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Neue Empfehlungen zur Lungenfunktionsprüfung

Das PDF dient ausschließlich dem persönlichen Gebrauch! - Weitergehende Rechte bitte anfragen unter: nutzungsrechte@asu-arbeitsmedizin.com.

Nicola Kotschy-Lang

doi:10.17147/asu-1-384611

Kernaussagen

  • In den neuen Empfehlungen fließt die aktuelle Evidenz ein.
  • Darüber hinaus wird die komplexe Physiologie und die Pathophysiologie der Lungenfunktion eingehend erklärt und es werden praktische Tipps zur Durchführung der Lungenfunktionsprüfung gegeben.
  • Die Empfehlungen richten sich an die Fachärztinnen und Fachärzte für Pneumologie, aber auch an die allgemeinmedizinischen tätigen Kolleginnen und Kollegen sowie an die Betriebs-und Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner.
  • New recommendations for pulmonary function testing – practical relevance for occupational medicine

    The latest German recommendations on pulmonary function diagnostics date back to 2015, when the guideline on spirometry was published. In 2022, an official document was published by the European Respiratory Society (ERS) in collaboration with the American Thoracic Society (ATS), in which new interpretations of routine lung function tests were presented. This affects spirometry, body plethysmography, diffusion capacity, the bronchodilation test and the reference values. The previous German recommendations for pulmonary function were therefore revised and published in March 2024. The German Respiratory Society (DGP), the German Lung Foundation, the German Respiratory League and the German Society for Occupational and Environmental Medicine (DGAUM) were involved in the revision of the recommendations under the leadership of Prof. Criée.

    Neue Empfehlungen zur Lungenfunktionsprüfung – Praxisrelevante Aspekte für die Arbeitsmedizin

    Die letzten deutschen Empfehlungen zur Lungenfunktionsdiagnostik stammen aus dem Jahr 2015, als die Leitlinie zur Spirometrie veröffentlicht wurde. 2022 wurde ein offizielles Dokument der Europäischen Fach­gesellschaft (ERS = European Respiratory Society) in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Fachgesellschaft (ATS = American Thoracic Society) publiziert, in dem neue Interpretationen von routinemäßigen Lungenfunktionstests vorgestellt wurden. Betroffen sind die Spirometrie, die Bodyplethysmografie, die Diffusionskapazität, der Bronchodilatationstest sowie die Referenzwerte. Deshalb wurden die bisherigen deutschen Empfehlungen für die Lungenfunktion überarbeitet und im März 2024 veröffentlicht. An der Überarbeitung der Empfehlungen waren unter Federführung von Herrn Prof. Criée die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP), die Deutsche Lungenstiftung e. V., die Deutsche Atemwegsliga e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin e. V. (DGAUM) beteiligt. Im Folgenden werden die wichtigsten Änderungen bei der Spirometrie dargestellt.

    Was ist neu in der aktuellen Empfehlung zur Spirometrie?

    Die Spirometrie ist eine einfache, nicht-invasive sowie kostengünstige Untersuchung zur Messung von Lungenvolumina und Atemstromstärken. Sie eignet sich besonders zur Diagnose der obstruktiven Ventilationsstörungen. Die Spirometrie ermöglicht eine objektive Bestimmung des Schweregrads der Erkrankung, die Bewertung der Wirksamkeit von Therapien und die Vorhersage des Krankheitsverlaufs.

    Relative Kontraindikation

    Der Abschnitt für die relative Kontraindikation für forcierte Manöver bei der Spirometrie wurde erweitert und spezifiziert. So stellen zum Beispiel Nasennebenhöhlen- oder Mittelohroperationen oder Infektionen innerhalb der letzten Woche eine relative Kontraindikation dar. Auch sollte die Durchführung der Spirometrie bei aktiven oder vermuteten übertragbaren respiratorischen oder systemischen Infektionen einschließlich Tuberkulose (TBC) überdacht werden. Eine relative Kontraindikation stellt auch die fortgeschrittene Schwangerschaft dar.

    Die Spirometrie sollte abgebrochen werden, wenn die untersuchte Person während des Manövers Schmerzen verspürt. Relative Kontraindikationen schließen eine Spirometrie nicht aus, sollten aber bei der Anordnung einer Spirometrie berücksichtigt werden. Die Entscheidung zur Durchführung einer Spiro­metrie wird von der anordnenden medizinischen Fachkraft auf der Grundlage ihrer Bewertung der Risiken und Vorteile der Spirometrie für die jeweilige Person getroffen. Mögliche Kontraindikationen sollten in das Antragsformular für die Spirometrie aufgenommen werden (Criée, Smith, Preisser et al. 2024).

