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Eigenverantwortung in der Arbeitswelt  

Den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt mit Eigenverantwortung begegnen

Wandel der Arbeitswelt

Der schnelle Wandel der Arbeitswelt wurde schon in der Vergangenheit als Grund für veränderte Anforderungen an Beschäftigte in Unternehmen, und damit verbunden mit neuen Qualifikationsbedarfen, genannt (z. B. Bullinger 2000; Weber 2007, s. „Weitere Infos“). Dabei stehen Unternehmen vor der Herausforderung, nationalen wie globalen Wandlungstreibern mit geeigneten Strategien zu begegnen. Aktuellen Studien zufolge spielen als Wandlungstreiber besonders der mit dem demografischen Wandel verbundene Fachkräftemangel (z. B. ifaa 2019a, s. „Weitere Infos“) eine zentrale Rolle. Bleiben neue Fachkräfte aus, erscheint es umso wichtiger, dass die aktuelle Belegschaft so lange wie möglich gesund und leistungsfähig im Betrieb gehalten werden kann. Im Rahmen betrieblicher Präventions- und Qualifizierungsmaßnahmen sollte auch die Stärkung eigenverantwortlichen Gesundheitsverhaltens berücksichtigt werden.

Ferner wirken die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung auf Betriebe und Beschäftigte ein. Sich verändernde und individuellere Kundenanforderungen erfordern zügige Aktionen von Seiten der Unternehmen. Der Einzug neuer Technologien hat die Möglichkeiten der Kommunikation mit internen und externen Kundinnen und Kunden sowie auch der Beschäftigten untereinander in den letzten Jahren verändert. Dies betrifft unter anderem die Geschwindigkeit und die Menge der Daten, die über digitale Kanäle verbreitet werden können. Technische Mittel und der Zugriff auf Unternehmensdaten beispielsweise in der Cloud können unter anderem dazu genutzt werden, Beschäftigten zeit- und ortflexibles Arbeiten zu ermöglichen. War das Arbeiten von unterwegs vor allem für Handlungsreisende, Montagepersonal und andere Außendienstbeschäftigte schon früher selbstverständlich, können heute auch andere Berufsgruppen in unterschiedlichen Lebensphasen davon profitieren. In den letzten Monaten hat auch die Corona-Pandemie gezeigt, dass zeit- und ortflexibles Arbeiten Unternehmen und Beschäftigten Vorteile verschafft.

Der Austausch über netzwerk- und cloud­basierte Datenstrukturen ermöglicht virtuelles agiles Arbeiten. In diesem Kontext ist von Unternehmen wie Beschäftigten verantwortungsvolles Handeln erforderlich, das neben arbeitsschutzrechtlichen und datenschutztechnischen Aspekten gleichermaßen Anforderungen an Transparenz und Vertrauen sowie an die Eigen­verantwortung jedes Einzelnen stellt.

Der Eigenverantwortung von Beschäftigten kommt aber auch in klassischen Arbeitsformen eine höhere Bedeutung zu – gerade hinsichtlich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

Eigenverantwortung kann in diesem Zusammenhang verstanden werden als Konzept, „wie sich Beschäftigte in kritischen Situationen selbst dazu verpflichten, übergeordnete Ziele einer Organisation zu verfolgen“ (Koch 2003, S. 17). Eigenverantwortung wird unter anderem auch mit Selbstregulation und Willenskraft in Zusammenhang gebracht. Um eigenverantwortlich handeln zu können, bedarf es eines entsprechenden Selbstmanagements, was als die Bemühungen einer Person verstanden werden kann, das eigene Verhalten zielgerichtet zu beeinflussen. Strategien dazu können beispielsweise in systematischen Personalentwicklungsmaßnahmen vermittelt werden.

Eigenverantwortung in neuen Arbeitsformen

Unter neuen Arbeitsformen werden unter anderem so genannte agile Arbeitsstrukturen aufgeführt, die zum Beispiel auch dadurch gekennzeichnet sind, kurzfristig und zyklisch auf Änderungen von Kundenanforderungen reagieren zu können.

Auch wenn der Begriff „agil“ durch den mittlerweile inflationären Gebrauch eine gewisse Beliebigkeit suggeriert, handelt es sich dabei eben nicht um beliebig flexible Formen der Arbeitsorganisation, sondern um relativ hoch strukturierte Arbeitsformen mit definierten Rollen der einzelnen (Team-)Mitglieder. Die ursprünglich aus der Software-Entwicklung stammenden Formen werden zunehmend auch auf andere Tätigkeitsbereiche übertragen. Ihnen wird zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen eine gewisse Bedeutung beigemessen, wie erste Studien andeuten, wobei systematische Belege zum Nutzen in den unterschiedlichsten Wirtschafts- und Dienstleistungsbereichen bislang noch ausstehen. Einzelne Unternehmen berichten aber schon jetzt vom Erfolg agiler Arbeitsstrukturen. In flexiblen Strukturen kommt der Selbst- oder Eigenverantwortung von Beschäftigten, eine höhere Rolle zu als zum Beispiel in klassischen hierarchisch strukturierten Arbeitsformen (Nerdinger 2003).

