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Human-Resources- und Gesundheitsmanagement in der Arbeit 4.0

Hintergrund

Internet of Things, Big Data, Cyber-Physical-Systems und Cloud-Computing sind nur einige von vielen Schlagworten, die eine neue digitale Ära in der Arbeitswelt ausrufen. Auch wenn es in vielen Unternehmen bereits Bestrebungen gibt, diese Technologien in Geschäftsmodelle und Arbeitsabläufe zu integrieren, so bleibt die Realität, insbesondere für KMU, eine andere. Große Unternehmen sind in der Lage, Investitionen entschlossen voranzutreiben und digitale Technologien flächendeckend einzusetzen. KMU hingegen sind häufig verunsichert, inwiefern die digitale Transformation sie tatsächlich betrifft und welche Innovationen im Unternehmen umsetzbar sind (Bitkom 2016).

Darüber hinaus ist es weitgehend unklar, welche tatsächlichen Auswirkungen der Einsatz innovativer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) auf die Gesundheit der Mitarbeiter hat. Unbestritten ist wiederum, dass sich die Anforderungen an Fach- und Führungskräfte verändert haben. Neue Präventionsstrategien in Reaktion auf den digitalen und demografischen Wandel sind dringend erforderlich. Die tiefgreifenden Veränderungen werfen die Frage auf, welche Bedarfe und Erfordernisse für KMU charakteristisch sind, wenn es darum geht, konkrete Maßnahmen abzuleiten.

Die Interviewstudie

Um Antworten auf diese Frage zu finden, wurden im Rahmen einer Interviewstudie 88 Geschäftsführer, Human-Resources (HR)-Manager und weitere Experten aus 62 KMU befragt. Die Studie wurde im Zuge des Forschungsprojekts MEgA, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), durchgeführt (s. Infobox). Ziel der Interviews war es, die spezifischen Bedarfe im HR- und Gesundheitsmanagement der KMU zu ermitteln.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Etablierung einer präventiven, gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung als notwendig angesehen wird. Darüber hinaus beklagen viele der KMU-Experten fehlendes Interesse sowie fehlende Motivation der Belegschaft, sich an Qualifizierungs- und an gesundheitsförderlichen Maßnahmen zu beteiligen. Auch die Gewinnung von Fachkräften bleibt vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ein vorrangiger Bedarf. Die Digitalisierung wiederum erzeugt den Wunsch nach Qualifizierung sowie nach einem gesundheitsförderlichen Einsatz digitaler Technologien.

Verunsicherung durch Industrie 4.0 und Digitalisierung

Im Zuge der Interviews zeigte sich, dass KMU oft nicht wissen, wie sie den digitalen Wandel realisieren und gestalten sollen. Insbesondere im Bereich Industrie 4.0 äußerten die Experten selten Bedarf. Dies ist jedoch kein Indiz dafür, dass KMU in diesem Bereich kein Innovationspotenzial sehen. Vielmehr lässt sich daran die Ratlosigkeit ablesen, die KMU an den Tag legen, wenn das Thema Industrie 4.0 zur Sprache kommt. Wenn vereinzelt Bedarfe genannt werden, dann beziehen sich diese zumeist auf fehlendes Know-how, vor allem im Bereich der Datenerfassung und -vernetzung, sowie auf geringe personelle und finanzielle Ressourcen.

„… um die Prozess- und die Produktionstechnik ersetzen zu können, um komplex und digital zu sein, dafür muss man viel Geld in die Hand nehmen. Da braucht man schon Substanz im Geschäft, um dort Investitionen zu tätigen. Das ist immer die größte Herausforderung.“ (Geschäftsführer)

Ganz anders sieht die Bedarfslage aus, wenn die KMU allgemeiner nach Umsetzungshindernissen im Bereich der Digitalisierung gefragt werden: Häufig berichten die KMU-Experten von einer Informationsflut, von einer skeptischen Haltung der Belegschaft gegenüber Digitalisierungsbestrebungen sowie von der Problematik der ständigen Erreichbarkeit durch IKT. Des Weiteren stehen die Verantwortlichen in KMU der Herausforderung gegenüber, unterschiedliche Generationen auf neue digitale Technologien vorzubereiten. Insbesondere ältere Mitarbeiter sind skeptisch gegenüber der Einführung dieser Technologien oder lehnen sie gar ab.

