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Grünes Licht für Telemedizin

Mit einer Änderung ihrer Berufsordnung hat die Landesärztekammer Baden-Württemberg im vergangenen Sommer die ärztliche Fernbehandlung ermöglicht. Kammerpräsident Dr. Ulrich Clever gibt sich stolz: „Erstmals in Deutschland gestatten wir, dass ärztliche Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden. In einer Erprobungsphase wird dies im Rahmen von Modellprojekten geschehen.“

Neuregelung der Berufsordnung

Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte die Vertreterversammlung der Landesärztekammer Baden-Württemberg mit überwältigender Mehrheit den Weg für den wegweisenden und bundesweit einmaligen Grundsatzbeschluss freigemacht und die ärztliche Berufsordnung geändert. Die Berufsordnung in Baden-Württemberg gestattet seither Modellversuche zur Fernbehandlung, die zuvor von der Landesärztekammer genehmigt und während der Laufzeit evaluiert werden müssen.

Paragraf 7 Abs. 4 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg bildet seither die Grundlage der beschriebenen Maßnahmen. Er baut auf der bislang bundesweit geltenden Regelung auf: „Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“

In der baden-württembergischen Berufsordnung wurde folgender Satz ergänzt: „Modellprojekte, insbesondere zur Forschung, in denen ärztliche Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden, bedürfen der Genehmigung durch die Landesärztekammer und sind zu evaluieren.“

Fernbehandlung mit Rezept und Krankschreibung

Als eines von zahlreichen denkbaren Modellen schwebt dem Kammerpräsidenten beispielsweise vor, dass baden-württembergische Ärztinnen und Ärzte (außerhalb der Öffnungszeiten von Arztpraxen und unabhängig von Notfallpraxen) von Patienten angerufen werden.

Nach telefonischer Anamnese und Befunderhebung (gegebenenfalls unterstützt durch via Smartphone übertragene Fotos) stellen sie eine Diagnose, führen eine individuelle Beratung durch und leiten die Therapie ein, nötigenfalls auch mit Arzneimittelrezeptierung und Krankschreibung.

Selbstverständlich gehört zu dem Telefonat auch die Aufklärung des Patienten über die besonderen Rahmenbedingen der ausschließlichen Fernbehandlung.

Kriterienkatalog

Inzwischen hat die Führung der Landesärztekammer einen umfangreichen Kriterienkatalog erarbeitet, nach dem potenzielle Bewerbungen beurteilt werden sollen. Dr. Clever erläutert: „Der Kammervorstand hat diese Verfahrensregelungen einstimmig beschlossen. Eine der Bedingungen ist demnach beispielsweise, dass der medizinische Standard auch bei Fernbehandlungen eingehalten werden muss.

Im Hinblick auf die Patientensicherheit müssen die krankheits- und patientenbezogenen Umstände in die Entscheidung über Art und Umfang der Fernbehandlung einbezogen werden. Auch der Datenschutz und die Qualitätssicherung haben für uns höchste Priorität.” Es sei selbstverständlich, dass die Fernbehandlung lediglich eine Ergänzung der bisherigen ärztlichen Berufsausübung sei. Jede Ärztin und jeder Arzt könne für sich frei entscheiden, ob derartige Leistungen angeboten werden.

Paradigmenwechsel

Auch wenn ärztliche Fernbehandlungen und Telemedizin bereits heute deutschlandweit stattfinden, sie sind dabei immer ausschließlich auf „Bestandspatienten“ beschränkt. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg läutet mit ihrer Neuregelung einen Paradigmenwechsel in der ärztlichen Behandlung in Deutschland ein, ist der Kammerpräsident überzeugt. „In anderen Ländern ist das längst Versorgungsrealität. Wir reagieren nicht zuletzt auf die große Nachfrage nach derartigen innovativen Lösungen aus den Reihen unserer Mitglieder. Und auch bei Patienten, in der Politik, bei den Krankenkassen und in der Industrie ist das Interesse an unserem Vorstoß riesig”, sagt Dr. Clever.„Wir sehen in den Modellprojekten vielfältige Chancen für die Zukunft, gerade auch vor dem Hintergrund der Demografie und des technisch Machbaren. Und wir gehen davon aus, dass wir mit unserem Weg auch dem allenthalben spürbaren Ärztemangel ein Stück weit begegnen können“, gibt sich der Kammerpräsident optimistisch.

