Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.
Hearing aids in noise areas – new developments
In practice, the question arises as to whether adequate hearing protection is available for employees with hearing impairments in jobs exposed to noise. The availability of combination solutions consisting of hearing aids and hearing protection offers a potentially suitable option to ensure both hearing protection and the ability to communicate. Knowledge of the various systems and their specific properties is essential in order to be able to make a well-founded recommendation.
Kernaussagen
Hörgeräte in Lärmbereichen – Aktuelle Entwicklungen
In der Praxis stellt sich die Frage nach einem adäquaten Gehörschutz für Arbeitnehmende mit Hörbeeinträchtigungen in lärmexponierten Berufen. Die Verfügbarkeit von Kombinationslösungen aus Hörgerät und Gehörschutz bietet hierbei eine potenziell geeignete Option, um sowohl den Schutz des Gehörs als auch die Kommunikationsfähigkeit zu gewährleisten. Eine Kenntnis der verschiedenen Systeme und ihrer spezifischen Eigenschaften ist unerlässlich, um eine fundierte Empfehlung aussprechen zu können.
Nach den Regeln der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) sind normale Hörgeräte an Arbeitsplätzen mit Lärmgefährdung nicht zulässig (DGUV 2011). Einerseits verstärken Hörgeräte Geräusche und Lärm, andererseits dämmen selbst geschlossene Otoplastiken durch ihre Belüftungsbohrungen den Lärm nicht, von den offenen System ganz zu schweigen. Auch ein abgeschaltetes Hörgerät bietet demnach keinesfalls einen notwendigen und sicheren Gehörschutz und darf nicht eingesetzt werden (Brusis u. Sickert 2012).
Mit Rundschreiben vom 11.05.2016 hat die DGUV jedoch eine Ausnahmeregelung getroffen, damit auch Personen mit Hörgerät ihren Arbeitsplatz behalten können, wenn dort ein Tages-Lärmexpositionspegel LEX,8h von 85 dB(A) und mehr vorliegt und so die Pflicht zum Tragen von Gehörschutz besteht.
Was wurde zugelassen?
Hörsysteme zur Verwendung im Lärm müssen eine geprüfte, zugelassene feste Kombination aus Gehörschutz-Otoplastik (DGUV 2018) und Hörgerät sein (Komplettsystem), um die Kriterien einer persönlichen Schutzausrüstung (PSA) nach DGUV verbindlich zu erfüllen, wie im Prüfgrundsatz GS-IFA-P14 des Instituts für Arbeitsschutz (IFA) festgelegt (IFA 2024, siehe Online-Quelle).
Der Hersteller trägt die Verantwortung dafür, dass eine Gehörschutz-Otoplastik in Kombination mit einem dafür vorgesehenen Hörgerät die erforderlichen Standards erfüllt. Dies beinhaltet insbesondere die Sicherstellung, dass der einstellbare Bereich des Hörgeräts so begrenzt ist, dass der maximal zulässige Expositionswert von LEX,8h = 85 dB(A) am Ohr nicht überschritten wird. Dadurch sollen Fehlbedienungen, die zu einer erhöhten Lärmbelastung durch das Hörgerät selbst führen könnten, vermieden werden. Um die Zulassung zu erhalten, wurde das System im Rahmen der EU-Baumusterprüfung von einer notifizierten Stelle (z. B. Institut für Arbeitsschutz der DGUV, IFA, Sankt Augustin) gemäß dem IFA-Prüfgrundsatz (GS-IFA-P14, 2/2024) geprüft.
Die Prüfung des Hörgeräts wird in einem diffusen Schallfeld im Hallraum des IFA an einem Kopfsimulator mit hoher Eigenschalldämmung (Acoustic Test Fixture, ATF) durchgeführt (➥ Abb. 1, links). Für die vorliegenden Ohrkanal- und Pinna-Nachbildungen (➥ Abb. 1, rechts) sind spezielle Otoplastiken anzufertigen. Da die zu prüfenden Hörgeräteprogramme typischerweise eine Störschallunterdrückungs- beziehungsweise Spracherkennungsfunktion besitzen, werden sie ähnlich wie pegelabhängig dämmende Gehörschützer, jedoch mit tatsächlichen Arbeitsgeräuschen statt der sogenannten H-, M- beziehungsweise L-Geräusche (Rauschen mit verschiedenem Frequenzinhalt) geprüft. Die sieben eingesetzten Geräusche weisen unterschiedliche Spektren und Zeitstrukturen auf.
Die Gehörschutz-Otoplastik wird nach DIN EN 352-2:2021-03 (Gehörschützer – Allgemeine Anforderungen – Teil 2: Gehörschutzstöpsel) mit angekoppeltem Hörgerät geprüft. Das Messverfahren ist eine Freifeld-Audiometrie im diffusen Schallfeld (➥ Abb. 2) nach DIN EN ISO 4896-1:2019-10 (Akustik – Gehörschützer – Teil 1: Subjektives Verfahren zur Messung der Schalldämmung).
