Die heutigen Lebenswelten (und das schließt die Arbeitswelt ein) haben sich verändert und verändern sich noch. In diesem Zusammenhang wird in der Öffentlichkeit, der Forschung und in den Medien der wachsende Wunsch nach mehr Selbstbestimmung bei der Arbeit diskutiert, verbunden mit einer wachsenden Arbeitsintensivierung beziehungsweise der Wahrnehmung von mehr Arbeit in weniger Zeit. Um zu verstehen, wie beide Themen zusammenhängen und welche Relevanz sie für die betriebliche Praxis haben, befasst sich dieser Artikel mit folgenden Fragestellungen:
Neue Lebens- und Arbeitswelten als Treibstoff für eine wachsende Autonomie im Arbeitsalltag
Innerhalb der letzten 50 Jahre ist die Lebens- und Arbeitswelt um ein Vielfaches flexibler, digitaler und schneller geworden (Demerouti u. Bakker 2014). Ehemals „moderne“ Techniken wie Klapphandys und Plotter sind bereits veraltet – Smartphones, Tablets, Laptops oder Phablets sind nun fester Bestandteil unseres Alltags. Digitalisierung durchzieht alle Bereiche unseres Lebens: Wer nutzt nicht die Gelegenheit, schnell eine Mail von unterwegs zu beantworten? Auch im Arbeitskontext ist die Digitalisierung längst angekommen und hat in den letzten Monaten durch die Corona-Pandemie noch einen zusätzlichen Schub erfahren. Videokonferenzen und virtuelle Abstimmungstools sind nichts Außergewöhnliches mehr. Viele (nicht alle) Arbeitstätigkeiten können heute weitestgehend orts- und zeitflexibel erledigt werden, auch Führung und Teamarbeit können virtuell stattfinden.
Werte verändern sich ebenso wie die Erwartungen der Beschäftigten an ihre Unternehmen und den Arbeitsplatz. Die so genannten Millennials (Generation, die im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurde) haben andere Anforderungen an ihre Arbeit als frühere Generationen: Oftmals gut ausgebildet und technikaffin wünschen sie sich insbesondere, selbstbestimmt und eigenverantwortlich Privatleben und Beruf zu vereinbaren sowie zeitlich und örtlich flexibel zu arbeiten. Ihre „neuen“ Erwartungen an gute Beschäftigungsverhältnisse unterscheiden sich von den eher „traditionellen“, die geprägt waren von Arbeitsplatzsicherheit, lebenslanger Beschäftigung, internem Aufstieg und Spezialisierung. Die neueren Vorstellungen indes beinhalten die Erwartung an Eigenverantwortung, interne Entwicklungsmöglichkeiten, Zielorientierung und Flexibilität (Raeder u. Grote 2001).
Die Punkte des Wandels zusammengenommen, nämlich
führen zu mehr Jobs, in denen vor allem auch auf Wunsch der Millennials (und jünger) selbstbestimmt gearbeitet werden kann. In anderen Worten: Der technologische und gesellschaftliche Wandel führt auf der einen Seite zu mehr Autonomie um eigene Entscheidungen im (Arbeits-) Alltag treffen zu können. Auf der anderen Seite, der Kehrseite der Autonomie, kann diese neue Selbstbestimmung auch mehr Verpflichtungen mit sich bringen und Arbeit intensivieren (Bredehöft 2015).
Zwei Seiten der Autonomie-Medaille: Selbstbestimmung versus Arbeitsintensivierung
Selbstbestimmung als wichtige Arbeitsressource
Selbstbestimmung ist eine wichtige Ressource im Arbeitskontext. Selbstbestimmt arbeiten zu können, bedeutet, in gewissen Maßen selbst darüber entscheiden zu können, wann was, wie getan wird. Bietet das Unternehmen diese Möglichkeit, können Beschäftigte ihre Arbeit eigenverantwortlich und in einem bestimmten Rahmen autonom gestalten. Beispielsweise haben sie Einfluss darauf, wie der Arbeitsablauf aussieht, welche Aufgaben in welcher Reihenfolge erledigt werden, wann welche Kolleginnen und Kollegen einbezogen werden und wann ein Arbeitstag beginnt beziehungsweise endet. Die eigene Arbeit aktiv mitgestalten zu können, hat einen positiven Effekt auf Gesundheit, Motivation und Leistungsfähigkeit: Sie verringert Erschöpfung und verbessert das Abschalten von der Arbeit sowie das individuelle Wohlbefinden (BAuA 2017; Clauss et al. 2020). Zudem erlauben mehr Flexibilität und Selbstbestimmung dem individuellen Wach- und Schlafrhythmus zu folgen (Kühnel et al. 2018), was wiederum ermöglicht, zu den individuellen Leistungsspitzen arbeiten zu können.
