Definition
International wird die pneumologische Rehabilitation definiert als eine umfassende Intervention, die auf einer gründlichen Untersuchung des Patienten basiert mit den sich daraus ergebenden individuellen Therapien. Diese beinhalten, sind aber nicht beschränkt auf körperliches Training, Schulung und Verhaltenstherapie, um die physische und psychische Kondition von Patienten mit einer chronischen Lungenerkrankung zu verbessern und die Compliance für gesundheitsförderndes Verhalten zu erhöhen (Spruit 2013).
Effekte
Mit einer höheren Effektstärke als in anderen Fachrichtungen sind die Erfolge der pneumologischen Rehabilitation gesichert (Prognos 2009, S. „Weitere Infos“). Erreicht werden:
- Verringerung der Krankenhausbehandlungen
- Reduzierung der Notfallbehandlungen
- Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit
- Verminderung der Atemnot und Beinermüdung
- Verbesserung der Muskelkraft und -ausdauer
- Steigerung der krankheitsbedingten Lebensqualität
- Verbesserung der Funktionsfähigkeit (z. B. der Aktivitäten des täglichen Lebens)
- Steigerung der Selbstwirksamkeit und des Wissens über die Erkrankung
- Steigerung eines kollaborativen Selbstmanagements
- Fähigkeiten, steigende tägliche Aktivitäten zu bewältigen (Rochester 2015).
Ziele
In Deutschland spielen die trägerspezifischen Rehabilitationsziele eine wichtige Rolle. Die medizinische Rehabilitation zielt
- in der Krankenversicherung darauf, eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern;
- in der Rentenversicherung, einschließlich der Altersversicherung der Landwirte, darauf, den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern.
- in der Unfallversicherung darauf, den durch den Arbeitsunfall oder die Berufserkrankung verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern, und den Rehabilitanden auch dadurch möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern.
Krankheitsspektrum
Dass Rehabilitation bei vielen pneumologischen Erkrankungen eingesetzt werden soll, ist in den letzten 20 Jahren durch eine verbesserte Studienlage immer klarer geworden. Dazu gehören obstruktive Erkrankungen (COPD, Asthma), restriktive Erkrankungen (Fibrosen, Sarkoidose, Asbestose, Silikose, Thoraxdeformitäten) und noch weitere, wie Lungenkrebs, Pulmonale Hypertonie, Z. n. Lungenoperationen, Volumenreduktionen und Transplantationen (Spruit 2013).
Anfangs lag der Schwerpunkt besonders auf den Volkserkrankungen Asthma und COPD („chronic obstructive pulmonary disease“). In Deutschland ist Asthma eine der häufigsten chronischen Erkrankungen, die bei ca. 10 % der kindlichen und ca. 5 % der erwachsenen Bevölkerung vorkommt. Die COPD gehört zu den häufigsten Erkrankungen weltweit. Für Deutschland wurde durch Lungenfunktionsteste in der Region Hannover eine Prävalenz von 13,4 % festgestellt (Geldmacher 2008). Die ökonomische Relevanz verdeutlicht sich z. B. in der Anzahl der AU-Fälle der erwerbstätigen Pflichtmitglieder in der Krankheitsartenstatistik des AOK-Bundesvebandes. Im Jahr 2011 wurden insgesamt 54,08 durch COPD bedingte AU-Fälle je 10 000 Mitglieder mit einer durchschnittlichen Anzahl an Krankheitstagen pro Fall und Jahr von 16,4 Tagen dokumentiert. Daraus ergeben sich insgesamt 884,46 AU-Tage je 10 000 Mitglieder. Da vor allem ältere Personen an COPD erkranken, ist auch die Betrachtung der Rentenfälle wegen verminderter Erwerbstätigkeit ein wichtiger Indikator für die Bedeutung der COPD-Erkrankung. 2011 wurden 3507 Rentenfälle wegen verminderter Erwerbsfähigkeit dokumentiert (Deutsche Rentenversicherung Bund 2011, s. „weitere Infos“). Der Wechsel im Krankheitsspektrum, gekennzeichnet durch die Zunahme chronischer Krankheiten, die demografische Entwicklung mit einer steigenden Zahl älterer Menschen sowie auch die Tendenz zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch den Gesetzgeber führen zu zwingender Optimierung von Therapieangeboten, wobei die Implementierung der Rehabilitation eine große Rolle spielt. Das bedeutete auch Flexibilisierung der Rehabilitation, die historisch bedingt in Deutschland überwiegend in Kliniken durchgeführt wird, die durch eine besondere Lage den Klima- und Erholungsfaktor berücksichtigen. Um einen leichteren Zugang zur Rehabilitation zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass ambulante Strukturen geschaffen werden müssen, die interdisziplinäre therapeutische Angebote wohnortnah vorhalten und damit die Möglichkeiten bieten, die Behandlung den Erfordernissen des Einzelfalls anzupassen. In anderen medizinischen Bereichen ist diese Entwicklung schon weit fortgeschritten. In der Pneumologie stehen wir erst am Anfang.
Vorteile der ambulanten Rehabilitation
Durch die ambulante Form der medizinischen Rehabilitation kann besonders erreicht werden:
- eine Erleichterung der stufenweisen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess oder eine rehabilitative Begleitung durch eine Nachsorge nach pneumologischer Rehabilitation entsprechend den Nachsorgemodellen in der Orthopädie, Kardiologie und Psychosomatik,
- erleichterte Kontaktaufnahme zum Betrieb zwecks frühzeitiger Einleitung innerbetrieblicher Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Wiedereingliederung,
- Förderung der Reintegration in das Wohnumfeld,
- stärkere Aktivierung des Selbsthilfepotenzials des Rehabilitanden durch Einbeziehung der Lebenswirklichkeit (Familie, Alltagsbelastungen, Arbeitswelt) in die rehabilitativen Bemühungen,
- verbesserte Kooperation in der Nachsorge (z. B. Rehabilitationssport, Funktionstraining, Kontaktanbahnung zu Selbsthilfegruppen, Kooperation mit niedergelassenen Ärzten),
- Nutzung eingliederungsfördernder Ressourcen eines vorhandenen komplementären sozialen Netzwerkes von Hilfen (z. B. Sozialstationen, Integrationsdienste).
Die ambulante Rehabilitation bietet außerdem die Möglichkeit, Personengruppen in die Rehabilitation mit einzubeziehen, die aus verschiedenen Gründen bei entsprechender medizinischer Indikation eine stationäre Rehabilitation nicht in Anspruch nehmen können.
Struktur- und Prozessqualität
Wie schon erwähnt, gibt es bisher in Deutschland nur sehr wenige ambulante pneumologische Rehabilitationseinrichtungen. Diese müssen den Kriterien entsprechen, die die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR) festgelegt und am 6. Juni 2008 herausgegeben hat. Dort sind die Anforderungen in Bezug auf Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität aufgeführt. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen legen die Kostenträger bei den Belegungsverträgen zugrunde. Sowohl in Bezug auf die Qualifizierung des Rehabilitationsteams als auch auf die therapeutischen Inhalte unterscheidet sich eine ambulante nicht von einer stationären Rehabilitation, nur, dass der Rehabilitand sein häusliches Umfeld nicht verlassen muss. In der Regel ist eine tägliche Therapiezeit von mindestens vier bis maximal sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche einzuhalten.
Wichtige Inhalte des ambulanten Rehabilitationskonzeptes sind:
- Rehabilitationsdiagnostik, die zum einen bei Beginn die individuellen Schädigungen, Beeinträchtigungen der Aktivität und drohende oder manifeste Beeinträchtigungen der Teilhabe sowie die relevanten Kontextfaktoren erfasst und am Ende die erreichten Erfolge dokumentiert.
- Darauf basiert auch die sozialmedizinische Beurteilung für den noch im Berufsleben stehenden Rehabilitanden. Unter Einbeziehung relevanter Vordiagnostik müssen die apparativen Möglichkeiten vorhanden sein, die diesen Anforderungen entsprechen.
Die Behandlungselemente für den pneumologischen Bereich sind evidenzbasiert und werden in Zusammenarbeit von Spezialisten der europäischen und amerikanischen Fachgesellschaften zusammengestellt (Spruit 2013). Hauptkomponenten sind Gesundheitstraining/Schulung, Raucherentwöhnung, Physiotherapie/Atemtherapie, medizinische Trainingstherapie (Ausdauer, Kraft, Koordination und Beweglichkeit), Ernährungstherapie, Entspannungsverfahren, Sozialberatung und Leistungserschließung sowie Initiierung von Nachsorgeleistungen.
Ambulante, wohn- und arbeitsplatznahe Einrichtungen haben gerade bei letzteren Punkten erhebliche Vorteile, die zuvor schon aufgezählt sind. Allerdings gibt es auch Ausschlusskriterien für eine ambulante Rehabilitation wie die Erreichbarkeit innerhalb einer zumutbaren Zeit (45 Minuten je Weg), Sicherstellung der häuslichen Versorgung sowie die Notwendigkeit einer zeitweisen Entlastung und Distanzierung vom sozialen Umfeld.
Umsetzung in die Praxis
Die Atem-Reha GmbH Hamburg wurde 2001 gegründet. Fördernd war, dass in dem Haus bereits ambulante Rehabilitationseinrichtungen anderer medizinischer Bereiche arbeiteten. Leichte Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ausreichende Parkmöglichkeiten waren und sind gegeben. In Anlehnung an die Einrichtung stationärer Kliniken und dem Beispiel von ambulanten pneumologischen Reha-Einrichtungen in anderen europäischen Ländern wurden die Inhalte, die Diagnostikmöglichkeiten und die Personalstruktur erstellt. Erst 2008 wurde von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation – unter Mitarbeit der ärztlichen Leitung der Atem-Reha – die Rahmenempfehlung als Grundlage für die vertragliche Anerkennung weiterer Einrichtungen herausgegeben (BAR 2008). Durch wissenschaftliche Untersuchungen von Beginn an konnten die oben aufgeführten Effekte auch im Rahmen der ambulanten Rehabilitation gesichert werden (von Leupoldt 2008). Bis zu 10 Teilnehmer beginnen jeweils in einer Gruppe am Montag. Nach der ärztlichen und physiotherapeutischen Untersuchung, der Abstimmung der Rehabilitationsziele sowie der notwendigen, ergänzenden Diagnostik, werden die individuellen Rehaziele erstellt. Regelhaft läuft eine Rehabilitationsmaßnahme über 15 Tage, jeweils von Montag bis Freitag. Die tägliche Therapiezeit beträgt 4 bis zu 6 Stunden mit ausreichenden Zwischenpausen und einem Mittagessen. Parallel werden also täglich ca. 30 Patienten behandelt. Dabei wechseln anstrengende Maßnahmen mit ruhigeren Phasen, Gruppen- und Einzeltherapien.
