ASU: Viele Menschen waren nun länger im Homeoffice, hat sich das bei Ihnen bemerkbar gemacht?
Stefan Reuter (SR): Ja, auf verschiedene Weise. Zunächst wurde allgemein weniger in Ergonomie investiert, was für die Arbeitnehmenden sehr nachteilig ist. Viele Risikofaktoren wie eine unpassende Einrichtung, Bewegungsmangel, Pausenverzicht und Mehrarbeit sind zu Hause noch ausgeprägter als in den Büros.
Im Laufe der Zeit hat sich dies aber verbessert und wir haben eine Verschiebung in der Nachfrage gesehen. Vorlagenhalter und Monitorarme wurden zum Beispiel weniger gefragt, während kompakte ergonomische Tastaturen und mobile Laptophalter einen starken Schub erhalten haben. Derzeit ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend fortsetzen wird, weil viele Unternehmen sich entscheiden, die Arbeit von zuhause grundsätzlich zu fördern.
ASU: Warum wird im Homeoffice oft an provisorischen Arbeitsplätzen gearbeitet? Eine ordentliche Ausstattung kostet inzwischen nicht mehr viel Geld.
SR: Wir erliegen in Deutschland gerne dem Wunschdenken, die Ausstattungsweise aus den Büros auf das Homeoffice übertragen zu wollen und halten dies für ordentlich. Dies wird auch durch die Vorgaben der Arbeitsstätten (ArbstättV) und den Empfehlungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gefördert. Das Problem dabei ist aber, dass dies nicht zur Lebenswirklichkeit vieler Menschen passt. Der Wohnraum in den Städten ist begrenzt und teuer. Ein Arbeitszimmer ist meistens nicht vorhanden. Sich zuhause einen kompletten Arbeitsplatz wie im Büro einzurichten, ist daher für viele Menschen gar nicht möglich. Verständlicherweise möchte man auch nicht das Wohnzimmer opfern, da dies der Rückzugsraum nach getaner Arbeit ist. Dieser Punkt ist auch wichtig, weil das Abschalten ein ganz essenzieller Aspekt für die psychische Gesundheit ist. Es braucht also flexiblere Lösungen wie beispielsweise den wegklappbaren Sekretär, Sitz-Steh-Tischaufsätze, mobile Laptop-Halterungen mit Vorlagenhalter und kompakte Eingabegeräte, die den Arbeitsplatz nach getaner Arbeit verschwinden lassen.
ASU: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung mit der Ausstattung von Homeoffices ein?
SR: Viele Unternehmen umgehen den Begriff Homeoffice bewusst und sprechen lieber vom mobilen Arbeiten. Dies passt auch dazu, dass viele Menschen ihren Arbeitsort viel flexibler wählen und weniger auf einen Ort festgelegt sind. Konzentrationsarbeit lässt sich beispielsweise oftmals besser von zuhause erledigen, aber kommunizieren lässt sich immer noch besser, wenn man mit den Kolleginnen und Kollegen zusammentrifft. Außerdem lassen sich so die Vorgaben für das Homeoffice umgehen. Dies bietet gleichzeitig aber auch die Chance, flexiblere Lösungen zu nutzen, die besser zu den Bedürfnissen der Beschäftigten passen.
ASU: In Open-Space-Bürolandschaften sieht man Menschen mit Laptops an unterschiedlichsten Plätzen arbeiten. Es wird der Eindruck vermittelt, dass nur die wenig dynamischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem Schreibtisch mit Bildschirm und Tastatur arbeiten. Wird durch die Werbung der Büromöbelhersteller ein falsches Bild von Arbeitsplatzausstattung vermittelt?
