doi:10.17147/asu-1-405934
Minimum standard for violence prevention in emergency rooms
The media reports on increasing violence against emergency room staff. Study results also confirm this alarming trend. The BGW has now reacted and published a minimum standard for the prevention of violence in emergency rooms on its website. In this article, we report on the required prevention measures and the background.
Mindeststandard der Gewaltprävention in Notaufnahmen
In den Medien wird von zunehmender Gewalt gegen Mitarbeitende in Notaufnahmen berichtet. Auch Studienergebnisse belegen diesen Trend. Die BGW hat nun reagiert und einen Mindeststandard für die Gewaltprävention in Notaufnahmen auf ihrer Homepage veröffentlicht. In diesem Artikel berichten wir über die geforderten Präventionsmaßnahmen und die Hintergründe.
Kernaussagen
Ist-Zustand Notaufnahme
Schläge, Tritte, Bisse und Bedrohungen sind für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Notaufnahmen leider Realität. Solche Übergriffe sind keine Einzelfälle, sondern kommen erschreckend häufig vor. Neben behandlungsbedürftigen Verletzungen führen diese Übergriffe zu einer erheblichen psychischen Belastung und in einigen Fällen auch zur Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit.
Dies muss jedoch nicht einfach so hingenommen werden. Es kann einiges getan werden, um pflegerisches und ärztliches Personal besser zu schützen.
Gewalt und Aggression als Thema der Unfallversicherungsträger – die Anfänge
Im Jahr 2013 wurden die §§ 4 und 5 des Arbeitsschutzgesetzes geändert. Seitdem werden die psychischen Belastungen explizit als Gefährdungsfaktor genannt, der bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen durch das Unternehmen zu berücksichtigen ist. Es folgte unter anderem das Arbeitsprogramm Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA), in dem sich staatliche Aufsicht und die Unfallversicherungsträger auf eine abgestimmte Vorgehensweise auch bezüglich psychischer Belastungen verständigten.
Damit einhergehend wurde die Prävention von psychischen Belastungen und somit auch die Prävention von Gewalt regelmäßig bei Betriebsbesichtigungen der Unfallversicherungsträger und der staatlichen Ämter für Arbeitsschutz thematisiert. Das hatte zur Folge, dass bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) zunehmend Psychologinnen und Psychologen auch im Aufsichtsdienst eingesetzt wurden.
Die Gespräche von Aufsichtspersonen mit Beschäftigten, Führungskräften, betrieblichen Interessenvertretungen sowie den
Fachkräften für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin führten über die Jahre hinweg zu einem immer besseren Überblick. Es zeigte sich, dass deutschlandweit in Notaufnahmen, stationären Einrichtungen etc. körperliche, verbale und sexualisierte Gewalt regelmäßig vorkamen. Dass diese Übergriffe auch Arbeitsunfälle darstellen, war jedoch selten bekannt.
Innerbetriebliches Engagement und Meldeverhalten
Innerhalb der Betriebe fand eine zunehmende Sensibilisierung für das Thema Gewalt und Aggression statt. Viele betriebliche Interessenvertretungen, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin sowie Führungskräfte engagierten sich für einen präventiven Umgang mit Übergriffen. Vereinzelt mussten alte Denkmuster überwunden werden. Einige Beschäftigte empfanden das Erleben von verbaler und körperlicher Gewalt bei der Arbeit durchaus als „normal“ und als etwas, was zu ihrem Beruf in gewisser Weise dazugehört.
Diese Sensibilisierung lässt sich auch in den Meldezahlen für Arbeitsunfälle abbilden. Die Meldungen von Unfällen im Zusammenhang mit verbaler und körperlicher Gewalt steigen seit Jahren an (BGW 2023), was nicht nur auf eine Zunahme an Vorfällen zurückzuführen sein sollte.
Mittlerweile ist belegt, dass es im Gesundheitswesen ein deutliches Unfallgeschehen durch verbale, körperliche und sexualisierte Übergriffe gibt (Schablon et al. 2012; Adler et al. 2021). Nicht alle Vorfälle sind meldepflichtig, aber durchaus gefährdend für die psychische Gesundheit.
Fokus Notaufnahme
Durch Beobachtung und Auswertung der Vorfälle wurde deutlich, dass Risikofaktoren für Übergriffe auf Personal über die Branchen hinweg gut identifizierbar sind.
Die hohe Anzahl von Gewalttaten in Notaufnahmen ist auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen. Patientinnen und Patienten befinden sich häufig in einer akuten Krise, geprägt von Schmerzen, Angst und Unsicherheit. Hinzu ist die Wahrnehmungsfähigkeit aufgrund von Alkohol, Drogen oder Erkrankungen wie Demenz oft beeinträchtigt. Diese emotionalen Belastungen, kombiniert mit den spezifischen Herausforderungen in Notaufnahmen – lange Wartezeiten, Personalmangel, fehlende Ansprechpersonen – können zu gewalttätigem Verhalten führen.
