Hintergrund
Muskel-Skelett-Beschwerden und -Erkrankungen beim Reinigungspersonal sind weit verbreitet und seit Jahren die Diagnosehauptgruppe mit den meisten Arbeitsunfähigkeitstagen in Deutschland (Knieps u. Pfaff 2018; Marschall et al. 2018; Badura et al 2017). 27,6 Prozent der Fehltage sind nach diesen Statistiken auf Muskel-Skelett-Erkrankungen zurückzuführen. Zudem verursachen sie mit durchschnittlich über 17 Tagen pro Fall verhältnismäßig lange Ausfallzeiten. In einer Umfrage unter Gebäudereinigungspersonal für Innenräume berichteten 74 Prozent, dass sie im vorangegangenen Jahr Schmerzen und Beschwerden bezüglich des Muskel-Skelett-Systems hatten. 52 Prozent der Betroffenen begaben sich deshalb in ärztliche Behandlung. Rücken- und Schulter-Arm-Beschwerden können die Folge unzureichender Arbeitsmittel und langjährig falsch ausgeführter Haltungen oder Bewegungen sein.
Eine Verringerung der körperlichen Belastungen kann durch ergonomisch optimierte Reinigungsgeräte, rückengerechte Arbeitshaltungen, aber auch durch gelenkneutrale Greifpositionen erreicht werden. Da keine Untersuchungen hierzu bekannt sind, hat die BG BAU das IFA beauftragt, unter diesen Aspekten drei verschiedene längenverstellbare Wischerstiele für Bodenreinigungsarbeiten zu untersuchen.
Auswirkungen verschieden gestalteter Teleskop-Wischerstiele auf Belastungs- und Haltungsparameter
Für diese Untersuchung führten 17 Beschäftigte (Alter 17–55 Jahre, Mittelwert 37 ± 11 Jahre) eines Gebäudereinigungsunternehmens eine standardisierte Reinigungstätigkeit durch.
Folgende drei Wischerstiele (➥ Abb. 1) wurden untersucht:
Während der Laborversuche waren die Testpersonen und Bodenwischerstiele mit reflektierenden Markern ausgestattet (s. Abb. 1). Als Teil eines 3D-Motion-Capture Systems (VICON) ermöglichen sie eine kontinuierliche Erkennung von Position und Orientierung im Versuchsbereich. Auf diese Weise wurden Haltungen und Bewegungen des Körpers und der Stiele berührungsfrei aufgezeichnet und anschließend ausgewertet. Aufgrund der eingangs erwähnten Beschwerdebereiche standen die Rumpfneigung, Elevation der Arme sowie Handgelenks- und Ellenbogenwinkel im Fokus.
Zur Abschätzung der muskulären Belastung wurde in Vorversuchen die Oberflächen-Elektromyographie (OEMG) eingesetzt. Die subjektive Meinung und die empfundene Anstrengung bei der Verwendung der verschiedenen Stieltypen wurde anhand von Fragebögen und Ratingskalen für Arme und Hände eingeholt. Dies erfolgte unmittelbar nach der Nutzung der jeweiligen Wischerstiele.
Die Aufgabe war als „Feuchtwischen“ einer definierten Bodenfläche standardisiert. Die Arbeitsgeschwindigkeit wurde den Teilnehmenden dabei selbst überlassen. Die Bahnen waren mit jedem der drei Stiele je dreimal zu wischen, wobei die Reihenfolge der Stieltypen zufällig variiert wurde. Typ und Größe des Mopps war bei allen Stielen identisch. Vor Versuchsbeginn hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, sich mit den unterschiedlichen Stieltypen vertraut zu machen und jeweils mindestens einmal die komplette Fläche zu wischen. Somit waren zu Versuchsbeginn für alle die gleichen Bedingungen gegeben (leicht benetzter, sauberer Fußboden).
Die Stiele wurden standardisiert auf eine Länge zwischen Kinn- und Schulterhöhe der jeweiligen Versuchsperson eingestellt. Kann ein Stiel am oberen Ende von oben gegriffen werden (...), sollte er bei dieser Greifhaltung entsprechend um einige Zentimeter verkürzt werden (abhängig von der Form des Knaufs und der Position des Handgelenks, siehe Abb. 2), um eine resultierende erhöhte Elevation des Armes zu vermeiden.