SR: Bei der Bewerbung der Open-Space-Landschaften geht es tatsächlich primär um den Gedanken der Bewegungs- und Kreativitätsförderung, ohne dass die tatsächliche Schnittstelle zwischen dem Menschen und seinem Bildschirmgerät ausreichend berücksichtigt wird. Von der ausschließlichen Arbeit mit dem Laptop ist aus ergonomischer Sicht jedoch grundsätzlich abzuraten. Die nicht vorhandene Trennung von Bildschirm und Tastatur sowie die mangelnde Höhenverstellbarkeit des Bildschirms, in Kombination mit einer hohen Auflösung und der geringen Größe, zwingen die arbeitende Person in eine Fehlhaltung. Wir alle kennen hier die „Affenhaltung“, die eingenommen wird und spüren schnell, dass etwas an dieser Haltung nicht stimmt. Dies kann im Open-Space durch ergonomische Hilfsmittel wie externe Eingabegeräte und einen höhenverstellbaren Laptophalter mit integriertem Vorlagenhalter teilweise deutlich korrigiert werden. Darüber hinaus gehören in eine moderne Bürolandschaft auch flexible Arbeitsplätze, an denen mindestens ein elektrisch höhenverstellbarer Schreibtisch, ein leicht einstellbarer Bürodrehstuhl, eine Dockingstation, ein großes Bildschirmgerät und externe Eingabegeräte zur Verfügung stehen. Insbesondere, wenn Menschen längere Zeit ununterbrochen Bildschirmarbeit erledigen, ist dies unumgänglich, um Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erhalten.
ASU: Was müssen wir lernen, um leistungsfähig zu bleiben? Im Homeoffice gibt es kein festes Pausenregime …
SR: Wie im Büro auch sollten wir viel häufiger kurze Arbeitsunterbrechungen einlegen und uns bewegen. Durchschnittlich sinkt unsere Arbeitsgeschwindigkeit bereits nach einer halben Stunde und die Fehlerquote nimmt zu. Dies zeigen verschiedene Studien. Genau hier würden kurze „Pit-Stops“ helfen, damit es nicht zu einem Absacken unseres Energieniveaus kommt, das uns durch den ganzen Tag bis in den Feierabend begleitet und die psychische Belastung erhöht. Hier macht es Sinn, sich feste Zeitpunkte für Erholungsmomente festzulegen: zum Beispiel einen kleinen Spaziergang am Vormittag, eine etwas längere Mittagspause, in der wir gemütlich essen, und kleine Pausen nach jedem Web-Meeting, in denen wir uns dehnen und strecken. Hilfreich dabei sind Softwaretools wie die WORK&MOVE Software, die die Bildschirmarbeiterin/den Bildschirmarbeiter unterstützt, einen optimalen Arbeits-Pausen-Bewegungs-Rhythmus zu finden und umzusetzen.
ASU: Bildschirme werden oft zu hoch eingestellt – in der Praxis sieht man häufig noch zwei Stapel Kopierpapier unter dem Monitor. Was ist an einer normalen Sehhaltung so schwierig?
SR: Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob es hier tatsächlich ein größeres Problem mit der Bildschirmhöhe gibt. In vielen Ländern sind höhere Bildschirmeinstellungen üblich, nur in Deutschland wird gern eine extrem niedrige empfohlen. Wie kommt das? Wenn wir uns die Empfehlungen der DGUV anschauen, ist grundsätzlich einmal die Rede von einer Position der Bildschirmmitte mit –35° unter der Nulllinie. Die Nulllinie verläuft bei aufrechter Sitzposition, parallel zum Tisch. Die –35° basieren auf einer entspannten Nackenhaltung. Zusätzlich wird dann das Sichtfeld angeführt, das noch einmal größer ist und es ermöglicht, einen Bildschirm einfach auf dem Tisch zu platzieren. Auch beim Laptop werden Erhöhungen dann abgelehnt, weil sie vermeintlich unnötig sind. Nun gibt es aber Praxisstudien, die belegen, dass die Nackenbelastung bei niedrigen Bildschirmpositionen stark zunimmt, ebenso wie bei hohen, obwohl in der Theorie aus der Kombination von entspannter Nackenposition und Sichtfeld kein Problem entstehen sollte. Wie kann das erklärt werden? Scheinbar arbeiten Menschen weniger gerne am Rande ihres Sichtfeldes und justieren über die Kopfhaltung nach. Wenn ein Mitarbeiter sich dann zum Beispiel noch etwas mehr zurücklehnt und die Nulllinie nicht mehr parallel zum Tisch verläuft, wird eine niedrige Bildschirmposition schnell unbequem. Probleme gibt es auch bei der Arbeit mit Laptops, die aufgrund der hohen Auflösung und relativ kleiner Bildschirme unbedingt im –35°-Winkel zum Auge herangeführt werden sollten. Offensichtlich wirken sehr viele Faktoren bei der Wahl der individuellen Bildschirmposition mit. Unser Unternehmen versucht daher, flexible Lösungen zu schaffen, die dem Beschäftigten eine bequeme Haltung und eine möglichst geringe Belastung ermöglichen.
