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Eine Bestandsaufnahme aus betriebsärztlicher Sicht

Analyse psychischer Gefährdungen

Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ist kein Randthema mehr, denn 2012 waren in Deutschland psychische Störungen für mehr als 53 Millionen Krankheitstage verantwortlich, so Dr. Ursula von der Leyen noch als Arbeitsministerin 2012. In der Tat hat das Interesse am Thema in den letzten Jahren angesichts steigender Arbeitsunfähigkeitszeiten durch psychische Erkrankungen deut-lich zugenommen.

Obwohl Unternehmen bereits seit dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes vom 7. August 1997 gesetzlich zu Gefährdungsbeurteilungen inklusive der Analyse psychi-scher Belastungen verpflichtet sind, wurden bisher nur wenige Analysen von psychischen Gefährdungen in Betrieben vorgenommen. Als Hinderungsgründe werden hier häufig Unsicherheiten über die zu wählende Vor-gehensweise, eine ablehnende Haltung der Unternehmensführung oder auch Unstimmigkeiten zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung bezüglich des zu wählenden Vorgehens angegeben. Und auch, wenn trotzdem eine Analyse erfolgte, sind häufig keine der empfohlenen Maßnahmen umgesetzt worden.

Arbeitsmedizinische Empfehlungen zur Psychischen Gesundheit im Betrieb

Angesichts der aktuellen Situation mit stei-genden Frühberentungsquoten durch psychi-sche Erkrankungen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereits im Dezember 2011 „Arbeitsmedizinische Empfehlungen zur Psychischen Gesundheit im Betrieb“ durch den Ausschuss für Arbeitsmedizin herausgegeben. Darin werden die für Erhalt und Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz wesentlichen Faktoren zusammengefasst und mit den aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt konfrontiert. Gleichzeitig wird zudem ein praktikables Instrumentarium zur Analyse von psychischen Gefährdungsfaktoren vorgestellt.

Wenn sich bei der Auswertung der im Unternehmen vorliegenden Unterlagen und Daten (z. B. Stellenausschreibungen, Fluktuation, Arbeitsunfähigkeitsquoten) im ers-ten Schritt Hinweise auf psychischen Belastungen der Mitarbeiter ergeben, die eine weitere Analyse und Bewertung erfordern, wird ein strukturiertes Vorgehen empfohlen. Wesentlich ist es zunächst, das Gespräch mit der Unternehmensleitung zu suchen, denn nur gemeinsam mit dieser kann die Analyse der psychischen Gefährdungsfaktoren erfolgreich sein.

Nach der essentiellen Auftragsklärung sollte ein Steuerkreis unter Einbeziehung aller Akteure eingerichtet werden. Die Leitung des Kreises obliegt dem/der Geschäfts-führer/in des Betriebs oder seinem/seiner Stellvertreter/in. Die nächste Aufgabe ist die Auswahl eines geeigneten Analyseinstruments, da es hierfür von gesetzlicher Seite keine Festlegungen gibt. In den Empfehlungen werden lediglich beispielhaft als Instrument der schriftlichen Mitarbeiterbefragung der vielfach bewährte und evaluierte Fragebogen SALSA (Salutogenetische Subjektive Arbeitsanalyse) und als Gruppenmethoden die Arbeitssituationsanalyse nach Nieder sowie die Soft-Analyse genannt.

Erst nach Auswertung und Bekanntgabe der Ergebnisse sollten bei ganz speziellen und schwer zugänglichen Fragestellungen als dritte Stufe arbeitswissenschaftliche Detailanalysen durchgeführt werden, da hier-für im Regelfall ein hoher zeitlicher und per-soneller Aufwand anzunehmen ist.

Analysemethoden

Alle Analysemethoden werden zudem in einer Toolbox der Bundesanstalt für Arbeitsschutz (BAUA) vorgestellt (siehe „Weitere Infos“). Neu erschienen ist 2014 im Erich Schmidt Verlag das von der BAUA herausgegebene, sehr informative Buch „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung“.

Die Analyse psychischer Belastungsfaktoren sollte sorgfältig vorbereitet und durchgeführt werden. Allein die kurze Frage nach dem Befinden erweckt Hoffnungen und Wünsche bei den Mitarbeitern. Werden diese nicht erfüllt, weil keine weitergehenden Maßnahmen zur Behebung der als störend empfundenen Zustände erfolgen, ist es sehr schwierig, zu einem späteren Zeitpunkt daran anzuknüpfen. Viele Mitarbeiter schotten sich bei enttäuschten Erwartungen ab und begeben sich in die so genannte „Innere Emigration“.

