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Betriebsärztliche Betreuung von Arbeitnehmern in Offshore-Windparks

Die deutsche Windenergie-Branche ist bereits etabliert, wächst jedoch ständig und wird durch aktuelle Projekte immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Auch gleicht kein Baufeld dem anderen.

Es haben sich viele Arbeitsaufgaben und Arbeitsplätze ergeben, die in dieser Form neu für die Industrie sind. Hinzulernen müssen auch die Arbeitsmediziner und Betriebs-ärzte, wenn sie Mitarbeiter, die Offshore arbeiten, betreuen, untersuchen und beraten.

Was bedeutet „Offshore“?

In Deutschland werden Windparks in Küs-tennähe, aber auch fernab von Küsten – der-zeit bis zu 120 km entfernt –, gebaut und gewartet, was bisher weltweit ein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Windparks auf See bestehen aus den eigentlichen Windenergieanlagen (WEA), Umspannstationen (bemannt oder unbemannt) und/oder den Wohnplattformen sowie der entsprechenden Verkabelung.

Der jeweiligen Situation und dem Arbeitsplatzprofil entsprechend soll auch die Gefährdungsbeurteilung erstellt werden. Einige grundsätzliche Überlegungen zur Offshore-Arbeit sind daher erforderlich.

Zunächst ist die Umgebung Offshore eher lebensfeindlich für den Menschen. Die Vorstellung, „gefangen“ in einem Bauwerk auf See zu sein, ist nicht für jeden reizvoll. Der Weg nach Hause hat höhere Hürden als sonst üblich. Einflüsse wie räumliche Enge, Langeweile oder Stress, Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, Wind, Wellen und auch Sonne werden intensiver empfunden. Die Crew hält meist gut zusammen und geht achtsam mit-einander um. Die Teams sind häufig international besetzt; neben Deutsch ist Englisch die Hauptsprache. Hier helfen Team-trainings und Rettungsübungen, neben dem praktischen Nutzen durch die Übung selbst, die Teams zu festigen.

Nicht nur die eigentlich zu verrichtende Tätigkeit ist zu bewerten, sondern auch der Transportweg zur Arbeit. Hier kommen pri-mär der Helikopter oder das Crew Transfer Vessel (CTV) zum Einsatz, die die Mitarbei-ter über weite Strecken zum Arbeitsplatz be-fördern. Seekrankheit kann hier zum Problem werden. Dem Transportweg entsprechend gestaltet sich auch ein Teil der Vorbereitung und Ausbildung des Mitarbeiters, der offshore arbeiten wird (Sea survival, Helicopter Underwater Escape Training, HUET). Diese Trainings stellen durchaus eine Heraus-fordererung dar.

Welche Tätigkeit wird der Mitarbeiter offshore verrichten?

Es gibt Offshore-spezifische Tätigkeiten, wie die des Servicetechnikers für Windenergie-anlagen (WEA), Installationstechnikers oder des Tauchers, jedoch fällt auch viel adminis-trative und organisatorische Arbeit an, die meistens in Büros und Lagern auf den Hotel- oder Installationsschiffen und Plattformen geleistet wird. Geklärt werden sollte auch die Aufenthaltsdauer offshore. Ist der Mitarbeiter regelmäßig im 14-Tage-Rhythmus offshore (Cave: Offshore-Arbeitszeit-Verordnung; s. „Weitere Infos“), ist er häufig und regelmäßig offshore eingesetzt, wird er nur gelegentlich oder als Day-Tripper draußen sein? Hier sollte die betriebsärztliche Beratung sowohl die persönliche Situation des Mitarbeiters (Anamnese, familiärer und so-zialer Hintergrund etc.) als auch die Versorgungs- und Kommunikationsmöglichkeiten vor Ort berücksichtigen.

Weiterhin sollte geklärt werden, ob der Mitarbeiter zuzüglich seiner originären Aufgabe weitere Tätigkeiten verrichten soll: Als Beispiel könnte er dem ERT (Emergency Response Team) zugeordnet werden, folglich wird er Atemschutzgeräteträger. Daraus resultiert eine weitere Eignungsuntersuchung. Servicetechniker auf WEAn bedienen den Anlagenkran, um ihre Arbeitsmittel auf die Anlage zu liften. Auf Installationsschiffen werden Heavy Lift Operations durchgeführt; auch diese Krane werden bedient und Lasten sind anzuschlagen, hier sind entsprechend befähigte Mitarbeiter einzusetzen.

