Einleitung
Das Rahmenkonzept zur Umsetzung der medizinischen Leistungen der Deutschen Rentenversicherung zur Prävention und Gesundheitsförderung wurde 2012 veröffentlicht (s. „Weitere Infos“). 2015 folgte die Publikation des Leitfadens für Präventionsleistungen (s. „Weitere Infos“). Am Beispiel des Regionalträgers der Deutschen Rentenversicherung Nord (DRV Nord) lässt sich bei jährlich ca. 200 durchgeführten Leistungen zur Prävention im Vergleich zu ca. 70.000 durchgeführten Leistungen zur Teilhabe feststellen, dass trotz breit angelegter Informationskampagne die Inanspruchnahme noch hinter den Erwartungen zurückbleibt. Nach einer kurzen Beschreibung des präventiven Angebots werden einige Handlungsoptionen gezeigt, die helfen sollen, dieses verhältnismäßig neue Angebot erfolgreich umzusetzen. Hierfür werden die praktischen Erfahrungen eines Betriebs und eines Erbringers von Prävention aus dem norddeutschen Raum herangezogen. Zwei derzeit bei größeren Unternehmen erprobte Ansätze der DRV Nord, die dazu dienen sollen, eine bessere Inanspruchnahme zu erreichen, werden anschließend kurz geschildert.
Die Präventionsleistungen der Deutschen Rentenversicherung
Die Rentenversicherung bietet ihren Versicherten neben tertiärer Prävention im Rahmen der Rehabilitation nach § 15 SGB VI auch sekundärpräventive Leistungen nach § 14 SGB VI zur Sicherung der Erwerbsfähigkeit an. Die Leistung wird bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger beantragt. Dem Antrag ist ein zweiseitiger Befundbericht des Werks- und Betriebsarztes, eines niedergelassenen Arztes oder eines Rehabilitationsarztes beizufügen.
Zielgruppe
Die Präventionsleistungen richten sich an berufstätige Versicherte der Rentenversicherung. Die persönlichen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der oder die Versicherte erste gesundheitliche Beeinträchtigungen aufweist, die zwar an sich noch keinen Krankheitswert haben, aber die individuelle Beschäftigungsfähigkeit ungünstig beeinflussen, eventuell auch unter Einwirkung weiterer negativer Einflussfaktoren.
Als erste gesundheitliche Beeinträchtigungen gelten:
- beginnende Funktionsstörungen der Bewegungsorgane,
- beginnende Funktionsstörungen innerer Organe,
- psychische Beeinträchtigungen ohne Krankheitswert,
- Probleme mit Gewicht/Ernährung/Stoffwechsel.
Übergeordnetes Ziel der Präventionsleistung ist es, die Kompetenz und Motivation für einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu erhöhen und das Selbstmanagement zu optimieren, um eine nachhaltige Verbesserung der seelischen und körperlichen Gesundheit zu erreichen.
Inhalte
Die Präventionsleistung beinhaltet folgende aufeinander aufbauende Phasen: Initialphase, Trainingsphase, Eigenaktivitätsphase und Auffrischungstag/e. Die Durchführung der Initial- und Trainingsphase sowie der Auffrischungstage obliegt einer für die Prävention nach Prüfung des entsprechenden Konzepts zugelassenen Rehabilitationseinrichtung. Inhaltlich soll die Präventionsleistung Handlungs- und Effektwissen in den Themenbereichen Ernährung, Bewegung, Selbstmanagement, Resilienzbildung und Stressbewältigung vermitteln.
Die Initialphase
Die Initialphase wird ganztägig, ambulant oder stationär erbracht und dauert drei bis fünf Tage, während deren der oder die Versicherte Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber hat. Nach einer allgemeinen Information über die Leistung sollen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen durch Impulsvorträge und aktive Einheiten zu den oben genannten Themen sensibilisiert und motiviert werden. Dabei stehen die Förderung der Motivation zu individuellen Aktivitäten und der Aufbau individueller Ressourcen zur Bewältigung beruflicher und sozialer Belastungen und Hindernisse im Vordergrund. Hauptbestandteil der Initialphase ist das sporttherapeutische, lebensstil- und berufsbezogene Assessment, auf Grundlage dessen gemeinsam mit dem Therapeutenteam Ziele und Aktivitäten für die Trainingsphase formuliert werden.