Empfehlenswert ist es zunächst, in nur einer „auffälligen“ Abteilung mit der Analyse zu beginnen. Dabei kann es sich beispielsweise um eine Abteilung mit einer hohen Fluktuationsrate handeln. Vor Beginn der Analyse sollten der zeitliche Rahmen und auch die Höhe der Kosten mit der Unternehmensleitung abgesprochen werden. Der Führung sollte auch bekannt sein, dass gegebenenfalls unangenehme Wahrheiten auf den Tisch kommen. Für die erkannten Gefährdungen sollten Maßnahmen gesucht und dann auch durchgeführt werden. Ungünstig und oft nicht zu korrigieren ist es, wenn das Projekt auf halber Strecke abgebrochen wird.

Psychische Belastungen

Erforderlich für die Durchführung der Analyse sind gute Kenntnisse der verwendeten Begrifflichkeit, die auf der DIN ISO 10075 Teil 1 beruhen. Gemäß der Definition sind psychische Belastungen die Gesamtheit der Belastungen, die von außen auf den Menschen einwirken. Diese können sich aus der Arbeitsaufgabe, aus der Arbeitsumgebung, den Arbeitsmitteln, der Arbeitsorganisation oder aus dem Arbeitsplatz selbst ergeben. Es ist zu beachten, dass nicht nur ein problematisches Vorgesetztenverhalten, sondern beispielsweise auch die „Halligkeit“ eines Gruppenbüros in einem neu gebau-ten Verwaltungsgebäude, durch die konzentriertes Arbeiten erschwert wird, durchaus eine psychische Belastung darstellen kann. Hier können nicht nur hörgeminderte Mitarbeiter an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen. (Da das Wort „Belastung“ einen negativen Beigeschmack hat, wird heute stattdessen schon vielfach von „Anforderung“ gesprochen.)

Psychische Beanspruchung

Weiterhin ist es wichtig, zwischen Belastung und Beanspruchung zu unterscheiden. Psychische Beanspruchung ist die unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen je-weiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien. Vor-aussetzungen eines Menschen können da-bei sein:

  1.  1. seine Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erfahrungen, Einstellungen,
  2.  2. sein Gesundheitszustand, körperliche Konstitution, Alter, Geschlecht,
  3.  3. seine individuellen Bewältigungsstrategien.

So erklärt sich, dass das Empfinden einer psychischen Belastung sehr unterschiedlich ist. Die zu ergreifenden Maßnahmen sollten demzufolge auch einem umfassenden Präventionsauftrag folgen und sowohl die persönliche individuelle Ressourcenseite stärken wie auch die Intensität der Belastungsfaktoren minimieren. Kommt beides zusammen, kann die Arbeitsfähigkeit lange erhalten werden, wie Prof. Juhani Ilmarinen, Finnland, mit einer Untersuchung gezeigt hat ( Abb. 1).

Elemente einer guten Präventionspraxis

Abschließend werden in den Empfehlungen des BMAS „Elemente einer guten Präventionspraxis“ zum Erhalt und zur Förderung der psychischen Gesundheit von Beschäftigten auf der Grundlage umfangreicher, interdisziplinärer Forschung vorgestellt.

Der Betriebsarzt ist integraler Bestandteil des Unternehmens und kennt aus einer inneren Sicht dessen Situation. Erfahrene Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit wissen, welche Maßnahmen in einem Unternehmen erfolgreich sein können. Für die Beurteilung psychischer Belastungen und Beanspruchungen sind sie erste Ansprechpartner für die Geschäftsleitung, aber auch für die Mitarbeiter. Wichtig ist zunächst die Klärung der Ziele des Unternehmens und die Festlegung, was mit einer Analyse erreicht werden soll. Erst dann und wenn alle Partner bereit sind, mitzuwirken und die besprochenen Maßnahmen umzusetzen, kann die Analyse beginnen.

Der Betriebsarzt muss den Mut haben, hier seine Erfahrungen und sein Können ein-zubringen. Er erfüllt dann seine gesetzlich festgelegte Aufgabe als Berater des Unternehmens.

Eine Projektierung und damit die Abrechnung der Betreuungsleistungen ist über den betriebsspezifischen Teil der DGUV Vor-schrift 2 möglich und sinnvoll. 

    Weitere Infos

    Autorin

    Dr. med. Jutta Kindel

    Fachärztin Innere Medizin/Arbeitsmedizin

    Berner Weg 16b

    22393 Hamburg

    jutta.kindel@gmx.de

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