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Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der ambulanten Pflege

Einleitung

Der Gesamtkrankenstand der DAK-versi-cherten Pflegekräfte in der ambulanten Pflege liegt über dem Gesamtkrankenstand aller DAK-Versicherten (DAK-BGW 2007). Hohe Krankenstände bereiten den Führungsmitarbeitern in ambulanten Pflegeeinrichtungen nicht nur Probleme bei der Tourenbesetzung, sie verursachen auch hohe Kosten und führen zu einer Unterbrechung der Beziehungskontinuitäten in der pflegerischen Versorgung. Es kann zu „Reibungsverlusten“ kommen, denn die Vertretung muss oftmals vor Ort erst die Situation erfassen, sich bei dem für sie neuen Klienten vorstellen und sich in die dortigen Räumlichkeiten und Gegebenheiten einfinden. Beides kann sich durchaus negativ auf die Pflegequali-tät auswirken. Zudem entsteht nicht selten ein Teufelskreis: Pflegekräfte erkranken, an-dere „springen ein“, machen so Überstunden und sind aufgrund von Überbelastung selbst krankheitsanfälliger (Ulatowski 2012, S. 30–32). Es ist also nicht nur aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen heraus wichtig, dass die Fehlzeiten der Pflegekräfte mög-lichst gering gehalten werden. Daher ist die Einführung eines Betrieblichen Gesundheits-managements zur nachhaltigen Förderung und Erhaltung der Gesundheit der Mitarbei-ter auch in ambulanten Pflegediensten über-aus wichtig.

Belastungen in der ambulanten Pflege

Vordringliche Belastungsfaktoren für Mitarbeiterin der ambulanten Pflege sind (Kromark u. Ostendorf 2011):

  • physische Belastungen durch hohes Arbeitssaufkommen, hohes Arbeitstempo, Zeitknappheit und körperlich anstrengende Tätigkeiten,
  • psychische und emotionale Belastungen durch den Umgang mit Leid, Tod und Sterben ebenso wie durch die Auseinan-dersetzung mit den Klienten, deren so-zialem und familiärem Umfeld und mit Angehörigen anderer Professionen gesundheitsbezogener Dienstleistungen,
  • stressfördernde Rahmenbedingungen wie Straßenverkehr, Wetter- und Witterungs-bedingungen, räumliche Gegebenheit vor Ort in der Wohnung der zu Pflegenden.

Die oben aufgeführten Faktoren und Rahmenbedingungen wirken sich negativ auf die gesundheitliche Verfassung der Pflegekräfte aus. Hinzu kommt eine Veränderung der Altersstruktur der Pflegenden.

Altersstruktur der Pflegekräfte

Bereits heute lässt sich feststellen, dass die Be-legschaften in der Pflege zunehmend altern. So liegt der Anteil der über 50-jährigen Pflege-kräfte im ambulanten Bereich bei 16,2 % (zum Vergleich: im Krankenhaus sind es 9,8 %) und aufgrund des demografischen Wandels ist zu erwarten, dass die Anzahl der älteren Arbeit-nehmerinnen (50 Jahre und älter) im Pflege-sektor weiter ansteigen wird (BGW 2007). Eine Übersicht über die gegenwärtige und die prognostizierte Altersstruktur von Pflege-kräften gibt  Abb. 1.

Ältere Arbeitnehmer sind gesundheitlich eher belastet als jüngere (BGW 2007) und soll-ten durch eine alternsgerechte Arbeitsplatzgestaltung so weit wie möglich entlastet wer-den, etwa durch den Erlass geteilter Dienste, personeller und/oder technischer Unterstützung bei körperlich anstrengenden Tätig-keiten sowie angemessenen Freizeitausgleich. Zudem gewinnen gerade vor dem Hintergrund alternder Belegschaften professionelle Maßnahmen zur Gesundheitsförderung immer mehr an Bedeutung, da der Krankenstand mit zunehmendem Alter der Pflegekräfte in der Regel ansteigt (Spicker u. Schopf 2007).

