Unter der Schirmherrschaft der baden-württembergischen Sozial-ministerin, Katrin Altpeter und in Zusammenarbeit mit dem DGUV-Landesverband Südwest stand traditionell der erste Tag unter dem Leitthema „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ (BGM), während am zweiten Tag „Neues aus Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit“ im Mittelpunkt stand.
In seiner Einführung beschäftigte sich Dr. Manfred Albrod, Großhansdorf, mit betrieblichen Veränderungsprozessen, die häufig Distanzierung, Kritik oder sogar Krankheit hervorriefen, wenn Gewohnheiten aufgegeben werden müssen oder eine neue Orientierung verlangt sei. Er regte an, „präventive Konzepte nicht nur gegen arbeitsbedingte Erkrankungen, sondern auch gegen nachlassende Leistungsbereitschaft, Fehler bei der Arbeit, eingeschränkte Loyalität und andere betriebliche Auswirkungen fehlender Akzeptanz von Veränderungen zu entwickeln“, um in den Veränderungsprozessen die persönlichen Chancen zu erkennen.
Dr. med. Stephan Schlosser, Ditzingen, beklagte die häufige Unter-ordnung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements unter andere Unternehmensziele wie Rendite, Produktivitätssteigerung und auch die Bewältigung des demografischen Wandels. Um BGM zu ehrlichen „Win-win“-Situationen werden zu lassen, schlug er vor, „gelingende Arbeit“ und „stabile Gesundheit“ als personenzentrierte BGM-Ziele zu formulieren. Sein Fazit: „BGM muss intermittierend als Störfaktor im Unternehmen auftreten, wenn es zum Erfolgsfaktor für die Gesundheit der Beschäftigten werden soll.“
Die Analyse und Bewertung psychischer Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung als Hinweise für gender- und altersspezifische Arbeitsplatzgestaltung stellte Frau Dipl.-Psych. Ina Zwingmann, Dresden, vor: Sahen die Frauen ihre Ressourcen in Führungsqualität, Teamklima und sozialer Unterstützung, gaben die Männer als Erfolgsfaktoren Wertschätzung, Entscheidungsspielräume und Aufstiegschancen an. Mit zunehmendem Alter stieg der Schulungsbedarf zu Produkten, Beratung und Vertrieb sowie zum Umgang in schwierigen Gesprächssituationen.
Den Altersverlauf der abnehmenden motorischen, sensorischen und kognitiv-fluiden bei gleichzeitiger Zunahme der sozialen und kognitiv-kristallinen Fähigkeiten stellte Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Dipl.-Ing. Michael Falkenstein, Dortmund, vor. In vielen Einzelbeispielen konnte er zeigen, wie gezielte Maßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention den Arbeitsbewältigungsindex im Alter positiv beeinflussen. Mit gesunder Ernährung, Sport und mentalem Training lassen sich auch mentale Einbußen älterer Beschäftigter deutlich verringern.
Prof. Dr. med. Hans Martin Hasselhorn, Berlin, stellte den Faktor Gesundheit als zentrale Determinante des Verbleibs im Erwerbsleben in Frage: Vielmehr seien es Faktoren wie die „Arbeitsfähigkeit“ und die „Motivation zur Erwerbsteilhabe“, letztlich also ein komplexer Prozess aus Arbeit, Sozialstatus, Lebensstil, Gesundheit, Arbeitsmotivation und Arbeitsfähigkeit, der einer zielgerichteten Intervention bedürfe, um den Erwerbsverbleib abzusichern.
Mit der Frage der Notwendigkeit einer Normung von „BGM“ befasste sich Dr. med. Joachim Stork, Ingolstadt. Dabei stellte er her-aus, die Definition und Abstimmung unternehmensspezifischer, prä-ventiver Zielsetzungen sei die wichtigste – leider allzu oft unterlassene – konzeptionelle Aufgabe bei der Entwicklung eines BGM im Unternehmen. Dieses Gestaltungsbedürfnis der Unternehmen spreche gegen eine starre Norm. Er kündigte an, der AfAMed habe 2013 einen Expertenkreis beauftragt, in einer „Arbeitsmedizinischen Empfehlung“ die wesentlichen Merkmale einer guten BGM-Praxis zu beschreiben und Anregungen für die Weiterentwicklung bestehender Systeme zu geben.
Kritisch setzte sich Dipl.-Chem. Dr. Arno Weber, Nürnberg, am zweiten Tag mit dem Stand der Gefährdungsbeurteilung in KMU aus-einander: Erst wenn sie so selbstverständlich werde wie die Umsatzsteuererklärung und sich zusätzlicher Nutzen für das Unternehmen mit möglichst wenig zusätzlicher Arbeitsbelastung ableiten lasse, werde die Akzeptanz zunehmen und damit einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess mit Schwerpunkt Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter in Gang setzen.