ASU: Warum verwenden wenige Menschen Kompakttastaturen, obwohl sie gar keine Volltastaturen benötigen?
SR: Die ISO 9241-410 beschreibt die Kompakttastatur als den „Standard“ für die Bildschirmarbeit, mit dem Ziel, die Mausposition zu verbessern und eine grade Körperhaltung zu fördern. Leider schaffen die meisten Unternehmen immer noch billige Tastaturen an oder erhalten diese kostenfrei mit den Clients oder Laptops. Diese Tastaturen sind meist nicht kompakt und verfügen über einen festen Ziffernblock an der rechten Seite. Selbst wenn dieser nicht genutzt wird, haben viele Menschen das Gefühl, man würde ihnen etwas wegnehmen, wenn sie eine Kompakttastatur erhalten. Dem entgegenzuwirken ist eine Frage der Aufklärung. Einige Nutzerinnen und Nutzer benötigen aber auch einen Ziffernblock zur Dateneingabe. Hier ist sicherlich auch die Medium-Size-Tastatur interessant, die trotz Ziffernblock immer noch sehr kompakt ist. Auch ein externer Ziffernblock kann eine gute Lösung sein. Unsere Einschätzung ist, dass die zunehmende Mobilität und Flexibilität der Bildschirmarbeit der Kompakttastatur auch in Deutschland einen Schub geben
wird.
ASU: Wird die Standardmaus bald durch die Vertikalmaus verdrängt? Welche Mäuse empfehlen sich für das flexible und mobile Arbeiten?
SR: In der Tat wird die Vertikalmaus immer mehr zum Standard. Dies ist auch daran zu erkennen, dass es sie inzwischen auch von den großen Eingabegeräteherstellern und in jeder Qualitäts- und Preisklasse gibt. Beim Desk-Sharing ist die Vertikalmaus jedoch eine große Herausforderung, da der Arbeitsplatz sowohl für Links- als auch Rechtshänder geeignet sein muss. Hier gibt es noch wenige Vertikalmäuse, die für beide geeignet sind. Eine Alternative kann dann die Zentralmaus bilden, die sowohl für Links- als auch Rechtshänder passend ist. Sie unterstützt außerdem das Arbeiten in einer Linie aus Bildschirm, Vorlagen, Tastatur und Maus, so dass eine bessere Körperhaltung eingenommen wird.
Für den mobilen Einsatz ist bei der Wahl der richtigen Maus auch auf deren Kompaktheit und Gewicht zu achten. Unsere Firma bietet in ihrem digitalen „Wissenszentrum“ eine entsprechende Auswahlhilfe für Computermäuse an. Außerdem kann eine Mausbox angefragt werden, mit deren Hilfe Beschäftigte selbst die geeignete Maus wählen können.
ASU: Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Stefan Reuter – Geschäftsführer GmbH für die DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz)
Stefan Reuter absolvierte sein Diplom an der Fontys University of Applied Sciences in den Niederlanden und arbeitete bereits während seines Studiums für das niederländische Unternehmen BakkerElkhuizen im Rahmen eines Praktikums. Während dieser Zeit erarbeitete er ein wesentliches Tool zur Berechnung des Return on Investment von ergonomischen Produkten. Nachdem er viele Jahre wertvolle Berufserfahrungen im Controlling eines internationalen Baustoffkonzerns gesammelt hat, kehrte er als Key Account Manager zurück. In dieser Funktion entwickelte Stefan Reuter die DACH-Region für BakkerElkhuizen, die er nun seit drei Jahren erfolgreich als Geschäftsführer der DACH-Niederlassung verantwortet. Dabei setzt er nicht nur sein umfassendes Wissen aus dem Controlling ein, sondern nutzt auch seine nun mehr als zwölfjährige Erfahrung aus der Ergonomie-Branche.