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Chancen und Risiken

Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz

Einführung

Das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) von heute existiert in der jetzigen Form mit wenigen Änderungen bereits seit 1976. Es soll alle Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren im Bundesgebiet vor tätigkeitsbedingten Gesundheitsgefährdungen schützen und richtet sich an diejenigen, die junge Menschen außerschulisch beschäftigen. Arbeit, die zu früh beginnt, zu lange dauert, für junge Menschen zu schwer ist, sie gefährdet oder die für sie ungeeignet ist, ist verboten. Bis auf wenige, genau festgelegte Ausnahmen ist Kinderarbeit generell verboten. Für die Beschäftigung Jugendlicher enthält das Jugendarbeitsschutzgesetz Pflichten der Arbeitgeber, wie die Beurteilung der Arbeitsbedingungen, die menschengerechte Gestaltung der Arbeit und die Einhaltung von Vorschriften über Arbeitszeit und Freizeit. Zudem regelt das Jugendarbeitsschutzgesetz die gesundheitliche Betreuung der Jugendlichen.

Rechtliche Grundlagen

Die gesundheitliche Betreuung Jugendlicher wurde in Deutschland erstmals mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz vom 9. August 1960 eingeführt. In der Neufassung des JArbSchG vom 12.04.1976 wurde der Gesundheits- und Gefahrenschutz für Jugendliche durch besondere Beschäftigungsverbote und -beschränkungen verstärkt sowie durch das Angebot jährlicher Nachuntersuchungen erweitert. Die Regelungen zur gesundheitlichen Betreuung finden sich in den §§ 32 – 46 JArbSchG. Die Kosten für die gesundheitliche Betreuung werden von den Ländern getragen.

Der Arzt, der einen Jugendlichen nach den §§ 32 bis 35 oder nach § 42 des Jugendarbeitsschutzgesetzes untersucht, hat unter Berücksichtigung der Krankheitsvorgeschichte des Jugendlichen auf Grund der Untersuchungen zu beurteilen, ob dessen Gesundheit und Entwicklung durch die Ausführung bestimmter Arbeiten oder durch die Beschäftigung während bestimmter Zeiten gefährdet wird, ob eine außerordentliche Nachuntersuchung oder eine Ergänzungsuntersuchung erforderlich ist oder ob besondere der Gesundheit dienende Maßnahmen nötig sind (§ 37 Jugendarbeitsschutzgesetz).

Vor Aufnahme einer nicht nur kurzzeitigen Tätigkeit ist eine ärztliche Untersuchung der Jugendlichen vorgeschrieben. Zudem müssen sich Jugendliche, die noch nicht 18 Jahre alt sind, ein Jahr nach Beginn der Ausbildung oder Aufnahme der Tätigkeit einer Nachuntersuchung unterziehen und eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vorlegen. Liegt dem Arbeitgeber keine gültige ärztliche Bescheinigung vor, darf er den Jugendlichen nicht beschäftigen. Folgerichtig kann ein Jugendlicher seinen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag nicht erfüllen, wenn er sich nicht untersuchen lässt.

Werden Jugendliche ohne ärztliche Bescheinigung beschäftigt, muss der Arbeitgeber mit einer Geldbuße rechnen. Gleiches gilt, wenn Jugendliche mit Arbeiten beschäftigt werden, die nach ärztlichem Zeugnis als gefährdend angesehen werden. Die in den Ländern für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden achten auf die Einhaltung des Gesetzes. Eine entsprechende Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße von bis zu fünfzehntausend Euro geahndet werden.

Sofern landesrechtliche Regelungen den Verfahrensweg nicht einschränken, gilt für die Jugendlichen die freie Arztwahl. Ursprüngliche Bestrebungen, die Untersuchungen nur durch Arbeitsmediziner durchführen zu lassen, waren im Gesetzgebungsverfahren als nicht realisierbar abgelehnt worden.

Die Jugendarbeitsschutz-Untersuchungsverordnung (ArbSchUV) vom 16.10.1990 regelt die Untersuchungsinhalte bundesweit einheitlich und verweist bezüglich der ärztlichen Vergütung auf landesrechtliche Verfahrensregeln. In den Anlagen der JArbSchUV werden die amtlichen Formulare für die Anamnese (Erhebungsbogen), die Dokumentation des Untersuchungsbefundes (Untersuchungsbogen) und die ärztliche Bescheinigung (ärztliche Mitteilung an den Personensorgeberechtigten/ärztliche Bescheinigung für den Arbeitgeber) detailliert vorgeschrieben.

Die ärztliche Bescheinigung für den Arbeitgeber enthält den Passus: „Aufgrund der Untersuchung halte ich die Gesundheit des Jugendlichen durch die Ausübung nachstehend angekreuzter Arbeiten für vorübergehend oder dauernd gefährdet“ (s. Infokasten 1).

Entsprechende Vermerke auf der Bescheinigung führen unmittelbar zu einem Beschäftigungsverbot mit den oben genannten Konsequenzen für einen potenziellen Arbeitgeber. Insofern werden grundgesetzlich garantierte Rechte1 eingeschränkt.

