Akute und nachhaltige Gesundheitsversorgung von Geflüchteten in Deutschland
People in War and Crisis Situations – Acute and Sustainable Healthcare of Refugees in Germany
Hintergrund
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine am 24.02.2022 sind über 7,7 Millionen Menschen, vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen, über die Landesgrenzen geflohen. Etwa 6,2 Millionen Menschen haben ihr Zuhause verlassen und sind als Binnenflüchtlinge innerhalb der Ukraine auf der Flucht (UNO Flüchtlingshilfe Deutschland, s. „Weitere Infos“). Die zunehmende Zerstörung der zivilen Infrastruktur in der Ukraine beeinträchtigt nicht nur die Energieversorgung, sondern auch die medizinische Versorgung geflüchteter Menschen im eigenen Land erheblich. Durch teils gezielte Angriffe auf Einrichtungen des ukrainischen Gesundheitssystems wurden Krankenhäuser zerstört, medizinisches Personal ist selbst vom Krieg betroffen und nicht mehr im Einsatz, und Medikamente sind unbrauchbar (WHO 2022, s. „Weitere Infos“). Menschen auf der Flucht, die sich ohnehin in einem humanitären Ausnahmezustand befinden, erreichen die angrenzenden Ländern der Ukraine mit unterschiedlichsten Belastungen ihrer physischen und psychischen Gesundheit durch die Erlebnisse von Krieg und Flucht. Neben Erschöpfung, Mangelernährung bis hin zu körperlichen Verletzungen leiden die Geflüchteten vor allem an den psychischen Folgen von Heimatverlust, Trennung von Familienmitgliedern oder Freunden und den Erlebnissen von Gewalt und Bedrohung.
Schnelle und gut organisierte Hilfe bei der Ankunft in den Aufnahmeländern ist dringend notwendig.
Die Migration von Geflüchteten aus der Ukraine nach Deutschland, mit aktuell über einer Million im Ausländerzentralregister (AZR) erfassten Personen, stellt das deutsche Gesundheitswesen seit Beginn des Krieges vor enorme Herausforderungen (Mediendienst-Integration 2022, s. „Weitere Infos“). Die medizinische Grundversorgung wie auch präventive Angebote für die Geflüchteten sind zwar aus politischer Sicht gesichert, die konkrete Umsetzung der notwendigen Maßnahmen sowie die längerfristige Einbindung von Geflüchteten in das deutsche Gesundheitssystem lässt jedoch noch immer viele Fragen offen (Gemeinsame Erklärung der Gesundheitsministerkonferenz [GMK], s. „Weitere Infos“). Wie kann der gesundheitliche Zustand der geflüchteten Menschen bei ihrer Ankunft erfasst werden? Mit welchem Bedarf an medizinischer und präventiver Versorgung ist in den spezifischen Bereichen unseres Gesundheitssystems zu rechnen? Wie wird der schnelle und unbürokratische Zugang zur Gesundheitsversorgung von Geflüchteten aus der Ukraine strukturell umgesetzt und dauerhaft gewährleistet? Wie war die gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten in früheren Krisen? Welche Maßnahmen haben sich bewährt und wie können sie in der aktuellen Situation genutzt werden?
Um auf den aktuellen Informationsbedarf in den Berufsfeldern rund um die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten zu reagieren, hat die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf den Themenblock „Menschen in Kriegs- und Krisensituationen – Akute und nachhaltige Gesundheitsversorgung von Geflüchteten in Deutschland“ in ihre Fortbildungsangebote integriert.
Livestream Webseminare der Akademie – ein Kooperationsprojekt
Die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen ist eine länderübergreifende Einrichtung zur Aus-, Fort- und Weiterbildung von Beschäftigten im Öffentlichen Gesundheitsdienst.