Die ersten Geräte, die die Anforderungen für Hörsysteme im Lärmbereich erfüllten, wurden von der Fa. Hörluchs (einziger Hersteller) unter dem Namen „ICP-(Insulating Communication Plastic-) Gehörschutzsystem“ vertrieben (Hörgeräte Kategorie 3) (Michel 2024).
Dem in der HNO-Praxis erstellten Tonschwellenaudiogramm kommt eine besondere Bedeutung zu. Nach geliefertem Audiogramm wird das Hörsystem beim Hersteller auf den Hörverlust fertig eingestellt. Die Hörakustikerin oder der Hörakustiker kann nach Erhalt des Systems noch eine individuelle Feinanpassung im verfügbaren Einstellbereich der Parameter vornehmen. Danach wird die Einhaltung des Grenzwerts am Ohr bei einer In-situ-Messung des Geräts am Arbeitsplatz geprüft. Ist der Schalldruckpegel am Ohr (OSPL – Output Sound Pressure Level) zu hoch, muss die Verstärkung reduziert werden. Die Hauptmerkmale dieser Versorgung finden sich im Infokasten. Als Komplettsystem ist aktuell nur ein Produkt der Firma Hörluchs auf dem Markt. Es handelt sich um das Im-Ohr-Hörgerät „Hörluchs® SENTIOBO TIK ICP®“.
Das aktuell erhältliche Komplettsystem stößt an seine Grenzen, wenn die oder der Nutzende beispielsweise kein Im-Ohr-Gerät wünscht oder aufgrund anatomischer Gegebenheiten nicht tragen kann. Umgekehrt kann ein Hinter-dem-Ohr-System (HdO) ungeeignet sein, wenn die oder der Nutzende mit der Optik, verglichen mit seinem eventuell vorhandenen Freizeit-Hörgerät, unzufrieden ist (➥ Abb. 3). Zudem kann der Schallpegel im Einsatzbereich verfügbarer Komplettsysteme den Grenzwert von 97 dB(A) überschreiten.
Offenes Versorgungssystem (kombinierbare Hörsysteme)
Bei dem offenen Versorgungssystem handelt es sich um ein Hörgerät und eine Gehörschutz-Otoplastik, die getrennt zugelassen werden. Sie sind über eine passende Schnittstelle (z. B. 2-mm-Schallschlauch) kombinierbar (siehe DGUV Grundsatz 312-002). Damit sollen die Nachteile des Komplettsystems umgangen und Alternativen für die Hörgerätebenutzenden geschaffen werden.
Die Zulassung der Gehörschutz-Otoplastiken erfolgt im Rahmen der EU-Baumusterprüfung als persönliche Schutzausrüstung (PSA) wie beim Komplettsystem (z. B. beim IFA).
Die Zulassung des Hörgeräts erfolgt im Bereich der Zulassung nach der EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR, Verordnung (EU) 2017/745) im Rahmen der Hörgerätezulassung.
Die Hörakustikerin oder der Hörakustiker wählt geeignete Komponenten aus und verfügt im Arbeitsplatzprogramm über dieselbe freie Einstellbarkeit wie für Privatprogramme. Die Einhaltung des maximal zulässigen Expositionswerts ist von der Hörakustikerin oder dem Hörakustiker nachzuweisen. Sie bzw. er übernimmt die Verantwortung für die Versorgung mit dem gesamten Hörsystem.

Foto: Michel
Vorschriften sind zu beachten
Sowohl bei der Hörgeräte-Versorgung mit einem Komplettsystem als auch mit einem kombinierbaren System sind Hörakustikerinnen und Hörakustiker zur Dokumentation der Versorgung gezwungen. Beim Komplettsystem erfolgt die Kontrolle der Dokumentation von In-situ-Messung und Sprachtest (Sprachverständlichkeit durch das Hörgerät ausreichend verbessert) durch den Unfallversicherungsträger, der dies meist vertraglich an den Hersteller des Systems überträgt. Bei der Versorgung mit kombinierbaren Systemen ist die Dokumentation, die die Hörakustikerinnen und Hörakustiker zu der Versorgung liefern müssen, deutlich umfangreicher.
Es ist vorgesehen, dass die Unfallversicherungsträger (UVT) beide Versorgungsmodelle finanzieren. Für das Standardverfahren der ICP-Versorgung besteht eine Übereinkunft, dass die von den Hörakustikerinnen und Hörakustikern eingereichten Rechnungsbelege auf der Basis eines Angebots des Herstellers erstattet werden. Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist die Erfüllung der Indikationskriterien, das heißt die Forderung nach der zum Fortgang der Tätigkeit unbedingt notwendigen Kommunikation, was von den Präventionsabteilungen der jeweiligen UVT im Rahmen des BK-2301-Verfahrens geprüft wird.
