Sachverhalt
Der Sachverhalt zum Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 17.12.2018 – L 8 R 4195/18 ER-B stellt sich wie folgt dar: Der 1973 geborene Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Übergangsgeld für sein als Leistung zur Teilhabe selbstbeschafftes Studium.
Nach einer Ausbildung zum Fliesenleger und Bestehen der Meisterprüfung verfügt der Antragsteller über die Berechtigung zum Hochschulstudium. Als er die typischen Tätigkeiten eines Fliesenlegers nicht mehr leidensgerecht ausüben konnte (Grad der Behinderung, GdB, 30 v.H.) beantragte er am 28.02.2018 bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die BA leitete den Antrag zuständigkeitshalber weiter an die Deutsche Rentenversicherung (DRV), die mit Bescheid vom 21.03.2018 dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligte. Über Art und Umfang der Teilhabeleistungen sollte nach einem Gespräch mit dem Reha-Fachberater entschieden werden.
Mit Schreiben vom 27.03.2018 beantragte der Antragsteller daraufhin ein dreijähriges Studium der IT-Sicherheit an der Hochschule A. als Teilhabeleistung und stellte klar, an beruflichen Alternativen nicht interessiert zu sein. Mit Bescheid vom 22.06.2018 lehnte die DRV die Kostenübernahme für das ausdrücklich beantragte Studium ab, führte zur Begründung aus, dem Antragsteller fehle aufgrund der erzielten Ergebnisse seiner psychologischen Untersuchung die berufliche Eignung und bot ihm Leistungen für eine Umschulung z.B. zum Informatikkaufmann, Fachinformatiker oder IT-Systemkaufmann an. Diese Ausbildungen könnten nach den Ergebnissen der psychologischen Eignungsuntersuchung mit Aussicht auf Erfolg bewältigt werden. Es müsse nach Ablehnung aller anderen Maßnahmen durch den Antragsteller aber derzeit davon ausgegangen werden, dass eine Erfolgsaussicht dieser Maßnahmen aufgrund fehlender Motivation nicht gegeben sei. Widerspruch und Klage des Antragstellers sowie ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung des Studiums blieben erfolglos. Das Berufungsverfahren ist noch nicht entschieden.
Zum Wintersemester 2018/2019 nahm der Antragsteller das IT-Studium auf und beantragte erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung auch gegen weitere Sozialversicherungsträger. Er machte geltend, derzeit eine selbstbeschaffte Umschulungsmaßnahme an der Hochschule in A. zu besuchen. Ihm stünden Leistungen verschiedener Leistungsträger zu, doch aufgrund von Zuständigkeitsstreitigkeiten erhalte er seit 17.09.2018 keinerlei Unterhaltsleistungen; über Rücklagen oder Reserven verfüge er nicht. Leistungen vom Jobcenter erhalte er nicht, da er vorrangige Leistungsansprüche gegen andere Leistungsträger habe, faktisch fließe kein Geld und es drohe der Abbruch der Umschulung.
Kein Übergangsgeldanspruch bei Selbstbeschaffung?
Den Antrag lehnte das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 29.10.2018 ab und führte zur Begründung aus, dass ein Anspruch auf Übergangsgeld nach § 20 SGB VI ausscheide, da der Antragsteller aktuell keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben absolviere, sondern einen selbstgewählten Studiengang, was von der DRV nicht unterstützt werde. Es läge keine Ermessensreduzierung auf null vor. Arbeitslosengeld könne der Antragsteller nicht beanspruchen, da er keinen Nachweis erbracht habe, dass sein Ausbildungsgang an der Hochschule A. die Ausübung einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulasse, so dass keine Verfügbarkeit gegeben sei. Gesundheitliche Einschränkungen, die einer leichten Tätigkeit entgegenstünden, seien nicht ersichtlich, so dass die Gewährung von Krankengeld nicht in Betracht komme. Eine Erwerbsminderungsrente scheide aus, da er nicht voll erwerbsgemindert sei und die Altersgrenze für den Bezug einer Altersrente nicht überschritten habe.