Im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit dem Robert Koch-Institut wird eine Fortbildungsreihe in Form von Online-Seminaren, sogenannte „Webseminare“, angeboten, in denen eine interaktive Kommunikation zwischen Vortragenden und Teilnehmenden im „virtuellen Raum“ stattfindet. Die Webseminare werden federführend von der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf koordiniert und im engen Austausch mit Expertinnen und Experten des Robert Koch-Instituts durchgeführt. Der Themenblock „Menschen in Kriegs- und Krisensituationen – Akute und nachhaltige Gesundheitsversorgung von Geflüchteten in Deutschland“ ist eingebettet in das Fortbildungsformat „Webseminare“, das zweiwöchentlich mittwochnachmittags von 14:30 bis 16:00 Uhr stattfindet.
Praxisnahe Ziele
Nach dem Konzept „Aus der Praxis für die Praxis“ sind die 90-minütigen fortlaufenden Webseminare aus drei strukturellen und inhaltlichen Säulen aufgebaut:
Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen und Institutionen stellen wissenschaftliche Hintergrundinformationen und Ergebnisse aus der angewandten Forschung vor, die für die gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten besonders relevant sind. Aus den Kernaufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), insbesondere aus den Bereichen Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung, Beratung und Information, werden anwendungs- und lösungsorientierte Konzepte und Modelle präsentiert. Auch Ärztinnen/Ärzte, Psychologinnen/Psychologen und Psychotherapeutinnen/-therapeuten aus der ambulanten und stationären Versorgung präsentieren ihre Arbeitsabläufe, die teils in früheren Krisen, teils aus der akuten Notwendigkeit heraus entwickelt wurden. Besonders wertvoll bei diesen praxisnahen Beiträgen, ist die Darstellung von bewährtem Vorgehen, aber auch die Aufdeckung von Lücken, die bei der Gesundheitsversorgung von Geflüchteten identifiziert wurden.
In einer abschließenden moderierten Plenumsdiskussion haben die Teilnehmenden die Gelegenheit, ihre Fragen direkt an die eingeladenen Expertinnen und Experten zu richten und sich mit dem Fachpublikum auszutauschen. Dabei können Ideen entstehen, wie bewährte Modelle für individuelle Rahmenbedingungen adaptierbar oder auf akute Situationen anzuwenden sind.
Mit der angebotenen Fortbildungsreihe möchte die Akademie als Plattform fungieren, um fundiertes Wissen verfügbar zu machen, die Transparenz und den Dialog zwischen den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren des deutschen Gesundheitswesens zu fördern und die Bildung neuer Netzwerke zu ermöglichen.
Zielgruppe aus der Praxis
Die angebotenen Webseminare richten sich vor allem an Mitarbeitende der unterschiedlichen Fachrichtungen des ÖGD sowie an ambulant und stationär tätige Ärztinnen/Ärzte, Psychologinnen/Psychologen und Psychotherapeutinnen/-therapeuten. Da für die Bearbeitung vieler Aufgaben im ÖGD jedoch Schnittstellen mit anderen Disziplinen des Gesundheitswesens notwendig und sinnvoll sind, soll auch ein fachübergreifendes Publikum in die Veranstaltungsreihe eingebunden und alle Berufsgruppen, die mit Themen der Gesundheitsversorgung Geflüchteter betraut sind, angesprochen werden. Dazu zählen je nach Thema zum Beispiel Beschäftigte von sozialpsychiatrischen Diensten, Therapieeinrichtungen und Pflegeeinrichtungen, aber auch Mitarbeitende aus der Migrationshilfe, Vertretungen von Menschenrechtsorganisationen oder Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter. Somit sollen möglichst alle Personengruppen erreicht werden, die an der gesundheitlichen Erstversorgung wie auch am Aufbau nachhaltiger Versorgungsstrukturen für Geflüchtete beteiligt sind.
