Gesundheitsmanagement in Zeiten der Digitalisierung am Beispiel der Softwarebranche
Softwareunternehmen stehen einerseits im Mittelpunkt der aktuellen Technologierevolution. Andererseits sind die meist global agierenden Unternehmen selbst erheblich von den Auswirkungen der Digitalisierung und Globalisierung in der „VUKA-Welt“ betroffen. Der ursprünglich aus dem Militär stammende Begriff „VUKA“ hat sich auch in der Wirtschaft durchgesetzt: Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität kennzeichnen die Arbeitswelt von heute. Hochdynamische, sich schnell und unübersichtlich verändernde Rahmenbedingungen stellen, insbesondere auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels, große Herausforderungen an jeden Einzelnen, aber auch an Betriebe und Kommunen, an Politik und Verwaltung.
In der Softwarebranche werden fast ausschließlich hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedenen Alters beschäftigt. Es gilt, die jeweils auf ihrem Gebiet besten Fachkräfte zu gewinnen und sie über ihr Berufsleben hinweg hochmotiviert, gesund, leistungs- und anschlussfähig zu halten.
Smartphones, Laptops, Tablets etc. sind bei den großen IT-Firmen Arbeitsmittel für jeden. Ortsunabhängiges Arbeiten ist für fast alle möglich, viele arbeiten ohnehin zumindest zeitweise in weltweiten virtuellen Teams. Die individuellen Herausforderungen ergeben sich einerseits durch die intensive Nutzung der digitalen Kommunikationsmedien über Zeit- und Kulturzonen hinweg und andererseits durch die Erfordernis flexibler Selbstorganisation angesichts des 24/7-Betriebs und des achtsamen Umgangs mit den eigenen Ressourcen und denen des Teams.
Trotz des erforderlichen hohen Engagements unter VUKA-Bedingungen ist die Arbeitsunfähigkeitsrate gering. Zum Beispiel lag sie bei SAP 2018 nach einer internen Erhebung in Deutschland bei 1,71 %. Als salutogenetische Faktoren wirken eine durch Beschäftigtenbefragungen konstant bestätigte hohe Vertrauens- und Kollaborationskultur (Employee Engagement Index: 84 % in 2018), hoher Sinngehalt und Selbstwirksamkeit, große Handlungsspielräume und das breite Angebot an individuellen Unterstützungsmaßnahmen, wodurch eine Beschäftigtenbindung von 93,9 % (2018) entsteht (SAP SE 2019, s. „Weitere Infos“).
BGM bei SAP: Evolution in Ansatz und Strategie
Analog zu den Veränderungen der Arbeitswelt, muss sich auch das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) entsprechend weiter entwickeln, damit Unternehmen nachhaltig erfolgreich sind.
➥ Abbildung 1 zeigt die beobachtbare Evolution von BGM 1.0 bis hin zu BGM 4.0 als Antwort auf die Herausforderungen der vernetzten VUKA-Welt.
Ausgangspunkt der Entwicklung ist die Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz (1.0), über zusätzliche freiwillig angebotene Gesundheitsförderungsmaßnahmen (2.0), über die inhaltliche Integration in eine Strategie (3.0) bis hin zu einem vernetzten, intelligenten BGM als Teil der Unternehmensstrategie (4.0). Entsprechend findet eine Evolution der Begrifflichkeiten statt, wobei die jeweils vorherige Stufe integriert wird:
Dabei entwickeln sich Betrachtungsweise und Evaluationsansatz von objektiv zu subjektiv: Während bei BGM 1.0 die objektive Bestandsaufnahme von Arbeitsplatzbedingungen (z. B. in Form von Begehungen) im Vordergrund stehen, wird im Rahmen von BGM 4.0 vorrangig die subjektive Erlebenswelt der Beschäftigten erfasst. Damit werden im BGM 4.0 die individuellen Bedürfnisse der Menschen in den Fokus gestellt und Gesundheitsmaßnahmen danach ausgerichtet.
