Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Individuelle Corona-Strategien im Tätigkeitsfeld eines überbetrieblichen Betriebsarztes

Medizinischer Bereich

Beim unmittelbaren Patientenumgang musste von Anfang an eine sehr detailliert tätigkeitsbezogene Gefährdungsbeurteilung erfolgen, um die erforderlichen Maßnahmen ableiten zu können. Unter anderem wurden die Kontaktdefinitionen des Robert Koch-Instituts (RKI) mit dem medizinischen Personal fachlich diskutiert und spezielle persönliche Schutzausrüstung für Endoskopie oder „Corona-Abstrichpersonal“ verbindlich etabliert.

Gemäß den Empfehlungen zur Kontaktpersonennachverfolgung des RKI (z.B. noch in der Version vom 19.10.2020) sollten asymptomatische Kontaktpersonen selbst bei ungeschütztem Face-to-face-Kontakt zu Covid-19-Erkrankten nur im Einzelfall auf SARS-CoV-2 getestet werden. Unter Berücksichtigung der Inkubationszeiten wurden Kontaktpersonen großzügig getestet. Die Testung konnte gegebenenfalls in den betreuten Arztpraxen selbstständig erfolgen oder Personal aus Physiotherapie, Logopädie etc. konnte in unserer Praxis getestet werden.

Fleischindustrie

Dieser Teststrategie völlig gegenläufig wurden aufgrund des Corona-Ausbruchs bei der Firma Tönnies Betriebe in der Fleischverarbeitung Mitte letzten Jahres dazu verpflichtet, Beschäftigte in der Produktion routinemäßig zweimal wöchentlich zwingend auf SARS-CoV-2 zu testen. Mangels Verfügbarkeit von Antigen-Schnelltests wurde hierfür ein PCR-Test erforderlich. Wegen der Laborkapazitäten geschah (und geschieht) dies als gepoolte Probe von fünf Beschäftigten, die nur bei positivem Ergebnis individualisiert ein zweites Mal getestet wird. Die Menge an Abstrichen konnte bereits nach kurzer Zeit nicht mehr im Routinebetrieb unserer Praxis bewältigt werden, so dass bereits im Juli eine Schulung im Schlachthof zur korrekten Abnahme von Corona-Abstrichen durchgeführt wurde. Die Proben werden seitdem vom Personal (überwiegend aus der Abteilung des Qualitätsmanagements) im Betrieb selbstständig durchgeführt.

Infektionsketten waren kaum auf das unmittelbare Arbeitsumfeld, sondern zumeist auf private Kontakte im familiären Umfeld der Beschäftigten zurückzuführen. Entscheidungen des Gesundheitsamtes waren nicht immer nachvollziehbar. So fiel eine Arbeitnehmerin nach vom Gesundheitsamt aufgehobener Isolierung aufgrund durchgemachter milder Covid-19-Erkrankung im Betrieb (vor Wiederaufnahme der Arbeit) erneut im PCR-Test positiv auf. Das Gesundheitsamt verwies auf eine „wahrscheinlich nicht mehr vorliegende Infektiosität“ und wollte die Isolierung (und damit die Kostenübernahme für den Lohnersatz) nicht verlängern. Der Betrieb stellte zu Recht die Frage, warum die Mitarbeiterin denn dann überhaupt weiter getestet werden solle, wenn sie trotz positivem PCR-Test wieder arbeiten dürfe.

Elektroindustrie

Industrielle Betriebe möchten vermeiden, dass die Gesundheitsämter bei Auftreten von positiv getesteten Beschäftigten durch Isolierung oder Quarantäne einzelner Abteilungen den Produktionsablauf stilllegen.

Die Maßnahmen der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel von August 2020 wurden inhaltlich intensiv von den Geschäftsführerenden diskutiert. Hierbei wurde der Wert einer betriebsärztlichen Beratung erstmals durch die Geschäftsleitung wahrgenommen und betriebsspezifische Konzepte von Besuchermanagement, Trennung der Arbeitsschichten bis hin zu Maskenpflicht, Lüftungskonzepten, Besprechungskultur und Homeoffice konnten etabliert werden.