Zum Aufbau sinnvoller Versorgungsstrukturen sind zunächst Kenntnisse über das Gesundheitssystem der Ukraine hilfreich und erforderlich. Wie funktioniert das ukrainische Gesundheitssystem in der aktuellen Kriegssituation und was ist für die Eingliederung der Geflüchteten in das deutsche Gesundheitswesen zu berücksichtigen? Prof. Dr. med. Timo Ulrichs betonte in seiner Übersicht zu den Besonderheiten des ukrainischen Gesundheitssystems „Die Ukraine war vor dem Krieg ein Schwellenland mit einer hohen Krankheitslast durch Infektionskrankheiten, insbesondere multiresistente Tuberkulose, HIV/AIDS und Hepatitis. Weit verbreitet sind zudem Risikofaktoren wie Rauchen und Alkoholkonsum und bezüglich Corona müssen wir mit einem geringen Immunschutz unter den Geflüchteten rechnen“, erklärte der Mediziner der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften, Berlin. Aber auch die psychosoziale Behandlung wird Bestandteil der Erstversorgung der Geflüchteten sein. „Entscheidend dabei ist es, das Angebot der psychosozialen Hilfe niederschwellig zu halten“, sagte die Diplom-Psychologin Anne Pillot, die das Projekt „Soul Talk“ vorstellte, ein Modell der psychosozialen „Peer“-Beratung für Geflüchtete, das im Rahmen ihrer jahrelangen Tätigkeit für „Ärzte ohne Grenzen“ bereits 2015 entwickelt wurde.
Leistungserbringung für Geflüchtete aus der Ukraine
Die Voraussetzung für eine flächendeckende gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten ist eine effektive Zusammenarbeit von Politik und Behörden, Beratungsstellen und Ärztinnen/Ärzten zusammen mit den Gesundheitsämtern und Krankenkassen (Flüchtlingsrat Bremen, s. „Weitere Infos“). Entscheidend für die schnelle bedarfsgerechte Krankenbehandlung ist die Klärung von Rahmenbedingungen wie die Festlegung der sozialrechtlichen Grundlagen sowie die Einleitung konkreter erster Schritte für die Leistungserbringung durch die gesetzlichen und privaten Krankenkassen. Die Leistungsberechtigung für die Geflüchteten aus der Ukraine ergab sich zunächst aus dem Asylbewerberleistungsgesetz. „In Zusammenarbeit zwischen der Stadt Bremen und der AOK entstand das ‚Bremer Modell‘, das Geflüchteten bereits seit 2005 einen unbürokratischen Zugang zum Gesundheitssystem durch eine Krankenversichertenkarte ermöglicht“, erklärte Jörn Hons, Pressesprecher der AOK Bremen/Bremerhaven. Seit dem 1. Juni 2022 können Geflüchtete aus der Ukraine selbst eine Krankenversicherung wählen und beim Jobcenter Unterstützung nach Arbeitslosengeld II (ALG II) beantragen, das damit die Kosten für alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung übernimmt.
Wie anhand von früheren Erfahrungen mit Geflüchteten oder anderen Personengruppen ohne Krankenversicherung Lücken in der Gesundheitsversorgung identifiziert werden, stellte Carolin Bader, Fachberaterin von Ärzte der Welt vor. „Mit unserem Modell-Projekt Ärzte der Welt mobil, das in München entstand, konnten wir durch unsere Erfahrungen aus der Zeit der Syrien-Krise viele Lücken in der Gesundheitsversorgung von Geflüchteten schließen und bewährte Abläufe auf die aktuelle Situation übertragen“. Trotz allem ist es wichtig, die persönliche Situation der Geflüchteten zu erkennen und den Bedarf an Versorgung individuell abzuwägen. Dr. med. Solmaz Golsabahi-Broclawski, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie weiß aus ihrer jahrelangen Erfahrung zur Behandlung von mentalen Erkrankungen bei Geflüchteten: „In ihrer jetzigen akuten Belastungssituation benötigen die betroffenen Menschen nicht unbedingt eine sofortige psychiatrische oder psychotherapeutische Intervention, sondern vor allem ein freundliches Gespräch über dies und das, einfach ein wenig Normalität“.
