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Szenen aus dem “normalen“arbeitsmedizinischen Alltag (I)

Anruf des Gebietsrepräsentanten beim Leiter eines arbeitsmedizinischen Zentrums eines überbetrieblichen Dienstes:

„Hallo, Herr Dr. Wagner, schön dass ich Sie endlich erreiche. Wir stehen kurz vor dem Abschluss eines Rahmenvertrages mit der Dachdeckerinnung. Es handelt sich um mindestens 300 Betriebe, die arbeitsmedizinisch zu betreuen wären.“

„Gratuliere.“

„Ich habe mal nachgeschaut, in Ihren Zentrumsbereich würden rund 50 Betriebe fallen.“

„Um Gottes Willen, tun Sie mir das nicht an. Ich habe bereits über 100 Kleinstunternehmen in der Betreuung. Ich bin nur noch mit dem Auto unterwegs. Wenn jetzt noch weitere 50 Handwerksbetriebe dazu kommen, dann müssen wir einen neuen Kollegen einstellen.“

„Soweit ich weiß, ist das nicht vorgesehen. Denken Sie doch mal an Ihre Zentrumsrendite und Ihre Erfolgsbeteiligung.“

Abschlussgespräch des Gebietsrepräsentanten mit dem Chef der Dachdeckerinnung:

„Also, ich habe das mit unseren Ärzten geklärt. Wir kriegen das hin.“

„Sehr schön. Haben Sie sich denn noch mal Gedanken über den Preis gemacht?“

„Ja haben wir. Ich habe mit der Geschäftsführung gesprochen. € 120 ist der Stundensatz, den wir gerade noch vertreten können.“

„Ich habe mir Ihren Vertragsentwurf angesehen. Da steht, dass sie nur 60 % vor Ort verbringen. Die restlichen 40 % sollen übergeordnete Maßnahmen organisatorischer und konzeptioneller Art sein – was immer das heißt -, und die Vorsorgeuntersuchungen werden extra berechnet.“

„Denken sie doch nur mal an die Krebsgefahren in ihrem Gewerbe.“

„Was meinen sie denn damit?“

„Na, beispielsweise Hodenkrebs und Lungenkrebs.“

„Wie kommen sie denn darauf. Mit Hodenkrebs meinen sie wahrscheinlich den Hautkrebs des Skrotums. Der ist in grauer Vorzeit bei Schornsteinfegern aufgetreten.“

Der Innungsmeister zeigte sich zur Überraschung des Gebietsrepräsentanten gut informiert. „Wir aber sind Dachdecker. Und das mit dem Lungenkrebs halte ich auch für ein Märchen. Früher, als wir noch mit Materialien aus Asbestzement gearbeitet haben, da mag das noch ein Thema gewesen sein. Heutzutage aber ist das durch. Meine Leute qualmen zu viel. Das macht den Lungenkrebs.“

„Wir können das auch anders formulieren“, warf der Gebietsrepräsentant kleinlaut ein.

„Die Formulierung ist mir relativ egal. Der Preis ist es, der mich stört. Da kommt nach Adam Riese ein Stundensatz von € 200 raus. Das werden unsere Mitgliedsbetriebe nicht tolerieren.“

Der Gebietsrepräsentant druckste rum. „Also gut, wenn wir ausmachen, dass nur 40 % der Zeit vor Ort verbracht werden, dann können wir auf € 80 gehen. Das mit der niedrigen Präsenz sollte dann aber nicht im Vertrag stehen, sonst kriegen wir Ärger mit der Berufsgenossenschaft.“

Der Geschäftsführer des überbetrieblichen Dienstes hält einige Zeit später einen Vortrag auf einem arbeitsmedizinische Regionalforum:

„Und so bieten wir unseren Kunden ein umfassendes Gesundheitsmanagement an. Inkludiert ist auch eine Gefährdungsanalyse. Wir haben hierfür eine spezielle Software entwickelt. Darüber hinaus steht unseren über 800 Vertragspartnern mit zusammen mehr als 400 000 Mitarbeitern ein umfassendes Informationssystem zum Gesundheits- und Arbeitsschutz zur Verfügung, auf das jederzeit online zurückgegriffen werden kann.“

Zwischenfrage aus dem Publikum, es meldet sich ein niedergelassener Arbeitsmediziner mit eigener Praxis: „Würden Sie uns auch etwas über Ihre Geschäftszahlen verraten.“

„Da gibt es keine großen Heldentaten zu berichten. Wir zahlen pünktlich unsere Gehälter. Unsere Ärzte bekommen Firmenfahrzeuge zur Verfügung gestellt. Und im Übrigen ist unsere Firma eine Stiftung des bürgerlichen Rechts. Wir arbeiten kostendeckend.

„Darf ich doch noch einmal nachhaken?“

„Bitte schön.“

„Stimmt es, dass ihre Ärzte ein Einsatzsoll von 2400 Stunden pro Jahr haben, Fahrzeiten exklusive?“

„Das ist aber stark übertrieben. Sicherlich arbeiten unsere Mitarbeiter hart. Dafür werden sie aber auch am Ergebnis beteiligt.“

Es meldet sich ein weiterer Herr aus dem Publikum. „Ich bin Dachdeckermeister. Meine Innung hat vor zwei Jahren einen Rahmenvertrag mit ihrem Unternehmen abgeschlossen. Bis jetzt ist noch kein Arzt bei mir aufgekreuzt.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht haben sie aneinander vorbei telefoniert.“

„Schon möglich, aber trotzdem wurden mir letztes Jahr € 400 in Rechnung gestellt.“

Noch eine Wortmeldung: „Bei den 2400 Einsatzstunden pro Jahr, handelt es sich dabei um Vertragsstunden oder echte Stunden vor Ort?“

Diese Frage ist dem Geschäftsführer besonders unangenehm. „Noch mal, unsere Mitarbeiter sind ergebnisbeteiligt. Die 2400 Stunden sind eine kalkulatorische Größe. Sie können auch weniger machen.“

Fortsetzung folgt

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