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Psychische Belastung und Beanspruchung am Arbeitsplatz

Die Psyche rückt immer stärker in den Fokus

In Forschung und Wissenschaft rücken psychische Belastungen am Arbeitsplatz in den letzten Jahren zunehmend in den Mittelpunkt. Wenn beispielsweise für einen schnellen Überblick bezüglich der Veränderung psychischer Gesundheitsthemen bei der Meta-Datenbank „PubMed“ die Begriffe „work“, „mental“ und „stress“ oder „health“ eingegeben wird, zeigt sich auch hier eine stetig anwachsende Anzahl an Forschungsbeiträgen ( Abb. 1).

Auch die Praxis (Arbeitgeber, Unternehmen, Wirtschaft) verstärkt ihren Blick auf die psychische Gesundheit zunehmend, sei es durch eine intensivere Auseinandersetzung mit diesen Inhalten oder eine gewandelte Betrachtungsweise bezüglich kausaler und themenübergreifender Zusammenhänge.

Das Interesse an psychischen Belangen von Beschäftigten hat verschiedene Ursachen: Durch den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft wird körperliche Arbeit immer mehr durch geistige Tätigkeiten ersetzt. Während in den 70er Jahren etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor beschäftigt war, waren es im Jahr 2017 bereits über 75 % (Statistisches Bundesamt 2018). Gleichzeitig sind in den letzten Jahren psychische Erkrankungen konstant angestiegen. So meldet z.B. der DAK-Gesundheitsreport (Storm 2018) für das Jahr 2017 durchschnittlich 249,9 Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) bzw. 7 AU-Fälle je 100 Versicherte. Zum Vergleich waren es im Jahr 2000 nur 110 AU-Tage bzw. 3,6 AU-Fälle je 100 Versicherte. Ähnliche Daten werden auch von anderen Krankenkassen gemeldet.

Im Zuge dieser gesellschaftlichen Entwicklungen handelte auch der Gesetzgeber, indem die Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit im Arbeitsschutzgesetz (1996) aufgegriffen wurde. Mit der Erweiterung des Arbeitsschutzgesetzes im Jahr 2013 wurden psychische Belastungen schließlich als relevante Gefährdungen am Arbeitsplatz genannt.

Bewertung dieser Zunahme

Inwiefern psychische Störungen tatsächlich gestiegen sind, diskutierte Jacobi bereits 2009. Dabei geht er nicht von einer alleinigen Zunahme psychischer Störungen aus, sondern vielmehr von einer veränderten Sensibilisierung und einer damit einhergehenden statistischen Erhöhung. In dem Zusammenhang spricht der Autor von einer Zunahme aufgrund einer eher statistischen Verzerrung (Jacobi 2009).

Am Beispiel Burnout lässt sich wiederum erkennen, dass Auswirkungen psychischer Belastungen zwar schon länger beobachtet und erforscht werden, aber zunehmend in den Fokus der Wahrnehmung rückten: Bereits in den 1970er Jahren begann Freudenberger hierüber zu berichten und zu forschen (Freudenberger 1974). In den 1990er Jahren war es ein Zustand, der vor allem bei Arbeitnehmern beobachtet wurde, deren Tätigkeit aus Arbeit mit Menschen bestand (z.B. Pflegeberufe; Maslach et al. 1997). Ungefähr ab 2007 wurde der Begriff stark in den Berufsebenen der Manager verwendet (Stock-Homburg et al. 2008) und mittlerweile wird der Begriff des Burnout allgemein in der Gesellschaft teilweise leichtfertig und überschnell genannt (Kaschka et al. 2011).

Psychische Belastungen und Beanspruchungen im Zusammenhang mit Arbeit sind also nicht neuartig. Dennoch erfuhren sie sicherlich nicht nur eine statistische Zunahme aufgrund von Entstigmatisierungen – allein die Tatsache, dass eine Entstigmatisierung überhaupt geschah, zeigt bereits eine erhöhte Relevanz der Thematik und eine sensiblere Wahrnehmung –, sondern nahmen im Rahmen von veränderten Arbeitsbedingungen tatsächlich auch zu. Beschleunigte Arbeitsprozesse, Arbeitsverdichtung, veränderte Arbeitskulturen und -welten spielen hier sicherlich eine große Rolle. Auch die Digitalisierung der Arbeit, die die Arbeitsbedingungen zusätzlich mitverändert und weiterhin verändern wird, hat Einfluss auf psychische Belastungen und Beanspruchungen und somit auf die (psychische) Gesundheit. So werden beispielsweise durch die Digitalisierung eine ständige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit zunehmend möglich. Verschmelzungen von Arbeit und Privatleben und ein „Nicht-mehr-Abschalten“ nehmen zu. Allerdings birgt dieser Wandel der Arbeit auch Chancen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in sich, und es bedarf weiterer Analysen und Forschung, ab wann und wodurch die Chance zum Risiko wird.

