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Expositionsberechnungen am Arbeitsplatz

Einleitung

An einer Vielzahl von Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie oder im Handwerk wird mit Chemikalien unterschiedlicher Art und Menge umgegangen. Um die Gesundheitsgefährdung von Arbeitnehmern beim Umgang mit Gefahrstoffen zu minimieren bzw. auszuschließen, ist eine umfassende Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes bzw. der dort durchgeführten Tätigkeiten notwendig. Die Grundlagen dafür sind in verschiedenen gesetzlichen Regelwerken verankert, z.B. §§ 5, 6 Arbeitsschutzgesetz, § 3 Betriebssicherheitsverordnung oder § 6 Gefahrstoffverordnung. Auch die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) setzt eine Gefährdungsbeurteilung voraus, um auf dieser Grundlage „für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen“ (§ 3 ArbMedVV).

Im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung müssen daher neben anderen Gefährdungen wie Lärm oder ergonomischen Aspekten auch Gefahren beurteilt werden, die von den am Arbeitsplatz gehandhabten Gefahrstoffen ausgehen. Dies wurde jüngst auch nochmals in der gemeinsamen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) und des Verbands für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit (VDSI) in den „11 Thesen zur Gefährdungsbeurteilung“ herausgestellt (DGAUM 2018).

Gefährdungsbeurteilung von Chemikalien

Die Grundlagen für eine Gefährdungsbeurteilung beim Umgang mit Gefahrstoffen bilden immer die verfügbaren Daten zu den physikalisch-chemischen Eigenschaften einer Substanz, zur Toxikologie sowie alle verfügbaren Informationen zur möglichen Exposition am Arbeitsplatz. Aufgrund der Beurteilung werden dann adäquate Schutzmaßnahmen getroffen, so dass eine gesundheitsgefährdende Exposition minimiert bzw. ausgeschlossen werden kann.

Für Chemikalien, die nach CLP-Verordnung (CLP = Classification, Labelling and Packaging) eingestuft und mit Gefährlichkeitsmerkmalen versehen sind (EG 2008), ist die gesetzliche Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung in der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) verankert und umfasst Gefährdungen durch Verschlucken (oral), Einatmen (inhalativ), Hautkontakt (dermal) und physikalisch-chemische Wirkungen, z.B. bei Bränden oder Explosionen. Die erforderlichen Ermittlungen und Dokumentationen zur Beurteilung werden in Deutschland in der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 400 ausführlich behandelt (BMAS 2017a).

Bei Chemikalien mit hohem Dampfdruck oder bei Prozessführungen mit erhöhter Temperatur ist die Betrachtung der möglichen Exposition über die Luft am Arbeitsplatz von zentraler Bedeutung. In diesen Fällen beschreibt die TRGS 402 „Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition“etablierte Verfahren zur Abschätzung der äußeren bzw. der inhalativen Exposition (BMAS 2017b).

Als gängiges Verfahren und „Goldstandard“ bei der Ermittlung der inhalativen Exposition am Arbeitsplatz gilt dabei die Messung des Gefahrstoffs in der Luft. Im optimalen Fall wird dabei eine personenbezogene Messung durchgeführt, bei der die Probenahme aus dem Atembereich eines Arbeitnehmers und anschließend eine Gefahrstoffanalyse erfolgen. Um jedoch ein analytisch zuverlässiges und somit messtechnisch aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten, sind verschiedene Voraussetzungen zu erfüllen, die in der TRGS 402 und den relevanten Normen EN 689 und DIN EN 482 näher spezifiziert sind. Dabei handelt es sich vor allem um Vorgaben zur analytischen Qualität der Messverfahren, zur Messstrategie sowie zur fachlichen Qualifikation der ausführenden Personen und zur Akkreditierung. Aufgrund der vielfältigen Voraussetzungen für regelkonforme und aussagefähige Messungen in der Luft am Arbeitsplatz und der notwendigen Ressourcen ist es für viele Arbeitgeber allerdings oftmals nicht möglich, Messungen selbst durchzuführen oder alternativ von externen Dienstleistern durchführen zu lassen.

Berechnung der inhalativen Exposition

Gemäß TRGS 402 lässt sich die inhalative Exposition gegenüber Gefahrstoffen aber auch durch eine so genannte „nichtmesstechnische“ Berechnung mit etablierten mathematischen Modellen ermitteln.

Solche Berechnungen auf der Basis von Expositionsmodellen werden bereits seit Jahren für die Stoffsicherheitsbeurteilung im Rahmen der REACH-Registrierung eingesetzt, um die sichere Verwendung von Chemikalien am Arbeitsplatz nachzuweisen (European Chemicals Agency 2016).