Auch das Gesundheitsmanagement bei SAP unterliegt einer Evolution in diesem Sinne. Es ist entsprechend der strategischen Bedeutung Teil des strategischen Personalmanagements. Es unterstützt die Beschäftigten im Umgang mit den sich wandelnden Arbeitsbedingungen und den damit einhergehenden Herausforderungen der VUKA-Welt (SAP Global Health and Well-Being 2019). Die Maßnahmen des Gesundheitsmanagements wiederum stärken messbar die Unternehmensstrategie, indem sie Personalengagement (84 % in 2018), Beschäftigtenbindung (93,9 % in 2018) (SAP SE 2019, s. „Weitere Infos“), Produktivität und Innovationskraft (McKinsey 2017, s. „Weitere Infos“) positiv beeinflussen (➥ Abb. 2).
Als Unternehmen, das seiner Kundschaft eine intelligente Unternehmenssteuerung durch kluge Vernetzung von Daten und Prozessen ermöglicht muss SAP zum einen die richtigen Talente mit innovativen IT-Skills an Bord haben. Zum anderen muss es auch selbst klug und vernetzt, also intelligent, agieren –das heißt, Daten und Prozesse mittels innovativer Technologien (maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz etc.) so zu vernetzen, dass es mit geringem Zeitverzug und ohne Redundanzen auf sich dynamisch ändernde Einflüsse wie das Verhalten der Konkurrenz, aber auch Wünsche der Kundschaft, reagieren kann. Als attraktives Unternehmen wahrgenommen zu werden, ist dafür ebenso Voraussetzung wie eine achtsam orchestrierende Führung, intakte Feedbackschleifen und ein beschäftigten- und lösungsorientierter Umgang mit Herausforderungen, sowohl auf organisationaler als auch auf individueller Ebene (SAP Global Health and Well-Being 2019).
Mit dem zunehmenden Eintritt der Generationen Y und Z in die Belegschaft, verschieben sich Bedürfnisse der Beschäftigten explizit: Der Wunsch nach Lebensbalance gewinnt an Bedeutung, wie auch der Wunsch nach einer Tätigkeit, die einem höheren Sinn dient (Hardering et al. 2016), die Zusammenarbeit und Lernen in Netzstrukturen ermöglicht und Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort bietet (FAZ 2018, s. „Weitere Infos“). Dabei rückt das subjektive Erleben, die „Experience“, in den Mittelpunkt der Bewertung. Folgerichtig erscheint „Well-Being“ unter den Top 3 der Trends im internationalen Personalwesen (Deloitte 2018, s. „Weitere Infos“). Entsprechend ist das Gesundheitsmanagement bei SAP in vier Bereichen aktiv (SAP Global Health and Well-Being 2019):
Im Fokus des vernetzten Gesundheitsportfolios stehen dabei die Beschäftigten in ihrem unmittelbaren Erleben. Folgende Fragestellungen bilden dafür das Fundament: „Wie geht es Dir wirklich?“, „Was sind Deine Bedürfnisse?“, „Wie erlebst Du XYZ“, „Was brauchst Du um …?“.
Für die Effizienz, Effektivität und Nachhaltigkeit von Maßnahmen ist es dabei von entscheidender Bedeutung, dass die Umsetzung bereichsübergreifend stattfindet. Wie in allen Bereichen, gilt auch für das Thema Gesundheitsmanagement im Betrieb: Je mehr in Silos gedacht und gearbeitet wird, desto geringer die Effizienz, Effektivität und Nachhaltigkeit. Umgekehrt gilt, dass eine bereichsübergreifende Kollaboration in Bezug auf gemeinsame Ziele zu positiven multiplikativen und nachhaltigen Effekten führt (Deloitte 2018).
➥ Abbildung 3 zeigt links relevante Bedürfnisse am Arbeitsplatz, die salutogenetischen Faktoren entsprechen (vgl. Badura 2017; Badura et al. 2013; Blättner 2007). In der Mitte finden sich Beispiele ineinander greifender Angebote und rechts sind Unternehmensbereiche genannt, die typischerweise für die genannten Angebote die Verantwortung tragen, meist aber nicht umfassend kooperieren und somit hinter den Möglichkeiten einer maximal positiven Gestaltung der „Experience“ zurück bleiben.
BGM 4.0 ist etabliert, wenn die Silos überwunden sind und es zu einer bereichsübergreifenden Zusammenarbeit hinsichtlich gemeinsamer Analyse, Zielsetzung, Maßnahmenergreifung und Erfolgssteuerung kommt.