Gesundheit der Pflegekräfte erhalten und fördern

Eine systematische Gesundheitsförderung ist gerade vor dem Hintergrund der enormen physischen und psychischen Belastungen, denen ambulant Pflegende ausgesetzt sind, und der zunehmenden „Überalterung“ der Belegschaften von entscheidender Bedeutung. Nun kann aber auch durch gezielte und gut durchdachte gesundheitsfördernde Maßnahmen keine Grippewelle aufgehalten werden. Mittel- und langfristig lässt sich die Arbeitsfähigkeit des Teams durch ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) verbessern. Das BGM ist begrifflich von der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) abzugrenzen. Das Betriebliche Gesundheits-management umfasst die Entwicklung be-trieblicher Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Organisation und die Befähigung zum gesundheitsfördernden Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Ziel haben (Badura et al. 2010, S. 33). Die BGF umfasst Maßnahmen, die auf die Förde-rung und das Erhalten des individuellen Gesundheitsverhaltens der einzelnen Mit-arbeiter abstellen. Hierunter fallen beispielsweise Fortbildungen zu den Themen „rückenschonendes Arbeiten“, „aktive Pause“ oder „Work-Life-Balance“ sowie Walking-, Yoga- oder Raucherentwöhnungskurse. Das BGM greift hier wesentlich weiter und umfasst über die individuelle Ebene hinaus die Abläufe und die Strukturen des gesamten Unternehmens.

Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements

Die Einführung gesundheitsfördernder Maß-nahmen ist auch für kleinere Betriebe mach-bar. Mit Einführung eines BGM wird hingegen ein umfassender und dem Regelkreis des PDCA-Zyklus (P = Plan, D = Do, C = Check, A = Act) folgender Prozess in Angriff genommen, der mit einem nicht unerheblichen materiellen und immateriellen Aufwand verbunden ist und sich daher erst ab einer mittleren Betriebsgröße empfiehlt. In jedem Fall sollte vorher genau geprüft werden, ob der Pflegedienst über die notwendigen finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen verfügt. Außerdem ist zu bedenken: Das BGM ist eine Führungsaufgabe, dies bedeutet, dass Ein-und Durch-führung sowie Evaluation des BGM durch einen Führungsmitarbeiter oder durch die Leitung erfolgen. Wenn in einem Pflegedienst ein BGM eingeführt werden soll, muss zunächst der Gesundheitszustand der Belegschaft systematisch erfasst werden. Lückenlose Statistiken über den Krankenstand der Mitarbeiter müssen geführt wer-den. Die gesundheitliche Belastung der Pflegekräfte wird durch Mitarbeiterbefragungen und Mitarbeitergespräche erfasst. Dies setzt jedoch voraus, dass die Führungs-kraft ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihrem Team hat und dass sie für ein positives und kollegiales Betriebsklima sorgt ( Abb. 2; Ulatowski 2013).

Es gilt also, zunächst die entsprechenden Rahmenbedingungen etwa im Hinblick auf das Betriebsklima und den Führungsstil zu schaffen. Darüber hinaus ist die Ernennung einer Gesundheitsbeauftragten von Vorteil, die als Ansprechpartnerin für das Team und als Koordinator fungiert. Je nach Betriebsgröße kann auch die Bildung eines Projektteams sinnvoll sein. Im Anschluss an eine systematische Erfassung und Dokumentation der Arbeitsbelastung ihrer Pflegekräfte sollte die Führungskraft, ggf. mit ihrem Projektteam und/oder der Gesundheitsbeauftragten, zunächst die Ziele abstecken, die sie kurz-, mittel- und langfristig durch das BGM verwirklichen möchten. Danach kann die Entwicklung eines entsprechenden Maß-nahmenkatalogs erfolgen.

Maßnahmen eines BGMs für ambulante Pflegeeinrichtungen

Es lassen sich in der Theorie verhaltens- und verhältnisorientierte Maßnahmen unter-scheiden, wobei sich die verhaltensorientierte Maßnahmen auf eine Verhaltensänderung der einzelnen Mitarbeiterin beziehen, während verhältnisorientierte Maßnahmen auf die Veränderung von Prozessen und Strukturen abstellen. Für die Praxis sind so-wohl verhaltens- als auch verhältnisbezo-gene Maßnahmen von Bedeutung, da beides optimiert werden soll: die organisatorischen Rahmenbedingungen des Pflegedienstes und das Gesundheitsverhalten der Mitarbeiter.

Die Verhältnisergonomie umfasst in der ambulanten Pflege folgende Maßnahmen (Landau u. Weißert-Horn 2007):

  • anthropometrische Arbeitsgestaltung: z. B. Verstellmöglichkeiten des Pflegebettes an die Abmessungen der Pflegekraft,
  • bewegungstechnische Arbeitsgestaltung: z. B. Anordnung der Pflegemittel bei der Grundpflege in unmittelbarer Reichweite,
  • organisatorische Arbeitsgestaltung: z. B. geblockte Arbeitszeiten, mehrere freie Tage zwischen zwei Dienstblöcken,
  • physiologische Arbeitsgestaltung: z. B. Einsatz kleiner und technischer Hilfsmittel bei Transfers von Schwerstpflegebedürftigen zur körperlichen Entlastung der Pflegemitarbeiter,
  • informationstechnische Arbeitsgestaltung: z. B. Einsatz von Tablets zum Abruf von wichtigen Informationen zum Patienten und zur Dokumentation der Pflegeleistungen,
  • sicherheitstechnische Arbeitsgestaltung: z. B. Arbeit zu zweit bei besonders schwe-ren Patienten zur Vermeidung von Unfällen,
  • Gestaltung der sozialen Arbeitsumgebung: z. B. regelmäßige Teambesprechungen zum Erfahrungsaustausch.

Als weitere Maßnahmen im Rahmen des BGM kommen für ambulante Pflegedienste in Betracht (Ulatowski 2013):

  1. 1.Erfassung der Arbeits- und Kranken-situation
  • Mitarbeiterbefragung zur Arbeitsbelastung durchführen
    • Krankenstand der letzten 12 Monate erfassen
  1. 2.Frühwarnsystem
  • Ernennung einer Gesundheitsbeauf-tragten/einer Projektgruppe
    • Einführung von Überlastungsanzeigen
    • Einführung eines Ampel-Frühwarnsystem zur frühzeitigen Erfassung von Überlastung
    • Mitarbeiterschulung zum Frühwarn-system
  1. 3.Räumliche Maßnahmen
  • Anbieten eines Pausenraumes
  1. 4.Gesundheitsfördernde Maßnahmen
  • Anbieten gesundheitsfördernder Maßnahmen (Rückenschule, Aufmerksamkeits- und Achtsamkeitstraining etc.)
    • Bereitstellung von Obst und Getränken
    • Wo es sinnvoll ist, Bereitstellung von Dienstfahrrädern
  1. 5.Organisatorische Maßnahmen
  • Berücksichtigung von Mitarbeiterinteressen bei der Dienstplangestaltung und bei der Tourenplanung
    • Schaffung einer arbeitnehmerfreund-lichen Arbeitsorganisation
    • Schaffung einer alternsgerechten Ar-beitsorganisation
    • Flexible und familienfreundliche Arbeitszeitregelungen anbieten
  1. 6.Personalentwicklung
  • Einführung regelmäßiger Mitarbeiter-gespräche
    • Einführung gesundheitsbezogener Fort- und Weiterbildungen (Ernährung, Bewegung)
    • Mitarbeiterschulung zum Work-Life-Balance-Konzept.

Nach Durchführung der Maßnahmen sind diese einer Evaluation zu unterziehen und ggf. Veränderungen einzuleiten oder Verbesserungen vorzunehmen. Somit umfasst das Betriebliche Gesundheitsmanagement die Bereiche: Erhebung und Analyse des Ist-Zustands, Planung der Maßnahmen, Durch-führung der Maßnahmen und Evaluation (BGW 2011, S. 17).