Forschung am IPASUM

Eine Entwicklung im Umgang mit psychischen Belastungen und Beanspruchungen lässt sich auch bei der Betrachtung von Fragebogeninstrumenten für Mitarbeiterbefragungen erkennen. Diese beinhalteten vor 10 Jahren zwar auch bereits Items zum psychischen Wohlbefinden, diese waren in Umfang und Gewichtung allerdings deutlich geringer als heutzutage.

Neben dieser deutlichen Zunahme an psychischen Items innerhalb der Fragebögen ist zudem eine Veränderung im Umgang mit Ergebnissen geschehen: Themenbereiche wie beispielsweise Arbeitsorganisationsprozesse, kollegiales Miteinander und Führungskultur, die zunächst wie voneinander unabhängige Bereiche klingen, werden zunehmend mit dem psychischen Wohlbefinden in Zusammenhang gebracht. Auch andere Themenfelder wie Arbeitsplatzausstattungen oder physische Arbeitsplatzmerkmale werden zunehmend in Zusammenhang mit Ergebnissen der psychischen Belastungen gesetzt.

Sowohl die thematische Ausrichtung und Gewichtung von Fragebogeninstrumenten als auch die Interpretation der daraus resultierenden Ergebnisse hat sich also deutlich in Richtung psychische Gesundheit und Belastung weiterentwickelt.

Genau diese Notwendigkeit haben auch Arbeitgeber erkannt. Generell existiert seit einigen Jahren – nicht nur aufgrund der gesetzlichen Nachjustierung des Arbeitsschutzgesetzes von 2013 (ArbSchG § 5) – ein erhöhtes Interesse an Mitarbeiterbefragungen mit einem detaillierteren Anteil zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz. Eine entsprechende Ausdehnung der Fragebogeninhalte auf Items zur psychischen Belastung und Beanspruchung ist deutlich merkbar. Auch die stärkere Involvierung unterschiedlicher Stakeholder wie Mitarbeitervertretung, Personalverantwortliche, Fachkraft für Arbeitssicherheit etc. nahm zu. Der Betriebsarzt hingegen wird jedoch, vor allem wenn er über einen externen Dienstleister angestellt ist, sehr wenig eingebunden, wobei gerade dieser spätestens bei der Interpretation der Ergebnisse und einer eventuellen Ableitung von gesundheitsförderlichen Maßnahmen seine fachliche Expertise einbinden könnte (Fischmann et al. 2018).

Am Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (IPASUM) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg werden seit 2005 Forschungsprojekte unter anderem zur gesundheitlichen Situation am Arbeitsplatz im Allgemeinen und innerhalb dessen zur psychischen Gesundheit im Speziellen durchgeführt. Im Rahmen dieser Studien wurden vorwiegend in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Mitarbeiterbefragungen zu physischen und psychischen Belastungen durchgeführt. Die Anzahl und Ausdifferenzierung der Items zu psychischen Belastungen nahmen stetig zu, sowohl aus Gründen der Forschungs- und Gesetzgebungsrelevanz als auch aufgrund von Interessenslagen der an den Forschungsprojekten teilnehmenden Unternehmen.

Seit Beginn dieser Studien im Jahr 2005 wird ein Fragenkomplex eingesetzt, der verschiedene Belastungen/Beanspruchungen in Bezug auf die Arbeit abfragt ( Tabelle 1). Die deskriptive Auswertung dieser Fragen durch den subjektiven Blickwinkel der Beschäftigten soll näherungsweise einen Vergleichswert zu den eingangs erwähnten statistischen Daten liefern.

Die Ergebnisse in  Abb. 2 zeigen die Veränderungen der Items zwischen den Jahren 2005 und 2017 über alle Unternehmen (branchenübergreifend, vorwiegend KMU aus Bayern), bei denen diese Frage gestellt wurde. Die Darstellung gibt den Anteil der aufsummierten Werte der Antwortkategorien „ca. 1-mal pro Woche“, „mehrmals pro Woche“ und „täglich“ wieder.

Eine Zunahme psychischer Belastungen bzw. Beanspruchungen lässt sich anhand dieser Auswertung nicht im vermuteten Maß bestätigen. Zwar sind alle Werte seit dem Jahr 2010 angestiegen, unterliegen aber deutlichen Schwankungen. Dabei bildet „Zeitdruck“ als psychische Belastung durchgehend den meistgenannten Faktor. Der höchste Wert wurde mit 79,8 % der Angaben für das Jahr 2010 ermittelt. Im Verlauf über die abgebildeten Jahre liegt der Mittelwert für die Ausprägungen „mehrmals pro Woche“ bis „täglich“ bei 62 %. Ebenfalls relativ stabil an zweiter bzw. dritter Stelle wurden „nervlich angespannt“ und „erschöpft/müde“ genannt. Hier erfolgte teilweise eine Verschiebung in der Häufigkeit der Nennungen, in deren Folge „erschöpft/müde“ seit 2011 mit „nervlich angespannt“ gleichauf liegt. Mit 49,3 % (nervlich angespannt) resp. 47,4 % (erschöpft/müde) im Jahr 2017 meldet knapp die Hälfte der Befragten einmal pro Woche oder häufiger diese Beanspruchungen. Ähnlich verhält es sich für die Items „unkonzentriert“ und „frustriert/demotiviert“, die im Jahr 2010 deutlich angestiegen sind und 2017 von jeweils gut einem Drittel der Befragten angegeben wurden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich abgesehen von dem Belastungsfaktor „Zeitdruck“ alle Beanspruchungsfaktoren leicht erhöht haben.

Um zu ermitteln, ob sich die Bereitschaft der Beschäftigten, auf die Psyche bezogene Fragen zu beantworten, verändert hat, wurde die zusätzliche Antwortoption „keine Angabe“ ausgewertet. Hier ergaben sich keine systematischen Veränderungen. Ebenso hat sich das Geschlechterverhältnis über die Zeit innerhalb der jeweiligen Items nicht signifikant verändert.

Die Fragestellung, ob psychische Belastungen zunahmen, ist für sich allein allerdings nicht zielführend. Stattdessen sind die Wirkzusammenhänge zwischen veränderten Arbeitsbedingungen sowie psychischer und physischer Gesundheit mit zu betrachten.

Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Digitalisierung der Arbeit und die damit verbundene erweiterte Erreichbarkeit und Verfügbarkeit in Arbeits- und Freizeit. In einer weiteren Studie am IPASUM, die sich unter anderem mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung der Arbeit befasst, wurde daher der Fragestellung nachgegangen, inwieweit der vermehrte Einsatz digitaler Kommunikationsmedien und Informationstechnologie, die eine ständige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit der Mitarbeiter über die normale Arbeitszeit hinaus ermöglichen, zur Beanspruchung führt. Hierfür wurden in 11 KMU und 6 Kommunen mittels fragebogenbasierter Mitarbeiterbefragungen Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen erweitert um die Themenbereiche Erreichbarkeit und Verfügbarkeit durchgeführt. Von den befragten Personen (n=1399) gaben 56,3 % (n=788) an, dass in der Arbeitszeit eine kurzfristige Verfügbarkeit erwartet wird, in der Freizeit hingegen nur 13,4 % (n=188), wobei es zu kleinen Unterschieden zwischen den Gruppen Vorgesetzte, Kollegen und Kunden kam. Auf die Frage, ob die Verfügbarkeit zu einer Beanspruchung führt, antworteten bezogen auf die Freizeit 13 % (n=71) mit „ja“ und 14 % (n=78) mit „nein“ ( Abb. 3).

Im Bezug auf die Arbeitszeit gaben 39 % (n=317) eine Beanspruchung an, während 43 % (n=346) keine Beanspruchung angaben ( Abb. 4). Die Gruppengrößen von gefühlter Beanspruchung und ohne Beanspruchung sind somit bei Freizeit und Arbeitszeit jeweils nahezu gleichgroß. Es scheint bezüglich Erreichbarkeit und Verfügbarkeit also sowohl Gruppen von Arbeitnehmern zu geben, die gut damit umgehen können, als auch diejenigen, für die die Belastung zur Beanspruchung wird.