Die Ergebnisse der Oberkörperhaltungsdaten bestätigen die bisherigen Empfehlungen bezüglich einer individuell einzustellenden Stiellänge auf Schulterniveau. Diese begründeten sich auf Erfahrungen und gingen davon aus, dass sich bei einem zu lang eingestellten Stiel der Abstand zwischen Mopphalter und Füßen vergrößert. Die Wischbewegungen würden ausladender und es müsste eine höhere Kraft für die Wischbewegung aufgewendet werden. Ein zu kurz eingestellter Stiel würde eine stärkere Vorneigung des Oberkörpers verursachen, was eine zusätzliche Belastung der Lendenwirbelsäule nach sich ziehen könnte.
Verschiedene Greifmöglichkeiten bei Stielen mit einem drehbaren Knauf/Griff können bei richtiger Nutzung eine Reduktion oder zumindest eine gleichmäßigere Verteilung der grundsätzlich hohen Belastungen für die oberen Extremitäten bei der manuellen Bodenreinigung bewirken. Das Greifen von oben (➥ Abb. 2, rechts) bewirkte im Vergleich zum seitlichen Greifen (Abb. 2, links) am Handgelenk eine geringere Bewegungsamplitude und durchschnittlich eine neutralere Handhaltung. Wenn die Hand auf einen Knauf/Griff am oberen Ende des Stiels gelegt wird, sollte der Stiel aber um einige Zentimeter verkürzt werden, damit sich die obere Hand nicht über Schulterniveau befindet (s. Abb. 2). Aufgrund variabler Greifmöglichkeiten bei bestimmten Stieltypen können die Empfehlungen also entsprechend erweitert werden. Der positive Effekt wirkt sich allerdings nur bei richtiger Bedienung aus, daher muss eine Einweisung zur richtigen Anwendung und den erzielbaren positiven physiologischen Effekten erfolgen. Detaillierte Ergebnisse zum Projekt werden im Laufe des Jahres in einem IFA-Report nachzulesen sein.
Fazit
Die Wahl des Reinigungsgeräts sollte von der voraussichtlichen Belastungszeit abhängig gemacht werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung legen nahe, dass das gelegentlich wiederholte, nur kurzzeitig andauernde Reinigen von kleinen Flächen durchaus mit einem herkömmlichen Bodenwischerstiel durchgeführt und dabei eine erhöhte körperliche Belastung in Kauf genommen werden kann, wenn anschließende Erholungszeiten der belasteten Körperregion gewährleistet sind. Eine individuelle Anpassung der Länge des Bodenwischerstiels an die Körperhöhe (z. B. durch ein Teleskopsystem) ist jedoch zwingend notwendig, um eine relativ aufrechte Körperhaltung zu gewährleisten. Verschiedene Greifmöglichkeiten helfen, einseitige und gleichförmige Belastungen der Handgelenke durch gelegentliche Haltungs- beziehungsweise Greifwechsel zu reduzieren. Dies kann eine Veränderung der gewohnten Arbeitsweise erfordern und sollte dementsprechend durch Informationsmaterial mit anschaulichen Beispielen oder noch besser mit einer direkten Anleitung am Arbeitsplatz begleitet werden. Die subjektiven Bewertungen zeigten, dass innovative Lösungen unter Umständen neu zu lernende Bewegungsmuster erfordern. Langfristige Verhaltensänderungen können durch regelmäßiges Üben erzielt werden. Erfahrungsgemäß dauert es eine längere Zeit, bis die Gewohnheit überwunden und durch ein neu erlerntes Verhalten ersetzt wird.▪
Interessenkonflikt: Der Erstautor und seine Koautorin geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Literatur
Knieps F, Pfaff H (Hrsg.): BKK Gesundheitsreport 2018 Arbeit und Gesundheit 50+. Berlin: BKK Dachverband e.V., 2018.
Marschall J, Hildebrandt S, Zich K, Tisch T, Sörensen J, Nolting H-D: DAK-Gesundheitsreport 2018. Hamburg: DAK-Gesundheit, 2018.
Badura B, Ducki A, Schröder H, Klose J, Meyer M (Hrsg.): AOK Fehlzeitenreport 2017. Krise und Gesundheit – Ursachen, Prävention, Bewältigung. Berlin: Springer, 2017.
Koautorin
Mitautorin des Beitrags ist Frau Dipl.-Ing. Kerstin Steindorf, BG BAU – Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, Berlin