In Zeiten von Corona-Pandemie und Klimawandel bestimmen unterschiedliche Schwerpunkte den wirtschafts- und den gesellschaftspolitischen Diskurs. Wirtschaftspolitisch wird die Diskussion durch die Begriffe Globalisierung, zunehmenden Wettbewerb, digitale Transformation und Strukturwandel fokussiert, gesellschaftspolitisch gewinnt durch Aktivitäten auf UN- und EU-Ebene sowie der Regierungsbildung in Deutschland der Begriff der Nachhaltigkeit stärker an Bedeutung. Organisationen (Unternehmen, Behörden, Betriebe etc.) stehen vor der Frage, wie sie ihre Strategien, Strukturen, Prozesse sowie ihre Kultur gestalten können, um den beschriebenen Entwicklungen erfolgreich und flexibel zu begegnen. Der Schwerpunkt dieses Hefts untersucht die eng miteinander in Beziehung stehenden Fragen wie Organisationen einerseits sowie Management- und Führungsprozesse andererseits in der Arbeitswelt von heute und morgen aufgestellt sein müssen. Die beiden wissenschaftlichen Beiträge stellen wichtige aktuelle Erkenntnisse in diesem Kontext vor und bieten insofern eine Einleitung für die vier folgenden Praxisbeiträge. Diese zeigen u. a., wie erfolgreiche Unternehmen die übergreifenden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskurse aufgreifen und neue arbeitspolitische Leitbilder etablieren.
Im ersten wissenschaftlichen Beitrag skizzieren Corinna Weber und Mirko Ribbat das Konzept agiler Organisationen und agiler Arbeitsweisen und bieten insofern einen Überblick über Charakteristika von Organisationen, die sich flexibler aufstellen möchten. Auf Basis sehr verschiedener Organisationen (Größe, Branche) wird deutlich, dass Aspekte wie Orientierung, Wertebasierung, Mitarbeiterbeiligung, Transparenz und Vertrauen eine zentrale Rolle spielen, wenn mehr Flexibilität und Eigenverantwortung in den Teams und bei den Beschäftigten umgesetzt werden sollen. Dies erfordert vor allem eine wertebasierte Haltung der Unternehmensleitung und der Führungskräfte, die diese Aspekte konsistent unterstützen und umsetzen.
Um der großen Bedeutung des Verhaltens und des Rollenbeispiels von Management und Führungskräften Rechnung zu tragen und zu spezifizieren, welche Führungsstile den höheren Flexibilitätsanforderungen angemessen Rechnung tragen können, beleuchten im zweiten wissenschaftlichen Beitrag Astrid Emmerich und Thomas Rigotti die Charakteristika der so genannten „transformationalen“ und „authentischen“ Führung. Die Führungsstile werden erklärt und ihr Einfluss auf wichtige Aspekte wie Arbeitsengagement und Arbeitszufriedenheit auf der Basis von fast 2000 Beschäftigten längsschnittlich untersucht. Beide Führungsstile konnten das Gefühl von Autonomie als einer der wichtigsten Ressourcen im Arbeitskontext erhöhen und Arbeitszufriedenheit steigern.
Der erste Praxisbeitrag von Anna Yona, Leiterin des Unternehmens Wildling Shoes, stellt ein Unternehmenskonzept vor, das im Hinblick auf flexible Arbeitsweisen bereits eine Vielzahl von Aspekten umsetzt. Das Unternehmen legt einen starken Fokus auf soziale Nachhaltigkeit nach innen und ökologische Zielstellungen nach außen. Die Unternehmensleitung legt großen Wert auf flexible Arbeitsformen zur Verbesserung von Vereinbarkeitsaspekten und zum Beitrag zu Klimazielen, auf Vertrauen, Fairness und Kooperation, auf Klarheit und Transparenz sowie auf eine Kultur der kritischen Reflexion auf allen Ebenen.
Auch der Beitrag von Klaus Pelster von der Siemens AG greift die Nachhaltigkeit auf. Der Autor betont, dass die Covid-Pandemie die Anforderungen an maßgeschneiderte Konzepte im Arbeits- und Gesundheitsschutz noch einmal geschärft hat. Dies erfordert die Integration von betrieblichem Gesundheitsmanagement in die Linienprozesse und entsprechend die enge Zusammenarbeit mit der Führung in diesem Kontext, so dass die Bereiche Arbeits- und Gesundheitsschutz einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens beitragen können.
Flexible Organisations- und Arbeitsformen in der digitalisierten Arbeitswelt erfordern mehr Eigenverantwortlichkeit in den Teams und bei den Beschäftigten. Der Beitrag von Uwe Ohl und Thomas Koppe der Firma Merck KGaA stellt dar, welche neuen Kompetenzen in diesem Zusammenhang notwendig sind und wie das Unternehmen diese Kompetenzen im Ausbildungskonzept berücksichtigt. Das Konzept „Neugier“ spielt dabei eine zentrale Rolle in der Personalauswahl und der Umsetzung der Ausbildung.
Bereits in einem der wissenschaftlichen Beiträge wird auf die besondere Bedeutung von Führung im Hinblick auf die Umsetzung flexibler Organisationskonzepte und Arbeitsweisen sowie für das Wohlbefinden der Beschäftigten hingewiesen. Wenig Augenmerk wird in der Forschung allerdings auf die Gesundheit und das Wohlergehen der Führungskräfte selbst gelegt. Der Beitrag von Anja Wittmers und Kai Klasmeier greift diese Lücke auf und skizziert, wie die Organisation durch die Gestaltung von Rahmenbedingungen und individuelle Angebote an Führungskräfte diese als besonders wichtige Beschäftigtengruppe unterstützen kann.
Dr. phil. Birgit Thomson
Dr. rer. pol. Dipl.-Soz. Götz Richter
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund
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