Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Biomonitoring in der Gefährdungsbeurteilung

Einleitung

1,3-Butadien (CAS-Nr. 106-99-0) wird technisch unter anderem aus Erdöl mittels Steamcracking gewonnen. Es ist ein farbloses Gas, das bei der Herstellung von Synthesekautschuk eingesetzt wird, zum Beispiel des Styrol-Butadien-Rubbers (SBR).

1,3-Butadien ist nach CLP-Verordnung in die Kanzerogenitätskategorie 1A (Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen) sowie in die Mutagenitätskategorie 1B eingestuft (GESTIS, CLP). Bei einer beruflichen Exposition gegenüber mehr als 5 mg/m³ (2 ppm, Toleranzrisiko-Konzentration gemäß TRGS 910) über einen Zeitraum von 40 Jahren besteht ein Risiko von 4 zu 1000, Non-Hodgkin-Lymphome zu entwickeln (TRGS 910).

Für 1,3-Butadien gilt, dass nach ArbmedVV wegen seiner krebserzeugenden und keimzellmutagenen Wirkung eine Angebotsvorsorge anzubieten ist. Darüber hinaus sollte den Beschäftigten ein Biomonitoring angeboten werden, da sowohl ein anerkanntes Analysenverfahren vorliegt als auch Werte zur Beurteilung zur Verfügung stehen (ArbmedVV §6 (2) und AMR 6.2).

1,3-Butadien-Biomonitoring

Als Biomarker einer 1,3-Butadien-Belastung wird die 3,4-Dihydroxybutylmerkaptursäure (DHBMA) im Urin nach Schicht bestimmt. DHBMA ist mit 97 % der Hauptmetabolit des 1,3-Butadiens. Es liegt eine Hintergrundbelastung bezüglich 1,3-Butadien vor, so dass ein Biologischer Arbeitsstoffreferenzwert (BAR) von 0,4 mg/g Kreatinin abgeleitet werden konnte (Göen 2014). Der Äquivalenzwert zum Akzeptanzrisiko beträgt 0,6 mg/g Kreatinin (zusätzliches Lebenszeit-Krebsrisiko 4:10.000), der zum Toleranzrisiko 2,9 mg/g Kreatinin (zusätzliches Lebenszeit-Krebsrisiko 4:1000) nach TRGS 910. Weitere Informationen zur Hintergrundbelastung und Beurteilungswerte für 1,3-Butadien und der Merkaptursäure sind in ➥ Tabelle 1 zusammengefasst.

Ergibt eine Auswertung der Biomonitoring-Befunde Anhaltspunkte für unzureichende Schutzmaßnahmen, so hat die Ärztin oder der Arzt dies nach § 6 Absatz 4 ArbMedVV (AMR 6.4) dem Betrieb mitzu­teilen und Schutzmaßnahmen vorzuschlagen. Die Erkenntnisse können unter Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht in die Gefährdungsbeurteilung des Betriebs einfließen.

Am Beispiel des 1,3-Butadiens soll im Folgenden gezeigt werden, wie wichtig das Biomonitoring zur Wirksamkeitskontrolle der getroffenen Schutzmaßnahmen ist.

Kollektiv und Methode

Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge wurde bei 200 männlichen Chemiefacharbeitern, die in der Herstellung von synthetischem Kautschuk beschäftigt sind, ein Biomonitoring zur Objektivierung einer potenziellen Exposition gegenüber 1,3-Butadien durchgeführt. Die Urinsammlung erfolgte nach Schicht (5-Schicht-Betrieb). In den Urinproben wurde der 1,3-Butadienmetabolit DHBMA mittels LC-MS/MS analog der Methode von Eckert et al. (2016) analysiert. Personenbezogene Luftmessungen wurden im Betrieb mit dem in der DGUV Information 213-526 beschriebenen Messverfahren ebenfalls durchgeführt.

Als Arbeitsschutzmaßnahme für alle Tätigkeiten war das Tragen eines Arbeitsoveralls vorgeschrieben, weil die Gefährdungsbeurteilung ergeben hat, dass kein offener Umgang besteht.

Ergebnisse

Ausgangslage

Das Ergebnis der Biomonitoring-Untersuchungen in 200 Urinproben auf den 1,3-Butadien-Metaboliten DHBMA im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge war, dass bei 40% der Beschäftigten der Äquivalenzwert zum Toleranzrisiko von 2,9 mg/g Kreatinin überschritten war (➥ Abb. 1). Die Konzentration des 1,3-Butadiens in der Luft am Arbeitsplatz lag hingegen unterhalb der Bestimmungsgrenze.

