Betrachtet man den Abschlussbericht zur Dachevaluation der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie der ersten Strategieperiode von 2008 bis 2012, ergeben sich für die öffentliche Verwaltung Spitzenwerte bei den Betrieben mit angemessener sicherheitstechnischer (89 %) bzw. betriebsärztlicher (85 %) Infrastruktur bzw. Betreuung. Dagegen finden sich für den Bereich Erziehung und Unterricht, der erfahrungsgemäß in der Mehrzahl öffentlichen Arbeitgebern bzw. Dienstherren zugeordnet werden kann, mit 67 % (sicherheitstechnische Infrastruktur) bzw. 52 % (betriebsärztliche Betreuung) deutlich schlechtere Betreuungszahlen.
Der öffentliche Dienst ist in Deutschland mit ca. 4 650 000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber. Hiervon sind ca. 50 % der Personen bei den Ländern, ca. 31 % bei den Kommunen, ca. 11 % beim Bund und ca. 8 % bei den Sozialversicherungen einschließlich der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt. Mit ca. 1/5 bzw. ca. 938 000 Beschäftigten findet sich das meiste Personal im öffentlichen Dienst im Bereich der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, gefolgt von Hochschulen (ca. 518 700), Polizei (ca. 311 000) und der Verteidigung (ca. 240 000).
Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und insbesondere die arbeitsmedizinische Betreuung bei diesen „Großunternehmen“ der öffentlichen Hand optimal geregelt sind. Die Praxis zeigt jedoch, dass es hier zum Teil sehr mühsam ist, z. B. betriebsärztliche Strukturen einzurichten und in manchen Bereichen noch Optimierungsbedarf besteht.
Das Ihnen hier vorliegende Oktoberheft von „Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin“ (ASU) greift das Thema „Gesundheitsschutz im öffentlichen Dienst“ auf und präsentiert neben grundsätzlichen Informationen Beispiele einer gelungen Umsetzung, sowohl aus Sicht der Praxis als auch der Wissenschaft.
Einführend werden im Praxisteil von Anke Siefer von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) unter der Überschrift „DEN Öffentlichen Dienst gibt es nicht“ kurz die statistischen Grundlagen des öffentlichen Dienstes dargestellt.
Bei der Betreuung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst ergeben sich häufig Fragen zu den Rahmenbedingungen des Arbeitsschutzes und auch zur rechtlichen Umsetzung. Sieglinde Ludwig von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und Patrick Aligbe nehmen in ihren beiden Artikeln hierzu näher Stellung. Patrick Aligbe geht dabei insbesondere auf die Anwendung der Arbeitsschutzvorschriften (ArbSchG, ArbMedVV, ASiG) für Beamte ein und weist darauf hin, dass diese Rechtsvorschriften selbstverständlich auch für Beamte gelten, jedoch bei deren Umsetzung teilweise Besonderheiten zu beachten sind.
Aus dem Verantwortungsbereich des Bundes werden von Bernhard Stein die Rahmenbedingungen und die Umsetzung der betriebsärztlichen Betreuung für die Bundesverwaltung dargestellt. In seinem Fazit kommt Dr. Stein zu der Einschätzung, dass durch die Einführung eines demografischen Personalmanagements sowie der Weiterentwicklung des betrieblichen Gesundheitsmanagements in der Bundesverwaltung wichtige Grundlagen für gesunde und motivierte Beschäftigte gelegt wurden. Unterstützt werde dies durch eine auf die Anforderungen der Behörden und Betriebe des Bundes angepasste betriebsärztliche Betreuung.
Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gibt es eine große Bandbreite unterschiedlicher Arbeitsplätze mit zum Teil sehr unterschiedlichen beruflichen Belastungen und Beanspruchungen. Durch die weltweiten Einsätze der Bundeswehr sind hier zusätzlich besondere Gegebenheiten zu berücksichtigen. Stefan Sammito et al. gehen in ihrem Beitrag auf die Besonderheiten der betriebsärztlichen Versorgung bei der Bundeswehr näher ein, die sowohl durch hauptamtliche militärische als auch durch zivile arbeitsmedizinische Kolleginnen und Kollegen sichergestellt wird.
An deutschen Hochschulen sind derzeit ca. 2,7 Millionen Studierende eingeschrieben. Im Rahmen des Studiums können – z. B. in Praktika – gesundheitsrelevante Belastungen auftreten. Es stellt sich daher die Frage, ob die Studierenden rechtlich gesehen Beschäftigten gleich zu stellen sind und ob die rechtlichen Vorgaben wie z. B. das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) oder die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) auch auf Studierende anzuwenden sind. Hans Drexler et al. gehen in ihrem Beitrag dieser Frage für den Infektionsschutz von Studierenden der Medizin nach und kommen unter Zugrundelegung der gültigen Rechtsvorgaben zu der ganz klaren Aussage, dass das ArbSchG und die entsprechenden Verordnungen auch bei Studierenden anzuwenden sind. Unter Berücksichtigung von Selbstschutz (ArbMedVV) und Drittschutz ergeben sich hieraus vielfältige Umsetzungsprobleme. Lösungsansätze werden von den Autoren in dem Beitrag zur Diskussion gestellt.
Wie einleitend dargestellt, sind Lehrkräfte an Schulen die größte Beschäftigungsgruppe im öffentlichen Dienst. In Rheinland-Pfalz ist es mit Unterstützung der Landesregierung im Jahr 2011 gelungen, an der Universitätsmedizin Mainz, ein universitäres Institut für Lehrergesundheit (IfL) einzurichten, das die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung der ca. 45 000 staatlichen Lehrkräfte, pädagogischen Fachkräfte und Referendare des Landes übernommen hat. In verschiedenen Beiträgen werden Erfahrungen aus dem IfL präsentiert.
Beobachtungen des IfL zeigen, dass Lärm, abgesehen von psychischen Belastungen, eine Spitzenposition unter den klassischen Belastungsfaktoren an Schulen einnimmt. Klaus Schöne et al. berichten darüber, dass in Abhängigkeit der jeweiligen schulischen Aufgaben Lärmspitzen in Schulen über 85 dB(A) beobachtet werden können. Neben der Lärmbelastung spielt der raumakustische Parameter Nachhallzeit in Unterrichtsräumen eine wichtige Rolle. Je nach Raumnutzungsart können verlängerte Nachhallzeiten zu einer Herabsetzung der Sprachverständlichkeit führen und zu einem generellen Aufschaukeln der Geräuschkulisse im Unterricht beitragen. Hieraus ergeben sich sowohl für Lehrkräfte, als auch für Schüler leistungsbehindernde Rahmenbedingungen.
Dirk-Mathias Rose stellt ein mit den Hauptpersonalräten der einzelnen Schularten und dem Bildungsministerium vereinbartes Verfahren zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) vor, bei dem die Betriebsärzte des IfL federführend mit eingebunden sind. Die Beteiligung des Betriebsarztes führt hier zu einer deutlichen Optimierung des Verfahrens. Ann-Kathrin Jakobs hat hierzu exemplarisch eine Kasuistik zusammengestellt. Von der Autorengruppe um Sabine Darius von der Universität Magdeburg wird eine Sekundärdatenanalyse des Landesschulamts Sachsen-Anhalt zum BEM präsentiert.
Wir hoffen, dass wir mit diesem Themenheft für Sie interessante Artikel zusammengestellt haben und wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre mit vielen Anregungen für Ihre praktische Tätigkeit. Über Rückmeldungen und eine Fachdiskussion zu den einzelnen Beiträgen würden wir uns sehr freuen.
Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel
Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Obere Zahlbacher Str. 67
55131 Mainz