Wo genau hält sich der Mitarbeiter offshore auf, wenn er arbeitet, und wo in der Freizeit?

Der Betriebsarzt sollte Kenntnis der Aufent-halts- und Unterbringungssituation vor Ort haben. Die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung offshore sollten betrachtet wer-den, ebenso die psychosozialen Aspekte und andere durch den Aufenthaltsort bestimmte gesundheitsbeeinflussende Faktoren.

Ein Hotelschiff als Unterkunft bedeutet Bewegung im Meer (Cave: Seekrankheit), jedoch auch einen gewissen Komfort mit Einzelkabinen und beispielsweise die Möglichkeit, ein Fitnessstudio zu nutzen sowie eine medizinische Basisversorgung vorzuhal-ten. Diese orientiert sich an der Versorgung von Kauffahrteischiffen. Auf dem Hotelschiff ist zudem Bewegungsfreiheit ohne persön-liche Schutzausrüstung (PSA) gegeben. Kon-taktmöglichkeiten an Land zu Freunden und Familie sind häufig über moderne Kommu-nikationsmedien möglich.

Ein Installationsschiff bedeutet – wenn aufgejackt (auf die Beine gestellt) – eine stabile Position im Meer. Allerdings ist hier mit einem erhöhten Lärm- und Aktivitätspegel auch während der Nacht zu rechnen, da hier Großkomponenten installiert werden. Die Bewegungsfreiheit ist, zumindest an Deck, daher eingeschränkt, jedoch stehen auch hier gewisse Annehmlichkeiten, wie z. B. Fitnessmöglichkeiten zur Verfügung.

Einsatzbasis kann ebenso das Hotel einer Nordseeinsel sein.

Die Plattform auf See kann gleichermaßen Wohn- und Arbeitsstätte sein. Hier werden oft Tätigkeiten verrichtet, die auch auf Landbaustellen anfallen. Der Service ist den Umspannwerken an Land ähnlich, wenn auch hier der Weg zur Arbeit anders aussieht. Die Unterkünfte auf den Plattformen selbst sind oft angenehm geplant und mit Tageslichteinfall versehen. Zusätzliche Wohncontainer können temporär erforderlich werden.

Eine WEA wird, je nach Projektphase und Entfernung zum Land, durch ein Crew Transfer Vessel (CTV) oder einen Helikopter angesteuert, vor kurzem wurden spezielle Einsatzschiffe (SOV = Service Operation Ves-sel) in Betrieb genommen, die bis zu vier Wochen auf See bleiben können und ihren Technikern auch als Wohnstätte dienen.

Welche Tätigkeit wird der Arbeit-nehmer offshore verrichten?

Wird der Mitarbeiter als Installationstechniker von einem Errichterschiff aus arbeiten oder sitzt er im Büro auf einer Umspannplatt-form? Ist er Servicetechniker auf einer WEA und arbeitet in Kleinstteams von zwei bis drei Personen? Hier liegen deutliche Unter-schiede, die es arbeitsmedizinisch zu bewer-ten gilt.

Die Betreuung von Offshore-Windparks stellt somit ein sehr interessantes und vielfälti-ges Aufgabengebiet für Arbeitsmediziner dar. Umfassende Kenntnisse sind also hilfreich, der Aufgabe gerecht zu werden.

    Beispiel 1

    Mitarbeiter auf einer Umspannplattform

    Carsten P. ist Elektrofachkraft und wird zur Inbetriebsetzung der elektrischen Anlagen der Plattform eingesetzt. Er hat sich einer Eignungsuntersuchung nach der Deutschen Leitlinie der AWMF unterzogen und auf seinem Arbeitsweg die entsprechenden vorbereitenden Trainings durchlaufen, hier „SeaSurvival“ und „HUET“ sowie Erste Hilfe.

