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Prävention 4.0 – die neue Arbeitswelt präventiv gestalten

Einleitung

Der Begriff „Industrie 4.0“ oder auch „Arbeit 4.0“ ist seit Längerem in aller Munde. Doch ein einheitliches Begriffsverständnis gibt es nicht. Die Vorstellungen darüber, welche Auswirkungen die voranschreitende Digitalisierung und Cyber-Physical Systems (CPS) resp. das Internet der Dinge auf die Arbeitsumgebung und die Arbeitsgestaltung, auf die Arbeitsorganisation oder die sozialen Beziehungen im beruflichen Umfeld haben werden, gehen weit auseinander und sind weitestgehend nicht präzisiert. Wie ist die neue Arbeitswelt zu gestalten? Wie sollte eine gute und wirkungsvolle Präventionsarbeit in dieser neuen Arbeitswelt aussehen? Diese Fragen sind bislang nahezu unbearbeitet und unbeantwortet. Ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) drei Jahre lang gefördertes Verbundprojekt „Prävention 4.0“ wird nun versuchen, erste Antworten zu formulieren.

Arbeitswelt in Zeiten der Digitalisierung hat noch keine klaren Konturen

Die Arbeitswelt steht vor einem fundamentalen Umbruch: Die Digitalisierung schreitet voran, digitale Techniken und immer perfektere Algorithmen steuern immer häufiger die Arbeit. RFID-Technik, intelligente Sensoren, Datenbrille und mobile Assistenzsysteme halten Einzug in Produktion und Dienstleistungen, in Logistik, in das Handwerk und in die Büros. Smart Factory nennen die Unternehmen die neuen Produktionsumgebungen, in denen ortsunabhängig Maschinen, Roboter, Menschen und Prozesse per Internet gesteuert werden. Der Ressourcenverbrauch ist im perfekten Wertschöpfungsfluss flexibel ausgerichtet: Die Losgröße ist variabel und in geringen Stückzahlen kann im Idealfall das Unternehmen zukünftig in Echtzeit produzieren und Dienstleistungen erbringen. Diese Entwicklungen werden in der öffentlichen Diskussion oft mit dem Schlagwort „Industrie 4.0“, „Arbeit 4.0“oder Digitalisierung der Arbeitswelt versehen. Einige sprechen von einer Revolution, die auf die Arbeitswelt zurollt. Andere betonen die Gefahren der ständigen Verfügbarkeit, der versteckten Rationalisierung durch Leichtbauroboter oder des Datenmissbrauchs. Befürchtet wird, dass es in Sachen Mitarbeitergesundheit zu Rückschritten kommen wird, wenn Unternehmen die vierte industrielle Revolution realisieren und möglichst viele Produktions- und Arbeitsschritte auf Basis des Internets der Dinge digitalisieren. In seinem im letzten Jahr veröffentlichten „Grünbuch Arbeiten 4.0“ warnt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) etwa vor Change-Prozessen und entgrenzten Arbeitszeiten, die präventiv gestaltet und durchdacht werden müssten, da sie Belastungen darstellen, die schnell und im negativen Sinne überbeanspruchen können. Auf der anderen Seite bergen die neuen technischen Möglichkeiten Potentiale, körperliche Belastungen und Monotonie abnehmen zu lassen, was ein wichtiger Schritt zur Humanisierung der Arbeitswelt sein dürfte. In großen Teilen erinnern die derzeit geführten Diskussionen an die Debatten, die im Rahmen der Initiativen zur Humanisierung der Arbeit in den 70er Jahren schon einmal intensiv und leidenschaftlich geführt wurden.