„Wir haben eine Gruppe, die hat noch nicht mal einen PC zu Hause. Das sind vor allem die älteren Mitarbeiter in der Produktion. Zudem ist es so, dass diese Gruppe noch nicht einmal eine firmeneigene Emailadresse hat. Die Kommunikation läuft komplett im Papierformat.“ (Geschäftsführer)

HR-Management im Fokus

Was die breite Bedarfslage im Bereich der Digitalisierung schon andeutet, verstärkt sich noch einmal, wenn die KMU-Experten nach Erfordernissen im HR-Bereich gefragt werden. Hier erzeugt die Personalgewinnung und -planung die dringlichsten Bedarfe. Im Zuge des demografischen Wandels wird es für KMU immer schwieriger, qualifizierte und bezahlbare Fach- und Führungskräfte zu akquirieren. Schuld daran sind nicht nur die Gehälter, die im Vergleich zu Großunternehmen in der Regel geringer ausfallen, sondern auch häufig ein wenig ausgefeiltes Employer Branding. Hinzu kommt, dass viele hochqualifizierte Mitarbeiter in KMU von Großunternehmen abgeworben werden.

„Man muss das schon mögen, in einem kleinen Unternehmen für weniger Geld zu arbeiten. Wir können jetzt keine Gelder zahlen wie ein Großunternehmen. Ich kann keine Kantine bieten, ich kann keine attraktive Altersvorsorge bieten. Also, da gibt es ganz viele Dinge, die ich gar nicht anbieten kann, selbst wenn ich wollte.“ (Geschäftsführer)

Neben der Personalgewinnung und -planung wird der Qualifizierung ein hoher Stellenwert beigemessen. Insbesondere in den Themengebieten digitale Technologien und Daten fehlt es vielen KMU an geeigneten Qualifizierungsmaßnahmen, die sowohl für ältere als auch für junge Mitarbeiter adäquat einsetzbar sind.

„Wir brauchen Schulungen, um auch ältere Mitarbeiter mitzunehmen. Ältere Mitarbeiter haben oft Schwierigkeiten, sich zügig auf neue Softwareprogramme einzustellen.“ (HR-Managerin)

Dazu stellen viele KMU-Vertreter fest, dass die Belegschaft oft kein Interesse an Qualifizierungsmaßnahmen zeigt. Insbesondere im gewerblichen Bereich lehnen Mitarbeiter notwendige Qualifizierungsmaßnahmen oftmals kategorisch ab. Dadurch dass die Digitalisierung mit einem enormen Qualifizierungsbedarf einhergeht, stellt die fehlende Motivation der Mitarbeiter aus Sicht der KMU-Experten ein zunehmendes Innovationshemmnis dar.

„Bei den 20- bis 30-Jährigen ist es so, dass die Freizeit im Vordergrund steht. Viele möchten keinen Aufwand betreiben, um eine Zusatzqualifikation zu erlangen. Das ist natürlich nicht bei allen der Fall. Aber bei einem Großteil ist das so, was ich sehr schade finde. Weil wir Potenzial verlieren.“ (HR-Managerin)

Darüber hinaus nannten die KMU-Experten, dass ihnen ganzheitliche Konzepte der flexiblen Arbeitsgestaltung fehlen. Viele sind sich beispielsweise unsicher, wie sie die Work-Life-Balance der Führungskräfte und Mitarbeiter verbessern sollen, so dass negative Beanspruchungsfolgen wie Burnout oder Stress vermieden werden.

„Mit den Smartphones sind meine ganzen Führungskräfte permanent erreichbar. Und jetzt muss ich dazu sagen, manchmal finde ich es nicht mehr schön, weil mein Handy klingelt auch abends um 22:00 Uhr noch. Und so geht es allen Führungskräften. Und ich merke auch, dass die Führungskräfte ganz oft nicht wissen, wann eigentlich Schluss ist!“ (Geschäftsführer)

Sorgenkind Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)

Dringliche Bedarfe sehen die KMU-Experten jedoch nicht nur im HR-Management, sondern gleichermaßen im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung bzw. im BGM ( Abb. 1).