    Zusätzlich zu seinem eigentlichen Job gehört er dem ERT-Team (Emergency Response Team) an; auch dafür fallen spezielle Trainings an wie Höhenrettung/Retten aus engen Räumen, Advanced Fire Fighting und gegebenenfalls ein erweiter-tes Erste-Hilfe-Training, hier nach DGUV. Nach Gefährdungsbeurteilung ergibt sich damit die zusätzliche Untersuchung auf Eignung zum Tragen von Atemschutz-geräten der Klasse 3.

    Insgesamt umfassen allein die Trainings mehrere Wochen an zeitlichem Aufwand und müssen in festen Abständen aufge-frischt werden.

    Arbeitsbeginn des 14-Tage-Törns von Carsten P. ist am Sammelpunkt, in diesem Falle der Heliport, von dem der Transporthubschrauber zur Plattform abhebt. Hier treffen sich alle Passagiere, die auf den jeweiligen Flug gebucht sind. Es erfolgt die Sicherheitsunterweisung für den Flug und die eingesetzte PSA, den Überlebensanzug und die Rettungsweste. Es bleibt Zeit für einen Kaffee, bis die Unterweisungen beginnen, die PSA wird abgeholt, angezogen und Mann und Gepäck werden gewogen.

    Dann kann der Helikopter bestiegen werden, die Plätze werden zugewiesen, je nach Größe und Gewicht, Gehörschutz ist obligat. Das Gepäck wird verladen. Eine kurze Ansage des Piloten, dann hebt die Maschine ab. Das Flugwetter ist gut, mäßiger Wind, klare Sicht. Die meisten Passagiere dösen vor sich hin, sie kennen den Ausblick. Bald verschwindet das Land und der Heli überfliegt das Meer. Nach etwa 50 Minuten taucht in der Ferne ein gelber Punkt im Meer auf – da ist das Ziel.

    Kurze Zeit später unter Kommunikation von HLO (Helicopter Landing Operator) auf der Plattform und dem Piloten landet der Heli sicher auf dem Helideck, die Passagiere steigen aus, schultern ihr Ge-päck und laufen die Treppen hinunter zum Heliport, dort wird der Überlebensanzug ausgezogen und aufgehängt. Hier wird auch gemustert, wer angekommen ist und wer die Plattform mit dem nächsten Crew Change verlässt. Das ist nicht nur für die Kabinenzuteilung wichtig, im Notfall muss die Anzahl der Personen am Sammelplatz nachgezählt werden.

    In einem geeigneten Raum folgen nun die Einweisungen in die Plattformregelun-gen, Anweisungen zum Aufenthalt, zur Notfallsituation, aber auch zu Essens-zeiten und Hygiene.

    Die Kabinen werden bezogen und je nach Tageszeit ist auch Zeit für eine Mahlzeit.

    Carsten P. besucht anschließend seine Kollegen, um sich zu informieren, wie der Stand der Arbeiten ist. Dabei erfährt er vom Koordinator auch, welche Arbeitspakete für ihn vorgesehen sind. Dabei sind bestimmt Prozeduren etabliert, die es ihm gefahrlos möglich machen, seine Arbeit an elektrischen Anlagen durchzuführen, und es weiß immer jemand, in welchem Bereich der Plattform gearbeitet wird. Ein Kollege ist immer dabei.

    Carsten P. wird nun zwei Wochen off-shore bleiben. Er kennt die meisten Kolle-gen hier, viele treffen sich immer wieder in ihren Törns. Die Küche ist gut und ab-wechslungsreich, auch die Versorgung mit frischem Obst, Salat und Gemüse, aber auch frischem Gebäck ist sehr gut, was zur Stimmung im Team beiträgt.

    Fitness-Möglichkeiten sind vorhanden, es gibt Fernsehräume, teils sind die Kabi-nen mit eigenen Fernsehern ausgestattet. Über moderne Kommunikationsmedien ist der Kontakt zu Freunden und Familie möglich.

    Die Tage sind von Routine geprägt, je-doch werden auch regelmäßig Notfall-trainings und Übungen angesetzt, damit die Teams immer wieder den Ernstfall trainieren können. Auf hoher See muss der Notfall „wie am Schnürchen“ ab-gewickelt werden.

    Nach 14 Tagen tritt Carsten P. den Heimweg an, er freut sich nun darauf, die nächsten 14 Tage mit seiner Familie verbringen zu können.

