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Anwendung der Arbeitsstättenregel Lärm in der Praxis am Beispiel Büro

Andreas Stephan

doi:10.17147/asu-1-391886

Application of the workplace noise regulations in ­practice using the example of the office

„Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, as Wilhelm Busch wrote over 100 years ago. And as with music, opinions differ on many other sounds too. This is often referred to as “noise”, although this does not always have to be damaging to hearing. Noise can also have physiological, psychological and social effects on people. These cases are referred to as extraaural noise effects. People at work must also be protected from these noise effects.

Kernaussagen

  • Je nach Tätigkeitsanforderungen bestehen unterschiedliche Beurteilungspegel-Grenzwerte zur Vermeidung von extraauralen Lärmwirkungen.
  • Neben dem Beurteilungspegel sind weitere raumakustische Kenngrößen zur Beurteilung der Schallsituation notwendig.
  • Zur Beurteilung der Lärmsituation beschreibt die ASR A3.7 ein in einem ersten Schritt ­anzuwendendes orientierendes Verfahren
  • Anwendung der Arbeitsstättenregel Lärm in der Praxis am Beispiel Büro

    „Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, so dichtet Wilhelm Busch schon vor über 100 Jahren. Und wie bei Musik, so scheiden sich auch bei vielen anderen Geräuschen die Geister. Häufig wird dann von „Lärm“ gesprochen, wobei dieser nicht immer gehörschädigend sein muss. Lärm kann auch physiologische, psychische und soziale Wirkungen auf Menschen haben. In diesen Fällen wird von extraauralen Lärmwirkungen gesprochen. Auch vor diesen Lärmwirkungen sind Menschen bei der Arbeit zu schützen.

    Was ist Lärm?

    Wird von Lärm gesprochen, denken die meisten Menschen an Gehörschäden. Doch nicht immer muss Lärm gehörschädigend sein. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) definiert Lärm als jedes unerwünschte laute Geräusch. Dabei wird nicht näher ausgeführt, was als lautes Geräusch zu verstehen ist. Die wesentliche Aussage ist jedoch, dass es sich um unerwünschte Geräusche handelt. Unerwünschte Geräusche werden deshalb häufig auch als Störschall bezeichnet, während Schallereignisse, die für die Tätigkeit, das Arbeitsergebnis oder den Fortgang der Arbeit notwendig sind, als Nutzschall bezeichnet werden. Trotzdem kann Nutzschall auch gehörschädigend sein, wenn dieser dauerhaft einen entsprechend Schalldruckpegel erreicht. Für eine gesicherte Aussage, ob gehörschädigender Lärm vorliegt oder nicht, ist deshalb immer eine Messung notwendig.

    Doch auch wenn kein gehörschädigender Lärm vorliegt, kann insbesondere der als Störschall bezeichnete Lärm physiologische, psychische und soziale Wirkungen haben. Mögliche extraaurale Lärmwirkungen können Stressreaktionen wie zum Beispiel erhöhter Blutdruck und Verringerung der Magen- und Darmaktivität oder Beeinträchtigung der kognitiven Leistung sein (➥ Abb. 1).

    Lärm in Arbeitsstätten

    Von gehörschädigendem Lärm wird ab einem äquivalenten Dauerschallpegel von 80 dB(A) gesprochen. Für solche Lärmwerte ist die Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch Lärm und Vibrationen (Lärm- und Vibrations-Arbeits­schutzverordnung, LärmVibrationsArbSchV) mit den dazugehörigen technischen Regeln (TRLV Lärm) heranzuziehen. Liegt der äquivalente Dauerschallpegel unterhalb von 80 dB(A), ist die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A3.7 „Lärm“ anzuwenden. In den weiteren Ausführungen werden ausschließlich die Regelungen im Anwendungsbereich der ASR A3.7 behandelt.

    Wie laut es am Arbeitsplatz werden darf, hängt von der dort verrichteten Tätigkeit ab. Dabei stellt die Art der Tätigkeit gewisse Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit oder Sprachverständlichkeit der Beschäftigten bei der Arbeit.

    Hierfür werden drei Tätigkeitskategorien definiert:

  • Tätigkeitskategorie I – hohe Konzentration oder hohe Sprachverständlichkeit: Ein Beurteilungspegel von 55 dB(A) darf nicht überschritten werden.
  • Tätigkeitskategorie II – mittlere Konzentration oder mittlere Sprachverständlichkeit: Ein Beurteilungspegel von 70 dB(A) darf nicht überschritten werden.
  • Tätigkeitskategorie III – geringe Konzentration oder geringe Sprachverständlichkeit: Der Beurteilungspegel ist so weit wie möglich zu reduzieren.
  • Merkmale dieser Tätigkeiten und Beispiele für Arbeiten im Bereich von Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen beziehungsweise in Bürogebäuden sind in ➥ Tabelle 1 aufgeführt.