Herausforderungen multidisziplinär angehen und Akzeptanz schaffen für permanenten Wandel

Diese Fragestellungen sollten interdisziplinär bearbeitet werden. Gefragt sind nicht nur Informatiker und Ingenieure, sondern auch Psychologen, Ergonomen, Sozial- und Arbeitswissenschaftler sowie Arbeitsmediziner und Personalmanager. Dies konstatierte bereits die Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft in ihren Abschlussbericht für die Bundesregierung. Ideal ist es, wenn Betriebs- und Werksärzte einbezogen werden, die sowohl den Arbeitsplatz mit seinen individuellen Belastungen und Beanspruchungen kennen und gleichzeitig auch den individuellen Gesundheitsstatus des Beschäftigten. Die Personalmanager müssen Themen wie Wissensmanagement und Fort- und Weiterbildung neu denken. Denn arbeiten in einem ständig veränderten Arbeitsumfeld mit immer komplexeren Werkzeugen und Assistenzsystemen führt zu hohen Anforderungen an Fähigkeiten und Wissen der Beschäftigten. Denn die Anforderungen der Industrie 4.0 Welt ändern sich rasch, und alle Arbeitnehmer müssen akzeptieren, dass die Tätigkeit, die sie derzeit ausüben, sich wandeln wird. Dies erfordert eine hohe Bereitschaft, Änderungen zu akzeptieren, sich fort- und weiter zu bilden und immer wieder mit neuen Herausforderungen und Rahmenbedingungen umzugehen. Können dies ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser, weil sie im Laufe ihrer Laufbahn schon mehrfach Erfahrungen in Wandlungsprozessen mitgemacht haben? Haben Sie hier die höhere Resilienz? Oder können dies junge Mitarbeiter besser, die mit iPhones und Tablet-PCs in einer digitalen Welt aufgewachsen sind mit weniger „Berührungsängsten“ zu Robotern, Aktoren und Sensoren? Die bisherige Studienlage bspw. auch zur Thematik der altersgemischten Temas ist nicht eindeutig und wird unter den Vorzeichen von Industrie 4.0 neu zu bewerten sein. Eine der Handlungsempfehlungen in der Expertise der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft lautet daher, dass „vor dem Hintergrund des technischen und demografischen Wandels und im Hinblick auf die heterogenen Voraussetzungen der Lernenden […] neue Ansätze für die Didaktik sowie die Konzeption etwa von Assistenzsystemen entwickelt werden [müssen]. CPS erfordern daher neue Arbeitsstrukturen, die bezogen auf das Wertschöpfungsnetzwerk einerseits die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten fördern und andererseits die lebenslange Entwicklung der Individuen durch die betrieblichen Strukturen unterstützen.

Arbeitswelt 4.0 benötigt präventive Konzepte

Die Fragen die sich mit präventiven Konzepten in der neue Arbeitswelt stellen, sind vielfältig und komplex. Das vom BMBF geförderte Verbundprojekt „Prävention 4.0“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Auswirkungen von CPS auf die Möglichkeiten einer produktiven, sicheren und gesunden Gestaltung der Arbeitswelt zu untersuchen. Zentrale Fragen, die die Projektpartner beantworten möchten, sind beispielsweise: Was verändern der „Kollege“ Roboter und smarte Arbeitsmittel in der Arbeitsgestaltung? Wie wandeln sich die Arbeitsprozesse, wenn die Produktion, die Dienstleistung oder ein Auftrag über das Internet gesteuert werden können? Welche neuen Kompetenzen und Qualifizierungen benötigen Beschäftigte und Führungskräfte? Welche neuen Belastungen treten in der Arbeit 4.0 auf? Wie kann die Datensicherheit gewährleistet werden? Welchen Einfluss haben Führung und Unternehmenskultur auf die Gestaltung von digitalisierten Produktionssystemen? Es geht auch ganz zentral darum die Potentiale der Prävention 4.0 sichtbar und zugänglich machen. Das Verbundprojekt für eine präventive Arbeitsgestaltung in der digitalen Arbeitswelt 4.0 wird im Rahmen der Bekanntmachung des BMBF „Präventive Maßnahmen für die sichere und gesunde Arbeit von morgen“ durchgeführt und ist im Dezember 2015 gestartet. In den kommenden drei Jahren verfolgt das Projektkonsortium das Ziel, konkrete Handlungsempfehlungen und Leitlinien für eine präventive Arbeitsgestaltung in der Arbeitswelt 4.0 zu entwickeln, damit die Akteure in den Betrieben die Potentiale der betrieblichen Prävention in der digitalen Transformation wirkungsvoll nutzen können. Die Handlungsfelder und Maßnahmen für eine Prävention 4.0 sollen herausgearbeitet werden. Für kleine und mittlere Betriebe (KMU) wird ein niederschwelliges Selbstbewertungsinstrument „Prävention 4.0“ erarbeitet. Für Experten in größeren Unternehmen, Beratern, Wissenschaftlern sowie Akteuren im „politischen Raum“ wird eine wissenschaftlich fundierte Expertise „Umsetzungsempfehlung Prävention 4.0“ entwickelt (vgl.  Abb. 1).

