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Stellungnahme der DGAUM für das Bundesverfassungsgericht

Masernschutzgesetz

Am 1. März dieses Jahres ist das so genannte Masernschutzgesetz in Kraft getreten. Gegen dieses Gesetzt wurden mehrere Verfassungsbeschwerden eingereicht. Der DGAUM wurde vom Bundesverfassungsgericht als sachkundige Dritte nach § 27a BVerfGG die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, die wie folgt lautet:

  • Die DGAUM vertritt als wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft das Arbeitsgebiet Arbeitsmedizin und klinische Umweltmedizin in Wissenschaft, Forschung und ärztlicher Versorgung. Mit dem in Deutschland üblichen Facharztstandart in der medizinischen Versorgung geht eine (Selbst-)Begrenzung auf das vorbenannte Fachgebiet sowie damit eine inhärente Konzentration auf Fragen an den Schnittstellen zwischen ambulanter Versorgung, präventiver Gesundheitsförderung, arbeitsmedizinischer Vorsorge und berufsfördernder Rehabilitation einher. Zentral für Betriebsärzte (d.s. FA für Arbeitsmedizin sowie FA anderer Fachgebiete mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“) sind dabei neben der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz zur Erhebung von objektiv feststellbaren Gesundheitsgefahren ebenfalls evidenzbasierte medizinische Präventionspfade und Versorgungswege in der betrieblichen Verhältnis- und individuellen Verhaltensprävention. Zur Bedeutung der betriebsärztlichen Gefährdungsbeurteilung auch unter aktuellen Pandemie-Bedingungen vgl. das Posi­tionspapier des Ausschusses für Arbeitsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales:
  • www.baua.de/DE/Aufgaben/Geschaeftsfuehrung-von-Ausschuessen/AfAMed/Betr…

  • Schutzimpfungen auch durch Betriebsärzte zählen zu den wichtigsten und wirksamsten medizinischen Präventionsmaßnahmen, die uns heute zur Verfügung stehen. Impfungen verhindern sowohl schwere Erkrankungen als auch die Verbreitung von Krankheitserregern und sind deshalb als ein integraler Bestandteil der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung in Unternehmen anzusehen. Informationen zur Evidenz von Schutzimpfungen; siehe
  • www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Bedeutung/Schutzimpfungen_20_Einwae…

  • Gesunde Beschäftigte sind langfristig leistungsfähig und tragen zum Erfolg eines Unternehmens bei. Daher gehören im Kontext des Arbeitsschutzes Impfungen schon lange zu adäquaten Präventionsmaßnahmen, die durch die Arbeitgeber im Wege der arbeitsmedizinischen Vorsorge als Pflicht-, Angebots- oder Wunschvorsorge ermöglicht und finanziert werden müssen, wenn durch eine Gefährdungsbeurteilung ein erhöhtes Gesundheitsrisiko am Arbeitsplatz belegt ist. Erkenntnisleitend sind hier die „Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge ArbmedVV (2013)“, siehe u.a.:
  • www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsschutz/Arbeitsmedizinische-Vorsorge/arbeit…

    sowie die Informationen des Bundes­ministeriums für Arbeit und Soziales „Impfungen als Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge (2019)“,siehe:

    www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a457-impfungen-al…

  • Mit dem 2015 in Kraft getretenen „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“, kurz: Präventionsgesetz, hat der Gesetzgeber darüber hinaus die Möglichkeit geschaffen, dass all jene Beschäftigten, die am Arbeitsplatz keinem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind, so dass der Arbeitgeber für Impfungen in der Kostenpflicht steht, ebenfalls durch Betriebsärzte am Arbeitsplatz geimpft werden können. Die Kosten dafür haben nach § 132 e SGB V die Unternehmen der Gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen. Ziel des Gesetzgebers war es, ganz gezielt das mit über 43 Millionen Beschäftigten größte Präventionssettings in unserer Gesellschaft, die Lebens- und Arbeitswelt in Unternehmen und Betrieben, sowohl unmittelbar für eine Verbesserung des individuellen als auch mittelbar des gesellschaftlichen Schutzes von Gesundheit zu nutzen, um objektiv bestehende Impflücken in der Bevölkerung zu schließen. Die Regelungen des Präventionsgesetzes bieten den Beschäftigten einen unmittelbaren und praktischen Mehrwert: Mit der Impfung am Arbeitsplatz durch Betriebsärzte kann oftmals der Gang zum Hausarzt für eine Impfung entfallen. Daher verhandelt die DGAUM seit vielen Jahren mit Unternehmen der GKV Verträge nach § 132e SGB V, damit Betriebsärzte Beschäftigte am Arbeitsplatz zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen impfen und abrechnen können; siehe dazu:
  • www.dgaum.de/themen/impfungen-durch-betriebsaerzte/