Indikationskriterien der UVT für die Versorgung mit speziellen Hörgeräten zum Einsatz in Lärmbereichen (DGUV 2011) sind sogenannte arbeitstechnische Voraussetzungen, von denen mindestens eine zutreffen muss:
Für die Verwendung kombinierbarer Hörgeräte nach DGUV Grundsatz 312-002 ist die Entwicklung einheitlicher Regeln zur Kostenübernahme noch nicht abgeschlossen. Die Kostenübernahme durch die UVT dafür erfolgt oft noch nicht reibungsfrei, da ein Rahmenvertrag der DGUV für die offene Versorgung bisher nicht existiert. Einige UVT verlangen eine zusätzliche Bestätigung über die Kompatibilität der gewählten Hörgeräte-Otoplastik-Kombination. Für die Zukunft ist davon auszugehen, dass durch die UVT eine Verbesserung des Sprachverstehens und das Hören von Warnsignalen sowohl für Komplettsystemen als auch für kombinierbare Systeme verlangt wird.
Alternativen
Das Hören von Versicherten, die eine nur geringgradige Hörminderung haben, wird durch einen zu tragenden Gehörschutz mit festem Dämmwert (passiver Gehörschutz) übertäubt und funktionell taub. Das gilt insbesondere dann, wenn die Schalldämmung nicht in allen wesentlichen Sprachfrequenzen etwa gleich hoch ist („flache Dämmcharakteristik“, Zusatzkennzeichnung „X“). Für diese Grenzfälle gibt es sogenannte pegelabhängig dämmende Gehörschützer, die ähnlich wie ganz einfache Hörgeräte arbeiten. Für Fälle, bei denen noch keine Indikation für ein Hörgerät besteht, sind solche Produkte für die UVT ein Mittel, um die Kommunikation am Arbeitsplatz auch für Personen mit Hörschädigung zu sichern. Verwendet werden aktuell unter anderem Systeme mit standardisierter Verstärkereinstellung (z. B. 3M™ PELTOR™ TEP 200) und Geräte mit einer der Hörminderung angepassten Verstärkerkennlinie (Hörluchs® HA active).
Damit stehen für eine hörbehinderte Person, die im Erwerbsleben Lärm ausgesetzt ist, mehrere Möglichkeiten zu Verfügung, nicht auf den Arbeitsplatz verzichten zu müssen und trotzdem ein Maximum an Gehörschutz zu haben.
Fazit
Für die Hörgeräte-Versorgung von Personen mit Hörminderung am Lärmarbeitsplatz stehen aktuell zwei Ansätze zur Verfügung. Bei einem Komplettsystem werden Hörgerät und Gehörschutz-Otoplastik in Einheit als PSA zertifiziert. Für ein kombinierbares Hörsystem besteht bedingt freie Wahl von Hörgerät und Gehörschutz-Otoplastik. Nach Verordnung wählt die versorgende Hörakustikerin beziehungsweise der Hörakustiker zwei passende Komponenten aus und führt die individuelle Anpassung durch. In beiden Fällen wird durch eine In-situ-Messung nachgewiesen, dass der maximal zulässige Expositionswert für den Tages-Lärmexpositionspegel am Arbeitsplatz eingehalten wird.
Eine Kostenübernahme durch den Unfallversicherungsträger kann im Rahmen eines Verfahrens zur Lärmschwerhörigkeit erfolgen, wenn die Indikationskriterien für ein Lärmarbeitsplatz-Hörgerät und die vertraglichen Anforderungen der Unfallversicherungsträger erfüllt sind.
Interessenkonflikt: Der Erstautor ist Inhaber der Firma Lärm- und Gehörschutz Consult.
Literatur
Brusis T, Sickert P: Aus der Gutachtenpraxis: Ist das Tragen von Hörgeräten in Lärmbereichen erlaubt? – Neue Entwicklungen auf dem Hörgerätesektor! Laryngo-Rhino-Otol 2012; 91: 189–191.
DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: DGUV Grundsatz 312-002 Hörgeräte zur Verwendung mit einer Gehörschutz-Otoplastik für den Einsatz in Lärmbereichen. Berlin: DGUV, 2020.
DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Präventionsleitlinie „Einsatz von Hörgeräten in Lärmbereichen“. Berlin: DGUV, Fachbereich Persönliche Schutzausrüstungen, 2011.
DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Präventionsleitlinie „Einsatz von Gehörschutz-Otoplastiken“. Berlin: DGUV, Fachbereich Persönliche Schutzausrüstungen, 2018.
Michel O: Gutachten in der HNO. Fundiert - überzeugend - sachlich. 1. Aufl. Heidelberg: SpringerNature, 2024.
Online-Quelle
Institut für Arbeitsschutz (IFA): Grundsätze für die Prüfung und Zertifizierung von Hörgeräte-Komplettsystemen für den Lärmarbeitsplatz als Gehörschutz. 2024 [15.01.25]; Stand 02.2024
https://www.dguv.de/medien/dguv-test-medien/_pdf_zip_doc_ppt/pruefgrund…

Foto: Michel
Info
Hauptmerkmale der Versorgung mit einem Komplettsystem
Hersteller des Systems vor der Auslieferung.
Koautorin und Koautor
Dr. Sandra Dantscher
Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)
Alte Heerstr. 111, 53757 Sankt Augustin
Prof. Dr. Olaf Michel
Institut für HNO-Begutachtung im St. Franziskus-Hospital, HNO-Klinik
Schönsteinstr. 63, 50825 Köln-Ehrenfeld