SL: Brauchen wir zukünftig eine verstärkte Versorgungsforschung in der Arbeitsmedizin?
Univ.-Prof. Dr. med. Monika Rieger: Versorgungsforschung in der Arbeitsmedizin adressiert ein breites Spektrum von Fragestellungen. Der inhaltliche Bogen reicht von der Beforschung der Arbeitsbedingungen im Gesundheitsdienst einschließlich Effekte auf die Patientenversorgung bis zur Ausgestaltung und Inanspruchnahme gesundheitsbezogener Angebote im Betrieb oder der Schnittstelle zur kurativen Medizin oder Rehabilitation. Häufig geht es folglich um Aspekte des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Die Methoden und Studiendesigns sind hierbei angepasst unter anderem an die Beschreibung und Analyse der aktuellen Situation einschließlich Wandel in der Arbeitswelt, die Aufklärung von förderlichen und hinderlichen Faktoren, die Entwicklung und Implementierung von Interventionen und deren Evaluation. Projekte der Versorgungsforschung arbeiten heraus, wie die Gesundheit und Funktionsfähigkeit der Beschäftigten erhalten und damit auch die Qualität ihrer Arbeit zu unterstützt werden können.
Ausgehend von der umfassenden Aufklärung von Wirkzusammenhängen für erhöhte gesundheitliche Beanspruchung werden zunehmend hochwertige Interventionsstudien im Bereich der arbeitsmedizinischen Versorgungsforschung durchgeführt. Diese verfolgen beispielsweise das Ziel, die Umsetzung von Schutzmaßnahmen oder die Inanspruchnahme von Präventionsangeboten zu verbessern. Diese komplexen Interventionen erfordern besondere Studiendesigns.
In der Rückschau auf die vergangenen Jahre nehme ich eine deutliche Zunahme in der Anzahl, dem Themenspektrum und der methodischen Qualität der Versorgungsforschungsstudien in der Arbeitsmedizin wahr. Diese Entwicklung wurde auch durch umfangreiche Drittmittel, zum Beispiel aus der BMBF-Förderung „Forschungsverbünde zur Gesundheit in der Arbeitswelt“ oder im Rahmen des durch die BARMER ermöglichten Modellprojekts „Gesund arbeiten in Thüringen“, unterstützt. Zugleich sind diese breiten und in der Regel interdisziplinären Forschungsansätze meines Erachtens noch zu wenig im Rahmen des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung und auf dem Deutschen Kongress für Versorgungsforschung (DKVF) sichtbar.
Um auf die Frage zurückzukommen: Mit den vielfältigen Methoden der Versorgungsforschung können viele Fragen beantwortet werden, die sich durch den Wandel in der Arbeitswelt stellen. Entsprechend sollte die begonnene Entwicklung einer zunehmend ausdifferenzierten und breiten Versorgungsforschung in der Arbeitsmedizin fortgesetzt werden. Neben den erforderlichen methodischen Kompetenzen an den Hochschul- und Forschungseinrichtungen wird hierfür eine ausreichende Drittmittelförderung benötigt sowie die Anerkennung der Versorgungsforschung an den Fakultäten.
Das Interview wurden von Herrn Professor Stephan Letzel anlässlich des 60jährigen Jubiläums der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) geführt und in der ASU-Ausgabe 04/2022 erstmals veröffentlicht.