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Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

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Vor genau zehn Jahren wurden in § 5 des Arbeitsschutzgesetzes die psychischen Belastungen als Gefährdung explizit aufgenommen. Die psychischen Gefährdungen müssen seitdem neben den anderen Gefährdungsgruppen ein Aspekt bei der Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsbedingungen sein. Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) hat die Gestaltungsbereiche (ehemals „Merkmalsbereiche“) bei der Gefährdungsbeurteilung mit „Arbeitsaufgabe“, „Arbeitsorganisation“, „Arbeitszeit“, „Arbeitsmittel“ und „Arbeitsumgebung“ sowie „Soziale Beziehungen“ konkretisiert.

Seit 2013 haben die psychischen Belastungen, besonders jene, die Gefährdungen darstellen, mehr Aufmerksamkeit erhalten als zuvor. Allerdings ist die Integration der psychischen Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung noch nicht in allen Betrieben in Deutschland selbstverständlich. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) konstatierte im Jahr 2020: „Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastung liegen bislang nur in einer Minderheit der Betriebe vor. In kleinen Betrieben wird mehrheitlich gar keine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt, aber auch in vielen großen Betrieben bleiben psychosoziale Risiken in der Gefährdungsbeurteilung häufig außen vor“ (Beck u. Schuller 2020, S. 1).

Um die Betriebe zu unterstützen, haben sich auf dem freien Markt viele Anbieter für die Unterstützung bei der oder sogar zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung etabliert. Dieser Markt ist schwer überschaubar, Qualitätskriterien für die Auswahl eines Anbieters existieren nicht. Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte sehen sich innerbetrieblich oftmals nicht für dieses Thema zuständig oder nicht kompetent.

Auch in der Sekundär- und Tertiärprävention ist die Berücksichtigung der psychischen Belastungen wichtig. Dies betrifft sowohl psychische Beeinträchtigungen als auch psychosomatische Probleme. Hier fehlen oft funktionierende Schnittstellen zu Haus- und Fachärzten sowie zu Psychotherapeuten. Mit diesem Thema befasst sich der erste Beitrag in diesem Heft von Dirk Windemuth und Volker Harth. Sie zeigen an drei Beispielen, warum diese Schnittstellen unbedingt verfügbar sein und genutzt werden müssen, um Prävention effektiv zu gestalten. Sie untermauern ferner die These, dass die Verwendung des Begriffs „Psychische Gesundheit“ den Fokus beim Thema psychische Belastung ausschließlich auf solche Gefährdungen legt, die an der Entstehung von psychischen Störungen beteiligt sein könnten.

Die Bedeutung psychischer Belastungen in der Psychosomatik belegt auch der nachfolgende Artikel von Julia Schiegl et al. zur Bedeutung der psychischen Belastungen (u. a. am Arbeitsplatz) an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerz sowie ihrer Relevanz bei der multimodalen Schmerztherapie. Zwar steht die
indizierte orthopädische Behandlung im Zentrum der Betrachtung, psychische Belastungen als Kontextfaktoren werden aber ganz selbstverständlich be­achtet.

Dem Aspekt der Psychoso­matik widmet sich auch der Beitrag: Wolfgang und Volker Harth verdeutlichen in ihrem Beitrag insbesondere die enge Beziehung zwischen Psyche und Haut bei der Entstehung psychodermatologischer Erkrankungen und betonen die interdisziplinären, ganzheitlichen Behandlungsansätze dieser Krankheitsbilder und insbesondere die Rolle des Hautarztverfahrens, das es den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern ermöglicht, im Rahmen der arbeitsmedizinische Vorsorge dem Entstehen einer Berufskrankheit individuell vorzubeugen.

Anita Tisch stellt in ihrem Beitrag die konkreten Veränderungen durch den Wandel der Arbeit mit seinen Konsequenzen insbesondere für die psychische Belastung vor. Damit steckt sie den groben Rahmen auch für den folgenden Artikel ab und gibt zugleich erste Hinweise für die Arbeitsgestaltung, um die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen oder sogar zu fördern.

Rolf Taubert zeigt anhand eines konkreten Fusionsprozesses, wie ein Neuorganisationsprozess zu negativ wirkenden psychischen Belastungen führen kann. Taubert verdeutlicht dies anhand eines Pilotprojekts in einem berufsgenossenschaftlichen Geschäftsbereich als, wie der Autor betont, Erfahrungsbericht und zeigt Strategien auf, wie psychischen Belastungen im Rahmen des Change-Managements präventiv begegnet werden kann.

Lea Dohm und Stefanie Bühn geben einen Überblick über das aktuelle Wissen beim hochaktuellen Thema der Klimawandelfolgen im Bereich von psychischer Belastung, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Dabei wird nicht nur deutlich, was individuell und betrieblich zur Prävention getan werden kann – die Autorinnen stellen auch vor, wie psychische Beeinträchtigungen aus dem Klimawandel resultieren können und wie das individuelle oder gemeinsame Handeln im Betrieb auch zur Stärkung der Gesundheit beitragen
kann.

Im Unfallgeschehen, hier speziell bei der arbeitsbedingten Mobilität, spielen psychische Belastungen sogar eine zentrale Rolle für die Unfallverursachung. Dies belegt die Übersichtsarbeit von Yannic Mohr und Rüdiger Trimpop im wissenschaftlichen Teil dieser Ausgabe. Daraus wird deutlich, dass dieses in Betrieben sehr oft vernachlässigte Thema beachtet werden muss, um der Todesursache Nr. 1 in der Arbeitswelt vorzubeugen. Mit GUROM wird ein frei zugängliches Tool zur Gefährdungsbeurteilung und Risikobewertung organisationaler Mobilität vorgestellt. Dieses Tool liefert den Anwendern neben der Risikoanalyse konkrete und empirisch als effektiv belegte
Vorschläge für Maßnahmen zur Risikominimierung.

Auf die möglichen Folgen für die Gesundheit durch die digitale Transformation in der Arbeitswelt weisen Tanja Wirth und Stefanie Mache in ihrem Übersichtsartikel hin. Im Zuge des digitalen Wandels sind vielfältige, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffende sowie arbeitsorganisatorische, technische und datenschutzrechtliche Aspekte zu bedenken, die im Rahmen eines ganzheitlichen Change-Managements gestaltet werden sollten. Die Autorinnen identifizieren in ihrem Beitrag darüber hinaus Faktoren, die eine Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung des Digitalisierungsprozesses in Unternehmen darstellen und geben Hinweise, welche Unterstützungsfaktoren helfen können, die Beschäftigten durch den digitalen Transformationsprozess zu begleiten.

Wir möchten allen Autorinnen und Autoren für die interessanten Beiträge zu dieser Ausgabe danken und hoffen, dass Leserinnen und Leser viele hilfreiche Hinweise für ihre berufliche Praxis erhalten, wie möglichen psychischen Belastungen vor dem Hintergrund der zahlreichen Herausforderungen an die zukünftige Arbeitswelt präventiv begegnet werden kann.

Literatur

Beck D, Schuller K: Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in der betrieblichen Praxis. Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus einem Feldforschungsprojekt. baua: Bericht kompakt, 1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2020 (DOI: 10.21934/baua:berichtkompakt20200115).

Dirk Windemuth

Institut für Arbeit und ­Gesundheit (IAG) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Dresden

Thomas Behrens

Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA)

Prof. Dr. Thomas Behrens

Foto: Bernd Naurath / IPA

Prof. Dr. Thomas Behrens