Die Inhalte werden über nationale und internationale Literaturrecherchen, Expertengesprächen und Experten-Workshops erarbeitet. Dabei werden Erfahrungen aus der Praxis in den Unternehmen, der Wissenschaft sowie der intermediären Organisationen einbezogen.

Eine Aufgabe des BMBF-Projektes wird es sein, relevante Handlungsfelder und -optionen guter Arbeit im digitalen Wandel zu identifizieren und Hilfestellungen zur Prävention in der „Arbeitswelt 4.0“ für Akteure in den Unternehmen, Gewerkschaften und Präventionsdienstleister zu entwickeln. Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, Datensicherheit und Organisation bis hin zur Führung und Kultur im Unternehmen sind zentrale Handlungsfelder in der Arbeitswelt 4.0. Um die Potenziale zu nutzen und um die Arbeitsbedingungen im Zuge der Integration smarter Produktions- und Dienstleistungssysteme in Arbeitsprozesse gesundheitsgerecht und produktiv gestalten zu können, müssen alle Akteure in den Unternehmen sowie die arbeitenden Menschen außerhalb der Betriebe und die Präventionsdienstleister sensibilisiert und handlungsfähig gemacht werden. Die Ergebnisse werden in einer umfassenden Expertise für Experten und einem Handlungsleitfaden mit Selbstbewertungsinstrument für kleine und mittlere Unternehmen aufbereitet.

Als Verbundpartner sind an dem Projekt beteilig ( Abb. 2)t:

  • BC GmbH Forschungs- und Beratungsgesellschaft, Wiesbaden
  • Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.  V. – ifaa Düsseldorf
  • Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung – BGF GmbH, Köln
  • Institut für Mittelstandsforschung – IfM Bonn
  • Institut für Technik der Betriebsführung im Deutschen Handwerksinstitut e.  V. – itb Karlsruhe
  • Sozialforschungsstelle Dortmund, ZWE der TU Dortmund – sfs
  • VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit e.  V.
  • Forum Soziale Technikgestaltung – FST

Zudem ist eine Vielzahl von Unternehmen am Projekt beteiligt. Zu den Umsetzungspartner gehören Arbeitgeberverbände wie der Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, aber auch Gewerkschaften wie z. B. ver.di und die IG Metall, der Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e.  V. und Südwestmetall – Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. Auch zwei Berufsgenossenschaften (BG Rohstoffe und chemische Industrie und Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks gehören zu den Umsetzungspartnern und damit zu den intermediären Organisationen.

    Weitere Infos

    Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Arbeit weiter denken – Grünbuch Arbeit 4.0. 2015

    www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/gruenbuch-arbeiten-vier-null.pdf?__blob=publicationFile

    Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft: Zukunftsprojekt Industrie 4.0 – Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0. 2013

    https://www.bmbf.de/files/Umsetzungsempfehlungen_Industrie4_0.pdf

    Autorin

    Dr. rer. medic. Julia K. Schröder

    Geschäftsführerin des Instituts für Betriebliche Gesundheitsförderung BGF GmbH

    Neumarkt 35–37

    50667 Köln

    julia.schroeder@bgf-institut.de

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