    Kriterien für eine repräsentative forcierte Exspiration

    Die Kriterien für eine repräsentative forcierte Exspiration wurden gemäß dem Update 2019 der ATS/ERS angepasst (Graham et al. 2019). Mindestens eines der folgenden drei Kriterien muss für eine gültige Exspiration erfüllt sein:

  • Volumenänderung in letzter Sekunde < 25 ml (Plateau).
  • Eine Exspirationszeit von > 15 s wurde erreicht.
  • Innerhalb der Exspirationszeit ist zwar kein Plateau sichtbar (restriktive Erkrankungen), trotzdem wird eine gültige forcierte Exspiration bestätigt, wenn die forcierte Vitalkapazität (FVC) bei wiederholten Versuchen im Toleranzbereich bleibt (s. Reproduzierbarkeitskriterien unten).
  • Um die Reproduzierbarkeit (Repeatability) – und damit die Güte der Anleitung und Mitarbeit – bestimmen zu können, müssen weiterhin mindestens drei Versuche durchgeführt werden. Hierbei dürfen sich die Ergebnisse des besten und zweitbesten Versuchs für das forcierte exspiratorische Volumen (FEV1) und FVC um nicht mehr als 150 ml unterscheiden. Solange nicht drei gültige Atmungsmanöver erfasst und die Akzeptabilitätskriterien nicht erfüllt sind, sollten weitere Atmungsmanöver durchgeführt werden, jedoch nicht mehr als insgesamt acht.

    Artefakte wie Husten, Glottisschluss, Leckagen, vorzeitige Beendigung sowie unterschiedliche Anstrengung sind auszuschließen. Der Peak Expiratory Flow (PEF) soll innerhalb von 150 ms erreicht werden (steiler Anstieg).

    Verfehlungen der Akzeptanzkriterien müssen dokumentiert werden, soweit möglich automatisch von der Mess-Software. Zusätzlich ist es notwendig, die von der medizinischen Fachkraft beurteilte Güte der Mitarbeit auf dem Untersuchungsprotokoll zu vermerken (Beispiele s. ➥ Abb. 1)

    Normalwerte

    Ethnische Gruppenzugehörigkeit

    Die Global Lung Initiative (GLI) publizierte 2012 spirometrische Referenzwerte, basierend auf qualitätskontrollierten Messungen aus verschiedenen Ländern (74.187 gesunde Testpersonen im von Alter 3–95 Jahren; Quanjer et al. 2012). Diese altersabhängigen Referenzwerte finden weiterhin Anwendung.

    Die ethnische Gruppenzugehörigkeit geht in die 2012 veröffentlichten GLI-Referenzwerte ein (s. Tabelle 1) (Graham et al. 2019; Stanojevic et al. 2022). Allerdings können unterschiedliche ökonomische und soziale Bedingungen sowie Umweltfaktoren in den untersuchten Kollektiven die gemessenen Lungenfunktionswerte beeinflussen. Daher wurden im Auftrag der GLI die Referenzgleichungen von 2012 ohne Berücksichtigung der ethnischen Zugehörigkeit der untersuchten Personen mathematisch weiterentwickelt und als „GLI globale Referenzgleichung 2022“ vorgestellt (Bowerman et al. 2023). Ein retrospektiver Vergleich von Spirometriedaten (n = 8000) aus den Jahren 2010 bis 2020 unter Anwendung der GLI-2012- und GLI-2022-Gleichungen ergab bei schwarzen Probanden eine signifikant höhere Prävalenz und Schweregrad restriktiver Ventilationsstörungen bei Verwendung der neueren GLI-2022-Gleichungen. Die fehlende Angabe klinischer Korrelate in der genannten Studie lässt jedoch offen, ob diese Diskrepanz auf eine tatsächlich höhere Prävalenz restriktiver Erkrankungen in der schwarzen Bevölkerung oder auf eine Überdiagnose aufgrund potenzieller Bias in den GLI-2022-Gleichungen zurückzuführen ist (Moffett et al. 2023). Daher bleibt derzeit die Frage offen, welche der Referenzgleichungen zu empfehlen sind (Criée et al. 2024). Ein offizielles Statement der American Thoracic Society spricht sich gegen die Verwendung der ethnizitätsspezifischen GLI-2012-Referenzwerte aus (Bhakta et al. 2023). Weitere Studien müssen abgewartet werden, die die Anwendbarkeit anderer Referenzwerte auf die hiesige Bevölkerung belegen. Die deutschen Empfehlungen empfehlen derzeit die weitere Anwendung der ethnischen Gruppenzugehörigkeit (Criée, Smith, Preisser et al. 2024).