    Beispiel 2

    Installationstechniker auf einem Installations-schiff

    Lars H. arbeitet als Techniker bei der Er-richtung von Windenergieanlagen. Sein Arbeitsplatz ist das Installationsschiff und die zu errichtende Turbine. Sein Weg zur Arbeitsstätte gleicht dem von Carsten P., jedoch ist die Möglichkeit gegeben, schon im Hafen dem Installationsschiff zuzustei-gen. Dieses läuft regelmäßig den Versor-gungshafen mit der Preassembly Site an, um neues Material/Turbinen zu laden und zu bunkern. Das Einchecken verläuft ähn-lich wie im ersten Beispiel. Auf diesem Wege wird sichergestellt, dass der verantwortliche Kapitän jederzeit über Besatzung und Mannstärke informiert ist.

    Die Installationsarbeiten laufen rund um die Uhr im Zwei-/Dreischichtbetrieb, sofern die Wetterbedingungen dieses zulassen. Lars H. wird der Frühschicht zugeteilt. Das bedeutet frühes Aufstehen, da um sechs Uhr früh die ersten sicherheits- und ar-beitstechnisch relevanten Besprechungen beginnen. Hier erhält er seinen Arbeits-auftrag und alle weiteren wichtigen Informationen sowie die Einteilung der Teams.

    Lars H. wird heute Bolzen ziehen, er wird das erste Turmsegment eines Turbinenturms auf das TP (Transition Piece, Verbindungsteil zwischen Turm und Fundament) montieren. Das bedeutet anspruchsvolle körperliche Arbeit, schwere Lasten, unbequeme Körperhaltung und Lärm, während Lars H. teilweise der Witterung ausgesetzt ist. Millimeterarbeit mit schwebenden Lasten (angeschlagenes Turmsegment) und Teamarbeit ist dabei unerlässlich.

    Stahlturmsegmente werden verschraubt, daher muss Lars H. ca. 140 Stahlbolzen, die 6 kg wiegen können, pro Turm verschrauben. Dazu verwendet er hydraulische Werkzeuge und Materialien, die jeweils ebenfalls bedeutendes Gewicht aufweisen.

    Bei der Verwendung bestimmter Arbeitsmittel (z. B. Schlagschrauber) muss Lars H. aufgrund von Vibrationsbelastung auf eine kurze, zeitlimitiert Anwendung achten und sich mit seinen Kollegen abwechseln; auch hierüber wird er entsprechend informiert.

    Unter idealen Bedingungen kann Lars H. mit seinen Kollegen innerhalb von zehn Stunden eine Windenergieanlage errichten. Je nach Installationsphase und Turbinen-typ können ungünstige Wetterbedingungen und zu viel Wind zu Errichtungsstillstand führen. Diese Zeiten mag Lars H. nicht, weil er mit seiner Arbeit vorankommen möchte und die Zerstreuungsmöglichkeiten an Bord sehr limitiert sind. Hier kann durch Langeweile und lange Wartezeiten (Tage bis zu einer Woche) erhebliches Stress-potenzial generiert werden.

    Lars H. ist nach seiner Zwölf-Stunden-Schicht erschöpft und geht schnell schlafen. Wenn Wetterbedingungen eine Installation nicht zulassen, besucht Lars H. das bord-eigene Fitnessstudio, spielt Billard oder Tischfußball mit den Kollegen oder schaut Videos an. Daher sind alle froh, wenn wie-der gearbeitet werden kann.

    Bei Sturmwarnung wird in der Regel der Hafen angelaufen, hier kann auch nicht nachgeladen werden.

    Auch Lars H. freut sich nach 14 Tagen anspruchsvoller Tätigkeit auf sein Zuhause.

    Weitere Infos

    Verordnung über die Arbeitszeit bei Offshore-Tätigkeiten (Offshore-Arbeitszeitverordnung – Offshore-ArbZV)

    www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/offshore-arbzv/gesamt.pdf

    Autorin

    Eva-Sabine Neuhöfer

    Fachärztin für Arbeitsmedizin und Anästhesie

    FK Rettungsdienst

    Medical Service der Siemens AG

    Lindenplatz 2 – 20099 Hamburg

    eva-sabine.neuhoefer@siemens.com

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