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Der Geruchsinn, ein wichtiges Sinnesorgan zur Entwicklung von genussvollem und gesundem Essverhalten bei Kleinkindern

Immer der Nase nach

Riechen in der Entwicklung des Kindes – Prägung zählt

Der erste ausgebildete Sinn im Mutterleib ist der Riechsinn, denn schon ab der 26./27. Schwangerschaftswoche ist die Nase als auch die dazugehörigen Gehirnstruktur bei uns Menschen komplett angelegt. Embryonen lernen bereits im Mutterleib Düfte kennen und bewerten. Eine Mutter prägt schon über das Fruchtwasser die Geruchs- und Geschmacksvorlieben ihres Kindes. Der Geruch der Muttermilch kann etwa durch die Aufnahme von Knoblauch, Alkohol, Vanille, Karotten, Anis, Curry oder nach dem Rauchen verändert sein. In einer amerikanischen Studie tranken die Säuglinge offensichtlich länger an der Brust und nahmen mehr Milch zu sich, wenn die Mütter Vanille zu sich genommen hatten. Eine Zeit lang gaben Babynahrungshersteller Vanillearomen in ihre Produkte und beeinflussten die Kinder möglicherweise nachhaltig. Man sprach sogar von der Vanille-Generation. Weiterhin wurde gezeigt, dass Babys, deren Mütter Anis in der Schwangerschaft zu sich genommen haben, nach der Geburt Anis gegenüber aufgeschlossen waren und als Aroma akzeptieren, wohingegen Babys, die während der Schwangerschaft das Gewürz nicht kennen lernten, Anis ablehnten. Dies zeigt, dass Eltern ab der Konzeption das Essverhalten ihrer Kinder prägen.

Viele Aromastoffe sind allerdings sehr labil und können im Körper abgebaut oder zu Derivaten verstoffwechselt werden, die wenig mit dem Ausgangsprodukt zu tun haben. Andere Aromastoffe kommen nur in sehr geringen Mengen in Lebensmitteln vor und haben kaum Auswirkung. Das Team des Lehrstuhls für Aroma- und Geruchsforschung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) wies nach, dass die Einnahme von Fischöl und Stilltee das Aromaprofil der Muttermilch nicht verändert. Eukalyptuskapseln geben der Muttermilch dagegen eine deutliche Eukalyptusnote.

Zum Duft übertragen sich zusätzlich auch die Emotionen der Mutter auf den Embryo. Nur durch die Erinnerung an Erlebnisse im Mutterleib werden Gerüche später positiv oder negativ bewertet. So wird ein Kind von Geburt an durch die vielfältige Duftwelt der Eltern, des Elternhauses, seiner nächsten Umgebung und eben auch von den Düften der Essgewohnheiten der Eltern nachhaltig beeinflusst und geprägt.

Babys riechen in der Regel deutlich besser als Erwachsene und lernen stetig dazu. Die Riechschleimhaut ist noch differenzierter und sensibler. Babys sind in der Lage, die eigene Mutter von anderen Stillenden am Geruch zu unterscheiden, denn ihre Nähe bietet Sicherheit und die Muttermilch garantiert Nahrung zum Überleben.

Wählerische Esser – oder Riecher?

Um dem 12. Lebensmonat beginnt eine Phase, in der ein Baby skeptisch gegenüber dem Probieren neuer Speisen ist. Der Geruch ist dabei oft entscheidend, ob eine Mahlzeit akzeptiert oder abgelehnt wird. Ein Baby wird den Nahrungsmitteln den Vorzug geben, dessen Aroma es bereits aus dem Mutterleib kennt. Doch die Ablehnung von Speisen ist ein normales Verhalten. Ein Kind verhält sich in dieser Phase der Neophobie (ca. 1,5–4. Lebensjahr) Neuem gegenüber skeptisch und lehnt das Probieren zunächst ab, da es den Geruch und auch den Geschmack nicht kennt. Die Akzeptanz gesunder und unbekannter Lebensmittel (z. B. grünes Gemüse) kann erleichtert werden, indem möglichst früh vielfältige und variierende Geruchs- und Geschmackserfahrungen gesammelt werden. Dafür spricht auch, dass die Säuglinge, die regelmäßig eine Vielfalt von Gemüse gleich in der Beikostzeit verzehrt haben, mehr und begeisterungsfähiger neue Gemüsesorten, Fleisch und Fisch konsumieren, verglichen mit den Kindern ohne diese Erfahrungen.

Konsequentes Anbieten zahlt sich aus, denn es birgt die Chance einer vielseitigen Geschmacksentwicklung und Nahrungs­mittelauswahl. Mindestens achtmal sollte ein Lebensmittel angeboten werden, damit es von Kindern akzeptiert wird. Der Geruchssinn kann gerade bei vorsichtigen Essern eine Brücke zum letztendlichen Probieren der Speisen schlagen. Riechen hat den Vorteil, dass dies aus einem vorsichtigen Abstand heraus geschehen kann und das Nahrungsmittel erst einmal nicht in den Mund genommen werden müssen. Durch das langsame Herantasten an unbekannte Lebensmittel wird früher oder später die Neugierde nach dem Geschmack automatisch folgen. Um die Chance auf Akzeptanz zu erhöhen, können bekannte Gerüche geschickt mit bislang unbekannten Lebensmitteln kombiniert werden. So gewinnen skeptische Kinder Vertrauen in die Speisen. Mit dem Kennenlernen legt sich mit der Zeit meist auch die Abneigung. Am besten gelingt dies in einer angenehmen und vertrauten Atmosphäre.