Den größten Verbesserungsbedarf registrieren die KMU-Vertreter hinsichtlich einer gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung und -organisation. Vor allem die Informationsflut, der wachsende Termindruck sowie die Problematik der ständigen Erreichbarkeit werden als Gesundheitsrisiko wahrgenommen. Insbesondere im Hinblick auf die ständige Erreichbarkeit wünschen sich viele KMU klare und verbindliche Regelungen. Dies scheitert jedoch häufig an den Geschäftsbeziehungen, die KMU zu Großunternehmen pflegen. In der Regel erwarten diese nicht nur ständige Erreichbarkeit, sondern auch, dass KMU ihre Geschäftsprozesse fortlaufend digitalisieren. Dadurch sehen sich KMU gezwungen, in teure Technologien zu investieren.

„Die Industrie möchte immer ständige Erreichbarkeit. 24 Stunden. Das sind diejenigen, die in der Lieferkette über uns sind. Die sind es, die diese ständige Erreichbarkeit fordern, die wir auch unterschreiben müssen.“ (HR-Managerin)

Ein weiterer wesentlicher Bedarf in KMU ist die Einführung eines ganzheitlichen BGM-Konzepts. Ein Großteil der KMU bietet zwar vereinzelt Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung an. Allerdings fehlt ein konkreter Plan, diese Maßnahmen zu bündeln und in eine systematische BGM-Strategie zu übersetzen.

„Außer dem betrieblichen Eingliederungsmanagement und diesen regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen findet bei uns nichts statt. So vereinzelt machen wir mal eine Veranstaltung. Das mit dem Rückenmobil zum Beispiel. Aber da fehlt so ein bisschen das Konzept dahinter.“ (HR-Manager)

Allem Anschein nach haben die interviewten KMU-Vertreter auch große Schwierigkeiten, ihre Belegschaft für Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu motivieren. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen dem administrativen und dem gewerblichen Personal. Während sich die administrativen oft an gesundheitsförderlichen Aktivitäten im Betrieb beteiligen, lehnen die gewerblichen Mitarbeiter solche Maßnahmen in vielen Fällen ab.

„Bei denen Mitarbeitern, die schwere körperliche Arbeit verrichten, ist es einfach schwierig. Und wenn sie denen erklären wollen: Macht mal zwischendurch Gymnastik, dann würden die mich fragen, ob ich den Verstand verloren hätte. Also das ist extrem schwierig. Das sind unsere Hauptproblemfaktoren.“ (HR-Managerin)

Darüber hinaus kommt bei den KMU-Experten der Wunsch zum Ausdruck, dass alle Führungskräfte im Unternehmen bei der Umsetzung eines BGM-Konzepts eine Vorbildrolle einnehmen. Bisher sehen viele Führungskräfte jedoch nicht den direkten Nutzen eines BGM, da die Kosten der Einführung höher eingeschätzt werden als der voraussichtliche Nutzen.

„Ich würde mir wünschen, dass sich unsere Führungskräfte der Verantwortung bewusst werden und dass sie im BGM auch einen gestaltenden Teil übernehmen. Die Impulse können nicht nur von der Personalabteilung kommen, sondern die Führungskräfte müssen Verantwortung übernehmen. Da haben wir noch Nachholbedarf.“ (HR-Managerin)

Abbildung 1 zeigt zudem, dass neben den eben dargestellten Problemfeldern auch die Suche nach konkreten, auf das jeweilige Unternehmen abgestimmten Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und die knappen personellen und finanziellen Ressourcen für ein BGM große Schwierigkeiten erzeugen. Des Weiteren beklagen die KMU-Experten, dass nur wenig zwischenbetriebliche Gesundheitsnetzwerke existieren, in denen man sich über BGM-Fragen austauschen kann. Einige äußerten darüber hinaus den Wunsch so genannte Präventionsallianzen mit anderen KMU zu schließen, um die Kosten für gesundheitsförderliche Maßnahmen zu verringern. Schließlich berichten einige KMU-Vertreter auch von einer schlechten Zusammenarbeit mit externen Anbietern, insbesondere mit Krankenkassen, was wiederum die Etablierung eines BGMs erschwert.

Fazit

Die Liste der Bedarfe und Erfordernisse des HR- und Gesundheitsmanagement in KMU ist lang. Die digitale Transformation, neue Qualifizierungsanforderungen, die Gesunderhaltung der Belegschaft sowie die demografische Entwicklung stellen KMU vor vielfältige Aufgaben. Knappe finanzielle und personelle Ressourcen sowie die Bewältigung des Tagesgeschäfts stehen einem systematischen Ansatz zur Förderung von Gesundheit und Kompetenz entgegen.