Abb. 1:  Anzahl (%) der DHBMA-Werte oberhalb des Beurteilungswertes von 2,9 mg/g Kreatinin vor und nach verschiedenen Schutzmaßnahmenpakete

Abb. 1: Anzahl (%) der DHBMA-Werte oberhalb des Beurteilungswertes von 2,9 mg/g Kreatinin vor und nach verschiedenen Schutzmaßnahmenpakete

Biomonitoringwerte nach ­Maßnahmenpaket 1

Dieses unerwartete Ergebnis führte dazu, dass von Seiten des Betriebs in Zusammen­arbeit mit der Betriebsärztin/dem Betriebsarzt und dem Betriebsrat sofort technische Maßnahmen geplant und vorbereitet wurden. Als kurzfristig umsetzbare Maßnahmen erfolgten Schulungen der Beschäftigten und eine Überarbeitung des Konzepts zur Auswahl und Verwendung der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA). In der Gefährdungsbeurteilung wurden nun ver­schiedene Tätigkeiten definiert, die in insgesamt drei unterschiedlichen Arbeitsbereichen im Betrieb routinemäßig ausgeführt werden. Zu diesen Bereichen wurde das im Folgenden dargelegte PSA-Konzept hinterlegt:

  • Arbeitsbereich: für Tätigkeiten, die in diesem Bereich durchzuführen sind, wird ein Arbeitsoverall getragen.
  • Arbeitsbereich: zusätzlich zum Arbeitsoverall müssen Atemschutzmasken mit AX-Filter getragen werden.
  • Arbeitsbereich: Chemikalienschutzanzug Tychem F von DuPont und Atemschutzmasken mit AX-Filter sind hier vorgeschrieben.
  • Der Belegschaft wurde die Notwendigkeit der Anpassung des PSA-Konzepts in Schulungen (in Anwesenheit von Betriebsleitung, dem Betriebsrat sowie der Betriebsärztin bzw. dem Betriebsarzt) dargelegt. Es wurde insbesondere hervorgehoben, dass 1,3-Butadien ein humankanzerogener Stoff ist und dass eine arbeitstägliche Belastung mit diesem Stoff oberhalb des Äquivalenzwertes zum Akzeptanzrisiko und erst recht zum Toleranzrisiko vermieden werden muss. Es wurde betont, dass das neue PSA-Konzept dem Schutz der Gesundheit des einzelnen Beschäftigten dient. Ferner wurde der Belegschaft die Wichtigkeit, jetzt an den Biomonitoring-Untersuchungen als Wirksamkeitskontrolle teilzunehmen, erklärt.

    Die Schulungen führten dazu, dass alle Beschäftigten an der nachfolgenden Biomonitoring-Untersuchung teilnahmen – 16 Personen mehr als in der Erstuntersuchung. Das Ergebnis der 216 Urinproben auf DHBMA zeigte, dass nun nur noch bei 33 Personen (15 %) die DHBMA-Werte oberhalb von 2,9 mg/g Kreatinin lagen (s. Abb. 1). Unterteilt in die drei Arbeitsbereiche, wurden 52 % der Überschreitungen bei Tätigkeiten mit Arbeitsoverall, 30 % bei den definierten Tätigkeiten mit Arbeitsoverall und Atemschutzmaske und 18 % bei den definierten Tätigkeiten mit Chemikalienschutzanzug und Atemschutzmasken beobachtet (s. Abb. 1).

    Um den Einfluss der Arbeitshygiene näher zu untersuchen, wurden die auffälligen Werte in dem nächsten Schritt den einzelnen Schichtgruppen zugeordnet. Der Betrieb hat ein 5-Schicht-Modell mit jeweils vergleichbarer Beschäftigtenzahl.

    Biomonitoringwerte nach Maßnahmenpaket 1 schichtspezifisch

    In ➥ Tabelle 2 sind die für jede Schicht und Tätigkeitsbereich ermittelten prozentualen Häufigkeiten der Überschreitungen des Äquivalenzwertes zum Toleranzrisiko (BW 2,9 mg/g Kreatinin) sowie die Maximalwerte dargestellt. Es ist ersichtlich, dass zwischen den Schichtmannschaften erhebliche Unterschiede sowohl bezüglich der Häufung von Auffälligkeiten als auch hinsichtlich der Höhe der Maximalwerte bestanden. Beschäftigte der Schicht 1 hatten am seltensten eine nicht tolerable 1,3-Butadienbelastung (DHBMA > 2,9 mg/g Kreatinin), die Beschäftigten der Schicht 4 demgegenüber am häufigsten. Auch die Höhe der Belastung variierte stark zwischen den Schichten (von leicht oberhalb des BW bis zu einer fast 20fachen Überschreitung des BW).

    Das Maßnahmenpaket 1 führte zwar zu einer Verbesserung der Belastungssituation der Beschäftigten, das Ergebnis war jedoch noch nicht zufriedenstellend. Daher wurde beschlossen, sämtliche definierten Tätigkeiten, unabhängig vom Arbeitsbereich, mit Chemikalienschutzanzug und Atemschutzmaske durchführen zu lassen.

    Tabelle 2:  Wirksamkeitskontrolle nach Umsetzung des Maßnahmenpaketes 1 mittels Biomonitoring (DHBMA im Urin als Marker einer 1,3-Butadienbelastung*)

    Tabelle 2: Wirksamkeitskontrolle nach Umsetzung des Maßnahmenpaketes 1 mittels Biomonitoring (DHBMA im Urin als Marker einer 1,3-Butadienbelastung*)

    Biomonitoringwerte nach Maßnahmenpaket 2

    Das Ergebnis der erneut abgegebenen 216 Urinproben auf DHBMA zeigte nun nur noch 2 % Überschreitungen des Äquivalenzwertes zum Toleranzrisiko von 2,9 mg/g Kreatinin (s. Abb. 1). Die vier Überschreitungen betrafen ausnahmslos die Schicht 4.