  • Im Kontext der hier zu entscheidenden Verfassungsbeschwerden ist es uns ein Anliegen, nochmals auf die in den Punkten 1 bis 4 beschriebenen Rahmenbedingungen für Schutzimpfungen hinzuweisen: Aus arbeitsmedizinischer und betriebsärztlicher Sicht sind die Bedeutung und die Beurteilung von Schutzimpfungen unter der Verhältnismäßigkeit sowohl von Persönlichkeitsschutz und Individualprävention als auch aus der Perspektive eines notwendigen Arbeitsschutzes sowie Dritt- und Bevölkerungsschutzes zu beurteilen. Selbst wenn eine Person für sich selbst das Schutzbedürfnis und die Integrität der eigenen Person dergestalt in Anspruch nehmen will, dass Impfungen als adäquate Maßnahmen der gesundheitlichen Primärprävention abgelehnt werden, kann es zu Situatio­nen kommen, in denen allein schon aus Gründen des Arbeitsschutzes notwendige Impfungen einzufordern sind. Gerade im Gesundheitsbereich und im Versorgungskontakt von Angehörigen des medizinischen und pflegenden Personals sind solche Situationen besonders nachvollziehbar. Hier steht der Arbeitgeber in der Pflicht, mögliche aus der beruflichen Tätigkeit resultierende erhöhte Gefahrenpotenziale und daraus möglicherweise resultierende Krankheitsfolgen für die Beschäftigten frühzeitig abzuwenden, indem etwa der Impfstatus der Beschäftigten bei Aufnahme der Tätigkeit erhoben und im Wege der arbeitsmedizinischen Vorsorge einem kontinuierlichen Controlling unterworfen wird. Für sich selbst, aus Gründen des Persönlichkeitsrechts, mag ein einzelner Beschäftigter eine Impfung ablehnen, allerdings wird man dann nur schwerlich im unmittelbaren Patientenkontakt eingesetzt werden können. Vielmehr ist es dann hinzunehmen, vom Arbeitgeber arbeitsschutzbedingt in einen patientenfernen Bereich versetzt zu werden.
  • Unschwer wird hier der Bezug ebenfalls zu Aspekten des Dritt- bzw. Bevölkerungsschutzes evident, wie dies in den Regelungen im sog. Infektionsschutzgesetz dokumentiert ist: „Zweck des Gesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu
    verhindern.“ Das dort mit §§ 20 ff. IfSG verortete Ziel von Schutzimpfungen ist es, mit Schutzimpfungen als verhältnismäßigen und angemessenen Präventionsmaßnahmen für eine Sozietät eine umfassende Schutzoption zu ermöglichen (Stichwort: „Herdenimmunität“), um Infektionskrankheiten wie u. a. Influenza, Masern, Covid-19, sowohl medizinisch als auch (gesundheits-) ökonomisch beherrschbar werden zu lassen. Wie wichtig dies ist, haben uns die Ereignisse in der aktuellen Covid-19-Pandemie gerade in den letzten Monaten gelehrt. Ohne Impfstoff gegen das SARS-Cov-2-Virus zeigen sich unsere Gesellschaften kaum gerüstet sowohl in der adäquaten medizinischen Versorgung von erkrankten Menschen als auch in der sozioökonomischen Beherrschung jener Folgen, die mit der Pandemie einhergehen und weit in unser Gesellschafts-, Wirtschafts- und Bildungssystem hinein reichen. Vor diesem Hintergrund mag es vielleicht zumutbar erscheinen, dass das Rechtsgut der individuellen Persönlichkeitsrechte zurückzutreten hat vor dem Respekt für die menschliche Gemeinschaft. Denn gänzlich ohne diese kann ein Individuum das eigene Überlegen und Sein kaum sichern. Es bleibt im Grunde angewiesen - sowohl biologisch als auch sozial - auf andere Menschen. Und hier entfaltet sich genau die Erkenntnis, die uns lehrt, dass die eigene Freiheit dort enden muss, wo die Freiheit eines anderen Menschen beginnt.
  • Prof. Dr. med. Hans Drexler
    Präsident der DGAUM

    Dr. phil. Thomas Nesseler
    Hauptgeschäftsführer DGAUM

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