    Z-Score

    Da der Z-Score in den neuen Empfehlungen zur Graduierung der Messwerteinschätzung bei der Lungenfunktionsdiagnostik einen großen Stellenwert einnimmt, werden hier nochmals die Grundlagen vorgestellt:

    Die gängige Praxis, pathologische Grenz­werte für spirometrische Parameter anhand fester Prozentangaben des Mittelwerts zu definieren (z. B. ≤ 80 % des vorhergesagten Werts), vernachlässigt sowohl altersbedingte Veränderungen als auch die heterogene Variabilität innerhalb der Normalpopulation. Eine adäquatere Berücksichtigung dieser Faktoren erfolgt durch die Verwendung von Perzentilen. Weit verbreitet ist das Vorgehen, einen pathologischen Grenzwert anhand fester Prozentangaben des Mittelwerts zu definieren (zum Beispiel ≤ 80 %). Dieses Verfahren ignoriert jedoch die Altersabhängigkeit und die unterschiedliche Streubreite der Normalwerte. Soll die unterschiedliche Streubreite berücksichtigt werden, sind die Perzentilen der Normalmesswerte einzubeziehen. Durch die Verwendung von Perzentilen wird die relative Position eines Messwerts innerhalb der Verteilung der Normalwerte bestimmt, wodurch eine genauere Interpretation der Ergebnisse ermöglicht wird (Criée et al. 2024).

    Als unterer Grenzwert (LLN) wird gewöhnlich das 5. Perzentil definiert. Dies bedeutet, dass lediglich 5 % der gesunden Bevölkerung einen Messwert unterhalb des LLN aufweisen.

    Ob ein Wert pathologisch ist oder nicht, kann anhand des sogenannten „Z-Score“ entschieden werden (abgeleitet von der Bezeichnung einer standardisierten Normalverteilung als „Z-Verteilung“; ➥ Abb. 2). Der Z-Score gibt an, um wie viele Standardabweichungen ein bestimmter Messwert vom Sollmittelwert abweicht. Beispielweise entspricht Z = 0 genau dem Sollmittelwert und Z = –2 bedeutet, dass der Messwert zwei Standardabweichungen unterhalb vom Sollmittelwert liegt (s. Abb. 3). Jedem Z-Score kann stets ein bestimmtes Perzentil zugeordnet werden; Perzentilen und Z-Scores sind also gleichwertig und ineinander umrechenbar. Gemäß der oben genannten Definition des LLN entspricht dem Perzentil von 5 % ein Z-Score von –1,645.

    Der untere Grenzwert (LLN) ist dazu gedacht zu entscheiden, ob mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % ein pathologischer Wert vorliegt. In der Spirometrie sind nur negative Z-Scores bedeutsam, da nur Abweichungen vom Normwert „nach unten“ pathologisch sind.

    Zusammengefasst: Ist der Z-Score gleich oder größer als –1,645, liegt der Messwert nicht im pathologischen Bereich. Z-Scores, die kleiner als –1,645 sind, liegen unterhalb der 5 %-Perzentile entsprechend LLN. Hierbei nimmt die Wahrscheinlichkeit ab, dass ein solcher Messwert bei Gesunden vorkommt. Deswegen werden im Befundausdruck zwei Bereiche festgelegt, wie in ➥ Abb. 3 dargestellt:

  • Normalbereich: oberhalb der 5. Perzentile entsprechend Z-Score ≥ –1,645.
  • Pathologischer Bereich: unterhalb 5. Perzentile entsprechend Z-Score < –1,645.
  • Mit zunehmendem Alter steigt die Variabilität der Messwerte, was dazu führt, dass der Wert des 5. Perzentils abnimmt. Folglich kann die LLN in höheren Altersgruppen unterhalb von 70 % des Sollwerts liegen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Lungenfunktion einzelner Personen im Verlauf einer Erkrankung wie der progressiven Lungenfibrose deutlich abnehmen kann, selbst wenn die gemessenen Werte weiterhin oberhalb der LLN liegen. Anfangs können die Werte sogar über dem Populationsmittelwert liegen, bevor sie kontinuierlich sinken. Daher schließen auch normale Z-Scores eine pathologische Änderung im Einzelfall nicht aus. Aus diesem Grund bleibt die Verlaufskontrolle der Lungenfunktionswerte einer erkrankten Person (i. e. der intraindividuelle Vergleich) stets aussagekräftiger als Querschnittsbeobachtungen mit einmaliger Messung und der Vergleich mit dem Normalkollektiv (i. e. der interindividuelle Vergleich). Hierfür sind die Z-Scores nach GLI besonders gut geeignet, da sie eine optimal adjustierte Einordnung der Verlaufswerte relativ zur Normalpopulation selbst innerhalb der LLN erlauben (Criée et al. 2024).

