Wann Anspruch auf Arbeitslosengeld?
Nach der Legaldefinition des § 138 SGB III ist arbeitslos, wer als Arbeitnehmer kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt:
- nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit),
- sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und
- den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).
Auch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld kann eine Person haben, die allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil sie wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung nicht unter Bedingungen ausüben kann, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind. Gemäß § 145 SGB III gilt dies nur soweit und solange keine Entscheidung der gesetzlichen Rentenversicherung zur Frage der verminderten Erwerbsfähigkeit getroffen ist.
Ist stufenweise Wiedereingliederung Arbeit?
Überschritt die regelmäßig in den Stufen von täglich 2, 4 und 6 Stunden durchgeführte Wiedereingewöhnung oder Erprobung der Leistungsfähigkeit die sog. Kurzzeitigkeitsgrenze (unter 15 Stunden/Woche), so wurde nicht selten ein Antrag auf Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit abgelehnt bzw. die Bewilligung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse aufgehoben. Zur Begründung wurde angeführt, entsprechend § 138 SGB III bestünde aufgrund der wöchentlich mehr als 15 Stunden dauernden Tätigkeit keine Beschäftigungslosigkeit. Trotz Fortbestand von Arbeitsunfähigkeit wurde dies selbst dann angenommen, wenn der Arbeitgeber während der stufenweisen Wiedereingliederung keinen Lohn zahlte.
Wiedereingliederung begründet kein Arbeitsverhältnis
Für Bewilligungen von Arbeitslosengeld nach § 145 SGB III im Rahmen der sog. Nahtlosigkeit – hier wird die objektive Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt bis zur Entscheidung der Rentenversicherung zur verminderten Erwerbsfähigkeit fingiert – hatte das Bundessozialgericht dieser Praxis bereits im Urteil vom 21.03.2007 – B 11a AL 31/06 R – einen Riegel vorgeschoben. Es stellte fest, dass unentgeltliche Tätigkeit für einen Arbeitgeber im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung kein die Arbeitslosigkeit ausschließendes leistungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis begründet.
Denn für die Dauer der stufenweisen Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX oder § 74 SGB V besteht zwischen dem Versicherten und dem Unternehmer kein Arbeitsverhältnis. Ein etwaig ungekündigt fortbestehendes Arbeitsverhältnis ruht während der Maßnahme. Mit der Vereinbarung zur Wiedereingliederung entsteht zwischen den Vertragspartnern ein Rechtsverhältnis eigener Art i.S.v. § 305 BGB, das nicht auf fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit ausgerichtet ist (allg. Meinung: BAG, Urteil v. 28.07.1999, 4 AZR 192/98, BAGE 92, 140, 143 f.). Hierzu verschafft der Arbeitgeber dem Versicherten die Möglichkeit, mit Hilfe einer – unter Umständen seiner früheren Arbeit entsprechenden – Betätigung zu erproben, ob er schrittweise seine volle Arbeitsfähigkeit wieder herstellen kann.
Der Arbeitgeber ist in der Wiedereingliederung nicht verpflichtet, die Tätigkeit des Versicherten ganz oder teilweise als Arbeitsleistung entgegenzunehmen. Ihn trifft daher auch keine Verpflichtung, sie entsprechend zu entlohnen. Im Gegenzug muss der Arbeitnehmer keine ihm vom Arbeitgeber einseitig bestimmte Tätigkeit ausführen. Insbesondere ist daher das für die Eingliederung in den Betrieb wesentliche arbeitgeberseitige Direktionsrecht (§ 315 I BGB) hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Arbeitsleistung suspendiert (LSG NRW Urteil vom 28.03.2006 L 1 AL 8/06). Sind nachteilige gesundheitliche Folgen zu befürchten, kann der Rehabilitand jederzeit Pausen einlegen oder die Tätigkeit nach eigener Entscheidung abbrechen.
Im Vordergrund des Rechtverhältnisses stehen rehabilitative und integrative Zwecke, nicht die wirtschaftliche Leistung mit Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung. Der Arbeitnehmer ist nicht fremdbestimmt, sondern nach ärztlichem Rat eigenbestimmt zur Förderung seiner Genesung und Wiedererlangung seiner arbeitsplatzspezifischen Leistungsfähigkeit tätig. Erst mit erfolgreichem Abschluss der Wiedereingliederung, d.h. mit Feststellung einer angemessenen Leistungsfähigkeit und Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung, besteht wieder ein leistungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis. Erst dann endet der Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Wiedereingliederung begrenzt nicht Arbeitslosengeld
Mit der jetzigen Entscheidung bestätigt der 11. Senat die bisherige Rechtsprechung ausdrücklich und betont mehrfach, dass der Anspruch des leistungsgeminderten Arbeitslosen unabhängig von Überlegungen zur Nahtlosigkeit gem. § 145 SGB III besteht.