Auch bestimmte Formen mobiler Arbeit können zu den neuen Arbeitsformen gezählt werden, obwohl Ansätze zu Telearbeit und virtuellen Teams nicht erst seit gestern wissenschaftlich diskutiert werden. Allerdings lässt die technische Entwicklung der letzten Jahre digitale Kommunikationsmöglichkeiten zu, die vor 15 Jahren noch nicht realisierbar waren. Damit ist orts- und zeitunabhängiges Arbeiten möglich, das Betrieben und Beschäftigten Flexibilität einerseits zum Beispiel für die globale Kommunikation und andererseits auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht. Beschäftigte müssen dazu den Umgang mit den neuen Technologien und auch die Ausgestaltung der Aufgaben erlernen, wozu allerdings zunächst betriebliche Rahmenbedingungen zu gestalten sind. Die aktuelle Situation der Pandemie offenbarte, an welchen Stellen Unternehmen und Beschäftigte bereits gut aufgestellt waren und in welchen Bereichen Nachholbedarf besteht.

In den letzten Jahren wird in vielen Unternehmen dem Konzept der indirekten Steue­rung eine höhere Bedeutung beigemessen (Krause u. Dorsemagen 2017), das auf dem Prinzip basiert, Ziele zu vereinbaren und den Erfolg entsprechend zu honorieren. Den Weg zur Zielerfüllung können die Beschäftigten dabei in einem bestimmten Rahmen frei wählen. So wird die Verantwortung für das Erreichen der Ziele auf Beschäftigte aller Hierarchieebenen übertragen. Der Grad der Zielerreichung ist dabei regelmäßig und systematisch zu überprüfen und kann beispielsweise anhand von Kennzahlen zurückgemeldet werden. Hierbei ist eigenverantwortliches Handeln zentral, da sich Beschäftigte bei der Verwendung indirekter Steuerungselemente nicht ständig unter dem direkten Einfluss einer Führungskraft befinden.

Eigenverantwortung und Gesundheitsschutz

Der zunehmende Fachkräftemangel zeigt, wie wichtig es für Unternehmen ist, dass die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der aktuellen Belegschaft so lange wie möglich erhalten bleibt. Grob lassen sich dazu zwei Herangehensweisen unterscheiden, die den Erhalt der Gesundheit adressieren. Zum einen sind dies die Maßnahmen des gesetzlichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes und zum anderen freiwillige Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung.

Das Arbeitsschutzgesetz und nachstehende Verordnungen adressieren zunächst einmal den Betrieb, der dafür verantwortlich ist, für die Unversehrtheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu sorgen. Die Eigenverantwortung Beschäftigter hinsichtlich ihrer Gesundheit zu stärken, ist im Kontext der betrieblichen Gesundheitsförderung ein wichtiges Ziel betrieblicher Präventions- und Sensibilisierungsmaßnahmen.

Allerdings obliegen den Beschäftigten auch im Rahmen des gesetzlichen Arbeitsschutzes Pflichten, die im Folgenden skizziert werden. Nach § 15 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sind Beschäftigte dazu verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Unternehmens für ihre Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz zu sorgen. Damit wird der Belegschaft eine generelle Verantwortung für die eigene Vorsorge übertragen. Zum Beispiel werden Schutzvorkehrungen nur dann wirksam sein, wenn Beschäftigte sich sicherheitsgerecht verhalten und sich auch bewusst selbst um Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit kümmern. Dabei ist allerdings der Passus „nach ihren Möglichkeiten“ zu berücksichtigen, der besagt, dass die Beschäftigten geistig und körperlich befähigt sein müssen, sich um die Eigenvorsorge zu kümmern. Es ist Aufgabe des Betriebs, dies zu überprüfen. Als Gründe für fehlendes Bewusstsein, sicher zu arbeiten, werden häufig vor allem Defizite in den Bereichen Können, Wissen und Wollen genannt. Daher sind Beschäftigte entsprechend zu qualifizieren beziehungsweise ist es sinnvoll, ein entsprechendes Bewusstsein für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu erzeugen. Nicht nur in Arbeitsformen wie mobiler Arbeit, in denen die Beschäftigten nicht direkt unter dem Einfluss des Führungspersonals stehen, sondern auch in Bereichen, in denen es zum Beispiel um die sichere Benutzung von Maschinen oder die Verwendung ergonomischer Hilfsmittel im Unternehmen geht, scheint dies von besonderer Bedeutung zu sein. Neben der grundsätzlichen Befähigung der Beschäftigten bleibt die Relevanz der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung und der darauf basierenden Unterweisung nach wie vor bestehen und nimmt eine bedeutende Rolle ein. In der aktuellen Situation der Pandemie wird die Rolle des Einzelnen noch einmal besonders deutlich – nicht nur im Sinne des Schutzes der eigenen Gesundheit, sondern auch hinsichtlich des Schutzes anderer Beschäftigter durch die Einhaltung von entsprechenden Hygiene-, Abstands- und sonstigen Maßnahmen, die nach derzeitigem Stand dazu geeignet sind, das Infektionsgeschehen einzudämmen.