    Bewertung der Spirometrie

    In den aktuellen Empfehlungen wurde unter Berücksichtigung der neueren nationalen und internationalen Literatur die Bewertung und Graduierung der Messwerteinschränkung überarbeitet.

    Obstruktive Ventilationsstörung

    Eine obstruktive Ventilationsstörung ist durch eine Verminderung des altersabhängigen Tiffeneau-Index (FEV1/FVC) auf Werte unterhalb des 5. Perzentils (Z-Score kleiner als –1,645) definiert. In der Regel ist bei der obstruktiven Ventilationsstörung auch die absolute Einsekundenkapazität kleiner als ihr Normwert.

    Eine obstruktive Atemwegserkrankung kann auch bei einem normalen FEV1/FVC-Quotienten bestehen, so dass die Ob­struktion spirometrisch nicht erfasst wird. Deshalb besteht die Empfehlung, bei Patien­tinnen und Patienten mit entsprechendem Verdacht auf eine obstruktive Ventilationsstörung eine ganzkörperplethysmografische Untersuchung (GKP) mit Bestimmung von FRC, Residualvolumen (RV), totaler Lungenkapazität (TLC), Atemwegswiderstand (Raw) sowie spezifischem Atemwegswiderstand (sRaw) und deren Reversibilität bei einer Pneumologin/einem Pneumologen durchzuführen (Nationale VersorgungsLeitlinie COPD 2021). So ist zum Beispiel bei verminderter forcierter Vitalkapazität (FVC) und/oder Einsekundenkapazität (FEV1) mit normaler relativer Einsekundenkapazität (FEV1/FVC) ohne die Bestimmung der TLC keine vollständige Beurteilung möglich (➥ Abb. 4). Dennoch wurde für diese Konstellation (meist in epidemiologischen Studien) der Begriff „Preserved ratio impaired spirometry (PRISm)“ eingeführt (Criée et al. 2024). Ist bei dieser Konstellation die TLC erniedrigt, liegt eine restriktive Ventilationsstörung vor; ist die TLC normal oder erhöht, spricht man von „Non specific pattern (NSP)“ (Stanojevic et al. 2022). Dieses Muster wurde erstmals als „Small airways obstruction syndrome“ beschrieben. Die Bezeichnung wird dadurch begründet, dass das Muster durch einen Kollaps der kleinen Atemwege mit Erhöhung des RV erklärt werden könne und somit als „Early obstruction“ gedeutet wurde, noch bevor ein Abfall von FEV1/FVC erkennbar werde. Später wurde gezeigt, dass das Muster bei unterschiedlichen Erkrankungen auftreten kann (Stanojevic et al. 2022; Chevalier-Bidaud et al. 2014); es wurde weiterhin als leichte Lungenüberblähung bei distaler Atemwegsobstruktion gedeutet (Chevalier-Bidaud et al. 2014). Das Muster beziehungsweise dieses „Small airways obstruction syndrome“ wird in manchen Studien bereits als eigene Kategorie aufgeführt (Moffett et al. 2023).

    Restriktive Ventilationsstörung

    Eine restriktive Ventilationsstörung ist durch eine Behinderung der normalen Lungenausdehnung oder ein fehlendes Lungenparenchym charakterisiert. Definiert ist sie durch eine Verminderung der Totalkapazität, die allerdings spirometrisch nicht gemessen werden kann, sondern nur in der Ganzkörperplethysmografie. Eine verminderte Vitalkapazität allein kann nicht den Nachweis einer restriktiven Ventilationsstörung erbringen, da die Vitalkapazität durch Erhöhung des Residualvolumens bei Überblähung erniedrigt sein kann, ohne dass eine Restriktion (= erniedrigte TLC) vorliegen würde (Criée et al. 2024).