Wenn für die Beurteilung eine spezielle Diagnostik oder Expertise benötigt wird, können erst- oder nachuntersuchende Ärzte Ergänzungsuntersuchungen bei Ärzten anderer Fachrichtungen veranlassen.

Die Befundunterlagen werden wie andere ärztliche Aufzeichnungen mindestens 10 Jahre aufbewahrt. Die Regeln der ärztlichen Schweigepflicht sind zu beachten.

Leistungsvergütung

Jedem Jugendlichen steht grundsätzlich nur eine Erstuntersuchung zu. Durch landesspezifische Regelungen soll vermieden werden, dass es zu Leistungsausweitungen und Doppelabrechnungen kommt, z.B. durch die Ausgabe von Untersuchungsberechtigungsscheinen und Überweisungen zu Ergänzungsuntersuchungen mit Rahmenauftrag, die mit der jeweiligen Liquidation einzureichen sind.

Zwischen dem Jugendlichen und dem Arzt kommt – mit Zustimmung des rechtlichen Vertreters – ein Arztvertrag privatrechtlicher Natur zustande. Der Honoraranspruch ergibt sich jedoch nicht aus dem Arztvertrag, sondern unmittelbar aus § 44 und ist öffentlich-rechtlicher Natur (Zmarzlik 1985).

Vorbehaltlich landesrechtlicher Regelungen gilt für die Leistungsvergütung die amtliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ, s. „Weitere Infos“). Zu beachten ist jedoch, dass öffentlichen Auftraggebern nur der einfache Gebührensatz in Rechnung gestellt werden kann (s. Infokasten 2).

Für Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz wird die mit 400 Punkten bewertete Nr. 32 GOÄ angesetzt, was einem Gebührensatz von 23,32 € entspricht (s. Infokasten 3)

Zusätzliche diagnostische Leistungen, die im Rahmen von Ergänzungsuntersuchungen nach § 38 JArbSchG durchgeführt werden, werden ebenfalls zum Einfachsatz nach der GOÄ vergütet.

Die Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz sind nach § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit, soweit die Leistungen nicht auf Einstellungsuntersuchungen entfallen (Bundesfinanzhof – BFH, Urteil vom 13.7.06, V R 7/05).

Landesrechtliche Regelungen

Die Umsetzung des JArbSchG ist Ländersache. Grundsätzlich ist das Land zuständig, in dem der Jugendliche wohnt. Es gibt aber Besonderheiten, woraus sich paradoxe Situationen für „Grenzgänger“ ergeben können: Im Land Berlin ist das Bezirksamt zuständig, in dessen Bereich der letzte Schulort des Jugendlichen liegt, in Brandenburg ist es der Wohnort. Brandenburger, die Berliner Schulen besuchen, werden demnach doppelt geführt und für Berliner, die in Brandenburg zur Schule gehen, fühlt sich kein Land zuständig.

Die Ausgabe der Untersuchungsberechtigungsscheine, der vorgeschriebenen Formulare und die Abrechnung der ärztlichen Leistungen sind in jedem Bundesland anders geregelt ( Tabelle 1)

Ärzte können Jugendliche aus anderen Bundesländern untersuchen, müssen für die Leistungsabrechnung aber die Regularien des Herkunftslandes beachten.

Sind die Untersuchungen noch zeitgemäß?

Der Grundgedanke, Jugendlichen vor dem Eintritt in das Berufsleben eine kompetente ärztliche Beratung zukommen zu lassen und sie individuell vor gesundheitlichen Gefährdungen zu schützen, entspricht den Normen und Werten unserer Gesellschaft. Bei Jugendlichen, die in ihrer Kindheit nicht hinreichend ärztlich betreut wurden, kann eine ärztliche Untersuchung zudem Entwicklungsstörungen aufdecken und die Weichen für notwendige Behandlungen stellen. Es leuchtet ein, dass Jugendliche mit Erkrankungen wie z.B. Asthma, Allergien, Ekzemen oder Wirbelsäulendeformitäten in bestimmten Berufen Probleme bekommen können.

Wird aber mit den vorgeschriebenen ärztlichen Untersuchungen tatsächlich erreicht, was damit beabsichtigt ist? Es gibt keine Statistiken zum Erfolg der Untersuchungen. Wie vielen Jugendlichen weitergehende Maßnahmen empfohlen wurden, ist ebenso wenig bekannt wie die Zahl der bescheinigten Beschäftigungsverbote. Über die Abrechnung bei den zuständigen Stellen kann lediglich ermittelt werden, wie viele Untersuchungen stattgefunden haben. Zur Qualität der Untersuchung und der ärztlichen Berufsberatung sind ebenfalls keine aktuellen Erhebungen verfügbar.

