Der Mensch verbringt in der Regel den größten Teil des Tages (z. T. über 20 Stunden) in Innenräumen. Je nach Aktivität, Alter, Geschlecht und Körpergröße atmet er pro Tag ca. 12 000 Liter Luft, einschließlich der darin enthaltenen Fremdstoffe, ein. In einem 4-Personen-Haushalt werden in Abhängigkeit des Nutzungsverhalten im Durchschnitt u. a. durch die Ausatemluft, Körperhygiene (Duschen, Baden), Kochen, Waschen und Trocknen von Wäsche usw. täglich ca. 15 Liter Wasser in die Raumluft abgegeben.
Auch die stark beworbenen „Naturstoffe“ können gesundheitsschädlich sein
Bei der Verwendung konventioneller Bauformen und Baumaterialien ergeben sich für die Nutzer von Innenräumen bei regelhaftem Einsatz von Baumaterialien meist keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Ausgenommen ist hierbei u. a. die Verwendung von biobeständigen Mineralfasern (z. B. Asbest), einzelnen Chemikalien in Innenräumen (z. B. Holzschutzmitteln), speziellen Metallen für Wasserleitungen (z. B. Blei) oder nach Bauschäden (z. B. Schimmelbildung).
Neue und innovative Bauformen, insbesondere Maßnahmen zur Energieeffizienz (Niedrigenergie- und Passivenergiehäuser) führen zu vollkommen neuen Anforderungen an die Steuerung des Raumklimas. Insbesondere wird hier vermehrt über die Schimmelbildung und die Entstehung unangenehmer Gerüche in Innenräumen geklagt. Zunehmend werden immer neue Baustoffe und Bauprodukte auf den Markt gebracht, deren Emissionsverhalten und deren Wirkung auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Innenraumnutzer nicht voll umfänglich bekannt sind. Dabei zeigt sich seit Jahren ein besonderer Trend, dass alles was „natürlich“ ist als besonders gesund angesehen wird und stark beworben wird, ohne dabei zu berücksichtigen, dass auch „Naturstoffe“ gesundheitsschädlich sein können, wie z. B. Terpene, die u. a. eine irritierende und sensibilisierende Wirkung haben können. Darüber hinaus führt die zunehmende digitale Steuerungstechnik in Innenräumen auf dem Weg zum „Smart Home“ mit zentral ferngesteuerten Geräte-Einstellungen per Computer oder Smartphone (z. B. von Heizung, Licht und Lautsprechern, Haushalts- und Multimedia-Geräten, Beschattungsanlagen) zu einer Zunahme von elektromagnetischen Feldern, deren Auswirkungen auf die Gebundenheit und das Wohlempfinden der Innenraumnutzer noch nicht abschließend bewertet werden können.
Um den Wandel bei Bauformen, Baustoffen und Bauprodukten wissenschaftlich zu begleiten und Betroffene zu beraten, wurde das Kompetenzzentrum Gesundes Bauen, Wohnen und Arbeiten gegründet. Hierfür hat sich ein interdisziplinäres Team aus deutschen und österreichischen Experten aus Wissenschaft und Praxis sowie Unternehmen verschiedener Fachrichtung (z. B. Bauphysik, Bauingenieure, Architektur, Werkstoffkunde, Umwelt- und Arbeitsmedizin, Psychologie) in einem Verein zum Kompetenzzentrum Gesundes Bauen, Wohnen und Arbeiten zusammengeschlossen.
Im Sinne des Kompetenzzentrums bedeutet Gesundes Bauen, Wohnen und Arbeiten, dass der Mensch in seiner gebauten Umgebung gesundheitlich weder gefährdet noch in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt wird. Ziel ist die Förderung der Gesundheit und die Steigerung des Wohlbefindens. Aus Sicht des Kompetenzzentrums müssen dabei insbesondere die in Tabelle 1
Fachliche Beratung und umsetzungsorientierte Information sind wichtige Anliegen des Kompetenzzentrums
zusammengestellten Themen – sowohl bei der Erstellung als auch bei der Sanierung von Gebäuden – in einem integralen bzw. ganzheitlichen Ansatz berücksichtigt werden.
Der Weg zum Gesunden Bauen, Wohnen und Arbeiten gliedert sich für die Erstellung neuer Gebäude sowie die Sanierung von Gebäuden in folgende Schritte:
- Identifikation und Analyse der Einflussfaktoren,
- ggf. Untersuchung relevanter Einflussfaktoren und deren Entstehung sowie Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden,
- individuelle Bewertung des Risikos für Nutzer,
- Ausarbeitung eines Maßnahmenkatalogs unter Berücksichtigung der individuellen Anforderungen und Voraussetzungen der Nutzer und Nutzerinnen sowie der entsprechenden rechtlichen Vorgaben, um adverse Effekte zu vermeiden und das Wohlbefinden zu fördern.
Basierend auf wissenschaftlich fundierte medizinische und technische Analysen sind die fachliche Beratung und die umsetzungsorientierte Information wichtige Anliegen des Kompetenzzentrums. Hierbei kommt insbesondere der Beratung von Bauherrn und Nutzern bei integralen Planungsprozessen eine wichtige Bedeutung zu. Zudem ist die Vermittlung neuer Erkenntnisse sowie ganzheitlicher Ansätze des Gesunden Bauen, Wohnen und Arbeiten aus Sicht der Bautechnik und Medizin Ziel des Kompetenzzentrums. Das Kompetenzzentrum hat daher für Interessierte aus der dem Bereich der Bauplanung, Bauausführung und Medizin einen interdisziplinären Lehrgang entwickelt.
Info
Als eine der ersten Aktivitäten wurde von Mitgliedern des Kompetenzzentrums bereits im Jahr 2015 eine Baufibel für Eigenheimschaffende veröffentlicht. Die Baufibel ist als pdf-Datei kostenfrei im Internet verfügbar (s. „Weitere Infos“). Zudem wurden bereits Lehrgänge unter dem Thema „Gesundes Bauen und Arbeiten“ durchgeführt.
Kontakt:
Kompetenzzentrum Gesundes Bauen, Wohnen und ArbeitenBeneschgasse 33A-3400 KlosterneuburgTel.: +43 (0)1 512 06 22Fax: +43 (0)1 512 09 05office@gesundesbauen.atwww.gesundesbauen.at
Weitere Infos
Baufibel – ein Leitfaden zum Bauen für gesundes Wohnen und Arbeiten
www.leitl.at/assets/upload/download/info/Baufibel-fuer-Eigenheimschaffende-web.pdf
Für die Autoren
Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel
Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Obere Zahlbacher Str. 67
55131 Mainz