    Die Bestimmung der Vitalkapazität (VC) kann inspiratorisch (IVC) oder bei forcierter Exspiration (FVC) gemessen werden. Wenn der FEV1/FVC-Quotient normal oder erhöht ist, ist eine Überblähung, gekennzeichnet durch die Erhöhung des Residualvolumens, unwahrscheinlich. Es darf dann bei einer verminderten Vitalkapazität eine restriktive Ventilationsstörung vermutet werden, allerdings muss der Nachweis durch die Messung der TLC erbracht werden. Die TLC unterschreitet in diesem Fall den Normalbereich. Der spirometrische Schweregrad der restriktiven Ventilationsstörung ergibt sich aus der Einschränkung der FVC beziehungsweise (falls untersucht) der IVC.

    Kombinierte Ventilationseinschränkung („Mixed disorder“)

    Wenn zum Beispiel bei einer restriktiven Ventilationsstörung bei einer Lungengerüsterkrankung (TLC < 5. Perzentil) der FEV1/FVC-Quotient durch gleichzeitig bestehende Obstruktion vermindert ist (FEV1/FVC< 5. Perzentil), wie es beispielsweise bei der Sarkoidose II und III oder auch bei der Silikose vorkommt, sollte eine simultan bestehende restriktive und obstruktive Ventila­tionsstörung diagnostiziert werden, die im angloamerikanischen Sprachgebrauch auch „Mixed disorder“ genannt wird (s. Abb. 4). Auch nach Lungenresektion aufgrund eines Bronchialkarzinoms findet sich diese Konstellation häufig, wenn zusätzlich eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) der verbliebenen Lunge besteht. Charakterisiert wird eine „Mixed disorder“ durch die Reduktion von FEV1, FVC, FEV1/FVC und der TLC, die allerdings nur bodyplethysmografisch beziehungsweise durch Gasverdünnungsverfahren gemessen werden kann (Criée et al. 2024).

    Graduierung der Messwert­einschränkung

    Die gemeinsamen Empfehlungen einer internationalen Joint Task Force der American Thoracic Society und der European Respiratory Society haben für die obstruktive und restriktive Ventilationsstörung eine dreistufige Schweregradeinteilung unter Berücksichtigung von FEV1 beziehungsweise FVC vorgeschlagen (Stanojevic et al. 2022). Neu ist die Aufnahme des Z-Scores in die Graduierung (➥ Tabelle 1).

    Es wird empfohlen, für das Lungenfunktionsprotokoll, neben dem gemessenen Para­meterwert, sowohl seine Abweichung vom Sollmittelwert (%Soll) als auch seinen Bezug zur Streuung der Sollwerte (Z-Score) anzugeben (s. Abb. 4). Beide Angaben sollten in der Beurteilung des Schweregrads berücksichtigt werden.

    Spirometrie in der Arbeitsmedizin

    Spirometrie im Rahmen der arbeits­medizinischen Vorsorge

    Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge bei Exposition gegenüber Noxen, die berufsbedingte Atemwegs- oder Lungengerüsterkrankungen verursachen können, ist die Spirometrie sinnvoll. Sie dient dabei zum Screening und zur Früherkennung (s. Infokasten 1).

    Gemäß den DGUV Empfehlungen für arbeitsmedizinische Beurteilungen und Untersuchungen kann die Durchführung einer Spirometrie Bestandteil der klinischen Untersuchung bei zahlreichen Anlässen der arbeitsmedizinischen Vorsorge und bei Eignungsbeurteilungen sein (s. Infokasten 2). Sofern eine arbeitsmedizinische Indikation zur Spirometrie besteht und die Versicherte oder der Versicherte diese nach der Beratung nicht ablehnt, kann die Spirometrie die Beratung ergänzen und abrunden (DGUV Empfehlungen 2022).

    Im Rahmen der Vorsorge ist vor allem die longitudinale Betrachtung aussagekräftig. Hierfür werden primär die absoluten Messwerte verglichen, so dass die Zugrundelegung verschiedener Sollwertempfehlungen keinen Einfluss hat. Zur Beurteilung des longitudinalen Verlaufs der Messwerte muss jedoch auch eine altersabhängige physiologische Abnahme der Lungenvolumina berücksichtigt werden, daher ist der Vergleich aller Messwerte zu den aktuellen Sollwerten notwendig. Hierfür müssen frühere Messwerte auf Basis der neuen Sollwerte bezüglich der Werte %Soll, Z-Score und %LLN neu berechnet werden.