In seiner Beschwerde zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) macht er geltend, dass die DRV von Anfang an gewusst habe, dass er ausschließlich das dreijährige Hochschulstudium in A. habe absolvieren wollen. Seine diesbezügliche Neigung und die Programmierkenntnisse seien bekannt gewesen, die Berufswahl sei nach Art. 12 Grundgesetz und dem Wunsch- und Wahlrecht zu beachten. Bei der Dauer der Leistungen handele es sich um eine Soll-Bestimmung. Auch habe er bereits seine Bereitschaft dargelegt, das dritte Studienjahr über BAföG selbst zu finanzieren. Der psychologische Test sei nicht verwertbar, da er nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei.
Pflicht zur Feststellung genehmigungsfähiger Leistung
Das LSG hat das Rechtschutzbedürfnis des Antragsstellers und einen Anordnungsgrund bejaht und ihm für die Dauer des Hauptsachverfahrens einen Übergangsgeldanspruch zugesprochen. Bei summarischer Prüfung des Anspruchs sah der Senat die Notwendigkeit einer einstweiligen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, da andernfalls durch Zeitablauf die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Die DRV sei nach Weiterleitung des Antrags als leistender Rehabilitationsträger zu umfassender Feststellung und Leistungserbringung verpflichtet gewesen. Eine Feststellung des Teilhabeanspruches dem Grunde nach sei dafür nicht genügend. Der Bescheid der DRV vom 22.06.2018 dürfte sich bereits deshalb als rechtswidrig erweisen, weil sie hiermit nur die Gewährung des Hochschulstudiums abgelehnt, aber keine andere Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt hat. Sie wäre vielmehr gehalten gewesen, gleichzeitig eine positive Entscheidung hinsichtlich der dem Kläger ihrer Auffassung nach zustehenden Leistungen zu treffen, da sie nur so ihrer Pflicht zur Verfahrensförderung hätte nachkommen können. Das mangelnde Interesse des Antragstellers an anderer Leistung entbindet indessen nicht davon, eine konkrete Maßnahme zu gewähren und so das Antragsverfahren abzuschließen. Die zügige und lückenlose Durchführung der Rehabilitation sei für behinderte Menschen im Hinblick auf den Erfolg der Leistungen von großer Bedeutung.
Eine rechtmäßige Entscheidung der Antragsgegnerin hätte eines konkreten und geeigneten Gegenvorschlags bedurft und nicht lediglich der Aufzählung von möglichen Alternativen, wobei insbesondere ein konkreter Maßnahmebeginn hätte festgelegt werden müssen.
Genehmigungsfiktion bei Fristüberschreitung
Unabhängig von diesen Mängeln des Feststellungsverfahrens folge die Rechtswidrigkeit des Bescheides schon daraus, dass das Verwaltungsverfahren durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 18 SGB IX bereits abgeschlossen war. Die Vorschrift bestimmt nämlich, wenn über einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Antragseingang bei dem leistenden Rehabilitationsträger entschieden werden kann, dem Leistungsberechtigten vor Ablauf der Frist die Gründe hierfür schriftlich mitzuteilen sind. In der begründeten Mitteilung ist auf den Tag genau zu bestimmen, bis wann über den Antrag entschieden wird, § 18 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, wobei die Fristverlängerung nur unter engen Bedingungen und in begrenztem Umfang erlaubt ist. Diese Mitteilung hat der Antragsteller nicht erhalten, weshalb die beantragte Leistung, also das Studium, gem. § 18 III, S. 1 SGB IX als genehmigt gelte.
Mit dem hinreichend bestimmten Antrag auf ein IT-Studium an der Hochschule A. war das Leistungsbegehren des Antragstellers so konkretisiert, dass der Antrag fiktionsfähig war. Nach § 18 Abs. 4 Satz 1 SGB IX war mithin der leistende Rehabilitationsträger DRV zur Erstattung der Aufwendungen für selbstbeschaffte Leistungen verpflichtet.