Präventionsgebote
Ein umfassender Impfschutz ist notwendig, um die individuelle Gesundheit zu schützen und Ausbrüche zu verhindern. Präventionsangebote für Menschen, die aus Krisen- oder Kriegsgebieten geflüchtet sind, müssen gewährleistet sein und sind ein essenzieller Baustein zur Integration Geflüchteter in das deutsche Gesundheitswesen. Was ist wichtig bei der Gesundheitsversorgung im Hinblick auf die Impfquoten in der Ukraine?
Dr. Sabine Vygen-Bonnet vom Robert Koch-Institut, Berlin, betonte, dass Geflüchteten, die Deutschland erreichen, frühzeitig möglichst alle Impfungen angeboten werden sollen, die die Ständige Impfkommission (STIKO) für die in Deutschland lebende Bevölkerung empfiehlt. „Die vom RKI erarbeitete Handreichung beinhaltet Informationen zu relevanten Impfungen für Geflüchtete“ (Krankenkassen Deutschland, s. „Weitere Infos“). „Ein Mindest-Impfangebot soll Ungeimpften möglichst in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft gemacht werden. Dazu gehört u. a. die Masernschutzimpfung für Kinder im Alter von 9 Monaten bis < 5 Jahren und eine COVID-19-Impfung für Erwachsene, die nach 1970 geboren sind.“
„Bei den Seiteneinsteigeruntersuchungen müssen wir jetzt besonders darauf achten, dass die geflüchteten Kinder gegen Masern geimpft sind“, erläuterte auch Dr. med. Kirsten Kubini, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin im Gesundheitsamt Rhein-Erft-Kreis, als sie ihre Erfahrungen zur Schuleingangsuntersuchung von geflüchteten Kindern und deren Schulbegleitung anhand des „Aachener Modells“ vorstellte.
Versorgung von Geflüchteten mit Tuberkulose
Dr. Barbara Hauer vom Fachbereich für respiratorisch übertragbare Erkrankungen am Robert Koch-Institut wies in ihrem Überblick zur Erkrankung bei Menschen aus der Ukraine darauf hin, dass „die Ukraine im Jahr 2020 eine der höchsten Tuberkulose-Inzidenzen in der europäischen WHO-Region verzeichnete“ und „zu den Ländern mit den höchsten Anteilen an multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) zählt“. Die daraus folgenden Konsequenzen stellte Frau Dr. Folke Brinkmann, Abteilung Pädiatrische Pneumologie in der Universitäts-Kinderklinik des Katholischen Klinikums Bochum, anhand der neu entwickelten Empfehlungen zur Untersuchung auf Tuberkulose bei aus der Ukraine geflüchteten Kindern und Jugendlichen vor. Entscheidend ist hierbei eine ausführliche Anamnese zur Erkennung von Risikofaktoren für Tuberkulose bei den jungen Geflüchteten (Brinkmann et al. 2022).
Umsetzung des Masernschutzgesetzes
Bereits seit dem Jahr 1984 verfolgen die Mitgliedstaaten der europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Ziel der schrittweisen Eliminierung und weltweiten Ausrottung der Masern. Impfungen gehören zu den effektivsten und sichersten Maßnahmen des Infektionsschutzes. Das „Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention“ soll insbesondere Kinder besser vor Masern schützen. „Auch den Geflüchteten aus der Ukraine, die in Deutschland ankommen, soll frühzeitig nach ihrer Ankunft die Schutzimpfungen gegen Masern angeboten werden“, betonte Frau Prof. Dr. Annette Mankertz, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums Masern, Mumps, Röteln am Robert Koch-Institut, Berlin, in ihrem Beitrag „Erfahrungen mit dem Masernschutzgesetz – wer sollte wie getestet werden und was sagt das Ergebnis aus?“ Die nach dem Masernschutzgesetz erforderlichen Impfungen müssen auch von Geflüchteten nachgewiesen oder nachgeholt werden. Zur Prävention stehen hochwirksame Impfstoffe zur Verfügung, die eine langfristige Immunität bedeuten. Um die Zirkulation von Masern zu verhindern, ist bei mindestens 95 % der Bevölkerung Immunität erforderlich. In Deutschland erreicht die Durchimpfungsrate der Erstklässler diese 95% bis heute nicht. Durch das Masernschutzgesetz sollen zukünftig eine höhere Impfrate und ein höherer Infektionsschutz erreicht werden.