    Spirometrie bei Verdacht auf arbeitsplatzassoziiertes Asthma bronchiale

    Hierfür sind weiterhin serielle Spirometrien mit und ohne die vermutete ursächliche Exposition notwendig. Moderne portable Spirometer erlauben es, dass die zu untersuchenden Personen zu lungenfachärztlich oder betriebsärztlich vorgegebenen Uhrzeiten mehrmals täglich und über einen längeren Zeitraum von 3–4 Wochen ihre Lungenfunktion selbst messen können und protokollieren, welche Tätigkeit sie zum jeweiligen Zeitpunkt ausführten (Lungenfunktions-Monitoring). Stets ist zu dokumentieren, mit welchem Gerät die Daten erhoben wurden. Da der intraindividuelle Verlauf und ein Vergleich der absoluten Messwerte im Vordergrund stehen, haben zugrunde gelegte Sollwerte keinen Einfluss auf die Aussagekraft (Criée, Smith, Preisser et al. 2024).

    Spirometrie bei Gutachten von Berufskrankheiten

    Die aktuellen Empfehlungen zur Lungenfunktionsdiagnostik tragen zu einer Vereinheitlichung und somit zu einer rechtlichen Gleichbehandlung der zu Begutachtenden bei. Bei einem arbeitsmedizinischen Gutachten müssen gemäß der Rechtsprechung die Erkenntnisquellen den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand berücksichtigen. Somit sind die neuen Empfehlungen bei der Begutachtung pneumologischer Berufskrankheiten anzuwenden.

    Zur Klärung der Kausalitätsfrage wird die Spirometrie neben der Ganzkörperplethysmografie, der Messung der Diffusionskapazität und der Spiroergometrie mit Blutgasen zur Diagnose des Krankheitsbildes und bei spezifischen Expositionstestungen im Rahmen der Darstellung des Kausalzusammenhangs zwischen Krankheitsbild und beruflicher Exposition eingesetzt. Im Falle des bestätigten Kausalzusammenhangs stellt die Spirometrie neben der Ganzkörperplethysmografie und der Bestimmung der Diffusionskapazität für die Bewertung des Parameters „Lungenfunktion“ einen Teilaspekt des medizinisch-funktionellen Anteils der MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit), an dem durch die Berufskrankheit bedingten Gesundheitsschaden dar.

    In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Beurteilung der MdE gemäß der Bochumer, Falkensteiner und Reichenhaller Begutachtungsempfehlungen eine Integration aus verschiedenen Bewertungsparametern ist und die Spirometrie nur einen Teilaspekt ausmacht.

    In der Begutachtung von pneumologischen Berufskrankheiten soll die folgende Graduierung der spirometrischen Funktionseinschränkungen für die MdE-Tabellen in den Reichenhaller, Falkensteiner und Bochumer Begutachtungsempfehlungen verwendet werden (➥ Tabelle 2).

    Die arbeitsmedizinisch empfohlene Graduierung (%LLN) unterscheidet sich bezüglich der Berechnung von den oben beschriebenen Schweregradeinteilungen nach % mittlerer Sollwert und Z-Score. Sie berücksichtigt wie der Z-Score die altersbedingte Streuung und ist gut vergleichbar mit der Graduierung nach %Soll. Sie wird allerdings international nicht verwendet.

    Weitere Lungenfunktionsdiagnostik

    In der 75 Seiten umfassenden aktuellen Veröffentlichung zur Lungenfunktionsdiagnostik werden neben den Empfehlungen zur Spirometrie auch neue Empfehlungen für die Ganzkörperplethysmografie, die Messung der Diffusionskapazität von Kohlenmonoxid (DLCO), die unspezifische bronchiale Provokation, die Bronchodilatator-Responsee (BDR) und Reversibilitätstestung, die Basisdiagnostik der Atemmuskelfunktionsmessung und die forcierte Oszillometrie/Impulsoszillometrie gegeben.

    Wie bereits mehrfach erwähnt, stellt die Spirometrie einen Teilaspekt der Lungenfunktion dar. Im Gegensatz zur Spirometrie ermöglicht die Ganzkörperplethysmografie in Kombination mit der forcierten Spirometrie eine sichere Unterscheidung zwischen obstruktiven und restriktiven Ventilationsstörungen beziehungsweise einer Kombination aus beiden. Die Klassifikation der totalen Lungenkapazität erfolgt jetzt mittels Z-Score und im Sollwertvergleich wird der Z-Score bei der Klassifikation der Überblähungsparameter Residualvolumen (RV) ebenso mitberücksichtigt

    Zur Bestimmung der Reduktion der Gasaustauschfläche (Emphysem) bei der COPD ist weder die Spirometrie noch die Ganzkörperplethysmografie geeignet. Dazu ist die Messung der Diffusionskapazität oder eine quantitative Computertomographie erforderlich.