Die Trainingsphase
Die berufsbegleitende Trainingsphase erfolgt an einem bis zwei Terminen pro Woche über drei bis sechs Monate. Bei der praktischen und theoretischen Vermittlung von Fähigkeiten sollen Strategien zum erfolgreichen Selbstmanagement für einen nachhaltig gesunden Lebensstil angeeignet werden. Auch während der Trainingsphase sind die Besonderheiten des Arbeitsplatzes stets zu berücksichtigen. Die Trainingsphase erfolgt als Gruppenangebot; Einzelgespräche sollen zeitlich flexibel ermöglicht werden. Sie schließt mit einer Zielwertkontrolle der individuellen Ziele aus der Initialphase ab.
Der Auffrischungstag
Der ganztägige Auffrischungstag (Refresher) wird drei bis sechs Monate nach Abschluss der Trainingsphase (Eigenaktivitätsphase) durchgeführt. Ziele des Refreshers sind:
- Die Auffrischung des Erlernten aus der Trainingsphase.
- Die Vermittlung von Eigenkompetenz hinsichtlich individueller Barrieren. Hierfür werden die Erfahrungen bezüglich Lebensstiländerungen während der Eigenaktivitätsphase lösungsorientiert reflektiert.
- Eine Zielwertkontrolle im Verhältnis zum Assessment in der Initialphase.
Anregungen zur Förderung der Inanspruchnahme: Perspektive der Unternehmen und Leistungsanbieter
Die Leitung der Stadtreinigung Hamburg (SRH) hat von Anfang an großes Interesse daran gezeigt, ihren Beschäftigten Präventionsmaßnahmen anzubieten, die gezielt auf die körperlichen Belastungen der gewerblichen Beschäftigten eingehen. Deshalb hat die SRH die Zusammenarbeit mit dem RehaCentrum Hamburg gesucht, das im Bereich der orthopädischen Rehabilitation schon lange mit der SRH eng zusammenarbeitet und zugleich in der Nähe des Hauptsitzes dieses Unternehmens liegt. Therapeuten der Reha-Einrichtung haben sich die Arbeit der Müllabfuhr und Straßenreinigung in der Praxis angesehen, damit die praktischen Tätigkeiten mit ihren speziellen Belastungen im Konzept des Präventionsprogramms Berücksichtigung finden können.
Das Präventionsangebot wird durch die Abteilung für Betriebliches Gesundheitsmanagement der SRH kontinuierlich begleitet und bewertet. So werden alle Teilnehmer nach Abschluss der Präventionsmaßnahme über das Ergebnis der Maßnahme schriftlich befragt. Die Rückmeldungen sind positiv, die Erfahrungen werden zu über 80 % mit „sehr zufrieden“ und „zufrieden“ bewertet. Der Gesundheitszustand wird nach der Maßnahme überwiegend besser beurteilt. Die körperliche Leistungsfähigkeit nimmt zu und die Beschwerden nehmen ab. Stressfaktoren und Medikamenteneinnahme werden durch das Programm weniger positiv beeinflusst.
Trotz überwiegend guter Erfahrungen sind die Teilnehmerzahlen nach einem zufriedenstellenden Start kontinuierlich zurückgegangen ( Tabelle 1). Ein wichtiger Grund für die niedrigen Zahlen ist das aus Sicht der Teilnehmer komplizierte Antragsverfahren.
Die Leitung der SRH hält daher eine regelmäßige Information über die Präventionsangebote für erforderlich. So wurde Anfang 2019 die Maßnahme erneut konkret in den Kantinen durch Tablet-Aufleger beworben, was zu einer sich wieder verstärkenden Nachfrage und Anmeldungen führte.
Darüber hinaus spielen einzelne Multiplikatoren wie die Betriebsärzte, die „Psychosozialen Berater“, die Kolonnentrainer, die Gesprächsführer beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement, die Schwerbehindertenvertretung und das Team „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ eine sehr wichtige Rolle, indem sie die Beschäftigten zur Maßnahme beraten, motivieren und bei der Antragstellung unterstützen.
Ein zweiter Grund für die schleppende Inanspruchnahme ist die Entfernung zum Ort der Prävention. Die SRH-Betriebsstandorte sind über ganz Hamburg verteilt: Das ist ein Hindernis, da die Beschäftigten den Fahrweg durch die Stadt oftmals scheuen. Der überwiegende Teil der Teilnehmer kam bisher vom Hauptstandort, der praktisch fußläufig vom RehaCentrum Hamburg entfernt liegt. Die SRH hat im letzten Jahr zwei weitere Präventionsanbieter, das Reha-Zentrum Harburg und das Reha-Zentrum Norderstedt für eine Kooperation hinzugewonnen, so dass Prävention für Beschäftigte der SRH zukünftig auch dort durchgeführt wird.
