„I am an occupational physician, ruft der Mann in die Kamera, I am a Syrian“.
Seine Hautpigmentierung und Gesichtsphysiognomie weisen ihn aber eindeutig als Westafrikaner aus. Er quetscht sich durch die schmale Eingangstür eines IC, in der schon andere junge Männer stecken. Der gnadenlos überfüllte Zug steht im Bahnhof in Budapest und soll nach München fahren. An Bord befinden sich über eintausendfünfhundert Flüchtlinge. Vorher waren die in diesem Zug befindlichen Menschen – alles normal Reisende – aufgefordert worden, den Zug zu verlassen. Sie wurden auf anderweitige Eisenbahnverbindungen verwiesen.
Währenddessen wurden etwa zweieinhalbtausend Polizisten zu Grenzkontrollen abkommandiert. In den Nachrichten wurde kolportiert, dass sie in den letzten 24 Stunden 30 Schlepper und 100 illegal eingereiste Flüchtlinge gefasst hätten. Wir sind Syrer, behaupteten auch diese Menschen. Sie mussten als vermeintliche Asylanten aus dem Polizeigewahrsam entlassen werden und reihten sich in den großen, zehntausende Menschen umfassenden Flüchtlingstreck gen Norden ein. Der unbedarfte Zuschauer reibt sich verwundert die Augen. Wozu eine derartig aufwändige Polizeiaktion, wo doch der grenzüberschreitende Bahnverkehr ungehindert weiter geht?
Zurück zu unserem jungen Mann. Er hat einen roten Blouson an. Deswegen ist er am Münchener Hauptbahnhof in der aus dem Zug quellenden Menschenmasse gut zu erkennen. Der Reporter aus Budapest hatte seinen Kollegen in München informiert: Da kommt einer an, der vielleicht was zu sagen hat. Der Münchener Reporter schnappt sich den Mann und bittet ihn um ein Interview vor laufender Kamera.
Der Flüchtling radebrecht auf Englisch. Ja, er sei Arbeitsmediziner. Sein Name sei Isaak Miller, 32 Jahre alt. In Deutschland würden Ärzte gesucht, speziell Arbeitsmediziner, hätte ihm sein Freund erzählt, der selbst als Arzt in Deutschland arbeitet.
Wo er denn studiert und gearbeitet hätte, fragt der Reporter.
In Beirut.
Aber das liegt doch im Libanon.
Ja, ja.
In welcher Firma das denn gewesen wäre?
Keine Firma. Er hätte im Katastrophendienst mitgeholfen. Erstversorgung von Opfern durch Sprengstoffbomben.
Das sei aber doch im Libanon in den letzten Jahren weniger geworden.
Nein, die Taliban hätten ihre Selbstmordanschläge seit dem Abmarsch der Amerikaner verstärkt.
Die Taliban? Das ist aber doch eine afghanische Terrorgruppe.
Ja, eben. Außerdem wolle er seine Familie nachholen. Er habe zwei Frauen und fünf Kinder.
Und arbeiten – wie stellt er sich das in Deutschland vor?
Er würde überall hingehen, am liebsten München oder Berlin. Dort würden Freunde von ihm leben.
Ob er sich denn im Gesundheits- und Arbeitsschutz, so wie er in Deutschland praktiziert wird, auskennen würde?
Na klar, Erstversorgung, Wundversorgung, Reanimation, Verletztentransport, da hätte er reichlich Erfahrung, nicht nur am Phantom, sondern am lebenden Objekt.
Und mal wieder nach Syrien zurück, könne er sich das vorstellen?
Wieso nach Syrien?
Es kommen zwei freiwillige Helferinnen vorbei, die Herrn Miller eine Vespertüte und eine PET-Flasche Mineral-wasser überreichen. Sie haben Baumwollpullover an mit dem Aufdruck „Refugees are welcome“. Einige Flüchtlinge halten Bilder mit dem Konterfei der Bundeskanzlerin hoch. Man liest „holy angie“ und „Big Mother Merkel“.
„Okay, that´s it“, sagt der Reporter, „thank you“. Und zum Kameramann gewandt: „Da passt einiges nicht. Das müssen wir rausschneiden. Auf jeden Fall bringen wir aber das mit der Arbeitsmedizin und den Sprengstoffopfern“.
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