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Totgesagte leben länger

Eine Arbeitsgruppe des „Hennefer Kreises“ der DGUV, einem Gremium aus Geschäftsführern und Leitungskräften der Prävention der Berufsgenossenschaften, hat in den letzten Monaten ihre Gedanken veröffentlicht, wie es mit der Arbeitsmedizin in Deutschland weitergehen würde. Ausgehend von den regelmäßigen Veröffentlichungen der Bundesärztekammer zur Fach-arztsituation in Deutschland, die rund 12 000 Arbeits- und Betriebsmediziner aufweist, be-reinigt um eine demografische Komponente, nach der mehr als 50 % dieser Zahl in den nächsten fünf Jahren in den Ruhestand ge-hen könnte, und basierend auf einer Unter-suchung der BAuA zum arbeitsmedizinischen Betreuungsbedarf in Deutschland, die statt der 200 pro Jahr gemeldeten Neuanerkennungen zum Facharzt mehr als 630 für eine Mindestbetreuung in Deutschland berechnet hat, machen sich die Unfallversicherungsträger größte Sorgen um den Fortbe-stand des medizinischen Arbeitsschutzes in Deutschland. Betrachtet man nun auch die neuen Aufgaben des Präventionsgesetzes, die auch Gesundheitsuntersuchungen und Impfungen in der Hand des Betriebsarztes sehen und die dort verankerte Beteiligung der Betriebsärzte in betrieblichen Projekten der Gesundheitsförderung, so spricht die DGUV von einer „Betreuungslücke“, die „konzertierte Anstrengungen aller Stake-holder zur Nachwuchssicherung sowie neue Wege kooperativer, effizienter Leistungserbringung notwendig“ macht.

Neben der Verstärkung der alternativen Betreuung nach dem Unternehmer-modell schlägt der Hennefer Kreis nicht nur mehr Delegation, sondern auch Kooperationen und Substitution durch andere (medi-zinische Laien-)Professionen vor. Flächendeckend könnten gemeinsame Kompetenzzentren der Unfallversicherer im Rahmen der Umlagefinanzierung nach dem Vorbild Österreichs entstehen (wobei offen ist, woher hierfür die Ärzte kommen sollen).

Ganz offen wird inzwischen auch der kom-plette Wegfall der Mindesteinsatzzeiten (20 % oder 0,2 Std. pro AN und Jahr) für die Betriebsärzte diskutiert, weil man ja in den Vorschriften keine Forderungen verankern könne, die von den Mitgliedern nicht erfüllt werden könnten. Dies klingt einerseits wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Sicherheitsfachkräfte, die ihren Aktionsradius einfach auf die medizinischen Themen ausweiten würden. Einige Hochschulen planen bereits die Einführung von Studiengängen Sifa-Plus, um diese Nachfrage befriedigen zu können. Andererseits könnten sich neben Arbeits-, Gesundheits- und Sportwissenschaftlern, Psychologen, Suchtberatern, Ergonomen und Hygienefachkräften bald auch arbeitslose Lehrer, Coaches und Berater aller Art dem Unternehmen andienen. Selbst für die Koordination der Professionen ist der Betriebsarzt entbehrlich: Die einen sehen hier den Unternehmer in der Pflicht, an anderer Stelle heißt es: „Grundsätzlich geeignet wären neben Personen, die die Betriebe beraten, auch die innerbetrieblichen Akteurinnen und Akteure, die sich um Sicherheit und Gesundheit kümmern.“ Ganz klar wird formuliert: „Eine Koordination kostet Zeit. Aus diesem Grund sind Pläne kontraproduktiv, die Koordination den Betriebsärzten zu übertragen …“. Der Betriebsarzt in Deutschland – ein Auslaufmodell?

Die vorgenannten Überlegungen sind leider sehr konkret und auch die Formulierungsvorschläge zur Anpassung der DGUVVorschrift 2 liegen bereits vor. Die scheinbare Vielfalt wird sogar noch als Stei-gerung der fachlichen Qualität gepriesen, da jede Profession Spezialwissen einbringen kann, das das der anderen ergänzt. Wohl dem Unternehmer, der bei all dem zugetragenen Spezialwissen noch auf einen der seltenen Betriebsarztspezies bauen kann, der ihm dann den Weg durch den Beraterdschungel zeigt.

Die vorliegende Ausgabe der ASU wird sich daher aus verschiedenen Perspek-tiven mit unserer beruflichen Situation be-fassen. Sie wird vielfältige Möglichkeiten aufzeigen, wie mit vernünftiger Delegation und zielgerichteter Kooperation ein Optimum zum Wohle des Betriebs erreicht werden kann, aber auch, welche Rahmenbedingungen zum Erhalt einer qualitativ hochwertigen Betreuung unerlässlich sind. Wir eröffnen hiermit eine Diskussion, die berufspolitisch intensiv auf allen Ebenen fort- und umgesetzt werden muss, wenn wir auch in den nächsten Jahrzehnten unsere Rolle als anerkannte Präventivmediziner im Setting Betrieb nicht aufs Spiel setzen wollen.

Eine nachdenkliche Lektüre wünscht Ihnen

Dr. med. Hanns Wildgans

Mitglied der Redaktion

Literatur

Barth C, Hamacher W, Eickholt C: Arbeitsmedizi-nischer Betreuungsbedarf in Deutschland, 1. Aufl. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2014.

Bundesärztekammer: Statistik 2014 Arbeitsmedizi-nische Fachkunde unter www.bundesaerztekammer.de/aerzte/versorgung/arbeitsmedizin/statistik/statistik-2014/

Eichendorf W et al.: Ärztinnen und Ärzte im Betrieb – Phänomen mit Seltenheitswert? DGUV Forum 2015; 4: 10ff.

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