Auszug aus dem Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 05.04.2019
Sehr geehrte Damen und Herren,
anliegend übersende ich den Referentenentwurf der Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (Anlage). Der Entwurf ist von der Leitung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) gebilligt, innerhalb der Bundesregierung aber noch nicht abgestimmt.
Die Änderungsverordnung verfolgt mehrere Ziele. Im Anhang der ArbMedW soll ein neuer Angebotsvorsorgeanlass für Tätigkeiten mit intensiver Belastung durch natürliche UV-Strahlung (ab einer Stunde) ergänzt werden. Damit soll der Schutz der Beschäftigten an den Stand der Arbeitsmedizin und an die Entwicklungen im Berufskrankheitenrecht angepasst werden. Ziel ist es, arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen durch natürliche UV-Strahlung zu vermeiden oder zu minimieren und die hohe Zahl an Berufskrankheiten mit Hilfe von präventiven Maßnahmen künftig zu reduzieren. Die individuelle Aufklärung, Beratung und gegebenenfalls Untersuchung der Beschäftigten im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorge ist ein wichtiger Beitrag zur Prävention. Maßgeblich für die Gefährdung ist die Belastung durch natürliche UV-Strahlung. Tätigkeiten im Freien müssen nicht zwangsläufig mit einer intensiven UV-Belastung verbunden sein (z.B. bei Beschattung durch Baumbestand). Technische und/oder organisatorische Arbeitsschutzmaßnahmen (z.B. Sonnensegel, Verlagerung der Arbeitszeit) können für eine Minimierung der Gesundheitsgefährdung durch schädliche UV-Strahlung sorgen. Im Zusammenhang mit der Angebotsvorsorge wird daher in einem zusätzlichen Satz die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Minimierung von Gesundheitsgefährdungen bei der Arbeit nach §4 Nummer 1 des Arbeitsschutzgesetzes konkret auf die Belastung durch natürliche UV-Strahlung bezogen. Klarstellungen zur ganzheitlichen arbeitsmedizinischen Vorsorge sollen Rechtssicherheit schaffen und zugleich die praktische Umsetzung erleichtern und fördern. Für Tätigkeiten mit Hochtemperaturwollen wird ein Redaktionsversehen beseitigt. Für weitere Einzelheiten verweise ich auf die Begründung in der Anlage.
Fast 12 500 anerkannte Berufskrankheiten der BK 5103 in nur drei Jahren (2015–2017) sind die Folge von zu wenig Prävention in der Vergangenheit. Es ist notwendig, diese Präventionslücke schnell zu schließen und den Schutz der Beschäftigten zu verbessern. Auch die Fachwelt erwartet die Anpassung der ArbMedW zum Sommer 2019. Der Entwurf soll am 15. Mai 2019 im Kabinett beraten werden. Angestrebt wird die letzte Plenumssitzung des Bundesrates vor der Sommerpause am 28. Juni 2019. Deshalb bitte ich um Mitteilung einer etwaigen Stellungnahme bis zum 25. April 2019 per E-Mail an iiib1@bmas.bund.de [...]
i.A. Rita Janning
Stellungnahme der DGAUM vom 23.04.2019
Die DGAUM ist die wissenschaftliche ärztliche Fachgesellschaft der Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. Die Stellungnahme bezieht sich daher ausschließlich auf wissenschaftliche Inhalte und lässt andere Überlegungen, wie sozioökomische oder standespolitische unberücksichtigt.
UV-Strahlung ist ein physikalisches, komplettes Humankanzerogen (Inition, Progression, Promotion). Für den Umgang mit kanzerogenen Arbeitsstoffen werden seit 2005 Expositions-Risiko-Beziehungen beschrieben und daraus Maßnahmen abgeleitet (TRGS 910). Dieses Konzept lässt sich auch auf die Risiken bei physikalischen Einwirkungen übertragen. Es lässt sich dabei ein Toleranzrisiko bei einer UV-Exposition von 138,6 SED/Jahr berechnen. Diese Dosis wird in der Regel bei allen regelmäßig im Freien Tätigen überschritten (gemessen: bis 581 SED/Jahr bei Kanalbauern). In anderen Bereichen der Industrie wäre eine derartige Überschreitung der Toleranzgrenze – für Gefahrstoffe – an Arbeitsplätzen nicht zulässig.
In der Regel ist eine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge dann angezeigt, wenn Grenzwerte nicht eingehalten werden. Im Fall von kanzerogenen Arbeitsstoffen löst bereits die Überschreitung der Konzentration beim Akzeptanzrisiko eine Pflichtvorsorge aus (AMR 11.1). Die Aufnahme der Exposition gegenüber natürlicher UV-Strahlung in die ArbMedVV und die dadurch angezeigte ausschließliche Angebotsvorsorge ist somit mit dem Schutzkonzept bei Exposition gegenüber chemischen Kanzerogenen nicht vereinbar.
Als Argument gegen eine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge bei im Freien Beschäftigten wurde immer wieder das Angebot der kassenärztlich durchgeführten „Hautkrebsvorsorgeuntersuchung“ herangezogen. Bei diesen Untersuchungen handelt es sich jedoch um keine Vorsorge-, sondern um eine Krebsfrüherkennungsuntersuchung. Die arbeitsmedizinische Vorsorge muss hingegen weit vor der Krebsentstehung, also bereits bei Aufnahme der Tätigkeit im Freien ansetzen und beinhaltet mehr als eine Untersuchung. Die Beratung muss individuell erfolgen den Lichttyp sowie Vorerkrankungen und Medikamente berücksichtigen. Das Untersuchungsangebot sollte eine Inspektion der lichtexponierten Hautareale beinhalten, insbesondere Rötung und Bräunung (Verhalten) und suspekte Muttermale (Risikofaktor) erfassen und dem zu Untersuchenden die sich daraus ergebenden Konsequenzen erläutern. Eine ausschließliche Krebsfrüherkennungsuntersuchung hat demgegenüber erst nach jahrzehntelanger Exposition eine rational begründbare Berechtigung.
Die Veranlassung einer Pflichtvorsorge, beispielsweise bei Beschäftigten, die in den Sommermonaten während der Mittagszeit im Freien der UV-Exposition ausgesetzt sind, könnte der Arbeitgeber durch organisatorische und technische Maßnahmen umgehen und damit einen wichtigen Beitrag zur primären Verhältnisprävention leisten.
Prof. Dr. H. Drexler für den Vorstand der DGAUM