Nachsorge
Die Erfolge einer Rehabilitation können durch eine Verlängerung der Programme verstetigt oder sogar noch verbessert werden. Schon seit 2011 nehmen Rehabilitanden, bei denen Atemwegs- und Lungenerkrankungen als Berufserkrankung anerkannt sind, auf Kosten der Unfallversicherungen, nach einer 15-tägigen Rehabilitation an einer Nachsorge teil. Diese wird 1-mal pro Woche, insgesamt über 13 Wochen durchgeführt. Inhalte sind Atemphysiotherapie als Einzelmaßnahme, medizinische Trainingstherapie, Verhaltensänderung (z.B. Rauchstopp und Essgewohnheiten), Entspannungstherapie, Information und Motivation. Durch die wissenschaftliche Begleitung dieser Maßnahme, die zeitgleich auch in der berufsgenossenschaftlichen Ambulanz und Rehabilitation in Bremen durchgeführt wurde, konnten positive Effekte in Bezug auf körperliche Leistung und Lebensqualität gesichert werden (Dalichau 2010).
Seit 2013 läuft in der Atem-Reha Hamburg ein Modell in Zusammenarbeit mit der DRV Nord, das in Anlehnung an intensivierte Nachsorgen aus anderen medizinischen Bereichen erstmals im pneumologischen Bereich durchgeführt wird. Nach Beendigung der 15-tägigen Rehabilitationsmaßnahme nehmen die Teilnehmer berufsbegleitend an über insgesamt 24 Terminen jeweils über drei Stunden daran teil. Inhalte sind Übungs- und Trainingstherapie, Problemverarbeitung, Verhaltensänderung, Entspannungstherapie, Information, Motivation und Schulung sowie auch individuelle Maßnahmen. Eine Evaluation dieses Konzepts wird durchgeführt. Endgültige Ergebnisse liegen noch nicht vor. Es zeichnet sich aber eine gute Akzeptanz der Teilnehmer ab.
Zusammenfassung
Ambulante wohnortnahe medizinische Rehabilitation ist eine wichtige Komponente im modernen Rehabilitationsangebot und hat sich in den letzten 20 Jahren in vielen medizinischen Bereichen fest etabliert. In der Pneumologie ist diese neue Form mit erheblicher Verzögerung umgesetzt worden, trotz nachgewiesener hoher Effektivität. Die Notwendigkeit moderner flexibler Versorgungssysteme ist jedoch unbestritten und dazu gehört auch die Einrichtung von ambulanten pneumologischen Rehabilitationseinrichtungen, um eine optimale Versorgung auch der Patienten mit Atemwegs- und Lungenerkrankungen zu erreichen.
Literatur
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation: Rahmenempfehlungen zur ambulanten pneumologischen Rehabilitation. 1. Aufl. Frankfurt: BAR, 2008.
Dalichau S, Demendts A, im Sande A, Möller T: Kurz- und langfristige Effekte der ambulanten medizinischen Rehabilitation für Patienten mit Asbestose. Pneumologie 2010; 64: 163–170.
Geldmacher H, Biller H, Herbst A et al.: Die Prävalenz der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) in Deutschland. Ergebnisse der BOLD-Studie. Dtsch Med Wochenschr 2008; 133: 2609–2614.
Leupoldt A von, Hahn A, Taube K et al.: Effects of 3-week outpatient pulmonary rehabilitation on exercise capacity, dyspnea and quality of life in COPD. Lung 2008; 186: 378–391.
Rochester C, Vogiatzes I, Holland AE et al.: An Official American Thoracic Society/European Respiratory Society Policy Statement. Enhancing implementation, use, and delivery of pulmonary rehabilitation. Am J Respir Crit Care Med 2015; 192: 1373–1386.
Spruit MA et al.: An Official American Thoracic Society/European Respiratory Society Statement: Key concepts and advances in pulmonary rehabilitation. Am J Respir Crit Care Med 2013; 188: e13–e64.
Weitere Infos
Deutsche Rentenversicherung Bund. Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung. 2011
www.deutscherentenversicherung-bund.de
Prognos: Die medizinische Rehabilitation Erwerbstätiger – Sicherung von Produktivität und Wachstum. Basel, 2009