Subjektive Erforderlichkeit genügt
Dem Antragsteller kann nicht entgegengehalten werden, er habe bei der Selbstbeschaffung gewusst oder infolge grober Außerachtlassung der allgemeinen Sorgfalt nicht gewusst, dass kein Anspruch auf Bewilligung der selbstbeschafften Leistung bestanden hätte. Es kommt nur darauf an, ob der Antragsteller die Leistung subjektiv für erforderlich halten durfte und diese nicht offensichtlich außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs liegt.
Nach dieser ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung des gesetzgeberischen Willens in § 18 Abs. 5 SGB IX könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Rechtmäßigkeit (insbesondere Wirtschaftlichkeit und Erforderlichkeit) der Primärleistung vorauszusetzen sei. Die Einwendung des Rehabilitationsträgers, eine Leistung hätte nicht oder nicht in der selbstbeschafften Art und Weise erbracht werden können, solle grundsätzlich verhindert werden. Die in § 18 geregelte Möglichkeit der Selbstbeschaffung solle gegenüber den säumigen Rehabilitationsträgern eine wirksame Sanktionswirkung entfalten, so dass lediglich die Erstattung offensichtlich rechtswidriger Leistungen, die rechtsmissbräuchlich beschafft wurden, ausgeschlossen sei (BT-Drucksache 18/9522, Seite 237/238).
Hochschulstudium nicht außerhalb des Leistungskatalogs
Im Ergebnis seien daher nur solche Leistungen nicht fiktionsfähig, die offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges liegen. Dies sei bei einem Hochschulstudium nicht der Fall. Gemäß § 49 Abs. 3 Nr. 4 SGB IX umfassen die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben insbesondere berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen. Die berufliche Weiterbildung habe zum Ziel, eine berufliche Wiedereingliederung zu erreichen, ohne dass der Leistungsberechtigte einen sozialen Abstieg in Kauf zu nehmen hätte. Von diesem Ausgangspunkt ausgehend, kann es nicht grundsätzlich ausscheiden, auch ein Hochschulstudium als förderbar anzusehen, insbesondere, wenn der Leistungsberechtigte über einen solchen oder einen gleichwertigen Abschluss verfüge und, worauf es materiell-rechtlich entscheidend ankomme, in einer dem Abschluss entsprechenden Position tätig gewesen ist, mithin die Bezugstätigkeit dem Hochschulabschluss entspricht.
Aus § 53 Abs. 2 SGB IX folge nichts anderes, da dieser zwar bestimme, dass eine berufliche Weiterbildung in der Regel einen Zeitraum von zwei Jahren nicht überschreiten darf, jedoch eine Ausnahmeregelung dahingehend enthält, dass anderes dann zu gelten hat, wenn das Teilhabeziel anderweitig nicht erreicht werden kann. Eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Antragstellers davon, dass diese Leistungsvoraussetzungen nicht bestünden, ließe sich ausgehend vom Rechtstandpunkt des Antragstellers nicht feststellen. Als Handwerksmeister stehe er einem Hochschulabsolventen gleich. Die Beanspruchung eines entsprechenden Studiums als Umschulung stelle sich mithin nicht als rechtsmissbräuchliche Leistungsbeschaffung dar.
Wirkung der gesetzlichen Fiktion
Der Eintritt der Fiktion bewirke das Entstehen eines fiktiven Verwaltungsaktes (Rechtsposition sui generis), durch den das Antragsverfahren abgeschlossen sei. Für weitere Entscheidungen über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe bestehe dann kein Raum mehr. Sie würden den Antragsteller in seinem aus der fiktiven Genehmigung folgenden Leistungsanspruch verletzen und seien auf isolierte Anfechtungsklage hin aufzuheben.
Das Begehren auf Erstattung der durch das Studium entstehenden Kosten könne im Wege der reinen Leistungsklage verfolgt werden, da die Leistung gem. § 18 SGB IX bereits als genehmigt gelte und den Leistungsberechtigten gegenüber dem Rehabilitationsträger in die Lage versetze, ohne Vorverfahren seinen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen. Hierzu gehöre nach Aufnahme des Studiums auch der Übergangsgeldanspruch nach § 20 Abs. 1 SGB V, weil ab diesem Zeitpunkt kraft Fiktion einen Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben von der DRV erbracht werde.
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.