    Ein direkter Stoffkontakt ist durch das Tragen eines Chemikalienschutzanzuges sowie einer Atemschutzmaske ausgeschlossen. Somit ist die Belastung durch diese Tätigkeiten nur erklärbar durch nicht optimale Arbeitshygiene.

    Beim Umgang mit kanzerogenen Stoffen wie 1,3-Butadien ist das Tragen eines Chemikalienschutzanzugs und einer Atemschutzmaske unabdinbar

    Foto: AdamGregor/ Getty Images

    Beim Umgang mit kanzerogenen Stoffen wie 1,3-Butadien ist das Tragen eines Chemikalienschutzanzugs und einer Atemschutzmaske unabdinbar

    Diskussion

    Durch das Biomonitoring wurden Lücken im persönlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz sichtbar gemacht und konnten adressiert werden. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die Ergebnisse von Biomonitoring-Untersuchungen in die Gefährdungsbeurteilung des Betriebs einfließen sollten, um die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen für definierte Tätigkeiten überprüfen zu können. Es wurden während des hier dargestellten Untersuchungszeitraums von Seiten des Unternehmens in Zusammenarbeit mit Betriebsärztin/Betriebsarzt und Betriebsrat zwar sofort technische Maßnahmen in die Wege geleitet, deren Umsetzung aber nicht zeitnah erfolgen konnte. Daher wurde als Interimslösung auf organisatorische Maßnahmen in Hinblick auf Schulungen als auch auf Veränderungen in der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA) zurückgegriffen.

    Aus arbeitsmedizinischer Sicht war auffällig, dass obwohl in allen Schichten dieselben Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz ergriffen wurden, in einer der Schichtmannschaften häufigere und höhere Überschreitungen des Beurteilungswertes beobachtet wurden. Es zeigte sich bei den Schulungen, dass die Relevanz der Maßnahmenumsetzungen den Beschäftigten vorgelebt werden muss, beispielsweise vom Schichtmeister. Darüber hinaus erfordert es eine kontinuierliche betriebsärztliche Betreuung und auch wiederholte Biomonitoring–Untersuchungen, um nachhaltig eine Stoffbelastung in einem Betrieb zu reduzieren. Über die Relevanz des Biomonitorings für die Verbesserung der Arbeitshygiene wurde am Beispiel der Isocyanate bereits berichtet (Leng 2013).

    Interessenkonflikt: Die Autorenschaft gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

    Literatur

    DGUV Information 213-526, Verfahren zur ­Bestimmung von 1,3-Butadien, September 2018.

    Eckert E, Göen T, Hartwig A, MAK Commission: ­Merkaptursäuren des 2-Chloroprens, des Epichlorhydrins und des 1,3-Butadiens in Urin, The MAK Collection for Occupational Health and Safety 2016, Vol 1, No 3.

    Leng G et al: Biomonitoring im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung G 27 am Beispiel von Hexamethylen-1,6-Diisocyanat (HDI). Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2013; 48: 392–396.

    Weitere Infos

    Arbeitsmedizinische Vorsorge nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV), Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Stand Juli 2019
    https://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/a453-arbeitsmedizin…

    Arbeitsmedizinische Regel Bio­monitoring (AMR 6.2), Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Stand Februar 2014
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

    Arbeitsmedizinische Regel Biomonitoring (AMR 6.4), Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Stand Juni 2014
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

    Begründung zu Expositions-Risiko-Beziehung für 1,3-Butadien in BekGS 910, BAuA
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

    CLP-Regulation classification, labelling and packaging of substances and mixtures, (EC) No 1272/2008
    https://echa.europa.eu/de/regulations/clp/legislation

    GESTIS-Stoffdatenbank 1,3-Butadien, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
    https://www.google.de/search?ei=I90NXoWfEILhkgXr-7zgBw&q=gestis+stoffda…...
    0.3..0.94.503.6......0....1..gws-wiz.......0i71j0i131i67j0i67j0i131j0i10.UzMattK5ZAE#spf=
    1577967021575

    Göen T, Hartwig A, MAK Commission: Addendum zu 1,3-Butadien [BAT Value Documentation in German language [2013], Documentation and Methods, The MAK Collection for Occupational Health and Safety 2013
    https://doi.org/10.1002/­ 3527600418.bb10699d0020

    TRGS 910 Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regel…

    Für die Autorenschaft

    Prof. Dr. med. Gabriele Leng
    Currenta GmbH & Co. OHG
    CUR-SER-GS-Institut für ­Biomonitoring
    51368 Leverkusen

    Foto: Currenta

    Koautoren

    Mitautoren des Beitrags sind Dr. Christoph Schmidtkunz und Dr. Michael Held
    (Gesundheitsschutz – Institut für Biomonitoring, Leverkusen).

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen