Einleitung
Der demografische Wandel führt dazu, dass sich die Altersstruktur in Deutschland verschiebt. Wenn die heute mittleren geburtenstarken Altersjahrgänge in den nächsten 5 bis 15 Jahren in Rente gehen, droht ein empfindlicher Verlust an Arbeitskräften und damit auch an Erfahrungswissen. Dies hat zur Folge, dass die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer im Betrieb eine immer größere Rolle spielt, um Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten bzw. auszubauen.
Ziel in Unternehmen muss daher der Erhalt der Leistungsfähigkeit durch alter(n)s-gerechte Arbeit sowie das Finden und Binden von jungen Arbeitnehmern und Nachwuchsfachkräften sein. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Prädemo
Das Projekt Prävention und Demografie (prädemo), gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und aus dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union, ging im April 2015 zu Ende. Es befasste sich mit alter(n)sgerechter Arbeitsgestaltung in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Zu Beginn des Projekts wurde eine Befragung u.a. unter Fachkräften für Arbeitssicherheit und verwandten Beratern durchgeführt. Diese zeigten, dass der Bedarf und das Interesse an der Beratung zur Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter im Betrieb sehr groß sind und gewünscht werden.
Ergebnis des Projekts waren Handlungshilfen, sog. Factsheets, und eine Qualifizierung für Berater in Unternehmen. Beide bieten eine Hilfestellung und Anleitung, um eine ganzheitliche Beratung in Unternehmen zum demografischen Wandel durchführen zu können. Dabei werden Berater unterschiedlicher Professionen und aus unterschiedlichen Institutionen angesprochen, u.a. Berater im Arbeits- und Gesundheitsschutz, Innungen, Kammern, Gewerkschaften, Krankenkassen, Unfallversicherungsträger, Agentur für Arbeit und Unternehmensberater. Diese kooperieren im besten Fall bei der Beratung vor Ort, da eine ganzheitliche Beratung durch nur eine Profession nicht möglich ist.
Merkmale älterer Beschäftigter
Grundlage für die Beratung zur alter(n)sgerechten Arbeit ist die Frage nach den Stärken älterer Beschäftigter. Neben allgemeinen Vorteilen und in der Regel auftretenden Einschränkungen ( Tabelle 1) steigen jedoch die interindividuellen Leistungsunterschiede mit dem Alter. Das so genannte „Kompetenzmodell des Alterns“ (Roth et al. 2009)nennt folgende Merkmale:
- Jeder altert zu einem anderen Zeitpunkt.
- Jeder Alterungsprozess beinhaltet Zu- und Abnahmen bestimmter Funktionen.
- Verhaltensänderungen sind im Alterungsprozess möglich.
Einflussfaktoren sind dabei insbesondere die private Lebensführung, die bisherigen Erfahrungen und Leistungsanforderungen, die Lernanregungen und der Gesundheitszustand. Daher sollten Maßnahmen zur alter(n)sgerechten Arbeitsgestaltung auch immer individuell betrachtet werden.
Die Anforderung, sich als attraktiver Arbeitgeber darzustellen, um qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, zu binden und auch im Alter noch zu schätzen, wächst vor allem für KMU. Dabei wird auch deutlich, dass Unternehmen diese Entwicklung durch zielgerichtetes und systematisches Handeln als Wettbewerbsvorteil nutzen können.
Beratungsthemen
In Unternehmen gibt es verschiedene Möglichkeiten, Maßnahmen der alter(n)s-gerechten Gestaltung umzusetzen. Den wesentlichen Beitrag liefert dabei die Gefährdungsbeurteilung.
Die in Tabelle 2 genannten Gefährdungsfaktoren spielen bei alter(n)sgerechter Arbeit eine besondere Rolle. Neben der Gefährdungsbeurteilung sind weitere Handlungsoptionen möglich, um eine alter(n)sgerechte Arbeitsgestaltung zu ermöglichen (s. Infobox).
Die Bedeutung der Beratung zu den Auswirkungen des demografischen Wandels ist in die DGUV Vorschrift 2 eingeflossen. Im Rahmen der betriebsspezifischen Betreuung bietet das Handlungsfeld 1.6 den Fachkräften für Arbeitssicherheit, Betriebsärzten und weiteren Beratern die Möglichkeit, verbindliche Einsatzzeit zur Bearbeitung eines Projekts zum Thema mit dem zu betreuenden Unternehmern zu vereinbaren.
Leistungen des VDSI
Daher und weil das Thema an Aktualität in Unternehmen weiter zunehmen wird, begleitet der VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit e.V. – dieses weiter. Aktuelle Aktionen sind die Veranstaltungen zur Qualifizierungen zur Kompetenz in der Demografieberatung sowie die Arbeit des Fachbereichs Demografie.
Ein Verbundprojekt des VDSI, der DEx (Demografie-Experten) und der DGAUM (Deutsche Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin) arbeiten derzeit an einer ausführlichen und differenzierten Gefährdungsbeurteilung, die die demografischen Aspekte beinhaltet. Die Ergebnisse werden Ende des Sommers u.a. auf den Homepages der Verbände sowie zum Kongress der Arbeitsschutz Aktuell im Oktober vorgestellt.
Das Konzept der Qualifizierung zur Kompetenz in der Demografieberatung aus dem Projekt prädemo wurde weiter entwickelt. Hierzu kooperieren der VDSI und die DEx und bieten ab November ein gemeinsames Seminar zur Beratung im demografischen Wandel an. Dieses bietet auf der einen Seite weiter den Schwerpunkt der Handlungsansätze im Arbeits- und Gesundheitsschutz (Modul 1), stellt aber gleichzeitig weitere Methoden vor, die Berater in ihrer täglichen Arbeit nutzen können (Modul 2). Auf diese Weise ist ein Blick über den Tellerrand für Berater im Arbeits- und Gesundheitsschutz möglich.
Der Fachbereich Demografie des VDSI trifft sich weiterhin regelmäßig, um Informationen und Praxisbeispiele aus der Beratung zum demografischen Wandel zusammenzustellen und weitere Handlungshilfen für die betriebliche Beratung auszuarbeiten.
Literatur
Cernavin O, Große K, Zittlau K: Arbeitsschutz und demografischer Wandel, Teil 1. Sicherheitsingenieur 04/2015.
Gruber H, Kittelmann M, Mierdel B: Leitfaden für die Gefährdungsbeurteilung. 11. Auflage, Bochum: DC-Verlag, 2011, S. 96–98.
Holz M: Leistungs- und Erwerbsfähigkeit älterer Mitarbeiter – Allgemeine Veränderungen im Alterungsprozess. In: Demografischer Wandel in Unternehmen. Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Gabler, 2007.
Richter G, Bode S, Köper B: Demografischer Wandel in der Arbeitswelt. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2012.
Roth C, Wegge J, Schmidt K: Konsequenzen des demographischen Wandels für das Management von Humanressourcen. Z Personalpsych 2007; 6: 99–116.
Zittlau K, Kalenberg K, Große K: Arbeitsschutz und demografischer Wandel, Teil 2. Sicherheitsingenieur 05/2015.
Info
Handlungsansätze für die alter(n)sgerechte Beratung
- Differenzielle Arbeitsgestaltung:eine individuelle Anpassung der Arbeitsgestaltung hinsichtlich z. B. Begrenzung der Verweildauer, regelmäßige Belastungswechsel, Tätigkeitswechsel, selbstverantwortliche Fertigung.
- Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung:individuelle Anpassung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumgebung.
- Arbeitszeit:Flexibilität in der Arbeitszeit, um individuelle Anforderungen zu berücksichtigen.
- Unfallstatistik:altersgruppenbezogene Unfallstatistik, um spezifische Unfallgefahren für Ältere zu erheben und die Ableitung entsprechender Maßnahmen zu ermöglichen.
- Schulungen und Workshops:Unterschiedliche Gestaltung für unterschiedliche Altersgruppen zur Erhöhung des Lernerfolgs und der Akzeptanz.
- Eignung:Einsatz der Beschäftigten systematisch und gezielt hinsichtlich Fähigkeiten und Eignung (z. B. Erfahrungen und Kompetenzen berücksichtigen, keine Über-/Unterforderung, arbeitsmedizinische Vorsorge).
- Arbeitsmedizinische Vorsorge:Berücksichtigung der Individualität einen jeden einzelnen und so Erhalt und Förderung der Beschäftigungsfähigkeit.
- Assistenzsysteme:Umsetzung von technischen Unterstützungsmöglichkeiten und deren individuelle Anpassung.
- Verhaltensprävention:Workshops und Übungen zum Erhalt der Leistungsfähigkeit. Aber Vorsicht: Ältere wollen sich nicht mit Jüngeren messen müssen.
- Psychische Belastungen:Umgang mit älteren Beschäftigten, insbesondere Wertschätzung durch Führungskraft, Verantwortung, Handlungsspielraum, Feedback.
Weitere Infos
Aktuelle Informationen zum Thema
Projekt Prävention und Demografie
Statistisches Bundesamt (Destatis): Datenreport 2013
Autorin
Katrin Zittlau
Selbstständig tätige Sicherheitsingenieurin und Arbeitspsychologin
Leiterin des Fachbereichs Demografie beim VDSI