Betriebliche Rahmenbedingungen für Eigenverantwortung

Die Wahrnehmung von Eigenverantwortung seitens der Beschäftigten ist, wie oben aufgeführt in unterschiedlichen Situationen und Arbeitskontexten relevant. Damit Beschäftigte eigenverantwortlich agieren können, sind mindestens folgende betriebliche Bereiche zu berücksichtigen:

  • Strukturen und Kultur,
  • Führung,
  • Qualifizierung und Befähigung.
  • Die Kultur eines Unternehmens muss erlauben, dass Beschäftigte eigenverantwortlich handeln können – dazu gehört zum Beispiel das Suchen von alternativen, gegebenenfalls auf den ersten Blick ungewöhnlichen Lösungen, die von im Betrieb vorliegenden Normen und Regeln abweichen können. Damit ist sicherheitswidriges Verhalten allerdings ausdrücklich nicht gemeint.

    Strukturen, wie gelebte Verbesserungsprozesse (z. B. KVP, kontinuierlicher Verbesserungsprozess) und eine transparente Fehlerkultur, sind hilfreiche Voraussetzungen für die Übernahme von Eigenverantwortung.

    Führungskräfte spielen durch ihr Verhalten eine zentrale Rolle. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei sicher ein regelmäßiges und konstruktives Feedback. Denn Feedback trägt dazu bei, dass Beschäftigte ihr Verhalten und ihre Leistung realistisch reflektieren und dann auch ihren Beitrag an der Erreichung von Unternehmenszielen erkennen können. Ferner müssen Führungskräfte in die Lage versetzt werden, auch Verantwortung abgeben zu können, damit ihre Belegschaft sich entsprechend einbringen kann. Um Führungskräfte für die skizzierten Faktoren zu sensibilisieren, können sich zunächst einführende Handlungshilfen anbieten, wie zum Beispiel die Checkliste Eigenverantwortung des ifaa (2019b, s. „Weitere Infos“). Gerade in Zeiten des vermehrten Homeoffice zeigt sich, welche Unterstützung auch Führungskräfte benötigen.

    Qualifizierung und Befähigung zur Erlangung beruflicher Handlungskompetenz sind weitere Voraussetzungen. Die Erwartung, dass Beschäftigte, die bislang noch nicht gewöhnt waren, Eigenverantwortung zu zeigen, dies ohne eine entsprechende Vorbereitung tun, wird möglicherweise enttäuscht werden. Gerade auch im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind zunächst einmal das Wissen und Können der Beschäftigten mit geeigneten Maßnahmen zu adressieren. Ein wesentliches Instrument dazu ist die Unterweisung.

    Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Bullinger H-J: Arbeit im Wandel – Perspektiven und Herausforderungen für den Arbeitsschutz. In: Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Hrsg): Magazin der Euro­päische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz 2000: 8–13.

    Koch S: Das Konzept der Eigenverantwortung. In: Koch S, Kaschube J, Fisch R (Hrsg.): Eigenverantwortung für Organisationen. Göttingen: Hogrefe, 2003, S. 17–30.

    Krause A, Dorsemagen C: Neue Herausforderungen für die betriebliche Gesundheitsförderung durch indirekte Steuerung und interessierte Selbstgefährdung. In: Faller G (Hrsg.): Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung, 3. Aufl. Göttingen: Hogrefe, 2017; S. 153–164.

    Nerdinger FW: Neue Organisationsformen und der psychologische Kontrakt. In: Koch S, Kaschube J, Fisch R (Hrsg.): Eigenverantwortung für Organisationen. Göttingen: Hogrefe, 2003, S. 167–177.

    Weitere Infos

    ifaa-Trendbarometer Arbeitswelt. Topthema der Experten: Den Unternehmen brennt der Fachkräftemangel unter den Nägeln. 2019a
    https://www.arbeitswissenschaft.net/fileadmin/Bilder/Angebote_und_Produ…

    ifaa: Checkliste Eigenverantwortung für Leistung und Gesundheit bei der Arbeit. 2019b
    https://www.arbeitswissenschaft.net/fileadmin/Bilder/Angebote_und_Produ…
    Eigenverantwortung.pdf

    Weber B (2007) Schöne neue Arbeitswelt? – Die Zukunft der Arbeit. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung 293/2007
    https://www.bpb.de/izpb/8588/schoene-neue-arbeitswelt-die-zukunft-der-a…

    Kontakt

    Dr. rer. pol. Stephan Sandrock, Dipl.-Psych.
    ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.V.; Uerdinger Straße 56; 40474 Düsseldorf

    Foto: Tania Walck / ifaa

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