Im Falle eines an Covid-19 erkrankten Lageristen, der in den letzten Tagen Material in diverse Abteilungen des Betriebes verteilt hatte, wurde zunächst die Belegschaft des Wochenendes mittels Schnelltest „freigetestet“. Nach dem Wochenende und nach mindestens fünftägiger potenzieller Inkubationszeit wurden dann alle 120 Beschäftigten des Werkes durch zwei unserer Arzthelferinnen mittels Schnelltest aus oro- und tiefem nasopharyngealem Abstrich getestet. Hierbei wurden zwei weitere infizierte Personen gefunden, die wahrscheinlich das Virus über die nahe gelegene holländische Grenze von zu Hause mitgebracht hatten. Als sich das Gesundheitsamt zwecks Kontaktnachverfolgung im Betrieb meldete und die umfangreiche Umgebungsuntersuchung registrierte, wurden keine weiteren Schritte von behördlicher Seite eingeleitet.

Öffentliche Verwaltung

Bei einem donnerstags festgestellten Covid-19-Fall in einer öffentlichen Verwaltung sollten Testungen der Angestellten der Abteilung am Freitagmorgen erfolgen, damit diese beruhigt in das Wochenende gehen konnten. Meinem eindringlichen Einwand einer unzureichenden Berücksichtigung der potenziellen Inkubationszeit wurde dann durch eine zweite Testung im Laufe der folgenden Woche Rechnung getragen. Hierbei fand sich eine Kollegin im Nebenbüro, die sich auch ohne längere Besprechungen wahrscheinlich durch ungeschützte Begegnungen auf dem Flur, der Teeküche etc. infiziert hatte.

Kindergärten

In zumindest zwei betreuten Kindergärten fanden sich mehrere positiv getestete Personen. Auffällig war meist die höhere Anzahl an betroffenen Beschäftigten im Vergleich zu den positiv getesteten Kindern. Aufgrund des öffentlichen Interesses wurde hier jedoch die komplette Testung des Umfelds von den Gesundheitsämtern übernommen, so dass ich leider keinen genauen Überblick über das Infektionsgeschehen habe. Alle mir bekannt gewordenen Covid-19-Erkrankungen habe ich als Berufserkrankung gemeldet.

Behindertenwohnheime

In mehreren Behindertenwohnheimen mit eigenem medizinischem Personal wurden frühzeitig eine theoretische und praktische Schulung zur Probenentnahme von ursprünglich PCR-Abstrichen, jetzt überwiegend Antigen-Schnelltesten, durchgeführt. Dies war im Rahmen der Corona-Aufnahme­verordnung notwendig geworden und kann jetzt im Rahmen der einrichtungsinternen Hygienepläne weiter genutzt werden. Auch auf Leitungsebene fällt es hier jedoch zunehmend schwer, die statistischen Unterschiede bei anlassbezogenen Testungen und Routinetestungen verständlich zu machen (unterschiedliche Vortestwahrscheinlichkeit!).

Corona-Impfung

Das Thema Corona-Impfung konzentrierte sich bislang (Stand April 2021) auf medizinische Einrichtungen, Erzieherinnen und Erzieher, sowie Personal und Bewohnerinnen und Bewohner der Behindertenwohnheime. Die Impfungen erfolgten ausnahmslos über die Impfzentren beziehungsweise deren mobile Impfteams. Die betriebsärztliche Impfung soll ab Juni erfolgen. Der präventive Effekt einer flächendeckenden anlasslosen Testung dürfte meiner Überzeugung nach von einer flächendeckenden Impfung weit übertroffen werden. In diesem Kontext spielen Betriebsärztinnen und -ärzte eine wichtige Rolle.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Kontakt

Dr. med. Christof Weinz
c/o Pneumologische Facharztpraxis Dr. med. Rainer Schädlich ; Kromsteg 22; 47638 Straelen

Foto: privat

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen