitsförderlichen und menschenwürdigen Gestaltung der Arbeit, Bestand [8]. Diese zu sichern, bedarf es einer starken Arbeits- und Betriebsmedizin: sowohl in der Praxis als auch in der Forschung.
  12. Vor dem Hintergrund der mit der Digitalisierung verbundenen neuen Formen des (Zusammen-)Arbeitens in Teams sowie der damit verbundenen zeitlichen, räumlichen und inhaltlichen Flexibilisierung der Arbeit kommt der arbeitsbezogenen und allgemeinen Gesundheitskompetenz der Beschäftigten eine größere Rolle als bisher zu [9]. Im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung der einzelnen Beschäftigten kann die Entwicklung dieser Gesundheitskompetenz unterstützt und auf Ebene des Betriebes Strukturen und Prozesse angestoßen werden, in denen die Beschäftigten kompetente Ansprechpartner für die im Einzelfall zu beantwortenden Fragen finden. Dies muss in weiterentwickelten Verordnungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz konkretisiert werden. Dabei ist arbeitsmedizinischer Sachverstand einzubinden.

Literatur

[1] Diese Stellungnahme fußt auf dem Beitrag zum Dialogprozess für „Arbeiten 4.0“: Letzel S, Nesseler T, Drexler H: Industrie 4.0 – Arbeit 4.0: Arbeit weiter denken und gestalten. Überlegungen der DGAUM zur Weiterentwicklung der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung in einer digitalisierten Welt. 2016. www.arbeitenviernull.de/dialogprozess/stellungnahmen.html (Stand: 19.08.2016).

[2] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Grünbuch Arbeiten 4.0. 2015. www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/gruenbuch-arbeiten-vier-null.pdf?__blob=publicationFile (Stand: 19.08.2016).

[3] Vgl. u.a.: Weber K: MENSCH 4.0 Der Mensch nach Maß - schöne neue Welt?! 2016. https://www.b-tu.de/en/news/artikel/5988-mensch-40-der-mensch-nach-mass-schoene-neue-welt (Stand: 19.08.2016).

[4] Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM): Arbeitsmedizin 4.0 – Thesen der Arbeitsmedizin zum Stand und Entwicklungsbedarf der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland. 2015.www.dgaum.de/fileadmin/PDF/Stellungnahmen_Positionspapiere/Arbeitsmedizin_4.0_Broschüre_final.pdf (Stand: 19.08.2016).

[5] Letzel S, Nowak D: Einführung in die Prävention und Gesundheitsfördernd. Handbuch der Arbeitsmedizin. 2. Erg. Lfg. 3/07. Landsberg: ecomed, 2007.

[6] Einen Überblick dazu bietet: Rieger MA, Hildenbrand S, Nesseler T, Letzel S, Nowak D (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung an der Schnittstelle zwischen kurativer Medizin und Arbeitsmedizin. Ein Kompendium für das Betriebliche Gesundheitsmanagement. 1. Aufl. Landsberg: ecomed, 2016..

[7] Tautz A: Betriebliches Gesundheitsmanagement, Betriebliche Gesundheitsförderung, Wellbeing/Wohlbefinden am Arbeitsplatz. In: Letzel S, Nowak D (Hrsg.:): Handbuch der Arbeitsmedizin. Landsberg: Ecomed, 2015.

[8] BMAS (Hrsg.): Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit: Arbeitsmedizinische Empfehlung des Ausschusses für Arbeitsmedizin. Berlin: BMAS; 2013.

[9] WHO Europe: Gesundheit 2020. Rahmenkonzept und Strategie der Europäischen Region für das 21. Jahrhundert. Copenhagen: World Health Organization, 2013.

    Kontakt für den Vorstand der DGAUM

    Prof. Dr. med. Hans Drexler

    Dr. phil. Thomas Nesseler

    Geschäftsstelle DGAUM

    Schwanthaler Straße 73 B

    80336 München

    gs@dgaum.de

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