SL: Zunehmend wird eine Vernetzung der kurativen Medizin durch niedergelassene ärztliche Kolleginnen/Kollegen und präventiv tätige Arbeitsmedizinerinnen/Arbeitsmediziner notwendig werden. Sehen Sie Möglichkeiten, um diesen Prozess zu verbessern?
Prof. Dr. med. Christoph Oberlinner: Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss alle Lebensbereiche mit einbeziehen. Vor allem bei der Primärprävention und Früherkennung von Erkrankungen müssen innovative Wege beschritten werden, um die Teilnahmequote an Präventionsmaßnahmen zu erhöhen. Dazu sollten die Menschen vor allem auch in den Lebenswelten (sog. „Settings“) angesprochen werden, in denen sie sich alltäglich bewegen.
Ziel einer im Betrieb angesiedelten Prävention und Gesundheitsförderung ist auch der „Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit“. Besonders im Hinblick auf die demografische Entwicklung mit einer im Durchschnitt älter werdenden Belegschaft und längeren Lebensarbeitszeiten werden diese Aspekte zunehmend wichtig.
Die Nähe der Mitarbeitenden zu den Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern ist für Präventionsmaßnahmen und Früherkennungsstrategien von (chronischen) Erkrankungen von Vorteil. Risikofaktorscreening und Früherkennung von Erkrankungen können (kosten)effektiv als Ergänzung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge angeboten werden. Zudem finden diese Untersuchungen in einem für Prävention idealen Altersabschnitt statt. Bei jährlich mehr als 5 Millionen untersuchten Beschäftigten besteht eine sehr gute Möglichkeit für eine relevante Früherkennungsrate beeinflussbarer gesundheitlicher Risiken für große Teile der arbeitenden Bevölkerung.
Neben der Früherkennung von Risikofaktoren und chronischen Erkrankungen ist es nachgelagert wichtig, den Mitarbeitenden geeignete zielgruppenspezifische und individuelle Präventionsmaßnahmen anzubieten. Auch eine enge Vernetzung mit den Haus- und Fachärztinnen und -ärzten zur Weiterversorgung und Therapie bei Bedarf ist entscheidend. Die Sektoren der Arbeitsmedizin und der kurativen Medizin arbeiten hierfür Hand in Hand.
Diese enge Vernetzung zwischen Prävention (Arbeitsmedizin) und kurativ tätigen Playern wird ab 2023 in einem neuen innovativen Konzept umgesetzt. In der BASF entsteht dafür ein neues „Medical Center“. Die Verzahnung der beiden Sektoren findet in einem gemeinsamen Gebäude statt. Dadurch werden optimierte Schnittstellen zwischen (arbeits-)medizinischer und externer fachärztlicher Versorgung ermöglicht. Eine nochmals deutliche Verbesserung der integrierten medizinischen Versorgung ist weiterhin durch die unmittelbare Nähe wichtiger Gesundheitsleistungen zum Arbeitsplatz gegeben.
Das Interview wurden von Herrn Professor Stephan Letzel anlässlich des 60jährigen Jubiläums der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) geführt und in der ASU-Ausgabe 04/2022 erstmals veröffentlicht.