Kennzahlen und Evaluation

In der Fachliteratur herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Kosten eines BGMs in einem angemessenen Verhältnis zu dem erzielten und immateriellem Nutzen stehen (Bamberg et al. 2011). Allerdings ist dies nur dann gegeben, wenn die Maßnahmen des BGM tatsächlich greifen und der Nutzen für den Pflegedienst sowie der Grad der Zielerreichung der BGM-Maßnahmen operationalisiert und evaluiert werden wird. Dies lässt sich am besten durch eine kennzahlenbasierte Überprüfung realisieren. Kennzahlen stammen eigentlich aus der Betriebs-wirtschaftslehre und dienen dazu, den Grad der Zielerreichung zu ermitteln bzw. zu über-prüfen, indem ein Soll-ist-Vergleich vorgenommen wird (Thiel et al. 2007). Auch die Evaluation eines BGM kann durch eine Überprüfung entsprechender Kennzahlen vorgenommen werden, wobei bei der Fest-legung der Kennzahlen die individuellen An-forderungen und Merkmale des Pflegediens-tes berücksichtigt werden müssen.

Folgende Kennzahlen kommen in diesem Kontext in Betracht (Ulatowski 2013):

  • Anzahl der Krankheitstage,
  • Anzahl sonstiger Fehltage,
  • Anzahl der Mitarbeitergespräche,
  • Rücklaufquote der Fragebögen,
  • Anzahl der Überlastungsanzeigen,
  • Anzahl der Teilnehmerinnen an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen,
  • Anzahl der Teilnehmerinnen an Schulungsmaßnahmen.

Trotz des hohen Kostendrucks, dem ambulante Pflegedienste ausgesetzt sind, sollten alle Fördermöglichkeiten für den Aufbau ei-nes BGM geprüft und in Anspruch genom-men werden (Spicker u. Schopf 2007). Weiter-führende Informationen zum Thema Förder-möglichkeiten gibt es beim Deutschen Netz-werk für Betriebliche Gesundheitsförderung (DNBGF) sowie beim Bundesgesundheitsministerium und bei der Europäischen Agen-tur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA).

Fazit

Führungskräfte in der ambulanten Pflege sind sehr gut beraten, wenn sie die Einführung gesundheitsfördernder Maßnahmen in ihrem Unternehmen in Betracht ziehen. Ab einer mittleren Betriebsgröße empfiehlt sich die Implementierung eines BGM, da so nachhaltig die Gesundheit Ihrer Pflegekräfte erhalten bzw. gefördert werden kann. Das BGM gehört zu den Führungsaufgaben und sollte eng mit den anderen Management-bereichen, vor allem aber mit dem Qualitäts- und dem Personalmanagement, verbunden werden. In Anlehnung an den PDCA-Zyk-lus ist auch das BGM einer regelmäßigen kennzahlengestützten Evaluation zu unterziehen, um mögliches Verbesserungspoten-zial rechtzeitig identifizieren und auch entsprechende Modifizierungen vornehmen zu können.

Literatur

Badura B, Walter U, Hehlmann T: Betriebliche Ge-sundheitspolitik: Der Weg zur gesunden Organisa-tion. 2. Aufl. Berlin: Springer, 2010.

Bamberg E, Ducki A, Metz A: Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt: Ein Handbuch. Göttingen: Hogrefe, 2011.

Kromark K, Ostendorf P: Arbeitsanforderungen im Pflegeberuf – Ergebnisse empirischer Studien im Über-blick. In: Loebe H, Severing E (Hrsg.): Zukunftsfähig im demografischen Wandel – Herausforderungen für die Pflegewirtschaft. Bielefeld: Bertelsmann, 2011, S. 27–37.

Spicker I, Schopf A: Betriebliche Gesundheitsförderung erfolgreich umsetzen. Praxishandbuch für Pflege- und Sozialdienste. Wien: Springer, 2007.

Ulatowski H: Zukunftsorientiertes Personalmanage-ment in der ambulanten (Alten)Pflege. Projektmanage-ment – Retention Management – Mitarbeiterorientierung. Wiesbaden: Gabler, 2013.

Zusätzliche Literaturangaben können bei der Autorin angefordert werden.

    Autorin

    Heike Ulatowski

    Pflegeconsulting

    Kroonstücken 12

    22045 Hamburg

    pflegeconsulting.hamburg@yahoo.de

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