Digitalisierung: Risiken erkennen – Chancen nutzen
Die Unternehmen stehen in einer besonderen Verantwortung, die Arbeitswelt der Zukunft mitzugestalten und an vorderster Front, gemeinsam mit den Beschäftigten, Lösungen für eine humane Gestaltung von Arbeit aufzuzeigen.
Um die digitale Transformation wirtschaftlich und gesundheitlich erfolgreich zu gestalten, bedarf es also einerseits Rahmenbedingungen, die Gesundheit und Wohlbefinden fördern. In erster Linie bedeutet dies eine beschäftigtenorientierte Kultur des gegenseitigen Respekts, der Ermutigung und Förderung, der Kooperation und der Fehlertoleranz. Andererseits bedarf es attraktiver Angebote für Beschäftigte und Führungskräfte, die die Eigenverantwortung gezielt aktivieren und möglichst viele salutogenetisch wirksame Effekte synergistisch zu erzielen vermögen (s. auch Badura 2017).
Der Trend der Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort wird unter anderem von SAP unterstützt (Bund Verlag 2018, s. „Weitere Infos“). Deshalb sind neben der grundsätzlichen Attraktivität und sinnvoller Incentivierung besonders auch Skalierbarkeit und dezentrale oder virtuelle On-demand-Verfügbarkeit der Angebote wie virtuelle Trainings, Videos und Online-Beratung von zunehmender Relevanz. Dabei profitieren von innovativen digitalen Lösungen neben der Generation der Digital Natives besonders auch Mitarbeitende kleinerer Standorte, im Homeoffice oder solche mit überwiegender Reisetätigkeit.
Digitale Tools und Services bei SAP
Fazit
Globalisierung und Digitalisierung stellen Unternehmen vor Herausforderungen und bieten ihnen gleichsam viele Chancen. Um ihre Ziele zu erreichen, brauchen sie Menschen, deren Motivation und Engagement über ihren Erfolg mit entscheidet. Nicht nur die spezifischen Belastungen im eigenen Betrieb, sondern auch die Bedürfnisse der einzelnen Beschäftigten zu kennen, ist damit nicht nur eine Frage sozialer Verantwortung, sondern wird zum ökonomischen Gebot.
BGM bedarf neben einer achtsamen, fürsorglichen und unterstützenden Grundhaltung auch Zahlen, Daten und Fakten, um die Ausgangslage und den Erfolg eingeleiteter Maßnahmen zu erkennen. Dies gilt unabhängig davon, in welchem Reifegrad von BGM 1.0 bis 4.0 es sich befindet, ob es in einem kleinen Betrieb eine Person in Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung „on top“ steuert oder eine ganze Abteilung in einem Großunternehmen das Thema treibt.
Die wichtigste Quelle sind dabei die Bschäftigten selbst. Digitale Tools bei Befragungen und deren Auswertungen einzusetzen, kann heute als Standard gelten. Der Trend geht dabei zu niedrigschwelligen spielerischen Echtzeitdatenerhebungen mit hoher Responserate. Die Zukunft wird Apps gehören, die täglich ein, zwei Fragen aufbringen und diese über eine Plattform in Echtzeit verarbeiten können (z. B. „Wie zufrieden warst Du heute?“, „Wie hoch war Dein Stresslevel?“ oder „Wie wahrscheinlich ist es, dass Du Deine Führungskraft weiterempfiehlst?“) mit der zusätzlichen Möglichkeit, Freitextkommentare einzugeben, die durch intelligente Software aufbereitet werden können. Natürlich bedarf es im Zusammenhang mit der Nutzung dieser innovativen Technologien der Einhaltung von Datenschutzstandards und der engen Abstimmung mit der Personalvertretung.
Bei aller Technologie darf aber nicht vergessen werden: Der entscheidende salutogenetisch wirksame Faktor ist und bleibt die Unternehmenskultur. Sie bestimmt das Ausmaß des Vertrauens, der Unterstützung, der Ermutigung, der Fehlertoleranz. Sie bestimmt, wie Menschen sich fühlen, mit welcher Haltung sie an den Arbeitsplatz kommen, wie ihnen begegnet wird, wie sie geführt werden und wie sie zusammen arbeiten. BGM 4.0 ist auch im Zeitalter der Digitalisierung am Ende Kulturarbeit.
Interessenkonflikt: Die Autorin ist bei der SAP SE beschäftigt. Ein Interessenkonflikt liegt nicht vor.
Literatur
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