Grundsätzlich ist der „Handlungsspielraum, die eigene Arbeit mitzugestalten“ ein Merkmal für gute Arbeit. Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) weist zum Beispiel darauf hin, dass Beschäftigte idealerweise einen Einfluss auf ihre Arbeitsinhalte, das Arbeitspensum, die Arbeitsmethoden beziehungsweise -verfahren und die Reihenfolge der Tätigkeiten haben sollten. Diese Punkte sollten auch im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung in Bezug auf psychische Belastungsfaktoren bei der Arbeit geprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
Eine Kehrseite der Autonomie: Arbeitsintensivierung
Aus der Möglichkeit, Arbeit aktiv zu gestalten, ergibt sich auch die Notwendigkeit, also die Pflicht, dies zu tun. Autonomie bei der Arbeit erfordert Selbstmanagement und Koordination (Dettmers u. Clauß 2017). Sie kann daher auch zur Arbeitsintensivierung führen. Arbeitsintensivierung bedeutet, dass die Menge an Arbeit und ihre Komplexität in einem Ungleichwicht mit der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit steht (Hünefeld et al. 2020), wobei auch weitere Faktoren wie vorhandene Kompetenzen des Einzelnen eine Rolle spielen. Wer autonom, also selbstbestimmt arbeitet, muss den Arbeitsalltag organisieren können und die Arbeitsziele und -zeiten im Blick behalten. Die eigene Arbeit und alle relevanten Aufgaben zu managen, ist demnach ebenfalls eine Anforderung, die Zeit und Energie benötigt, damit sie bewältigt werden kann – sie wird jedoch zumeist als eine zusätzliche Aufgabe in der Arbeitsplanung nicht mitgebracht. Weiterhin könnte es sein, dass die notwendige Kompetenz fehlt, sich und anstehende Aufgaben gut zu strukturieren (die so genannte Arbeitsgestaltungskompetenz) oder mit der zur Verfügung gestellten Hard- und Software effektiv umzugehen (Technologiekompetenz). Zudem wäre es möglich, dass die Arbeitsbedingungen beziehungsweise Arbeitsmittel nicht zum Grad der Autonomie passen – wenn beispielsweise schnell notwendige Entscheidungen umständlich mit der Führungskraft abgestimmt werden müssen oder das Diensthandy fehlt, um Abstimmungen auch unterwegs tätigen zu können. Eine stetige Überschreitung der Arbeitszeit und ständige Erreichbarkeit wären beispielsweise Indikatoren dafür, dass Arbeitsaufgaben und -zeit nicht in Balance sind und die Arbeitsintensität über ein gesundheitlich vertretbares Maß hinausgeht.
Arbeitsintensivierung muss jedoch per se nicht schlecht und gesundheitlich gefährdend sein. Sie ist in einem normalen Rahmen Teil des Arbeitsalltags, zum Beispiel kurz vor einer Deadline. Diese Arbeitsphase ist zumeist durch eine zeitweilige Arbeitsintensivierung gekennzeichnet, die aber mit einer ausreichenden, nachgelagerten Erholungsphase gut ausgeglichen werden kann. Auch muss nicht jede betriebliche Veränderung zu Arbeitsintensivierung führen: Wenn in der Produktion neue Anlagen und Maschinen eingesetzt werden, um mehr zu produzieren, bedeutet dies nicht zwangsläufig eine gesundheitsbeeinträchtigende Arbeitsintensivierung, wenn nicht mehr Aufgaben für die Beschäftigten hinzukommen.
Umgang mit Selbstbestimmung und Arbeitsintensivierung in der Arbeitspraxis
Bewährte Instrumente zum Umgang mit Autonomie
In der betrieblichen Praxis gibt es verschiedene Instrumente, um Selbstbestimmung zu fördern, eine gesundheitsbeeinträchtigende Arbeitsintensivierung zu vermeiden und um vorzubeugen, dass ein Mehr an Autonomie zu einer Verdichtung von Arbeit führt. Hier stehen zunächst das Unternehmen und die Führungskraft in der Verpflichtung, diese Themen wachsam zu beobachten und entsprechende Maßnahmen zu treffen. Die gesetzlich verpflichtende Gefährdungsbeurteilung zur psychischen Belastung am Arbeitsplatz stellt ein gutes Instrument dar, um herauszufinden, ob die Beschäftigten über den zur Tätigkeit passenden Grad an Autonomie verfügen. Die Gefährdungsbeurteilung kann demnach Aufschluss darüber geben, ob man den Beschäftigten mehr Selbstbestimmung beziehungsweise Handlungsspielraum ermöglichen sollte oder ob sie eventuell sogar überfordert sind mit dem derzeitigen Grad an Autonomie. Auf Grundlage der Ergebnisse müssen dann die entsprechenden Arbeitsbedingungen wie Arbeitstempo, Menge der Arbeitsaufgaben, Arbeitszeiten, Kommunikationswege etc. angepasst werden.
Neben der Anpassung der Arbeitsbedingungen gibt es auch die Option, Kompetenzen für den Umgang mit mehr Autonomie und Selbstbestimmung zu schulen. Hier bieten sich Trainings zur Arbeitsgestaltung, Zeitmanagement etc. an. Wesentlich ist in jedem Fall, dass das Unternehmen und auch die Beschäftigten die beruflichen Anforderungen des Jobs richtig einschätzen: Erfordert der Job viele eigene Entscheidungen und ein hohes Maß an Arbeitsorganisation, so braucht es auch ein hohes Maß an zeitlicher und räumlicher Flexibilität sowie die entsprechenden Kompetenzen. Auch eine gewisse Flexibilität bei der Planung von Arbeitsabläufen gehört dazu, um zum Beispiel nötigenfalls Deadlines zu verschieben. So können in Phasen hoher Arbeitsbelastung anstehende Aufgaben auf einen längeren Zeitraum verteilt werden und damit die Arbeitsverdichtung entzerren.
Die zunehmende Digitalisierung mit ihren technischen Möglichkeiten führt ebenfalls dazu, dass sich die Art der Arbeit quasi ganz von allein ändert. Nehmen wir hier die Arbeit mit mobilen Endgeräten, die für viele Beschäftigte bereits zum Arbeitsalltag dazugehört. Sie bietet mehr Selbstbestimmung im Arbeitsalltag und eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Allerdings kann sie auch zur Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit führen und das Abschalten von der Arbeit erschweren. Hier haben sich klare Regeln zum Umgang mit mobilen Endgerätenzum Beispiel in Bezug auf Erreichbarkeit bewährt. Vor allem das Erwartungsmanagement sowie die eigene Einstellung zur Erreichbarkeit ist entscheidend: Studien zeigen, dass der Anteil Beschäftigter, die im Privatleben kontaktiert werden (von Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Führungskräften oder Kundinnen und Kunden), seit 2015 konstant bei 12% liegt. Anders sieht es in Bezug auf die Erwartung der Beschäftigten aus. Hier gehen 24% der Beschäftigten davon aus, privat erreichbar sein zu müssen (BAuA 2018), auch wenn dies gar nicht erwartet wird. Von Seiten der Berufsgenossenschaften oder praxisnahen Forschungsinstituten wie dem ifaa (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V.) gibt es beispielsweise zum Thema Erreichbarkeit, indirekte Führung über Ziele und flexibles Arbeiten bereits hilfreiche und in der betrieblichen Umsetzung bewährte Handlungshilfen (Projekte wie „Mitdenken 4.0“ oder die Checklisten des ifaa, s. „Weitere Infos“)
Natürlich kann Arbeitsintensivierung auch andere Ursachen haben – zum Beispiel Personalmangel –, die nicht einfach durch Flexibilisierungsmaßnahmen behoben werden können. Klar ist auch, dass nicht alle Tätigkeiten flexibles Arbeiten zulassen oder Beschäftigte auf Flexibilisierungsmöglichkeiten (wie Homeoffice) bewusst verzichten, um Grenzen zwischen den Lebensbereichen zu wahren. Das bedeutet, dass beide Themen – Selbstbestimmung steigern versus Arbeitsintensität reduzieren – mit Augenmaß in den Unternehmen durchgeführt werden müssen.
Gute Arbeitsbedingungen als Schlüssel
Gesunde und motivierte Beschäftigte sind elementar für jedes Unternehmen. Autonomie in einem gesunden Maße anzubieten und dazu die passenden Arbeitsbedingungen zu schaffen, bleiben daher wichtige Handlungsfelder für die Unternehmen.
Aus diesem Grund bemühen sich die Unternehmen stetig um gute und gesunderhaltende Arbeitsbedingungen – mit nachweisbaren Erfolgen: So sinken Arbeitstempo und Termindruck seit 2005 stetig (Eurofound 2015, s. „Weitere Infos“; aktuellere Daten liegen 2021 vor). Während 2005 noch 32% der Erwerbstätigen in Deutschland angaben, (fast) die ganze Zeit in einem hohen Arbeitstempo zu arbeiten, lag der Anteil 2015 nur noch bei 20%. Gleiches gilt für den Termindruck. Im Jahr 2005 gaben noch 28% der Beschäftigten an, (fast) die ganze Zeit unter hohem Termindruck zu arbeiten. 2015 waren es nur noch 22%. Auch im europäischen Vergleich arbeiten die Beschäftigten in Deutschland mit weniger Zeitdruck als in anderen Ländern. Diese Ergebnisse bestätigt eine repräsentative Erwerbstätigenbefragung (Brodersen u. Lück 2017): 62% haben ausreichend Zeit für ihre Aufgaben. Auch bei kleinen und mittelständischen Unternehmen lässt sich kein Anstieg der Belastungsfaktoren feststellen, im Gegenteil, Arbeit unter Zeitdruck sinkt seit 2015 kontinuierlich (Fischmann 2019). Zugleich werden Ressourcen bei der Arbeit stärker wahrgenommen: Bei der sozialen Unterstützung am Arbeitsplatz (BMAS 2017) zeigt sich, dass 68% der Beschäftigten häufig das Gefühl haben, ein Teil der Gemeinschaft am Arbeitsplatz zu sein. Diese Beschäftigten sind mit großer Mehrheit auch (sehr) zufrieden mit ihrer Arbeit insgesamt (93%) sowie mit den Führungskräften (84%) und sie berichten über einen (sehr) guten Gesundheitszustand (65%) wie auch ➥ Abb. 1 verdeutlicht. Neben dem Anstieg an Ressourcen bei der Arbeit und der Verringerung psychischer Belastungsfaktoren ist auch die physische und umgebungsbezogene Arbeitsbelastung in Deutschland niedriger als in den Vorjahren und unter dem europäischen Durchschnitt (Eurofound 2015, s. „Weitere Infos“).
Trotz der sich verbessernden Arbeitsbedingungen bleibt das Thema psychische Belastung und Gesundheit bei der Arbeit ein zentrales Anliegen der Arbeitgeber. Gesunde und motivierte Beschäftigte sind wesentlich für jedes Unternehmen und der Schlüssel dazu sind gute Arbeitsbedingungen.