Der wesentliche Vorteil einer Expositionsberechnung gegenüber einer Luftmessung besteht in dem relativ geringen Aufwand für die Berechnung einer Vielzahl möglicher Szenarien durch Änderungen der notwenigen Parameter in den Expositionsmodellen.

Da es jedoch eine Reihe unterschiedlicher Berechnungsmodelle gibt, hängt die Auswahl des richtigen Modells von dem zu bewertenden Gefahrstoff sowie von den Rahmenbedingungen des jeweils zu bewertenden Arbeitsplatzes ab. So benötigen einfachere, so genannte „Tier-1“-Modelle (engl. „tier“ = Stufe, Ebene, Rang; z.B. ECETOC TRA, s. „Weitere Infos“) nur wenige grundlegende Daten, führen in der Regel aber zu konservativeren Expositionsabschätzungen, d.h. die wirkliche Exposition am Arbeitsplatz wird überschätzt. Im Gegensatz dazu erfordern komplexere „Tier-1.5“- oder „Tier-2“-Expositionsmodelle (z.B. Stoffenmanager®, Advanced REACH Tool, s. „Weitere Infos“) neben genaueren Informationen zur Tätigkeit mit der Chemikalie auch detailliertere Angaben zur Situation am Arbeitsplatz. Die Ergebnisse dieser komplexeren Expositionsmodelle bilden die tatsächliche Exposition am Arbeitsplatz jedoch deutlich besser ab als Tier-1-Modelle (u.a. Spinazzè 2017), was auch das Beispiel einer Kesselwagenentleerung verdeutlicht ( Tabelle 1, Abb. 1).

Bewertung der Expositionsberechnungen

Wie bei Messwerten von Chemikalien in der Luft ist auch bei der Expositionsberechnung eine kritische Betrachtung und Prüfung der Daten auf Plausibilität und Validität erforderlich. Durch die teils notwendigen generischen Angaben für die Berechnungsmodelle zeigen besonders die einfachen Modelle Schwächen bei der Abbildung realer Arbeitsplatzbedingungen. Daher kann ein Ergebnis erst nach erfolgter Prüfung für eine Gefährdungsbeurteilung verwendet werden. Die Expositionsmodelle erfordern somit auch ausreichend Kenntnisse und Erfahrung im Arbeitsschutz, um die Grenzen der Berechnungen bei der Bewertung der Ergebnisse adäquat berücksichtigen zu können.

Ausblick

Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung und der technischen Möglichkeiten in der Datengenerierung und -auswertung ergeben sich auch für die Gefährdungsbeurteilung von Chemikalien am Arbeitsplatz neue Möglichkeiten. Modellbasierte Expositionsberechnungen stellen eine hilfreiche Ergänzung für die Bewertung der inhalativen Exposition am Arbeitsplatz dar.

In einem gestuften Ansatz können Expositionsberechnungen zum Beispiel für die zielgerichtete Bewertung der inhalativen Exposition genutzt werden: Wenn die Ergebnisse einfacher Modelle ein mögliches Problem im Bereich der inhalativen Exposition nahelegen, kann die Modellierung mit einem komplexeren Modell verfeinert werden. Erst das Ergebnis der Expositionsmodellierung entscheidet, an welchen Arbeitsplätzen Messungen in der Luft erforderlich sind, um die tatsächlich vorhandene Konzentration eines Gefahrstoffs zu messen. Gerade bei einer größeren Anzahl von Chemikalien und Arbeitsplätzen kann ein gestufter Ansatz dazu beitragen, den Aufwand und die Höhe der notwendigen Ressourcen in Grenzen zu halten.

Interessenkonflikt: Herr Dr. rer. nat. Oliver Henschel und Herr Prof. Dr. Michael Bader sind in der BASF SE tätig und besitzen Aktien des Unternehmens-

Literatur

Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ausschuss für Gefahrstoffe: Technische Regel für Gefahrstoffe 400 – „Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“. BMAS, 2017a.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ausschuss für Gefahrstoffe: Technische Regel für Gefahrstoffe 402 – „Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition“. BMAS, 2017b.

DGAUM, VDSI: 11 Thesen zur Gefährdungsbeurteilung. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 742–744.

European Chemicals Agency (ECHA): Guidance on Information Requirements and Chemical Safety Assessment – Chapter R.14: Occupational ExposureAassessment, 2016.

Europäische Gemeinschaft: Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006.

Spinazzè A et al.: Accuracy evaluation of three modelling tools for occupational exposure assessment. Ann Work Expo Health 2017; 61: 284–298.

    Weitere Infos

    Für die Autoren

    Dr. rer. nat. Oliver Henschel

    PG Cert Occ Hyg

    Industrial Hygiene

    Corporate Health Management

    BASF SE

    H308, 67056 Ludwigshafen

    oliver.henschel@basf.com

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