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Gewaltunfälle im Gesundheitswesen

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Gewaltunfälle spielen in einigen Branchen eine viel größere Rolle als in anderen. Vierzig Prozent der im Berichtszeitraum 2017 bis 2021 bei der DGUV gemeldeten Gewaltunfälle am Arbeitsplatz sind allein dem Wirtschaftsbereich Gesundheits- und Sozialwesen zuzuordnen. In einer von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) beauftragten Studie gaben knapp 80 % der rund 2000 befragten Beschäftigten aus Altenpflege, Krankenhäusern und Behindertenhilfe an, in den letzten zwölf Monaten am Arbeitsplatz Gewalt erlebt zu haben.

Entscheidend für den betrieblichen Umgang mit Gefährdung durch Gewalt ist der Dreiklang von (1) Primärprävention vor dem Ereigniseintritt, von (2) Sekundärprävention, also Schutzmaßnahmen während eines Gewaltereignisses, und den Regelungen, die für die Zeit nach dem Vorfall, getroffen wurden. Dazu gehört auch (3) die Tertiär­prävention, die eine Verschlimmerung der gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen eines Übergriffs verhindern soll. An diesem Dreiklang orientieren sich auch die folgenden Artikel des vorliegenden Schwerpunktheftes.

Mit den präventiven Möglichkeiten, Gewaltereignisse zu verhindern oder deren negative Folgen für die Beschäftigten zu reduzieren, befassen sich gleich mehrere Artikel. Eine Anleitung zur Gefährdungsbeurteilung für Gewaltereignisse unter aktiver Einbeziehung der betroffenen Beschäftigten beschreiben Pamela Ostendorf und Julia Ludwig-Hartmann, die als Organisationsberaterinnen der BGW umfassende Erfahrungen mit der Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen in Gesundheitsbetrieben sowie mit der Implementierung einer systematischen Arbeitsschutzorganisation haben.

Eine zentrale Maßnahme zur Gewaltprävention ist das Deeskalationsmanagement, das unter anderem das regelmäßige Training gefährdeter Beschäftigtengruppen in Deeskalationstechniken beinhaltet. Die Anforderungen an ein konsequentes und wirksames Deeskalationsmanagement beschreibt Claudia Vaupel, die als Forschungsreferentin bei der BGW tätig ist.

Ein besonderes Gefährdungspotenzial für Gewalt gegen Beschäftigte besteht in Notfallaufnahmen von Kliniken. Teilweise lange Wartezeiten, besorgte und verunsicherte Angehörige, herausfordernde Krankheitsbilder sind der Nährboden für häufig eskalierende Situationen. Rahwa Gebrekiros und Lisa Bein, beide Aufsichtspersonen der BGW, stellen zehn Mindeststandards vor, die jede Klinik mit einer Notaufnahme vorhalten müssen, um ihre Beschäftigten angemessen zu schützen.

Wie Gewaltprävention in einer Klinik erfolgreich umgesetzt wurde, welche Wege dafür beschritten wurden und wie Führungskräfte überzeugt werden konnten, zeigt Jörg Ferber als zuständige Fachkraft für Arbeitssicherheit an einem Beispiel aus Bremen. Diese Klinik hat unter anderem im Jahr 2023 den BGW-Gesundheitspreis erhalten.

Die Folgen von Gewaltereignissen können für die betroffenen Beschäftigten mit massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden sein, die in einigen Fällen sogar zur Aufgabe des Berufs führen. Welche Leistungen und frühen Hilfen für diese Fälle die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zur Verfügung stellen und wie die Meldungen dafür erfolgen, schildern Sebastian Scholz als Rehabilitationsexperte der BGW und Hanna Huxholl, mit ihrer Erfahrung als Referentin für arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren bei der DGUV.

Mit Gewalt als zentralem Thema im Arbeitsschutz an Kliniken eines großen Trägers beschäftigt sich das folgende Interview. Maria Helbig und Paul Bäcker vom Mitteldeutschen Institut für Arbeitsmedizin erläutern darin an einem Beispiel, wie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie aussehen kann.

Je nach Branche und Tätigkeiten sind die Häufigkeit und Art von Aggression und Gewaltereignissen unterschiedlich ausgeprägt. Auch die Auswirkungen auf die Gesundheit unterscheiden sich nach Tätigkeitsgruppen. Diese Zusammenhänge werden im Wissenschaftsteil in der Originalarbeit von Clara Picker-Roesch et al. erläutert und diskutiert.

Aktuelle Zahlen, Daten und Fakten finden sich im Bericht „Gewalt und Aggression in den Branchen der BGW“, der regelmäßig aktualisiert wird. Er bietet Arbeitsschutzakteuren einen guten Überblick über Unfalldaten und Forschungsergebnisse. Den Bericht zum Betrachtungszeitraum 2018–2022 hat die Forschungsreferentin der BGW Madeleine Dulon mit ihrem Autorenteam im wissenschaftlichen Teil der Ausgabe zusammengefasst.

Ein oft unterschätzter Aspekt von Gewalt gegen Beschäftigte im Gesundheitswesen ist die sexualisierte Gewalt, die sich verbal, nonverbal, aber auch in körperlichen Übergriffen äußern kann. Einen Überblick der Studienergebnisse zur Häufigkeit von sexualisierter Gewalt und zu den Folgen für die Betroffenen stellt Mareike Adler, Forschungsreferentin der BGW, vor.

Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen beschreiben Gewalt am Arbeitsplatz häufig als „normal“ oder Teil des Jobs. Sie wird oft als systemimmanent akzeptiert. Das Erleben von Überforderung aufgrund von Gewaltereignissen betrachten viele Beschäftigte als Versagen oder mangelnde Professionalität. Wichtig ist, persönliche Schuldzuschreibungen zu vermeiden, Gewalt und das Erleben von Überforderung zu enttabuisieren, Gewaltvorfällen systematisch vorzubeugen und Unterstützung anzubieten.

Jede Person hat das Recht, sich an seinem Arbeitsplatz sicher zu fühlen und fair und mit Respekt behandelt zu werden, heißt es in der Hamburger Erklärung der International Social Security Association (ISSA) von 2015. Impulse dafür, wie eine betriebliche Präventionskultur entstehen kann, in der dieses Recht zum Tragen kommt, enthält dieses Schwerpunktheft.

Ihre

Sabine Gregersen

Fachbereichsleiterin Gesundheitswissenschaften der BGW

Heike Schambortski

bis Oktober 2024 Leitende Präventionsdirektorin der BGW

Dr. phil. Heike Schambortski, Dipl.-Psych.

Foto: BGW/Stefan Floss

Dr. phil. Heike Schambortski, Dipl.-Psych.