„Ich kapiere die ArbMedVV nicht. Biomonitoring, Fahrradergo-metrie, Lungenfunktionsprüfung usw., dafür brauche ich jetzt die Zustimmung des Mitarbeiters. Aber: Was will ich denn mit einem Probanden machen, der apparative Untersuchungen verweigert, den ich nicht körperlich untersuchen darf, wenn er nicht will, der mir nichts über seine Krankheitsvorgeschichte erzählt und der die Nachuntersuchungstermine nach Gutdünken wahrnimmt. Und wenn ich dann ärztliche Bedenken habe, dann darf ich das dem Unternehmer nicht mitteilen. Andererseits steht in § 3 Abs. 2 Arbeitssicherheitsgesetz, dass der Unternehmer über das Ergebnis der Vorsorgeuntersuchung zu informieren ist. Was denn nun?“
„Wenn du gegen die Vorschriften der ArbMedVV verstößt und Persönlichkeitsrechte missachtest, kannst du erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Neulich suchte mich ein Mann mit einer ausgeprägten Anpassungsstörung zum wiederholten Mal auf. Das Übliche: Vorgesetztenkonflikt, Schikanen, Mobbingvorwürfe etc. Er warf mir vor, dass ich gegenüber dem Betrieb gequatscht hätte, obwohl er strikt um Vertraulichkeit gebeten habe. Ich fragte, wie er denn darauf käme. Er sagte, dass ich mittags in der Kantine, immer wenn ich da wäre, beim Betriebsleiter sitzen würde. Er würde jetzt den Betriebrat einschalten.“
„Und, hast du gequatscht?“
„Natürlich, wie soll ich denn hier helfen? Das Problem liegt ja zwischen den beiden Ohren des Mitarbeiters und nicht im Betrieb. Der Vorgesetzte muss wissen, dass es sich beim Mitarbeiter um ein psychopathologisches Verhalten handelt. Der Mitarbeiter braucht Hilfe und keine Sanktionen.“
„Die immer wieder beklagte In-formationsasymmetrie beim Arzt-Patienten-Gespräch mit Benachteiligung des Patienten hat sich durch die ArbMedVV grundlegend zugunsten des Mitarbeiters verschoben. Der kann nun die Regie übernehmen. Ob das im Sinne der Prävention ist, darf wohl bezweifelt werden.“
„Ich weiß nicht, wer hinter der Ausgestaltung und der Formulierung der ArbMedVV steht. Es müssen da aber Personen am Werk gewesen sein, die von der praktischen Arbeitsmedizin und dem betrieb-lichen Alltag keine Ahnung haben. Wenn ich eine Vorsorgeuntersuchung lege artis durchführe, dann muss ich vorher eine umfassende Anamnese erheben, ich brauche die Ergebnisse der körperlichen und apparativen Untersuchungen und es müssen Informationen über die Situation am Arbeitsplatz vorliegen. Die ArbMedVV verschüttet mir aber die personenbezogenen Details. Eine belastbare Beurteilung wird nicht mehr möglich. Bevor ich mich zum Hampelmann machen lasse, weise ich lieber gleich auf den Unsinn hin, dass der Gesetzgeber Regieanweisungen für das betriebsärztliche Gespräch formuliert hat, die einer stichhaltigen und abgewogenen Beurteilung im Wege stehen.“
„Sag mal, wie habt ihr das in Anbetracht der ArbMedVV in den von euch betreuten Betrieben geregelt, berechnet ihr die Vorsorge-untersuchungen extra?“
„In unseren Verträgen waren die Vorsorgeuntersuchungen pauschal mit drin. Aber die G-Untersuchungen gibt es ja nicht mehr. Trotzdem soll arbeitsmedizinische Vorsorge stattfinden, jetzt aber nach den neuen Regeln. Die Verwirrung ist groß: Pflichtvorsorge, Angebotsvorsorge, Wunschvorsorge, das kapiert doch kein redlicher Handwerker. Eine gute Gelegenheit, alle Verträge umzustellen. Bei uns werden Vorsorgeuntersuchungen jetzt generell separat in Rechnung gestellt. Unter dem Strich hat sich dadurch das Umsatzvolumen sogar vergrößert. Und das Schönste: Die Arbeit ist weniger geworden.“
„Wie das denn?“
„Ganz einfach. Wir bestellen nach wie vor zu den Vorsorgeunter-suchungen ein. Wenn der Mitarbeiter dann vor mir sitzt, kläre ich ihn über sein Selbstbestimmungsrecht auf, nämlich dass es keinen Untersuchungszwang gibt. Viele gehen dann wieder.“
„Das heißt, du kastrierst dich selber.“
„So kann man es sehen. Die Schmerzen halten sich aber in Grenzen; denn ich rechne die Untersuchung dennoch ab. Außerdem ist das bereits die zweite Kastration.“
„Und was war die erste?“
„Die erste war das partielle Therapieverbot für die Betriebsärzte. Mit der ArbMedVV ist die Entmannung perfekt.“
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