Mentale Gesundheit
Durch die teils starken psychischen Belastungen von Krieg und Flucht ist die Möglichkeit der psychologischen, psychosozialen und psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine wichtig, die Erkennung und Identifizierung einer angemessenen Beratung oder Behandlung jedoch gleichzeitig herausfordernd. Vor allem Kinder und Jugendliche sind von psychischen Belastungen durch Krieg und Flucht in besonderem Maß betroffen. Essenziell ist hierbei die effektive Verständigung aller Beteiligten. Der sensible Dialog zwischen Eltern, betroffenen Kindern und Jugendlichen mit den Ärztinnen/Ärzten und Psychologinnen/Psychologen, die durch die Diagnostik und die ärztliche Beratung entscheidend zur bedarfsgerechten Prävention mentaler Erkrankungen bei Geflüchteten beitragen, ist entscheidend.
Mit welchen Belastungen muss bei Menschen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, gerechnet werden? Welche spezifischen Bedürfnisse resultieren durch die Erlebnisse von Krieg und Flucht für die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen? In welcher Umgebung können Kinder und Jugendliche erkannt werden, die eine psychologische Beratung oder Unterstützung benötigen und wie kann diese konkret aussehen?
Lorenz Weber, Diplom-Pädagoge und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie-Ambulanz (KJ-PAM) der Philipps-Universität Marburg führte die Teilnehmenden durch die Herausforderungen der psychischen Folgen von Krieg und Flucht und beschrieb, welchen Belastungen geflüchtete Kinder und Jugendlicher ausgesetzt sind und welche Bedürfnisse daraus entstehen. Herr Shukow, Referent für Jugendsozialarbeit des AWO Bundesverbands in Berlin stellte dar, wie die Schulsozialarbeit eine Vermittlungsrolle für benachteiligte Kinder und Jugendliche in kommunalen Präventionsstrukturen (kommunale Präventionsnetzwerke) leisten kann. Benachteiligte Kinder – insbesondere mit Fluchtmigrationshintergrund (z. B. aus der Ukraine) können von diesen Strukturen profitieren“, betonte Herr Shukow in seinem Beitrag. Seiner Auffassung nach kann dies vor allem durch die Stärkung der geregelten und gleichberechtigten Zusammenarbeit von Schule und Schulsozialarbeit, bestenfalls verwurzelt in der Jugendhilfe, gelingen. Dr. med. univ. Solmaz Golsabahi-Broclawski, Referentin für Psychiatrie, Integration und Migration, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie erläuterte, dass Ärztinnen/Ärzte, Psychologinnen/Psychologen und Eltern im „Trialog“ zur bedarfsgerechten Prävention von durch Flucht belasteten Kindern und Jugendlichen maßgeblich beitragen.