Im entschiedenen Fall hatte der Kläger sich bei ungekündigtem, aber ruhendem Arbeitsverhältnis nach Ausschöpfung des Krankengeldes im Rahmen seiner auf mittelschwere Tätigkeiten begrenzten Einsatzfähigkeit dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt. Er galt daher im Rechtssinne als arbeitsfähig und ihm wurde antragsgemäß Arbeitslosengeld I von der Beklagten nach § 138 SGB III bewilligt. Mit Wirkung zum Beginn der zunächst auf 4 Stunden vom Hausarzt geplanten Wiedereingliederung hob die beklagte Bundesagentur die Bewilligung mit der Begründung auf, es sei eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse eingetreten. Im leistungsrechtlichen Sinne läge weder Beschäftigungslosigkeit noch Verfügbarkeit vor. Die Vorinstanzen sahen keine wesentliche Änderung der Verhältnisse durch den Beginn einer stufenweisen Wiedereingliederung und bestätigten durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Mit der Revision rügte die Bundesagentur die Verletzung des materiellen Rechts, weil der Kläger mit der Wiedereingliederung ein Beschäftigungsverhältnis begründet habe, den Vermittlungsbemühungen während dieser Zeit nicht zur Verfügung stünde und zu Eigenbemühungen nicht in der Lage sei.
Verbesserung der Wiedereingliederungschancen ist Voraussetzung
Das Bundessozialgericht erkannte, dass eine planmäßig nach § 28 SGB IX oder § 74 SGB V durchgeführte stufenweise Wiedereingliederung keine der Anspruchsvoraussetzungen des Arbeitslosengeldes aus § 138 SGB III entfallen lasse. Eine solche liege vor, wenn der Arbeitsunfähige durch die Maßnahme voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden könne. Dies fordere ärztliche Entscheidungskompetenz zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Eingliederung und deren zeitlicher Gestaltung. In den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung ist vorgesehen, dass Versicherte (bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit) schonend, aber kontinuierlich an die Belastungen seines Arbeitsplatzes herangeführt werden sollen. Leistungsrechtlich entspricht die rehabilitative Maßnahme eben noch nicht der Arbeit gegen Lohn. Das unentgeltliche Wiedereingliederungsverhältnis hat die Beendigung der Beschäftigungslosigkeit zum Ziel, aber erst nach erfolgreichem Abschluss mit sich anschließender entgeltlicher Beschäftigung wird es erreicht.
Stufenweise Wiedereingliederung ist Eigenbemühen
In den Wiedereingliederungsbemühungen könne entgegen der Ansicht der Beklagten kein schuldhaftes Verhalten im Sinne der Obliegenheitsverletzung nicht hinreichende Eingliederungsbemühungen gesehen werden. Die Beklagte selbst habe ihre Vermittlungsbemühungen unter Berücksichtigung des Fortbestands des klägerischen Arbeitsverhältnisses auf die Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit konzentriert. Diese Möglichkeit zur beruflichen Eingliederung habe der Kläger gerade durch seine stufenweise Wiedereingliederung genutzt, so dass die unentgeltliche Tätigkeit für seinen Arbeitgeber Eigenbemühung im Sinne des § 138 SGB III darstelle.
Stufenweise Wiedereingliederung hindert nicht Verfügbarkeit
Schließlich sei auch die objektive Verfügbarkeit des Klägers nicht durch die mit der Wiedereingliederung einhergehende zeitliche Inanspruchnahme entfallen. Mit der auf dem ärztlichen Wiedereingliederungsplan und der daran anknüpfenden arbeitsrechtlichen Abrede beruhenden Tätigkeit gehe keine Bindung des Klägers einher, die es ihm rechtlich oder praktisch unmöglich gemacht hätte, eine versicherungspflichtige Beschäftigung – neben oder anstatt der stufenweisen Wiedereingliederung, die er jederzeit ohne Angabe von Gründen hätte abbrechen können – aufzunehmen.
Zweifel am Fortbestehen der Arbeits- und Eingliederungsbereitschaft des Klägers könnten schon deswegen nicht bestehen, weil sich dieser mit der freiwilligen Teilnahme an der Wiedereingliederung gerade an dem durchgängig verfolgten Ziel der Vermittlungsbemühungen der Beklagten orientiert habe. Durch die Teilnahme an der Wiedereingliederung werde Arbeitsbereitschaft gezeigt und mithin die subjektive Verfügbarkeit in besonderer Weise dokumentiert.