Ob eine bestimmte Diagnose die prognostische Aussage zulässt, dass entsprechende berufliche Belastungen zu einem Gesundheitsschaden führen können und ab welchem Schwergrad ein Beschäftigungsverbot gerechtfertigt ist, ist eine schwierige Entscheidung. Hinsichtlich des Katalogs der Tätigkeitsbeschränkungen, die die Untersuchungsverordnung vorgibt (s. Infokasten 1), muss auch schon für Jugendliche, die eine Brille (Sehhilfe) benötigen, eine Beschränkung in der Berufswahl festlegt werden. Der Sinn dieser Festlegung erschließt sich auch bei genauerer Betrachtung nicht wirklich. Durch das ärztliche Votum kann die selbstbestimmte Wahl des zukünftigen Berufes eines Jugendlichen erheblich eingeschränkt werden – zumindest bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Danach sind alle Restriktionen, die sich aus den Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes ergeben, ohnehin gegenstandslos. Abiturienten sind meist gar nicht erst betroffen, weil sie in der Regel schon volljährig die Schule verlassen.

In vielen Bundesländern gilt die freie Arztwahl und der Hausarzt stellt auf Wunsch die notwendige Bescheinigung aus. Davon abgesehen, dass die unterdurchschnittliche Vergütung der Untersuchung vereinzelt beklagt wird, ist vom Hausarzt nicht zu erwarten, dass er streng beurteilt und eine den Interessen des Patienten zuwider laufende Einschränkung verfügt. Die Qualität der ärztlichen Beurteilung ist so kaum zu sichern. Dagegen gab es in Ländern, in denen die Kinder-und Jugendgesundheitsdienste der Gesundheitsämter mit dieser Aufgabe betraut sind, wie z.B. in Brandenburg, schon Beschwerden wegen „amtlicher Eingriffe“ in die Freiheit der Berufswahl.

Politische Bestrebungen, das Jugendarbeitsschutzgesetz und die Untersuchungsverordnung zu novellieren, liegen seit über 10 Jahren auf Eis. In den letzten Jahren sind die grundrechtlich garantierten Freiheiten bei arbeitsmedizinischen Untersuchungen stärker in den Fokus geraten und z.B. mit der Novellierung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (2013) deutlicher klargestellt worden. Angesichts dieser Entwicklungen sollte aus Sicht des Autors auch die Qualität und die Validität der gesundheitlichen Betreuung nach dem JArbSchG überprüft werden.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur

Zmarzlik J: Jugendarbeitsschutzgesetz (Kommentar). 3. Aufl. München: Verlag Franz Vahlen, 1985.

    Info 1

    Arbeiten, die die Gesundheit Jugendlicher gefährden können

    • Arbeiten überwiegend im:
    • Stehen
    • Gehen
    • Sitzen
    • Bücken
    • Hocken
    • Knien 
    • Arbeiten mit häufigem Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel
    • Arbeiten mit erhöhter Absturzgefahr 
    • Arbeiten überwiegend bei:
    • Kälte
    • Hitze
    • Nässe
    • Zugluft
    • starken Temperaturschwankungen
    • Arbeiten unter Einwirkung von
    • Lärm
    • mechanischen Schwingungen/Erschütterungen

    – auf die Hände und Arme

    – auf den ganzen Körper

    • Arbeiten mit besonderer Belastung der Haut 
    • Arbeiten mit besonderer Belastung der Schleimhäute, der Atemwege durch Stäube, Gase, Dämpfe, Rauche 
    • Arbeiten, die
    • volle Sehkraft ohne Sehhilfe,
    • Farbtüchtigkeit erfordern

    Info 2

    § 11 GOÄ: Zahlung durch öffentliche Leistungsträger

    (1) Wenn ein Leistungsträger im Sinne des § 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder ein sonstiger öffentlich-rechtlicher Kostenträger die Zahlung leistet, sind die ärztlichen Leistungen nach den Gebührensätzen des Gebührenverzeichnisses (§ 5 Abs. 1 Satz 2) zu berechnen.

    (2) Absatz 1 findet nur Anwendung, wenn dem Arzt vor der Inanspruchnahme eine von dem die Zahlung Leistenden ausgestellte Bescheinigung vorgelegt wird. In dringenden Fällen kann die Bescheinigung auch nachgereicht werden.

    Info 3

    Nr. 32 GOÄ

    „Untersuchung nach §§ 32 bis 35 und 42 des Jugendarbeitsschutzgesetzes (eingehende, das gewöhnliche Maß übersteigende Untersuchung – einschließlich einfacher Seh-, Hör- und Farbsinnprüfung; Urinuntersuchung auf Eiweiß, Zucker und Erythrozyten; Beratung des Jugendlichen; schriftliche gutachtliche Äußerung; Mitteilung für die Personensorgeberechtigten; Bescheinigung für den Arbeitgeber)“

    Weitere Infos

    Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Februar 1996 (BGBl. I S. 210)

    https://www.gesetze-im-internet.de/go__1982/BJNR015220982.html

    Jugendarbeitsschutzgesetz vom 12. April 1976 (BGBl. I S. 965)

    https://www.gesetze-im-internet.de/jarbschg/

    Jugendarbeitsschutzuntersuchungsverordnung JArbSchUV vom 16. Oktober 1990 (BGBl. I S. 2221)

    https://www.gesetze-im-internet.de/jarbschuv/JArbSchUV.pdf

    autor

    Dr. med. Frank Eberth

    Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit

    Postfach 90 02 36

    14438 Potsdam

    frank.eberth@lavg.brandenburg.de

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