Insgesamt sieht die SRH das Präventionsangebot als eine wertvolle Maßnahme für diejenigen Beschäftigten, die erste Beschwerden und Veränderungen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit bemerken und willens sind, etwas für sich zu tun. Erforderlich für eine zufriedenstellende Inanspruchnahme sind eine enge Kooperation mit den Anbietern der Prävention, die mit den Besonderheiten der Arbeitsplätze vertraut sein müssen, die geografische Nähe der Präventionsanbieter zu den Arbeitsplätzen, regelmäßige Informationen für die Beschäftigten zu diesem Angebot und eine Unterstützung im Betrieb bei der Beantragung.
Vergleichbares berichtet die Präventionsbeauftragte des RehaCentrums Hamburg, die im Vorwege dieses Artikels über die Voraussetzungen einer guten Akzeptanz von Beschäftigten für die Prävention der Rentenversicherung befragt wurde (s. „Kurzinterview“).
Förderung der Inanspruchnahme von Präventionsleistungen
Zwei verschiedene Ansätze der DRV Nord, die derzeit im Rahmen von Modellprojekten erprobt werden, werden hier kurz dargestellt.
Abgestimmte Informations- und Beratungsstrategie der Sozialleistungsträger im Unternehmen
Sozialleistungsträger, insbesondere die Deutsche Rentenversicherung, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung und die Gesetzliche Krankenversicherung, haben den Auftrag, Betriebe zur Gesamtthematik der Prävention, Rehabilitation und Teilhabe zu informieren und sie beim Aufbau von betrieblichen Strukturen und Prozessen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements zu beraten. Vor dem Hintergrund des Präventionsgesetzes, das eine intensive Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger miteinander fordert, aber auch gestärkt durch die ernüchternden Erfahrungen bei der Einführung ihrer Präventionsleistungen hat die DRV Nord entschieden, ihren eigenen Firmenservice zu stärken und sich an der Initiative „Gesunde Arbeit Hamburg“ der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zu beteiligen (s. „Weitere Infos“).
Im Rahmen von Modellprojekten erproben die oben genannten Sozialleistungsträger mit ausgewählten Einrichtungen aus der Pflege und mit Hamburg Airport, wie sie am besten Hand in Hand arbeiten können, um eine bessere und effektive Nutzung ihrer Leistungsangebote zu ermöglichen. Die Unternehmen erhalten jeweils einen festen Ansprechpartner bei den Sozialleistungsträgern, der in allen Einzelfragen des Betriebs ansprechbar ist, trägerübergreifend beraten kann und mit den anderen Sozialleistungsträgern kooperiert. Die Beratung soll auf die betrieblichen Akteure aktiv zugehen und dabei die spezifischen Bedürfnisse berücksichtigen. Von diesem optimierten Beratungsangebot sollen sowohl die Unternehmen als auch deren Beschäftigte profitieren.
So wurde im Rahmen eines dieser Projekte für ein Unternehmen aus der Pflegebranche gemeinsam mit den Akteuren des Betrieblichen Gesundheitsmanagements ein Rückenleitfaden entwickelt, in dem alle in Frage kommenden Sozialleistungen und Ansprechpartner konkret beschrieben werden.
Leistung zur Prävention der DRV Nord im Betrieb selbst
Zur Verbesserung der Inanspruchnahme von Präventionsleistungen geht die DRV Nord bei einem großen Unternehmen in Hamburg einen weiteren Weg, der im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Projekts zurzeit erprobt wird. Die Präventivleistung findet im Unternehmen selbst während der Dienstzeit statt. Hierfür hält das Unternehmen ein therapeutisches Angebot vor, das alle Anforderungen der Rentenversicherung an Einrichtungen erfüllt, die Prävention im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung anbieten. Erste Erfahrungen belegen eine sehr gute Akzeptanz bei den Beschäftigten. Einschränkend ist jedoch festzustellen, dass dieser Ansatz Klein- und mittelständische Unternehmen ausschließt, da sich die Bereitstellung eines Angebots für ein Unternehmen erst ab einer größeren Mitarbeiterzahl rechnet.
