Gesundheitswesen: Expandierender Wirtschaftszweig bei sich verschärfenden Arbeitsbedingungen?
Das Gesundheitswesen ist mit 4,4 Millionen Beschäftigten und 287 Milliarden Euro Umsatz einer der größten Wirtschaftszweige der Bundesrepublik. Im Gegensatz zu anderen Branchen ist im Zuge des demografischen Wandels mit einer weiteren Expansion zu rechnen. Zudem ist das Gesundheitswesen ein Wirtschaftsbereich, der jeden tangiert: Man kann aus Überzeugung oder Not auf das Auto verzichten, man kann sich dem Handy-Kult verweigern, aber jeder von uns ist ein potenzieller Patient, d. h., das Gesundheitswesen geht uns alle an. Daher ist es gleichermaßen wichtig, die Service-Funktionen des Gesundheitssystems für die Gesellschaft zu bestimmen und die innere Struktur des Gesundheitssystems beleuchten. Dies war der Tenor der Diskussionen in unterschiedlichen Seminaren und Vorträgen.
Wie halten wir die Pflegekräfte bei steigendem Alter und steigenden Belastungen im Beruf? Psychische Erkrankungen steigen auch bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst – wie kann kranken Helfern geholfen werden? Hilfe bietet etwa das Deutsche Netzwerk Betrieblicher Gesundheitsförderung mit vielen Modellen und Best-Practice-Beispielen an, aber auch das Branchenportal „Sicheres Krankenhaus“ (https://www.sicheres-krankenhaus.de/). Als interaktives Internet-Tool ermöglicht dieses benutzerfreundliche und kreativ gestaltete Portal einen virtuellen Rundgang durch ein modernes Krankenhaus. Das Portal bietet eine enorme Fülle von Informationen zum Arbeitsschutz und zu den Rechtsgrundlagen, es stellt Spots für Unterweisungen als auch Produktdatenbanken für sichere Instrumente und Hilfsmittel zur Verfügung.
Zehn Jahre DRG, Ökonomisierung und Privatisierung im Krankenhaus
Können wir mit allen unseren Fortbildungen und Hilfestellungen den Veränderungen am Arbeitsplatz Klinik bzw. Seniorenheim standhalten? Wie kaum zuvor standen in den Diskussionen des Symposiums die Arbeitsbedingungen auf dem Prüfstand. Die Mehrzahl der Teilnehmer beklagte eine zunehmende Verschlechterung in den Einrichtungen des Gesundheitsdienstes. Zwar würden beispielsweise in Verordnungen regelmäßige Pausen und der dabei mögliche soziale Austausch zum Schutz vor psychischen Fehlbelastungen gefordert, aber in der Praxis fallen diese kreativen Pausen immer mehr dem Zeitdruck und der Personalreduktion zum Opfer. Gesetzliche Vorgaben und Realität klaffen offenbar zunehmend auseinander. Heftig diskutiert wurde die Frage nach der Ursache für diese gerade in den letzten Jahren zu beobachtende Verschlechterung:
- Zehn Jahre DRG-Regiment mit den damit verbundenen Fehlanreizen, die eben nicht nur in steigende OP-Zahlen münden, sondern auch die Arbeitsbedingungen verschlechtern?
- Zunehmende Privatisierung der Einrichtungen und damit verbundene Einflussnahme der Betriebswirtschaftslehre?
- Aber betrifft die Ökonomisierung nicht die gesamte Versorgungslandschaft mit politisch gewolltem Verdrängungswettbewerb nach dem Motto „Survival of the fittest“?
Hochqualifizierte und motivierte Beschäftigte verlassen häufig schon nach kurzer Zeit die Kliniken und werden durch Kräfte in Pflege und Ärztlichem Dienst ersetzt, die im Ausland angeworben wurden – in Süd- und Osteuropa. Nicht nur die Sprachverständigung kann bei solcher Interkulturalität im Gesundheitsdienst ein Problem sein.
Im Plenum des Symposiums und auch am Rande wurde engagiert diskutiert. Einige Teilnehmer forderten für das nächste Symposium die Formulierung einer Resolution „Arbeitsmedizin im Gesundheitsdienst“ für den Erhalt einer gesunden Arbeits- und Versorgungsqualität. Nicht nur der Gesundheitsschutz aller Beschäftigten war Thema des Symposiums, sondern auch die Gesundheit von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten sowie die darauf zielenden Angebote der Bundesärztekammer.
Reform der ArbMedVV: Selbstbestimmungsrecht der Beschäftigten und klarere Rollendefinition der Betriebsärzte zulasten der Patientensicherheit?
Neben Seminaren und Vorträgen zu Innovationen beim Hautschutz, Wissenswertes über Strahlenschutz und Mutterschutz sowie Implementierung von BEM wurden die Neuerungen der Biostoffverordnung und ArbMedVV vorgestellt. Klarere Formulierungen der Verordnungstexte sollen die gelebte Realität wiedergeben. Der Gedanke der informationellen Selbstbestimmung des Einzelnen hat in der Gesetzgebung der Europäischen Union einen sehr hohen Stellenwert. Dies findet nun seinen Niederschlag in Änderungen der ArbMedVV zur Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorge-untersuchungen. Die Rolle des Betriebsarztes als Berater an der Seite und zum Schutz des Arbeitnehmers wird betont. Der Beschäftigte fällt die Entscheidung im Rahmen der G 42-Untersuchung eine körperliche Untersuchung oder auch invasive Diagnostik, wie etwa eine Blutabnahme, abzulehnen.
Die G 42-Untersuchung wandelt sich so unter Umständen zu einer reinen Beratung. Offen bleibt dabei, wie ein eventuell vorhandener Infektionsstatus des Beschäftigten festgestellt werden kann. Im Interesse der Patientensicherheit sowie zur Vermeidung von Fremdgefährdungen müsste dies bei der Einstellungsuntersuchung oder in Untersuchungen erfolgen, die über Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen zu regeln wären. Diese Fragen im Arbeitsvertrag arbeitsrechtlich zu regeln, ist natürlich genuine Aufgabe des Arbeitgebers, auch wenn diese Untersuchungen in der Praxis häufig im Rahmen der G 42-Vorsorgeuntersuchung durchgeführt wurden.
Der Befund möglicher Infektiosität brachte den Betriebsarzt in der Vergangenheit häufig in Schweigepflichtsnöte. Von daher ist nun eine klare Rollen- und Interessentrennung mit der neuen ArbMedVV angezeigt und mag durchaus sinnvoll sein. Man wird sehen, wie die praktische Umsetzung erfolgen wird.
Einladung zum 28. Freiburger Symposium vom 17.–19. September 2014
Erste Erfahrungsberichte mit der praktischen Umsetzung der ArbMedVV sind sicher ein interessantes Thema für das 28. Freiburger Symposium, zu dem die wissenschaftlichen Leiter Friedrich Hofmann und Ulrich Stößel alle Teilnehmer herzlich einladen. Es findet vom 17. bis 19. September 2014 in gewohnter Umgebung statt.