    Die Messung der Diffusionskapazität (DLCO) hat eine besondere Bedeutung in der Diagnostik und Verlaufsbeurteilung von fibrosierenden, restriktiven Lungenerkrankungen, unter anderem auch von Asbestose oder Silikose und zur Frühdetektion des Lungenemphysems. Hier gibt es neue GLI-Sollwerte aus dem Jahr 2017 (Stanojevic et al. 2017) und die Schweregradeinteilung erfolgt ebenfalls in Z-Score und %Soll.

    Für die Diagnostik einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität (BHR) wird als Standard ein vierstufiges, validiertes und publiziertes Einkonzentrationsprotokoll mit Methacholin empfohlen (Criée et al. 2024). Dies soll zu einer Vereinheitlichung führen. Die Messung der bronchialen Hyperreagibilität mittels eines unspezifischen inhalativen Provokationstests ist eine obligatorische Lungenfunktionsprüfung in der Begutachtung obstruktiver Atemwegserkrankungen als Berufskrankheiten. Sie ist indiziert bei anamnestischem Verdacht auf ein Asthma bronchiale und normaler Lungenfunktion beziehungsweisegrenzwertiger obstruktiver Ventilationsstörung (Criée, Smith, Preisser et al. 2024).

    Ein weiteres Kapitel der Empfehlungen widmet sich der Bronchodilatator-Response und der Reversibilitätsprüfung. Es werden die verschiedenen Reversibilitätstestungen bei einer obstruktiven Ventilationsstörung vorgestellt. Bei Patientinnen und Patienten mit Asthma bronchiale wurden Informa­tionen zusammengestellt, die sich aus dem Bronchodilatatortest ergeben.

    In die aktuellen Leitlinien wurde die Atemmuskelfunktionsmessung-Basisdiag­nostik aufgenommen. Die Ermittlung der atemmuskulären Kraft stellt eine Erweiterung der lungenfunktionellen Untersuchung dar, wenn klinische Symptome eine atemmuskuläre Schwäche vermuten lassen oder Leistungslimitierung und Luftnot unerklärt bleiben. Die Diagnostik der Atemmuskelfunktion findet zunehmend Einzug in die klinische Routine.

    Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Literatur

    Bowerman C, Bhakta NR, Brazzale D, Cooper BR, Cooper J, Gochicoa-Rangel L, Haynes J, Kaminsky DA, Lan LTT, Masekela R, McCormack MC, Steenbruggen I, Stanojevic S. A race-neutral approach to the interpretation of lung function measurements. Am J Respir Crit Care Med. 2023; 207: 768-774.

    Criée CP, Smith H, Preisser AM et al.: Aktuelle Empfehlungen zur Lungenfunktionsdiagnostik. Atemwegs- und Lungenkrankheiten 2024; 50: 111–184.

    DGUV Empfehlungen für arbeitsmedizinische Beratungen und Untersuchungen. 1. Aufl. Stuttgart: Gentner, 2022.

    Stanojevic S, Graham BL, Cooper BG, Thompson BR, Carter KW, Francis RW, Hall G, Global Lung Function Initiative TLCO working group; Global Lung Function Initiative (GLI): TLCO. Official ERS technical standards: Global Lung Function Initiative reference values for the carbon monoxide transfer factor for Caucasians. Eur Respir J. 2017; 50: 1700010. Erratum in: Eur Respir J; 56: 1750010.

    Stanojevic S, Kaminsky DA, Miller MR et al.: ERS/ATS technical standard on interpretive strategies for routine lung function tests. Eur Respir J 2022; 60: 2101499.

    Online-Quellen

    Bhakta NR, Bime C, Kaminsky DA et al.: Race and ethnicity in pulmonary function test interpretation: an official American Thoracic Society Statement. Am J Respir Crit Care Med. 2023; 207: 978–995
    www.atsjournals.org/doi/10.1164/rccm.202302-0310ST

    Chevalier-Bidaud B, Gillet-Juvin K, Callens E et al.: Non specific pattern of lung function in a respiratory physiology unit: causes and prevalence: results of an observational cross-sectional and longitudinal study. BMC Pulm Med 2014; 14: 148
    https://bmcpulmmed.biomedcentral.com/articles/10.1186/1471-2466-14-148k…

    Criée CP, Baur X, Berdel D et al.: Leitlinie zur Spirometrie. Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga, der Deutschen Gesell-schaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin zur Spirometrie. Pneumologie 2015; 69: 147–164
    www.thieme-connect.de/products/ejournals/pdf/10.1055/s-0034-1391345.pdf