Obwohl sich die Arbeitsbedingungen stetig verbessern, zeigen Studien, dass die Wahrnehmung von Arbeitsintensivierung und die „objektivere“ Messung von Arbeitsintensität (z.B. anhand von Arbeitstempo und Termindruck) durchaus auseinander gehen: Während die wahrgenommene Arbeitsintensivierung steigt, sinken ihre Werte der objektiven Maße, die Arbeitsintensivierung erfassen. Mit anderen Worten: Die Arbeitsbedingungen werden besser (z.B. in Bezug auf Arbeitstempo und Ressourcen), während unsere Wahrnehmung ein schlechteres Bild zeichnet. Eine Erklärung für dieses Paradoxon gibt vielleicht der Soziologe Hartmut Rosa: In seiner Theorie spricht er von einer allgemeinen sozialen Beschleunigung, die sich unter anderem in kürzeren sozialen Beziehungen und beruflichen Bindungen sowie schnelleren Handlungen (auch im Arbeitskontext) ausdrückt. Vielleicht ist daher der Fokus auf das Thema der Arbeitsintensivierung und auch die Wahrnehmung, dass diese wächst, eine Konsequenz dessen, dass sich in allen Bereichen des Lebens nach einer Entschleunigung gesehnt wird, zum Beispiel im Rahmen von „digital detox“ oder „Slowfood“ statt „Fastfood“.
Möglicherweise ist diese zumeist auch medial geführte Debatte schon wieder etwas rückläufig. Zumindest Deutschland ist in Bezug auf die Wahrnehmung von Termindruck – als ein Maß für Arbeitsintensivierung –schon wieder auf dem Niveau von 1995, während sich von 1995 bis 2010 dieser Druck immer weiter zuspitzte.
Was es noch braucht: Gestaltungskompetenzen der Beschäftigten und passende politische Rahmenbedingungen
Der Wandel der Arbeit geht nicht nur mit neuen Aufgaben für die Unternehmen, sondern auch mit neuen Herausforderungen und Pflichten für die Beschäftigten einher. Die Digitalisierung bietet mehr Spielräume, die Arbeit eigenverantwortlich zu gestalten. Auch werden eher Ziele statt konkreter Aufgaben festgelegt. Wie die Ziele erreicht werden, liegt verstärkt in der Hand der Beschäftigten. Hier spielt die so genannte Arbeitsgestaltungskompetenz eine große Rolle. Unabhängig von den Pflichten der Unternehmen und Führungskräfte müssen die Beschäftigten auch entsprechende Arbeitsgestaltungskompetenz erwerben und anwenden. Diese Kompetenz umfasst das Wissen um eine günstige Gestaltung der Arbeitsbedingungen (Zeit und Ort), die eine effektive Bewältigung der Arbeitsaufgaben ermöglicht, Motivation fördert und Fehlbelastung reduziert (Dettmers u. Clauß 2017). Das Unternehmen kann zwar ein geeignetes Gerät für mobiles Arbeiten stellen, auf eine geeignete Sitzposition, Blendfreiheit etc. müssen aber die Beschäftigten selbst an ihrem gewählten Arbeitsort achten. Das heißt, Beschäftigte brauchen Fertigkeiten und Strategien, um dieses Wissen sinnvoll umzusetzen. Ebenso gewinnen Selbstmanagementkompetenz (zur Selbstregulation und -führung) und Erholungskompetenz an Bedeutung (Hoppe et al. 2017). Eigenverantwortlich zu arbeiten bedeutet auch, auf die eigene Gesundheit und Ressourcen zu achten – und daher Erholungsphasen bewusst zu planen und zu nutzen.
Um Selbstbestimmung beziehungsweise die Möglichkeit für Handlungsspielraum zu geben, um zum Beispiel arbeitsintensive Zeiten abzufedern, braucht es passende gesetzliche Rahmenbedingungen für die Unternehmen. Neben den bereits bestehenden Optionen zur Arbeitszeitflexibilisierung (wie Gleitzeit) oder für mobile Arbeit ist hier die Politik gefragt: Eine wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit würde es erlauben, die Woche entsprechend flexibel zu gestalten. Dabei ist es natürlich von zentraler Bedeutung, dass die notwendigen Ruhezeiten, die zur Erholung bzw. für Privates zur Verfügung stehen müssen, über die Woche hinweg erhalten bleiben und nicht verkürzt werden. Unternehmen könnten so ihren Beschäftigten legal einräumen, unterschiedlich lang oder in zeitlich getrennten Blöcken zu arbeiten. Hierbei spielt das Thema Pausen beziehungsweise Ruhezeiten eine Rolle. Für die Beschäftigten wäre es ein großer Gewinn an Autonomie, wenn sie ihre Ruhezeiten zum Beispiel in zwei Blöcke aufteilen könnten, von denen einer jedoch mindestens acht Stunden umfasst. Hierbei soll es nicht darum gehen, dass Beschäftigte mehr arbeiten. Diese Anpassung gibt die Chance, Arbeitszeiten und -orte flexibel an die jeweiligen Arbeitsphasen und Lebensumstände anzupassen und bietet Unternehmen die Möglichkeit, auf plötzliche Veränderungen auf dem Markt (so wie sie auch in den letzten Monaten erlebt wurden) sinnvoll zu reagieren.