    Tabelle 1:  Tätigkeitskategorien, Merkmale und Beispiele (in Anlehnung an DGUV Regel 115-401)

    Tabelle 1: Tätigkeitskategorien, Merkmale und Beispiele (in Anlehnung an DGUV Regel 115-401)

    Häufig kommt es vor, dass trotz Einhaltung des Beurteilungspegels die Situation am Arbeitsplatz von Menschen als zu laut empfunden wird. In der Regel geht es dabei um Sprache, bei der jedes Wort glasklar verstanden wird. Insbesondere im Bürobereich handelt es sich dabei für viele Beschäftigte um Störschall, da sie die an einem anderen Arbeitsplatz besprochen Informationen nicht benötigen. Da allein die Betrachtung des Beurteilungspegels nicht zielführend ist, werden weiter raumakustische Kenngrößen in der ASR A3.7 berücksichtigt. Neben der Nachhallzeit als Maß für die Abklingzeit eines Raums nach einem Schallereignis und dem Schallabsorptionsgrad als Maß für die absorbierende Wirkung einer Fläche wird auch die Sprachverständlichkeit benannt. Allerdings wird die Sprachverständlichkeit nur als Kriterium aufgeführt und nicht messtechnisch behandelt.

    Für verschiedene Arten von Büroräumen werden Werte für die Nachhallzeit (T) vorgegeben. Diese soll in den Oktavbändern von 250 Hz bis 2000 Hz folgende Werte nicht überschreiten.

  • Call Center: T = 0,5 s
  • Mehrpersonen- und Großraumbüro: T = 0,6 s
  • Ein- und Zweipersonenbüro: T = 0,8 s
  • Als Hinweis wird aufgeführt, dass in Büroräumen in der Regel der Bedarf einer guten Sprachverständlichkeit über eine geringe Entfernung besteht, bei der andere, nicht beteiligte Personen nicht gestört werden sollen.

    Für Räume in Bildungseinrichtungen wird ebenfalls eine Nachhallzeit in den Oktavbändern von 250 Hz bis 2000 Hz vorgegeben, allerdings ist sie bei diesen Räumen in Abhängigkeit vom Raumvolumen zu berechnen. Ziel ist es hier, eine gute Sprachverständlichkeit der vortragenden Person im gesamten Raum zu erreichen.

    Weitere Arbeitsräume in Arbeitsstätten, in denen Sprachkommunikation erforderlich ist, sollen durch raumakustische Maßnahmen so gestaltet werden, dass ein mittlerer Schallabsorptionsgrad (ᾱ) von mindestens
    ᾱ = 0,3 erreicht wird.

    Beurteilung der Gefährdung durch Lärm

    Zur Beurteilung einer Gefährdung durch Lärm am Arbeitsplatz oder im Arbeitsraum ist ein abgestuftes Verfahren beschrieben. Im ersten Schritt können Arbeitgeber ein vereinfachtes Verfahren in Form einer lärmbezogenen Arbeitsplatzbegehung anwenden. Diese muss von mindestens zwei Personen unabhängig voneinander zu Zeiten typischer und länger andauernder Arbeitssituationen durchgeführt werden. Dabei sind bestimmte Kriterien zu berücksichtigen, wie zum Beispiel Halligkeit des Raums, verwendete Materialien (schallharte Oberflächen wie Beton, Glas etc.), Nutzungsart des Raums, Art der Tätigkeiten und Hinweise aus dem Kreis der Beschäftigten.

    Kann im Rahmen der lärmbezogenen Arbeitsplatzbegehung eine Gefährdung durch Lärm nicht ausgeschlossen werden – auch nachdem gegebenenfalls zusätzliche Maßnahmen ergriffen wurden –, so sind geeignete weitergehende Ermittlungsverfahren anzuwenden.

    Wenn die Bewertung der Lärmsituation am Arbeitsplatz nach ASR A3.7 messtechnisch erfolgt, muss ein Beurteilungspegel (Lr) ermittelt werden. Der Beurteilungspegel setzt sich dabei wie folgt zusammen:

    Lr = LpAeq + KI + KT

    LpAeq = äquivalenter Dauerschallpegel während einer Tätigkeit in dB(A)

    KI = Impulszuschlag

    KT = Zuschlag für Tonalität oder Informationshaltigkeit

    Die Summe der Zuschläge KI + KT ist auf 6 dB(A) begrenzt. Die Messung muss eine charakteristische Schallsituation von mindestens einer Stunde abbilden.

    Bei einer orientierenden Messung können die Zuschläge in der Regel nicht ermittelt werden. Des Weiteren ist bei orientierenden Messungen von einer Messungenauig­keit von ± 3 dB(A) auszugehen. Deshalb müssen bei orientierenden Messungen die Messwerte 9 dB(A) unterhalb der für die Tätigkeitskategorie I (46 dB(A)) und Tätigkeitskategorie II (61 dB(A)) zulässigen Beurteilungspegel liegen, um von einem sicheren Einhalten des Beurteilungspegels ausgehen zu können.

    Bei der Ermittlung der raumakustischen Kennwerte können Arbeitgeber ebenfalls wählen, ob sie dies durch Abschätzung oder Messung durchführen möchten.

    Die Abschätzung des mittleren Schallabsorptionsgrad beziehungsweise der Nachhallzeit erfolgt mittels Anhang 2 der ASR A3.7. In der dort zu findenden Tabelle sind typische Materialien, Baustoffe und Einbauelemente für Arbeitsräume mit den zugehörigen Schallabsorptionsgraden (arithmetisch gemittelt von 250 Hz bis 2000 Hz) enthalten. Bei Kenntnis der im Arbeitsraum verwendeten Materialien und Einbauelemente kann damit der mittlere Schallabsorptionsgrad ermittelt werden.

    Sprachverständlichkeit

    Doch auch wenn sich Beurteilungspegel und Nachhallzeit in den vorgegebenen Bereichen bewegen, kann es insbesondere im Bürobereich weiterhin zu Störungen durch Sprache kommen. Vor allem in Mehrpersonen- und Großraumbüros spielt die Sprachverständlichkeit eine große Rolle. Hier treffen konkurrierende Anforderungen an Arbeitsplätze aufeinander. In Kommunikationsbereichen steht der Austausch von Informationen im Vordergrund und erfordert deshalb eine hohe Sprachverständlichkeit über den gesamten Bereich. Auf der anderen Seite findet im Büro auch konzentriertes Arbeiten am Bildschirm statt. Hier steht die Konzentrationsfähigkeit am Arbeitsplatz im Vordergrund und eine hohe Sprachverständlichkeit im Büroraum wirkt sich an diesen Plätzen als störend aus. Damit gutes Arbeiten im Mehrpersonen- oder Großraumbüro gelingt, ist eine gute raumakustische Planung notwendig, um Kommunikationszonen von Konzentrationszonen abzuschirmen und Störwirkungen zu minimieren.

    Zur Beschreibung der Sprachverständlichkeit wurden verschiedene physikalische Messgrößen entwickelt. Eine inzwischen etablierte Messgröße ist der Sprachübertragungsindex (engl. Speech Transmission Index, kurz STI). Eine sehr gute Sprachverständlichkeit kennzeichnet ein STI-Wert von 1, während eine schlechte Sprachverständlichkeit bei einem Wert von 0 vorliegt. Ab einem STI-Wert ≤ 0,5, reduziert sich die Störwirkung durch Sprache und es ist von einer Zunahme der Konzentrationsfähigkeit auszugehen.

    In der aktuellen Ausgabe der DGUV Information 215-443 „Akustik im Büro“ (s. Online-Quellen) wurde der Sprachübertragungsindex als weitere akustische Kenngröße für Büroraumplanung aufgenommen. Durch Berücksichtigung der Störwirkung von Sprache kann damit die Planung von Büroräumen auf Basis der ASR A3.7 optimiert werden. Anhand verschiedener Beispiele zeigt die Schrift dies leicht nachvollziehbar auf. Eine gute Akustik im Büro
    muss kein Zufallsprodukt sein, sondern vielmehr ein Ergebnis guter raumakustischer Planung.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Online-Quellen

    Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR) A3.7 „Lärm“
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/ASR/ASR-A3-7

    DGUV Regel 115-401 „Branche Bürobetriebe“
    https://www.bghm.de/fileadmin/user_upload/Arbeitsschuetzer/Gesetze_Vors…

    DGUV Information 215-443 „Akustik im Büro“
    https://www.uv-bund-bahn.de/fileadmin/user_upload/215-443.pdf

    Kontakt

    Andreas Stephan
    Leiter Sachgebiet BüroVBG – Ihre gesetzliche ­Unfallversicherung; Martin-Luther-Str. 79; 71636 Ludwigsburg

    Foto: Berthold Steinhilber/laif

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