    Graham BL, Steenbruggen I, Miller MR et al.: Standar­dization of spirometry 2019 update. An official American Thoracic Society and European Respiratory Society Technical statement. Am J Respir Crit Care Med 2019; 200: e70–e88
    www.atsjournals.org/doi/10.1164/rccm.201908-1590ST

    Moffett AT, Bowerman C, Stanojevic S et al.: Race-neutral reference equations and pulmonary function test interpretation. JAMA Netw Open 2023; 6: e2316174
    https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2805470

    Nationale Versorgungsleitlinie COPD. Teilpublikation der Langfassung. AWMF-Register-Nr. NVL – 003. 2021. Ak­tuelle Empfehlungen zur Lungenfunktionsdiagnostik 135
    https://register.awmf.org/assets/guidelines/nvl-003l_S3_COPD_2021-09.pdf

    Quanjer PH, Stanojevic S, Cole TJ et al.; ERS Global Lung Function Initiative: Multi-ethnic reference values for spirometry for the 3-95-yr age range: the global lung function 2012 equations. Eur Respir J 2012; 40: 1324–1343
    https://erj.ersjournals.com/content/erj/40/6/1324.full.pdf

    Abb. 2:  Perzentile und Z-Scores des Häufigkeitsspektrums der Lungenfunktionsparameter der gesunden Referenzpopulation (Criée, Smith, Preisser et al. 2024)

    Abb. 2: Perzentile und Z-Scores des Häufigkeitsspektrums der Lungenfunktionsparameter der gesunden Referenzpopulation (Criée, Smith, Preisser et al. 2024)
    Abb. 3:  Beispiel Lungenfunktionsprotokoll (Criée, Smith, Preisser et al. 2024)

    Abb. 3: Beispiel Lungenfunktionsprotokoll (Criée, Smith, Preisser et al. 2024)
    Abb. 4:  Ansatz zur Interpretation der Spirometrie (Criée, Smith, Preisser et al. 2024; Stanojevic et al. 2022)

    Abb. 4: Ansatz zur Interpretation der Spirometrie (Criée, Smith, Preisser et al. 2024; Stanojevic et al. 2022)
    Tabelle 1:  Graduierung der Messwerteinschränkung (Quelle: Criée, Smith, Preisser et al. 2024)

    Tabelle 1: Graduierung der Messwerteinschränkung (Quelle: Criée, Smith, Preisser et al. 2024)
    Tabelle 2:  Arbeitsmedizinisch empfohlene Graduierung nach %LLN (Quellen: Criée et al. 2015; Criée, Smith, Preisser et al. 2024)

    Tabelle 2: Arbeitsmedizinisch empfohlene Graduierung nach %LLN (Quellen: Criée et al. 2015; Criée, Smith, Preisser et al. 2024)

    Info 1

    Indikationen der Spirometrie in der Arbeitsmedizin

  • Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge
  • Bei Verdacht auf arbeitsplatzinduziertes Asthma bronchiale
  • Bei Gutachten von Berufserkrankungen
  • Anwendung der GLI-Referenzwerte im Rahmen der pneumologischen Begutachtung ohne Übergangsfrist
  • Info 2

    Spirometrie, empfohlen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge

    Bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen

  • anorganischen Stäuben, z. B. silikogener Staub, Asbest
  • Tätigkeiten mit Hochtemperaturwollen (Faserstäube Kategorie 1A oder 1B)
  • Allgemeine Staubbelastung
  • Schweißen und Trennen von Metallen
  • Tätigkeiten mit Stoffen, die obstruktive Atemwegserkrankungen auslösen können
  • Isocyanate
  • Cadmium
  • Chrom-VI-Verbindungen
  • Fluor und anorganische Fluorverbindungen
  • Kohlenmonoxid
  • Nickel und Nickelverbindungen
  • Platinverbindungen
  • Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (Pyrolyseprodukte aus organischem Material)
  • Schwefelwasserstoff
  • Taucherarbeiten
  • Atemschutzgeräte (arbeitsmedizinische Vorsorge)
  • Bei Eignungsbeurteilungen

  • Tragen von Atemschutzgeräten (Feuerwehr)
  • Arbeiten mit Absturzgefahr
  • Überdruck (Arbeiten in Druckluft und Taucherarbeiten)
  • Arbeiten in sauerstoffreduzierter Atmosphäre.
  • Kontakt

    Dr. med. Nicola Kotschy-Lang
    Schillerstraße 18A; 08209 Auerbach

    Foto: privat

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