Gesundheitliche Aufklärung und Beratung von Geflüchteten
Neben der akuten Gesundheitsversorgung von Geflüchteten werden auch im Bereich der gesundheitlichen Prävention für Menschen mit Flucht- und Zuwanderungserfahrung nachhaltige Strukturen in unserem Gesundheitswesen geschaffen. Welche Möglichkeiten bieten „Peer-group“-Beratungen wie das Multiplikatorenkonzept der „Gesundheitslotsen“ aus Freiburg? „Das ‚Peer-group‘-Konzept der Gesundheitslotsen bietet eine professionelle gesundheitliche Aufklärung und Beratung von Geflüchteten durch Menschen, die Erlebnisse von Flucht und Migration aus eigener Erfahrung kennen“, erläuterte die Soziologin Silke Mazluff, Leiterin der regionalen Koordinierungsstelle Gesundheitliche Prävention für Menschen mit Flucht- und Zuwanderungserfahrung im Refugium „Psychosoziale und medizinische Beratung und Koordinierung für Geflüchtete“ in Freiburg. So können Sprachbarrieren vermieden werden, und die kultursensible Kommunikation unterstützt die Weitergabe wichtiger Informationen zu Beratungs- oder Behandlungsangeboten. Das erleichtert Menschen mit Flucht- und Zuwanderungserfahrung die Orientierung im Gesundheitssystem des neuen Umfelds. Um die Arbeit in den Bereichen Gesundheit und Soziales im Zusammenhang mit Migration und Integration zu fördern, müssen Methoden und Prozesse für migrationsspezifische Angebote sowie für die Qualifizierung von Personal wissenschaftsbasiert und praxisnah weiterentwickelt werden.
Ausblick
Die Fortbildungen „Menschen in Kriegs- und Krisensituationen – akute und nachhaltige Gesundheitsversorgung von Geflüchteten in Deutschland“ sollen im Rahmen der Fortbildungsreihe „Livestream-Webseminare“ weitergeführt werden (s. „Termine“ S. 803). Die Themenauswahl soll nicht nur auf die akute Krisensituation in der Ukraine abgestimmt sein, sondern die
gesundheitliche Versorgung aller Menschen mit Flucht- oder Zuwanderungserfahrung berücksichtigen. Geplant sind auch zukünftige ergänzende E-Learning-Module, in denen die Teilnehmenden die Strukturen und Akteurinnen/Akteure des Gesundheitssystems kennenlernen oder ihre Kenntnisse zur flächendeckenden medizinischen und psychologischen Versorgung von Geflüchteten vertiefen können.▪
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur
Brinkmann F; Feiterna-Sperling C; Günther A; et al.: Untersuchung auf Tuberkulose bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. Eine Handlungsempfehlung des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose e.V. (DZK) in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Leitlinie Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter und der Gesellschaft für pädiatrische Pneumologie (GPP). Pneumologie 2022; 76: 479–484 (https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/pdf/10.1055/a-1832-254…).
doi:10.17147/asu-1-240869
Kernaussagen
Info
Die Veranstaltungsreihe begann am 30.03.22 mit dem Symposium „Geflüchtete aus der Ukraine: Hintergrundinformationen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“, die gemeinsam mit Dr. med. Christian Herzmann vom Kreis Segeberg, durchgeführt wurde. Diese Veranstaltung sollte ein Auftakt sein, fachliches Wissen zu vermitteln und die Zusammenarbeit im ÖGD zu fördern, um eine zügige und flächendeckende ärztliche Versorgung der Geflüchteten aus der Ukraine sicherzustellen.
Weitere Infos
Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf
https://www.akademie-oegw.de/service/veranstaltungskalender/termine/202…
UNO Flüchtlingshilfe Deutschland für den UNHCR
https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/ukraine
WHO: WHO registriert 100. Angriff auf Gesundheitseinrichtungen in der Ukraine (Pressemitteilung 08.04.2022)
https://www.euro.who.int/de/health-topics/health-emergencies/ukraine-em…
Mediendienst-Integration, Flüchtlinge aus der Ukraine
https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/ukrainische-f…
Gemeinsame Erklärung der GMK, 22.03.2022
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloa…
Flüchtlingsrat Bremen: Das Bremer Modell – Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge
https://www.fluechtlingsrat-bremen.de/wp-content/uploads/Bremer-Modell-…
Krankenkassen Deutschland: Krankenversicherung für Ukrainerinnen und Ukrainer
https://www.krankenkassen.de/incoming/ukraine/
RKI: Welche Impfungen sollten Geflüchtete (z.B. aus der Ukraine) jetzt erhalten, um ihre Gesundheit zu schützen und Ausbrüche zu verhindern? (31.3.2022)
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Stichwortliste/F/Flucht_emp…
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