ASU: Herr Prof. von Kiparski, Sie haben Ihre Unternehmensberatung Arbeits- und Gesundheitsschutz im Jahr 2012 gegründet. Davor waren Sie viele Jahre Stellvertretender Vorstand Medizin und Technik des IAS, Institut für Arbeits- und Sozialhygiene Stiftung, und Leiter der IAS-Akademie, seinerzeit in Karlsruhe und in der Szene der Arbeitsmedizin sehr bekannt. Heute sind Sie freier Unternehmensberater. Was hat Sie zu diesem Wechsel veranlasst?
Prof. von Kiparski: Nach mehr als 30 Jahren Tätigkeit mit hohen personellen und wirtschaftlichen Verpflichtungen war die Zeit reif für eine berufliche Neuorientierung. Ich habe in der Verantwortung für die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung von über 3000 Betrieben und Verwaltungen erkannt, dass eine objektive, fachlich kompetente und unabhängige Beratung zur strukturellen Gestaltung von Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht existiert, obwohl die Entscheider in den Betrieben dringenden Informationsbedarf haben.
ASU: Neben Ihrer Beratungstätigkeit sind Sie Honorarprofessor am Institut für Arbeitswissenschaft und Betriebsorganisation des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Ferner sind Sie Vorsitzender des Verbandes Deutscher Sicherheitsingenieure (VDSI) und Präsident der Fachvereinigung Arbeitssicherheit (FASI). Sie publizieren regelmäßig Fachbeiträge auf diesem Gebiet und sind Referent bei Fachveranstaltungen. Das ist ein großes Spektrum. Wo setzen Sie den Hauptakzent in Ihrer Beratungstätigkeit?
Prof. von Kiparski: Schwerpunkt ist die Optimierung des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes in den Unternehmen unter Berücksichtigung der Qualitätskriterien von GQA und GQB. Dazu gehört zunächst die betriebsspezifische Umsetzung von Vorgaben der DGUV-Vorschrift 2. Ebenso wichtig ist die Frage, ob die Fachkraft für Arbeitssicherheit bzw. der Betriebsarzt im Betrieb fest angestellt oder extern beauftragt werden sollen (Insourcing/Outsourcing – beide Varianten haben besondere Vor- und Nachteile). Weiterhin beraten wir die Unternehmen bei der Auswahl geeigneter Experten, die am Markt immer schwieriger zu finden sind. Hier möchte ich besonders auf den akuten Ärzte- und Ingenieurmangel hinweisen, wobei der sachgerechten Aufgabenzuordnung an beide Fakultäten zunehmende Bedeutung zukommt.
ASU: Psychische Probleme bei Mitarbeitern sind ein sensibles Thema. Wie gehen Sie im Einzelfall als Berater der Unternehmensleitung damit um?
Prof. von Kiparski: Zunächst ist eine Motivation der Führungskräfte erforderlich, damit diese sich dem Thema vorurteilsfrei nähern können. Sie müssen sich damit befassen, wie sie die psychische und physische Gesundheit sowie die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter im Betrieb nachhaltig fördern können.
Der Schlüssel zur Lösung dieser Fragen liegt bei den Fach- und Führungskräften: Sie können die Voraussetzungen für eine gesundheitsbezogene Unternehmenskultur schaffen, die von allen Mitarbeitern gelebt wird.
ASU: Und wie aktivieren Sie das Management, sich mit dem Thema zu befassen?
Prof. von Kiparski: Es ist wichtig, die volkswirtschaftliche Dimension zu betrachten. Psychische Probleme sind nicht nur für die Betroffenen eine enorme Belastung, sondern auch für die Arbeitgeber. Die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen und Verhaltensstörungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Allein im Jahr 2011 gingen mehr als 59 Millionen Krankheitstage auf ihr Konto – das sind 13 % aller Arbeitsunfähigkeitstage. Für die Unternehmen eine dramatische Entwicklung: Die Produktionsausfallkosten stiegen im Zeitraum 2008 bis 2011 von knapp vier auf fast sechs Milliarden Euro.
Nur wenn sich die Unternehmensleitungen und Führungskräfte uneingeschränkt und ehrlich diesem Thema widmen wollen, ist eine externe Beratung sinnvoll.
ASU: Welche Lösungen schlagen Sie den Verantwortlichen im Unternehmen, also dem Geschäftsführer, Personalleiter, Betriebsrat und auch dem Betriebsarzt im konkreten Fall vor?
Prof. von Kiparski: Gut ausgebildete und erfahrene Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit wissen, welche Präventionsmaßnahmen im Unternehmen greifen. Eine Projektierung der Betreuungsleistungen ist über den betriebsspezifischen Teil der DGUV-Vorschrift 2 möglich. Für die Beurteilung psychischer Belastungen und Beanspruchungen ist der Betriebsarzt Lotse und erster Ansprechpartner für Geschäftsleitung und Mitarbeiter. Bei strukturellen Fragestellungen im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie können sich interessierte und erfahrene Fachkräfte für Arbeitssicherheit einbringen. Im Bereich der Individualpsychologie empfehlen wir die Expertise von Psychologen und ggf. Sozialarbeitern.
ASU: Wie überzeugen Sie die Verantwortlichen, sich der Herausforderung zu stellen und welche Strategie schlagen Sie vor?
Prof. von Kiparski: Die erforderlichen Maßnahmen sind abhängig von der Zielstellung der Unternehmensleitung bezüglich Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter. Meine erste Frage lautet in der Regel:“ Wollen Sie Exzellenzniveau erreichen oder nur die gesetzlichen Vorgaben erfüllen?“ Von der Beantwortung dieser Frage, die häufig zum ersten Mal in dieser Form gestellt wird, hängen alle weiteren Maßnahmen ab.
ASU: Wie gehen Sie mit Störungen zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitervertretung um?
Prof. von Kiparski: Zunächst verschaffe ich mir in einem persönlichen Gespräch mit Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsrat einen Überblick über die bereits getroffenen Maßnahmen und Erfolge, sowie die möglichen Ursachen für Dissonanzen. Danach versuche ich in einem persönlichen und vertraulichen Gespräch „auf Augenhöhe“ mit dem Geschäftsführer eine Einigung herbeizuführen. Meine langjährige Erfahrung hilft dabei, die Themen aufzugreifen, für die der Unternehmer eine „Antenne“ hat.
Sehr hilfreich ist auch eine Mediation zwischen den Parteien. Voraussetzung ist jedoch immer der Wille beider Seiten zur Einigung und Behebung der Störungen.
ASU: Wie gestaltet sich bei Ihrer Beratung die Zusammenarbeit mit Betriebsärzten, die ja präventiv für ein Unternehmen tätig und als Ärzte die ersten Ansprechpartner für medizinische Fragestellungen sind, vor allem auch für psychische Belastungen und Gefährdungen am Arbeitsplatz?
Prof. von Kiparski: Aufgrund der kollegialen Zusammenarbeit mit Betriebsärzten in der IAS Stiftung und guten Kontakten zum VDBW und zur DGAUM besteht meinerseits eine hohe Sensibilität bei der Kommunikation mit Ärzten, auch bei konfliktiven Fragestellungen. Häufig ist das weite Tätigkeitsspektrum der Betriebsärzte in der Prävention nicht ausreichend bekannt, vor allem in Klein- und Mittelbetrieben. Hier gibt es immer noch großen Beratungsbedarf.
ASU: Schließlich, und dafür ist Ihnen diese Redaktion sehr dankbar, veröffentlichen Sie auch Fachbeiträge in ASU. Welche Rolle spielt für Sie persönlich und für Ihre Beratungstätigkeit die Zeitschrift für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin?
Prof. von Kiparski: Die Zeitschrift ASU ist die bedeutendste Zeitschrift für die Arbeitsmedizin im deutschsprachigen Raum. Sie besticht durch eine gelungene Kombination aus wissenschaftlichen Beiträgen und Praxisbezug. Für mich als Sicherheitsingenieur mit Zusatzqualifikation in biomedizinischer Technik und Biokybernetik ist sie eine wichtige Informationsquelle für die Belange der Arbeits- und Umweltmedizin.
ASU: Vielen Dank für dieses Interview!
Das Gespräch führte:
Gernot Keuchen
Gentner Verlag, Stuttgart