Auf Grundlage dieses Wissens ist die frühe Phase der Kindheit entscheidend für das lebenslange Essverhalten und bietet somit die einmalige Chance, ein Kind positiv und nachhaltig für ein gesundes vielfältiges Essverhalten zu prägen.▪

Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Haller R et al.: The influence of early experience with vanillin on food preference later in life. Chemical Senses 1999; 24: 465–467.

Hatt H, Dee R: Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken. München: Albrecht Knaus Verlag, 2012.

Loos H, Reger D, Schaal B: The odour of human milk: Its chemical variability and detection by newborns. Physiol Behavor 2019; 199: 88–99.

Maier-Nöth A: „Mut zur Vielfalt“. Wie Kleinstkinder auf den Geschmack kommen. Kleinstkinder-Themenheft „Ernährungsbildung“ 2021 (2): 26–31.

Maier-Nöth A: „Das Wie ist entscheidend“. Essen ist weit mehr, als nur Hunger zu stillen. Es ist ein Raum der Begegnung. Was bei der Esskultur in Kitas beachtet werden muss. Meine Kita – Das didacta Magazin für die frühe Bildung 2021 (1): 30–32.

Maier-Nöth A: Early development of food preferences and healthy eating habits in infants and young children. In: Henry CJ et al. (Hrsg.): Nurturing a healthy generation of children: research gaps and opportunities. Nestlé Nutrition Institute Workshop, 91. Basel, Freiburg: Karger, 2019, S. 11–20.

Maier-Nöth A et al.: The lasting influences of early food-related variety experience: a longitudinal study of vegetable acceptance from 5 months to 6 years in two populations. PLoS ONE 2016: 3.

Maier AS: Geboren als Gourmet. Die Vielfalt auf dem Teller schult den Gaumen. Leben und Erziehen Sonderheft, 2017 (1): 48–50.

Maier AS et al.: Breastfeeding and experience with variety early in weaning increase infants’ acceptance of new foods for up to two months. Clinical Nutrition 2008; 27: 849–857.

Maier AS, Chabanet C, Schaal B, Issanchou S, Leathwood P: Effects of repeated exposure on acceptance of initially disliked vegetables in 7-month old infants. Food Quality and Preference 2007; 18: 1023–1032.

Meier-Ploeger A, Goetze A, Lange M: Fühlen wie’s schmeckt – Sinnesschulung für Kinder und Jugendliche (6–14 Jahren): Ein Handbuch für Lehrkräfte und alle Interessierten. Hamburg: Food media, 2006.

Mennella JA, Beauchamp GK: The human infants‘ response to vanilla flavors in mother‘s milk and formula. Infant Behav Develop 1996; 19: 1–157.

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Schaal B, Marlier L, Soussignan R: Human fetuses learn odours from their pregnant mother’s diet. Chem Senses 2000; 25: 729–737.

doi:10.17147/asu-1-204749

Weitere Infos

Knörle-Schiegg A: Wie Kinder auf den Geschmack kommen, 2019.

https://landeszentrum-bw.de/,Lde/wissen/Ernaehrungsinformation/Kinderer…
auf+den+Geschmack+kommen

Kernaussagen

  • Gerüche prägen das Essverhalten schon im Mutterleib.
  • Daher ist es von Bedeutung, dass Kinder bereits früh mit vielfältigen Gerüchen und Aromen in Kontakt kommen.
  • So bietet sich die Chance für eine nachhaltige und vielseitige Ernährung ein Leben lang.
  • Sinnesexperimente unterstützen die Sinnesentfaltung spielerisch und mit Freude.
  • Info

    Wie entsteht überhaupt Geruchs- und Geschmackswahrnehmung?

    Neben der Geruchswahrnehmung über die Nase (orthonasal) können Aromen auch über den Mund-Rachen-Raum (retronasal) wahrgenommen werden: Zusammen mit Geschmackseindrücken auf der Zunge (süß, salzig, sauer, bitter, umami) ist die Wahrnehmung des Aromas entscheidend für ein Geschmackserlebnis.

    Info

    Kinder, die früh mit vielfältigen Gerüchen und Aromen in Berührung kommen, sind nachweislich offener, neue Lebensmittel zu probieren.

    Koautorin

    Prof. Dr. Andrea Maier-Nöth
    Professorin für Sensorik- und Konsumentenforschung & Ernährung, Hochschule Albstadt-Sigmaringen, Anton-Günther-Str. 51, 72488 Sigmaringen maiernoeth@hs-albsig.de und
    Geschäftsführerin der Eat-Health-Pleasure GmbH in der Schweiz

    Die Autorinnen teilen sich die Erstautorenschaft zu gleichen Teilen.

    Kontakt

    Andrea Knörle-Schiegg
    Dipl. Ökotrophologin (FH)Hochschule Albstadt-Sigmaringen; Anton-Günther-Str. 51; 72488 Sigmaringen

    Foto: privat

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