In diesem Setting arbeiten die Mitarbeitenden der Notaufnahme nachts regelmäßig außer Ruf- und Hörweite von Kolleginnen und Kollegen und somit temporär allein.
Betriebliche Schutzmaßnahmen
Trotz des belegbaren Risikos für Mitarbeitende in der Notaufnahme, Opfer von Gewalt und Aggression zu werden, fehlt es an konkreten rechtlichen Vorgaben zu notwendigen Schutzmaßnahmen.
Im § 4 des Arbeitsschutzgesetzes wird das Minimierungsgebot von Gefährdungen explizit auch auf Gefährdungen für die psychische Gesundheit angewandt. In § 5 des Arbeitsschutzgesetzes wird für die Gefährdungsbeurteilung verdeutlicht, dass sich eine Gefährdung insbesondere auch durch psychische Belastungen ergeben kann. Darüber hinaus fehlt es jedoch an konkretisierenden Verordnungen und Regeln, die bei der Ableitung von geeigneten und notwendigen Schutzmaßnahmen helfen. Dies führt zu Unsicherheiten bei den Unternehmen, welche Schutzmaßnahmen das Übergriffsrisiko im eigenen Betrieb reduzieren und das Schutzniveau für die Beschäftigten erhöhen.
Im Jahr 2021 formierte sich daher in der BGW eine Arbeitsgruppe mit Expertise aus dem Aufsichtsdienst und der Arbeitspsychologie, um basierend auf Risikofaktoren und Schutzmaßnahmen eine pragmatische Handlungshilfe zu erstellen. Hierbei wurde einerseits auf arbeitspsychologische Erkenntnisse, andererseits auf die in der betrieblichen Praxis bewährten technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen zurückgegriffen.
Aufgrund des hohen Risikos durch häufige und/oder schwere Übergriffe entschied sich die Arbeitsgruppe, den Schwerpunkt vorerst auf Notaufnahmen zu legen.
Der Mindeststandard
Zehn Maßnahmen stellen aus Sicht der BGW nun den Mindeststandard beim Thema „Gewaltprävention in der Notaufnahme“ dar (siehe Kasten auf der nächsten Seite). Dabei besteht Konsens unter den beteiligten Präventionsfachleuten, dass diese Maßnahmen, insbesondere bei temporärer Alleinarbeit, notwendig, angemessen und geeignet sind, um das Übergriffsgeschehen und die Übergriffsfolgen in Notaufnahmen zu reduzieren. Ebenso besteht Konsens, dass bei vergleichbar gefährdenden Arbeitsbedingungen dieser Mindeststandard herangezogen werden kann. Dies ist zum Beispiel für Psychiatrien denkbar.
Diese zehn Maßnahmen ersetzen nicht die vorgeschriebene betriebsspezifische Gefährdungsbeurteilung. Jedes Unternehmen ist verpflichtet, die für die Beschäftigten bestehenden Gefährdungen zu bewerten und Maßnahmen abzuleiten. Bei der Maßnahmenfindung besteht ein gewisser Handlungsspielraum. Maßnahmen, die ein gleiches oder höheres Sicherheitsniveau herstellen, sind geeignet und im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu begründen. Je höher die tatsächliche Übergriffsgefahr ist und je häufiger Tätigkeiten außer Ruf- und Hörweite von Kolleginnen und Kollegen durchgeführt werden, desto weniger kann von den zehn Maßnahmen abgewichen werden.
Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Literatur
Adler M, Vincent-Höper S, Vaupel C, Gregersen S, Schablon A, Nienhaus A: Sexual harassment by patients, clients and residents: investing its prevalence, frequency and associations with impaired well-being among social and healthcare workers in Gemany. Int
J Environ Res Puplic Health 2021, 18: 5198.
Schablon A, Zeh A, Wendeler D et al.: Frequency and consequences of violence and aggression towards employees in the German healthcare and welfare system: a cross-sectional study. BMJ Open 2012; 2: e001420.
Vaupel C, Adler M, Nienhaus A: Psychosoziale Unterstützung durch kollegiale Erstbetreuung in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege – eine Implementationsstudie. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 28–32.