Literatur
Bredehöft F, Dettmers J, Hoppe A, Janneck M: Individual work design as a job demand. The double-edged sword of autonomy. Psychology of Everday Activity 2015; 8: 12–24.
Clauss E et al: Occupational self-efficacy and work engagement as moderators in the stressor-detachment model. Work & Stress 2020 (zuerst online veröffentlicht).
Demerouti E, Bakker AB: Job Crafting. In: Peeters M, de Jonge J, Taris T (Hrsg.): An introduction to contemporary work psychology. West Sussex: John Wiley & Sons, 2014, S. 414–433.
Dettmers J, Clauß E: Arbeitsgestaltungskompetenzen für flexible und selbstgestaltete Arbeit. In: Janneck M, Hoppe A (Hrsg.): Gestaltungskompetenzen für gesundes Arbeiten. Berlin, Heidelberg: Springer, 2017, S. 13–25.
Hünefeld L et al: Arbeitsintensität als Gegenstand empirischer Erhebungen. Das Potenzial repräsentativer Erwerbstätigenbefragungen für die Forschung. WSI-Mitteilungen 2020; 73: 19–28.
Hoppe A, Clauß E, Schachler V: Evaluation des Moduls „Meine Freie Zeit“ des EngAGE-Coaches. In: Janneck M, Hoppe A (Hrsg.): Gestaltungskompetenzen für gesundes Arbeiten. Berlin, Heidelberg: Springer, 2017, S. 117–126.
Kühnel J, Syrek CJ, Dreher A: Why don’t you go to bed on time? A daily diary study on the relationships between chronotype, self-control resources and the phenomenon of bedtime procrastination. Front Psychol, 2018; 9 (zuerst online veröffentlicht).
Raeder S, Grote G: Flexibilität ersetzt Kontinuität. Veränderte psychologische Kontrakte und neue Formen persönlicher Identität. Arbeit 2001; 10: 352–364.
Eine ausführliche Literaturliste mit weiterführenden Quellen kann auf der ASU-Homepage beim Beitrag eingesehen werden (www.asu-arbeitsmedizin.com).
Weitere Infos
Arbeit made in Germany: Wie Arbeitgeber gut Arbeit gestalten. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 2019
https://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/res/FCD34BB4D321FB34C125…
Germany.pdf
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 2017. Orts- und zeitflexibles Arbeiten: Gesundheitliche Chancen und Risiken. Dortmund 2017
https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Gd92.pdf?__blob=…
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 2018. BAuA-Arbeitszeitbefragung: Vergleich 2015–2017. Dortmund 2018
https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2398-2.pdf?__bl…
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Berichtsjahr 2016.
Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2016. Berlin 2017
https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Meldungen/2017/sicherhe…
Checklisten des ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V.
https://www.arbeitswissenschaft.net/angebote-produkte/checklistenhandlu…
Eurofound 2015: Sechste Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen. 2015
https://www.eurofound.europa.eu/de/data/european-working-conditions-sur…
Projekt “Mitdenken 4.0“ von der Verwaltungsberufsgenossenschaft und den Sozialpartnern
http://www.vbg.de/DE/3_Praevention_und_Arbeitshilfen/2_Themen/08_Gesund…
Info
Selbstbestimmung und Arbeitsintensivierung sind zwei Seiten der Medaille namens „Autonomie“, also der Möglichkeit, in einem gewissen Rahmen eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen und selbstbestimmt tätig zu sein. In der Literatur wird Autonomie als zweischneidiges Schwert bezeichnet, denn es kann Ressource und Anforderung zugleich (Clauss et al. 2020; Bredehöft 2015) und damit auch Ursache für Arbeitsintensivierung sein.