In einem weiteren Schritt wurde analysiert, inwiefern diese Beanspruchung auch im Zusammenhang mit psychischen Belastungen bzw. Beanspruchungen der bereits oben ausgewerteten Frage stehen. Allerdings kann man hier keine einheitlichen Gruppeneffekte zwischen Beanspruchten vs. Nicht-Beanspruchten erkennen. Stattdessen sind Unterschiede in den Häufigkeitsentwicklungen zu erkennen ( Abb. 5; rot = zunehmende [linksschiefe] Häufigkeiten einer Beschwerde; grün = abnehmende [rechtsschiefe] Häufigkeiten einer Beschwerde; gelb = anders verteilte Häufigkeiten).

Bei den psychischen Beschwerden (s. Abb. 5) nehmen „nervlich angespannt“, „unter Zeitdruck“ und „erschöpft/müde“ über alle Gruppen hinweg zu (rot). Deutliche Gruppeneffekte zeigen allerdings die Beschwerden „unkonzentriert“ und „frustriert/demotiviert“: Hier zeigt die Gruppe der Nicht-Beanspruchten eine abnehmende Häufigkeit (grün), während die Gruppe der Beanspruchten eine eher ansteigende Häufigkeit aufzeigt (rot bzw. gelb).

Bezüglich der Beanspruchung aufgrund von Verfügbarkeit gibt es also kaum Zusammenhänge zwischen den Gruppen der Beanspruchten und Nicht-Beanspruchten und psychischen Beschwerden. Lediglich zeigen einzelne Bereiche der psychischen Beschwerden („unkonzentriert“, „frustriert/demotiviert“) Zusammenhänge mit einer gemeldeten Beanspruchung auf.

Fazit

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz sind in den letzten 10 Jahren zunehmend in den Fokus von Forschung und Arbeitgebern gerückt. Gründe hierfür sind eine Entstigmatisierung der Themenfelder, veränderte Gesetzeslagen, aber auch veränderte Arbeitsbedingungen und Arbeitswelten. Eine Zunahme der psychischen Belastungen und Beanspruchungen ist hierbei zwar vorhanden, allerdings müssen Zusammenhänge oder auch Kausalitäten beleuchtet werden, zumal die veränderten Arbeitsbedingungen nicht nur Belastungen und Beanspruchungen, sondern auch Vorteile mit sich bringen (können). Da sich Arbeitsprozesse aufgrund der Digitalisierung noch stark verändern werden, wird eine detaillierte Begleitforschung nötig sein, um sowohl Risiken, aber auch Chancen identifizieren zu können.

Interessenkonflikt: Alle Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur

Fischmann W, Amler N, Drexler H: Prävention in der Arbeits- und Betriebsmedizin – Die Rolle des Betriebsarztes im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Public Health Forum 2018; 26: 144–146.

Freudenberger H: Staff burn-out. J Soc Issues 1974; 30: 159–165.

Jacobi F: Nehmen psychische Störungen zu? Report Psychologie 2009; 34: 16–28.

Kaschka W, Korczak D, Broich K: Modediagnose Burn-out. Deutsches Ärzteblatt. 2011; 108: 781–787.

Maslach C, Leiter MP: The Truth About Burnout. San Francisco, 1997.

Stock-Homburg R, Bauer E: Abschalten unmöglich? Harvard Business Manager 2008; 7: 10–15

    Weitere Infos

    Statistisches Bundesamt (2018): Arbeitsmarkt im Wandel – Wirtschaftsstrukturen, Erwerbsformen und Digitalisierung

    https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/2018/03/ArbeitsmarktWandel_032018.pdf?__blob=publicationFile

    Storm A (Hrsg.): DAK Gesundheitsreport – Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (Band 21), 2018

    https://www.dak.de/dak/download/gesundheitsreport-1970354.pdf

    Koautoren

    Mitautoren des Beitrags sind Amanda Voss und Prof. Dr. med. Hans Drexler, beide Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Für die Autoren

    Wolfgang Fischmann, M.A.

    Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin

    Leiter des Bereichs Public Health

    Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Schillerstraße 29

    91054 Erlangen

    wolfgang.fischmann@fau.de

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