Online-Quellen
Arbeitsschutzgesetz
https://www.gesetze-im-internet.de/arbschg/
Kliniken – Mindeststandard für die Gewaltprävention in der Notaufnahme
https://www.bgw-online.de/bgw-online-de/themen/gesund-im-betrieb/umgang…
Studie Prävention von Aggressionen und Gewalt gegenüber Beschäftigten in der Notaufnahme
https://www.bgw-online.de/resource/blob/90796/5af54ea036722a95c4a304e3e…
Notfallplan – Gewalt und Aggression gegen Beschäftigte in Betreuungsberufen (Beispieldokument)
https://www.bgw-online.de/resource/blob/9324/1de5b75f2634a2d871c9ea5306…
Prävention von Gewalt und Aggression gegen Beschäftigte
https://www.bgw-online.de/resource/blob/14706/e4c6d339fc8604f57a65e49b2…
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW): Gewalt und Aggression in den Branchen der BGW. Unfalldaten der BGW aus den Jahren 2018 bis 2022 und Forschungsergebnisse. Erstveröffentlichung 08/2020, Stand 09/2023.
https://www.bgw-online.de/bgw-online-de/themen/gesund-im-betrieb/umgang…
Info
Zehn Punkte gegen Gewalt
1. Zugangskontrolle zum Haus und zur Notaufnahme
Primäres Ziel: Unbefugte können sich nicht unbemerkt Zugang zum Haus und zur Notaufnahme verschaffen, insbesondere nicht nachts.
Anforderungen an die Zutrittskontrolle:
– Die Eingänge sind über – bruchsichere – Scheiben einsehbar.
– Es können beispielsweise Kamerasysteme in Eingangsbereichen und gegebenenfalls in Fluren zur Notaufnahme installiert werden.
2. Sichere Empfangsbereiche und Anmeldetresen
Primäres Ziel: Empfangsbereich und Anmeldetresen bieten Schutz, so dass Mitarbeitende nicht leicht gegriffen und festgehalten werden können.
Anforderungen an den Empfangsbereich:
Bei geringer Gefährdung und wenn ein Fluchtweg nach hinten vorhanden ist, kann ein hoher Tresen mit Plexiglasscheiben, Gesamthöhe etwa 1,80 Meter, ausreichend Sicherheit bieten.
3. Sicherer Rückzugsort
Primäres Ziel: Mitarbeitende können sich bei der Eskalation eines Konflikts schnell und sicher zurückziehen, bis Hilfe kommt.
Anforderungen an den Rückzugsraum:
4. Deeskalationstrainings
Primäres Ziel: Alle Mitarbeitenden sind mit verbalen und physischen Deeskalationstechniken vertraut. Falls in der Einrichtung erforderlich, beherrschen sie Fixierungstechniken.
Anforderungen an das Training bzw. die Schulung:
alle 3 Jahre, wiederholt.
5. Notfallplan und Unterweisung
Primäres Ziel: Die Mitarbeitenden wissen sich bei Übergriffen und bedrohlichen Situationen planvoll zu verhalten.
Anforderungen an die Notfallplanung und Unterweisung:
– Wundversorgung und Begleitung zu weiterer Behandlung sind
sichergestellt.
– Es wird geklärt, ob die betroffene Person die Schicht beenden sollte oder fortsetzen kann, und ob sie, je nach Verfassung – auch im Hinblick auf ihre Verkehrstüchtigkeit – nach Hause begleitet oder das Abholen organisiert werden muss.
– Es ist sichergestellt, dass die Betroffenen bei den weiteren Schritten unterstützt werden.
6. Geeignete Bekleidung, Schuhe, Frisur und Schmuck
Primäres Ziel: Die Mitarbeitenden können sich einer gefährlichen Situation schnell entziehen und das persönliche Verletzungsrisiko wird ausreichend reduziert.
Anforderungen an die Unterweisung der Beschäftigten:
– Keine losen Halstücher tragen.
– Kleidung mit eher eng anliegenden Kragen und Ärmeln tragen.
– Lange Haare möglichst nicht offen und eher einen Dutt als einen Zopf tragen.
7. Absprachen mit der Polizei
Primäres Ziel: Die Polizei kann auf einen Notruf hin schnell Hilfe leisten.
Anforderungen an Absprachen mit der Polizei:
8. Notruf: Hilfe holen oder rufen können
Primäres Ziel: Im Notfall kann Hilfe rechtzeitig zur Stelle sein.
Anforderungen an das Notrufsystem:
– Diese sind für Außenstehende nicht leicht erkennbar
– Sie sind vom jeweiligen Arbeitsplatz aus leicht erreichbar, zum Beispiel Arbeitsplatz Anmeldung: Tastatur oder Telefon mit integrierter Notruftaste oder ein Notrufknopf unter dem Tisch.
– Sie sind schnell und leicht auszulösen, zum Beispiel mit einem
Telefon mit integrierter Notruftaste, so dass keine längere Notrufnummer gewählt werden muss.
(z. B. Personen-Notsignal-Anlagen, die bei schnellen Bewegungen oder definiertem Neigungswinkel automatisch auslösen.
9. Nachsorgekonzept
Primäres Ziel: Die betroffenen Mitarbeitenden fühlen sich nach jeder Art von Übergriff ernst genommen und gut unterstützt.
Anforderungen an das Nachsorgekonzept:
48 Stunden sichergestellt werden.
10. Erfassung und Auswertung von Übergriffen
Primäres Ziel: Die Risikofaktoren werden identifiziert und der Handlungsbedarf ermittelt.
Anforderungen an die Analyse: