Der von der französischen Untersuchungsbehörde BEA am letzten Wochenende ver-öffentlichte Abschlussbericht zu den schreck-lichen Ereignissen um den Germanwings-Flugzeugabsturz im März letzten Jahres hat nach Ansicht des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM), Professor Dr. med. Hans Drexler, Erlangen, nochmals eine schädliche und wenig qualifizierte öffentliche Diskussion über die ärztliche Schweige-pflicht gegenüber Arbeitgebern ausgelöst. Für Drexler ist die erste und wichtigste Frage, ob durch eine gelockerte ärztliche Schweige-pflicht dieser Absturz hätte verhindert wer-den können. Nach Ansicht der meisten Fach-leute sei dies nicht der Fall. Wenn man alle Menschen mit depressiven Episoden oder Suizidgedanken als nicht geeignet für Berufe mit potenzieller Drittgefährdung betrachten wollte – und das seien bei weitem nicht nur die Piloten von Flugzeugen – dann wäre eine moderne Gesellschaft nicht mehr arbeits- und handlungsfähig. Darüber hinaus seien Aussagen zur Prognose immer un-sicher. Ein unauffälliger Untersuchungsbefund heute garantiert für Hans Drexler noch lange keine körperliche oder seelische Gesundheit zu einem späteren Zeitpunkt.
Die zweite Frage geht für den DGAUM-Präsidenten in Richtung der Folgen einer gelockerten ärztlichen Schweigepflicht ge-genüber Arbeitgebern. Wenn sich ein Mensch mit gesundheitlichen Problemen nicht mehr auf die absolute Verschwiegenheit des Arbeitsmediziners gegenüber Dritten verlassen könne, werde dieser, nach Ansicht Drexlers, seinem Arzt wohl kaum noch Informationen anvertrauen, die seine berufliche Beschäftigung gefährden könnten. Es sei eine Illusion zu glauben, ein Arzt könne ohne Mitwirkung des betroffenen Menschen sicher und verlässlich körperliche oder seelische Erkrankungen erkennen. „Wenn durch eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Klient gestört wird, ergibt sich mit Gewiss-heit eine geringere Sicherheit für die Unver-sehrtheit von Dritten“, so DGAUM-Präsi-dent Hans Drexler. Der Arzt könnte nämlich die Indikation für Hilfsangebote, Therapien, kürzere Beratungs- und Untersuchungsfristen, Änderungen der Arbeitsverhältnisse u. v. a., die Schaden und Gefahr abwenden können, nicht mehr erkennen. Deshalb warnt der Präsident der DGAUM mit Nachdruck davor, das hohe Rechtsgut des Vertrauensverhältnisses von Arzt und Klient durch eine wenig differenzierte Diskussion um eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber Arbeitgebern zu gefährden.
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Dr. phil. Thomas Nesseler
Hauptgeschäftsführer DGAUM