Eine engagierte Diskussion entbrannte erwartungsgemäß um die Novelle der ArbMedVV, die Dr. med. Matthias Kluckert, Heidelberg, vorstellte. Die möglichen Auswirkungen des damit einhergehenden Systemwechsels seien – so Kluckert – für den betrieblichen Bereich und die arbeitsmedizinische Praxis noch nicht absehbar. Arbeits-medizinische Regeln werden einige Punkte in nächster Zeit weiter konkretisieren. In der Diskussion stehen nun Regelungen zu Eignungs-untersuchungen, die über die aktuelle Novelle der ArbMedVV nicht mehr abgedeckt sind.
Mit der Konzentrationsmessung von Nanopartikeln befasste sich Prof. Dr.-Ing. Siegfried Ripperger, Kaiserslautern, und stellte dabei heraus, wie wichtig die Partikelgröße für die Auswahl geeigneter Partikelfilter in Atemschutzgeräten und in Luftfiltern der all-gemeinen Raumlufttechnik seien. Diese wiederum könnten mittler-weile durch geeignete Testaerosole geprüft werden.
Die gefährliche Legionellen-Besiedelung in Kühlwasser- und Notduschen-Systemen stellte Dipl.-Ing. Rainer Schubert, Halle, vor. Nach der geltenden Trinkwasserverordnung müssen öffentliche Einrichtungen und gewerbliche Unternehmen für ihren Trinkwasser-bereich regelmäßige Untersuchungen nachweisen, für beheizte Notduschen und Rückkühlwerke ergibt sich diese Untersuchungsver-pflichtung aus dem Arbeitsschutzgesetz und der Biostoffverordnung (§ 7 „nicht gezielter Umgang“).
Die aktuellen technischen Regeln für Arbeitsstätten sowie die in diesem Rahmen abgelösten Arbeitsstättenrichtlinien stellte Dipl.-Ing. Frank Grauer, Karlsruhe, vor. Für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten werde nun an gesonderten Anhängen der ASR gearbeitet. Außerdem werde an einer ganzen Reihe von Änderungen der Arbeitsstättenverordnung wie beispielsweise der Einbeziehung der Bildschirmarbeitsverordnung, der Telearbeit, einer Klar-stellung zum Nichtraucherschutz in Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr und einer Festlegung zur Sichtverbindung nach außen gearbeitet.
Die neuen Erkenntnisse zur Aufnahme vier neuer Berufskrankheiten in die BK-Liste der Bundesregierung erläuterte Prof. Dr. med. Stephan Letzel, Mainz. Er schilderte die Details zum Plattenepithelkarzinom durch natürliche UV-Strahlung, zur Gefäßschädigung der Hand durch stoßartige Krafteinwirkung, zum Karpaltunnelsyndrom durch repetitive manuelle Tätigkeiten und zum Larynxkarzinom durch Exposition gegenüber schwefelsäurehaltigen Aerosolen.
Mit den Lehren aus Tschernobyl und Fukushima setzte sich Dr. med. Volker List, Karlsruhe, auseinander: Zusammengefasst ergaben sich aus den vorgestellten Daten weder für die Aufräumkräfte in Japan im Betriebsbereich des havarierten Reaktorkomplexes, noch für die Allgemeinbevölkerung der Provinz Fukushima gemessene oder abschätzbare Dosen im ersten Jahr oder lebenslang, die zu akuten deterministischen Effekten geführt hätten oder statistisch erkennbar in Zukunft zu erhöhtem Krebsaufkommen führen dürften.
Den Abschluss der Tagung bildete die Vorstellung von zwei Arbeitsprogrammen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA): Dr. med Stefan Baars, Hannover, erläuterte, das Arbeitsprogramm „Muskel-Skelett-Erkrankungen“ solle zur ergonomischen Optimierung der Arbeitsplätze und -abläufe beitragen und die Kompetenzen der Führungskräfte zu diesem Thema erhöhen. Die Aufbau- und Ablauforganisation im Arbeits- und Gesundheitsschutz steht demgegenüber im Mittelpunkt des GDA-Programms „ORGAcheck“, das Dieter Arnold, Frankfurt/Main, vorstellte. Das Programm kann nicht nur im eigenen Betrieb, sondern auch bei Lieferanten, Partnerfirmen und Kontraktoren eingesetzt werden, was Schwachstellen aufdecken und zu einer bundesweiten Präventionsarbeit führen kann.
Eines haben die beiden Tage gezeigt: Gesunde und sichere Arbeitsbedingungen fördern Motivation, Kreativität, Innovations- und Qualifikationsfähigkeit der Mitarbeiter und sind als Schlüsselanforderungen für moderne Unternehmen die Voraussetzung für Wertschöpfung und Wertschätzung im globalen Wettbewerb. Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit spielen dabei eine zentrale Rolle. Dr. med. Hanns Wildgans, München