Problem Arzneimittelgesetz

Problematisch könnten sich dabei unter Umständen Änderungen im Arzneimittelgesetz erweisen. Sie sehen vor, dass Arzneimittel künftig online oder telefonisch nicht verordnet werden dürfen, wenn der Arzt den Patienten nicht kennt. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg befürchtet, dass damit ein wichtiges Element von Fernbehandlung infrage gestellt ist. „Erfahrungen im Ausland zeigen, dass es bei der Telemedizin häufig auch um die Verordnung von Arzneimitteln geht. Doch das Bundesgesundheitsministerium will genau das verbieten lassen. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass die Regelung das ärztliche Berufsrecht flankiere, wonach eine ausschließliche Fernbehandlung nicht zulässig sei”, sagt Dr. Clever. Die Landesärztekammer hat daher die baden-württembergische Landesregierung gebeten, im Bundesrat darauf hinzuwirken, dass § 48 des Arzneimittelgesetzes zur Fernverordnung von Arzneimitteln dahingehend modifiziert wird, dass eine Ausnahmeregelung für (berufsrechtskonforme) Modellversuche zur Fernbehandlung geschaffen wird.

„Sollte der entsprechende Paragraf nicht geändert werden, so wird sich die Bundespolitik vorwerfen lassen müssen, innovative Projekte, die eine Verbesserung der medizinischen Versorgung zum Ziel haben, ohne Not auszubremsen“, betont Dr. Clever. Schließlich sollen durch die Erprobung und wissenschaftliche Evaluation alle denkbaren Aspekte telemedizinischer Anwendungen in Baden-Württemberg einer eingehenden Prüfung unterzogen werden. Die Landesärztekammer strebe dabei auch eine enge Zusammenarbeit mit der Apothekerschaft an, um im Rahmen der Modellprojekte berufsgruppenübergreifend möglichst patientenorientierte Lösungen zu schaffen.

Modellklausel

Nach den Worten von Dr. Clever ist die ärztliche „Fernbehandlung“ derzeit ein viel diskutiertes Thema: „Zwar gibt es in der Ärztlichen Berufsordnung kein ‚Fernbehandlungsverbot‘, doch sind darin klare Regelungen aufgestellt, die Patienten und Ärzte gleichermaßen schützen sollen. Denn bei einer ausschließlich über Telekommunikationsmedien stattfindenden Beratung oder Behandlung besteht die Gefahr, dass entscheidende Fakten gar nicht zur Sprache kommen, was im Einzelfall gravierende Folgen haben könnte“, betont der Kammerpräsident.

Ausgehend von einer Anfrage zur berufsrechtlichen Bewertung der Tätigkeit eines Arztes, der für ein ausländisches Unternehmen (von Baden-Württemberg aus) mittels telemedizinischer Verfahren Patienten berät, hatte sich der Ausschuss Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg eingehend mit der Fernbehandlungsthematik auseinandergesetzt. Dabei wurde erstmals eine Öffnung der Berufsordnung im Sinne einer Modellklausel angeregt. Vor dem Hintergrund der geänderten Berufsordnung wird die Landesärztekammer Baden-Württemberg unter anderem eng mit den ambulant und stationär tätigen Ärztinnen und Ärzten und ihren Verbänden zusammenarbeiten, um Modellversuche zu realisieren.

    Autor

    Dr. med. Oliver Erens

    Tiefer Weg 61

    70599 Stuttgart

    olivererens@gmail.com