Fazit
Zur Etablierung arbeitsplatzbezogener Präventionsangebote der Deutschen Rentenversicherung für berufstätige Versicherte ist eine enge Zusammenarbeit von Leistungserbringern und Betrieben erforderlich. Die Zugangswege zur Leistung müssen so einfach und transparent wie möglich sein. Auch soll die Durchführung insbesondere in der Trainingsphase die Bedürfnisse der Beschäftigten hinsichtlich Zeitpunkt, regionaler Nähe und Inhalte berücksichtigen. Hierfür ist eine hohe Flexibilität aller Akteure erforderlich.
Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Kurzinterview
Fragen an Maylin M. Kröger, Präventionsbeauftragte des RehaCentrums Hamburg zum Beitrag eines Leistungserbringers für eine erhöhte Akzeptanz durch den Betrieb
Welchen Stellenwert haben die Besonderheiten des jeweiligen Betriebs für Präventionsleistungen und wie können diese bei der Durchführung berücksichtigt werden?
Besonderheiten der jeweiligen Betriebe haben einen hohen Stellenwert für die Akzeptanz unseres Angebots und müssen im Rahmen der Planung und Durchführung von Präventionsleistungen beachtet werden. So werden Inhalte der Maßnahmen im Vorfeld dem Unternehmen sowie den Beschäftigten kommuniziert, mit ihnen abgestimmt und konkret geplant. Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Etablierung im Betrieb. Zudem werden besondere berufliche Belastungen an den Arbeitsplätzen sowie individuelle Zielsetzungen der Teilnehmer in die Planung einbezogen.
Wie werden die konkreten Anforderungen und Belastungen am Arbeitsplatz bei der organisatorischen und inhaltlichen Gestaltung des Präventionsangebots berücksichtigt?
Hierzu werden bereits im Antragsverfahren Anforderungen und Belastungen am Arbeitsplatz ermittelt. Dies bietet unseren Gesundheitsexperten und Therapeuten im RehaCentrum Hamburg eine gute Grundlage, um individuelle sowie bedarfsgerechte Präventionsinhalte zu planen. Während der Initialphase, im Rahmen des ärztlichen Aufnahmegesprächs, bei der Einführung in das medizinische Training sowie beim Arbeitsplatztraining werden gesundheitliche Risiken und bestehende Belastungen am Arbeitsplatz eingehend und sehr spezifisch besprochen. So wird gewährleistet, dass das Präventionsangebot in seiner Gestaltung auf die Bedürfnisse und Zielsetzungen der Beschäftigten eingeht.
Was ist noch wichtig bei der Zusammenarbeit mit Betrieben?
- Transparenz!Eine gut funktionierende Kommunikation sowie ein regelmäßiger Austausch sind im Rahmen einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit Betrieben sehr wichtig.
- Beteiligung!Geht es um die eigene Gesundheit, können die Beschäftigten selbst am besten beurteilen, welche Bedingungen am Arbeitsplatz eher förderlich und welche eher belastend wirken. Auch müssen die Entscheidungsträger im Unternehmen in das Vorhaben einbezogen werden.
- Projektmanagement!Da die Implementierung einer gesünderen Unternehmensstrategie einem Projekt gleicht, sollten alle geplanten Maßnahmen durchgeführt und in regelmäßigen Abständen evaluiert werden.
- Ganzheitlichkeit!Die Präventionsleistungen sollten verhaltens-, aber auch verhältnisorientiert angesetzt sein. Dies setzt eine Kombination aus Risikoreduktion und der Befähigung aller Mitarbeiter, Risiken wahrzunehmen und ein gesundheitsbewusstes Verhalten zu entwickeln, voraus.
Koautorinnen
Mitautorinnen des Beitrags sind Mailyn Marie Kröger (RehaCentrum Hamburg, Betriebliche Gesundheitsförderung) und Maren Reuschenbach (Stadtreinigung Hamburg, Betriebliches Gesundheitsmanagement).
Weitere Infos
Rahmenkonzept zur Umsetzung der medizinischen Leistungen zur Prävention und Gesundheitsförderung nach § 14 Abs. 1 SGB VI
Rahmenbedingungen zu den Präventionsleistungen, Praxisempfehlungen zur Durchführung von Präventionsleistungen
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW): „Gesunde Arbeit Hamburg“
https://www.bgw-online.de/DE/Presse/Pressearchiv/2018/Koop-PM-Gesunde-Arbeit-HH.html
Für die Autorinnen
Dr. med. Nathalie Glaser-Möller
Deutsche Rentenversicherung Nord
Ziegelstraße 150
23544 Lübeck