Mit dem Projekt „Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen“ (MEgA) entwickelt die Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Heidelberg unter der Leitung von Prof. Sonntag ein nachhaltiges Konzept für ein modernes HR- und Gesundheitsmanagement in KMU, das die Anforderungen des digitalen Wandels in den Vordergrund rückt. Mit den Erkenntnissen aus den beteiligten Verbundprojekten werden bedarfsgerechte und praxiserprobte Maßnahmen und Instrumente entwickelt, die für das HR- und Gesundheitsmanagement passend und effektiv einsetzbar sind.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Bitkom: Bitkom Digital Office Index. Eine Untersuchung zum Stand der Digitalisierung in deutschen Unternehmen. Berlin: Bitkom Research GmbH, 2016.

Sonntag Kh, Seiferling N: Potenziale älterer Erwerbstätiger – Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen. Göttingen: Hogrefe, 2017.

Sonntag Kh: Personalentwicklung in Organisationen. 4. Aufl. Göttingen: Hogrefe, 2016.

Sonntag Kh, Stegmaier R, Spellenberg U (Hrsg.): Arbeit – Gesundheit – Erfolg. Betriebliches Gesundheitsmanagement auf dem Prüfstand: Das Projekt BIG. 2. Aufl. Kröning: Asanger, 2015

Sonntag Kh (Hrsg.): Arbeit und Privatleben harmonisieren. Life Balance Forschung und Unternehmenskultur: das WLB-Projekt. Kröning: Asanger, 2014.

    Info

    Das Projekt MEgA: Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen

    Die Interview-Studie wurde an der Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Heidelberg im Rahmen des BMBF-Forschungsprojekts MEgA („Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen“) durchgeführt. Das Projekt MEgA (Leitung: Prof. Dr. Karlheinz Sonntag) ist das wissenschaftliche Begleitvorhaben des vom BMBF initiierten Förderschwerpunkts „Präventive Maßnahmen für die sichere und gesunde Arbeit von morgen“. Im Rahmen von MEgA werden bundesweit 30 Verbundprojekte mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft begleitet, um Instrumente und Methoden für ein präventives Personal- und Gesundheitsmanagement zu entwickeln. Dabei geht es unter anderem um innovative Assistenzsysteme und Apps, um die Analyse psychischer Belastungen am Arbeitsplatz, um neue Ansätze der Mensch-Roboter-Kollaboration und den Aspekt Gesundheit im Pflege- und Dienstleistungssektor. Ein Anliegen des Förderschwerpunkts ist es, Unterstützungsmöglichkeiten insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen zu schaffen.

    Projektlaufzeit: November 2015 bis April 2019.

    Info

    MEgA auf der A+A Messe in Düsseldorf vom 17. bis 20. Oktober 2017

    Der BMBF-Förderschwerpunkt „Präventive Maßnahmen für die sichere und gesunde Arbeit von morgen“ wird sich auf der A+A Messe vom 17. bis 20. Oktober 2017 in Düsseldorf vorstellen. Gemeinsam mit den beteiligten Verbundprojekten wird das Projekt MEgA am Stand 10E50 in Halle 10 erste Ergebnisse und Produkte aus dem BMBF-Förderschwerpunkt präsentieren. Interessierte Fachbesucher sind eingeladen, sich insbesondere zu den Themenschwerpunkten HR- und Gesundheitsmanagement – auch in KMU, innovative Arbeitsgestaltung und Assistenzsysteme sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz im Pflegesektor zu informieren.

    Weitere Infos

    BMBF Förderschwerpunkt „Präventive Maßnahmen für die sichere und gesunde Arbeit von morgen“

    www.gesundearbeit-mega.de

    Forschungsbericht Interviewstudie

    www.gesundearbeit-mega.de/mediathek/publikationen

    Für die Autoren

    Dr. rer. pol. Philipp Lechleiter

    Universität Heidelberg

    Arbeits- und Organisationspsychologie

    Hauptstraße 47

    69117 Heidelberg

    philipp.lechleiter@psychologie.uni-heidelberg.de

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